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Weltwirtschaft

Krise und Politik

Markus Lehner, Neue Internationale 136, Februar 2009

Entscheidende Rahmenbedingung für die aktuelle Weltlage ist natürlich die sich entwickelnde Weltwirtschaftskrise. Unsere seit mehreren Jahren dargelegte Analyse, dass sich hinter den monetär aufgeblasenen, scheinbar grenzenlos wachsenden Kapitalrenditen der großen Konzerne eine strukturelle Überakkumulation von Kapital verbirgt, bestätigt sich nun in atemberaubendem Tempo.

Innerhalb der letzten beiden Quartale, nachdem die Finanzkrise durch „Kreditklemme“ und „Wertberichtigungen“ ihr Werk begonnen hat, sind die Bilanzen fast sämtlicher Großkonzerne von „hervorragende Gewinnerwartungen“ in kürzester Zeit auf „Gewinnwarnung“ gewechselt. Exportmärkte brechen ein, weltweit sinken Konsumausgaben, in Folge verfallen Hersteller- und Rohstoffpreise, die Krise dringt sogar bis zum Grundstoffbereich vor.

Der für Deutschland nächstes Jahr von vielen Instituten vorhergesagte Einbruch des BIP von über 2% wäre Rekord in der Nachkriegsgeschichte. Dabei geschieht dies noch synchron mit der Entwicklung in den USA, Japan und dem Rest der EU. Schon jetzt bedeutet die Abkühlung der Konjunktur im imperialistischen Block ein Abstürzen des Industrialisierungssprints in China und Indien. Firmenschließungen, Nichtauszahlen von Löhnen, Entwicklung von Massenarbeitslosigkeit etc. in China sind die Kehrseite der US/China-Blase, die in den letzten Jahren für unbeschränkten Optimismus gesorgt hatte.

Statt neuer „Weltmacht China“ wird sich hier in den nächsten Jahren ein neues Krisenzentrum der politisch-ökonomischen Entwicklung zeigen. Während im ersten Halbjahr 2008 schon 67.000 kleine Firmen im Perlflussdelta Pleite machten, erreichte die Krise im zweiten Halbjahr die industriellen Zentren in Shenzen, Dongguan und Guangzhou. 9.000 von 45.000 der dort angesiedelten Fabriken sollen bis Ende Januar schließen. Schon jetzt nehmen ArbeiterInnenproteste dramatische Formen an.

Sieht man sich die verschiedenen Erklärungen zur Finanzkrise von Kapitalvertretern Anfang 2008 an, so wird deutlich, dass die Bourgeoisie lange gebraucht hat, um eine Antwort auf die Verschärfung der Krise zu finden. Große Teile des Kapitals spielten die Krise damals noch herunter, andere überboten sich in Schwarzmalereien, kaum ein auch im Kapital-Sinne vernünftiges Konzept zur Eindämmung der Krise war zu entdecken. Doch auch heute noch kranken alle Rezepte daran, dass weder die Ursache noch das tatsächliche Ausmaß der Krise wirklich verstanden und analysiert ist.

Im Frühjahr 2008 wurden Schätzungen, dass die Kosten der US-Finanzkrise bei 1 Billion Dollar lägen, noch als absolut übertrieben bezeichnet. Inzwischen dürfte die vom IWF im Herbst angegebene Zahl von 1,4 Billionen schon als sehr optimistisch gelten. Das Problem sind ja nicht einfach faule Kredite an US-Immobilien- oder Kreditkartenbesitzer, sondern die auf einer Pyramide fauler Kredite basierende Geldschöpfung, die sich über Geld- bis zu den Derivatenmärkten auf eine Unmenge von Zahlungsverpflichtungen verteilt. Unvorhersehbare Häufungen von Rückzahlungsterminen uneinbringlicher Forderungen können so jederzeit zum nächsten Finanz-Tsunami führen. So sehen bekannte Wirtschaftswissenschafter, wie Fred Bergsten (Peterson Institute of International Economics) die „Mutter aller monetären Krisen“ erst bevorstehen, sollte es nicht gelingen, die internationalen Leistungsbilanz-Ungleichgewichte zumindest zu begradigen. Bei wachsendem Handelsbilanzdefizit, privater und öffentlicher Verschuldung von US-Haushalten und Unternehmen, kostet es die US-Konkurrenten immer mehr, den Wert des Dollars halbwegs zu halten. Bei 20 Billionen Dollar in ausländischer Hand (im Vergleich zu etwa einer Billion FED-Reserven) kann jede größere Umschichtung von Devisenkonten zu einer Abwärtungsspirale des Dollars mit umfassender Zerrüttung des Welthandels führen.

Angesichts dieser Drohungen ergeben sich klare Rahmenbedingungen für die Politik der Bourgeoisien: Die US-Bourgeoisie versucht, durch weiterhin niedrige Zinsen (negative Realzinsen wie schon 2001) und Umwandlung fauler Kredite in Staatsverschuldung die Kosten der Krise abzufangen und damit gleichzeitig auf die von der Dollarökonomie abhängige Weltwirtschaft abzuwälzen. Die anderen G20-Staaten haben dies zwar letztlich akzeptiert, versuchen aber, künftig „neue Regeln“ des internationalen Finanzsystems durchzusetzen, welche die Rolle der US-Finanzmärkte zurückdrängen sollen. Dies kann zu folgenden Konsequenzen führen:

1. Die sich abzeichnende Aufwertung der Euro-basierten Finanzmärkte kann zu einer Stärkung des Euro-Finanzkapitals führen (das nunmehr an der „Hegemonie“-Dividende beteiligt würde, die bisher vor allem US- und britisches Finanzkapital eingestrichen haben). Dies führt notwendigerweise zu Spannungen in der EU, wie sie sich jetzt schon zwischen dem deutschen und britischen Kapital zeigen. Ein stabiles neues Finanzregime auf Dollar/Euro-Basis würde eine klare politische Institutionalisierung erfordern, wie sie vergleichbar nur nach 1945 in den Abkommen von Bretton Woods etc. erreicht worden war. Ob die führenden politisch-ökonomischen Kräfte in Nordamerika, EU und Japan in der jetzigen Krisen- und Konkurrenzsituation zu einem solchen politischen Kraftakt in der Lage sein werden, ist jedoch fraglich. Wahrscheinlicher ist ein auf Jahre hinaus instabiles internationales Finanzregime.

2. Die Krise verstärkt die schon bestehenden Bruchlinien innerhalb der EU. Während Teile des deutschen Großkapitals momentan wie wahrscheinliche Gewinner der Krise aussehen, sieht dies in Britannien, Frankreich und Italien anders aus. Die Auseinandersetzung um die Höhe der deutschen Beteiligung an den Konjunkturprogrammen verschränkt sich daher notwendig mit der Frage der weiteren Entwicklung der politischen Union. Dazu kommen Auseinandersetzungen um den Kurs gegenüber Russland und einer weltweiten, US-dominierten Sicherheitspolitik, wie sie sich z.B. in Georgien, der Ukraine, aber auch in Afghanistan zeigen. Unter diesen Voraussetzungen ist es eine berechtigte Frage, ob die EU die kommende Krisenperiode überstehen wird. Zumindest ist eine Stagnation der politischen Union wahrscheinlich.

3. Die derzeit vorherrschende Politik zur Kriseneindämmung - Verwandlung von faulen Krediten und Wertpapieren in Staatsverschuldung, massive Risiken durch Staatsbürgschaften, Konjunkturankurbelung durch weitere Verschuldung etc. - kann die eigentlichen Krisenursachen nicht im entferntesten beseitigen. Sie ist wahrscheinlich sogar dem Umfang nach zu gering, um weitere Überraschungen zu verhindern. Zudem birgt sie die Gefahr, dass mit jedem Konjunkturanstieg aufgrund der dann offenbar werdenden Geldmenge sofort Inflation droht bzw. Maßnahmen zur Inflationseindämmung sofort wieder zum Abwürgen der Inflation führen. Aus dieser  Stagflationsfalle wird das Kapital letztlich nur durch massive Kapitalvernichtung gelangen können (Inflation ist auch nur eine schleichende Form davon). Weitere massive Einschnitte in Bezug auf Staatsleistungen werden ebenso die Folge sein, wie Betriebsschließungen und Outsourcings in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Natürlich wird zwischen den Kapitalen weltweit ein scharfer Kampf ausbrechen, wessen Kapital vernichtet wird - und wer von der folgenden Zentralisierungswelle des Kapitals profitieren wird. Die Automobilindustrie wird hier offenbar den Vorreiter spielen.

4. Die beschriebene Krisenpolitik wird daher zwar zunächst die Krisenfolgen hinauszögern und abschwächen, die Wirkung der Krise jedoch verlängern und in einer zweiten Phase (wahrscheinlich ab Herbst 2009, möglicherweise aber erst 2010) zu einer Welle verschärfter Angriffe führen. In der ersten Phase wird es der Bourgeoisie auf eine Einbindung der Arbeiterbürokratien in ihre nationale Krisenpolitik ankommen, um dann freie Hand für die offensive Phase zu bekommen. Klar ist, dass es der Bourgeoisie nicht gelingen wird, dies übernational zu koordinieren. Die Ungleichzeitigkeit wird sich gerade in den schwächeren Gliedern des Imperialismus in vorzeitigem Zusammenbrechen des „Burgfriedens“ äußern - so wie dies in Griechenland schon jetzt sichtbar wurde. In Europa wird daher die neue Klassenkampfwelle wahrscheinlich eher von Griechenland, Italien, Spanien und Frankreich ausgehen bzw. ist dort bereits im Gang.

5. Am härtesten betroffen sind derzeit Halbkolonien mit geringem Rohstoffreichtum bzw. geringem industriellem Outsourcing. Dort sind bereits Millionen vom Hungertod bedroht. Aber auch in den anderen Halbkolonien wird die Konjunkturabkühlung in den Metropolen im Verlauf des Jahres zu schweren Einbrüchen führen. Insgesamt wird dies die sozialen und ethnischen Konflikte in den Halbkolonien noch weiter befeuern. Damit sind weitere Kriege und imperialistische Interventionen so gut wie sicher (Indien, Pakistan, Iran). Andererseits führt der Zusammenbruch regionaler Ordnungsmächte immer mehr zu einer Bedrohung für den kapitalistischen Welthandel (siehe z.B. die Entwicklung der Piraterie). Die weltweiten Probleme in Bezug auf Ernährung, Energieversorgung, Ökologie, Sicherung von Transport- und Kommunikationswegen werden verstärkt zu neokolonialer Politik führen, in denen sicher auch die BRD eine größere Rolle beanspruchen wird.

Zweifellos ist das exakte Tempo der Entwicklung nicht vorhersehbar, wohl aber entscheidende Bruchlinien. Eines ist klar: Der Ausgang der Krise, die Veränderung von Weltwirtschaft und politischer Weltordnung werden entscheidend vom Ausgang der Klassenschlachten abhängen, die in den nächsten Jahren stattfinden werden.

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Nr. 136, Februar 2009
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*  Weltwirtschaft: Krise und Politik
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*  Wahlen in Hessen: Neue Schlappe der SPD
*  Uniklinika Baden-Württemberg: Der Tarifkampf hat begonnen
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