Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Telekom-Streik

Doppelt verkauft

Frederik Haber, Neue Internationale 122, Juli/August 2007

Die Niederlage der Gewerkschaft ver.di bei der Telekom hat größere Auswirkungen, als viele andere Arbeitskämpfe. In einem der größten Betriebe gelang es dem Management auf einen Schlag, 50.000 Beschäftigte in Tochterfirmen zu überführen, bei sofortiger Arbeitszeitverlängerung von über 10% und lediglich verschobenem Lohnverlust von 6,8%, Neueingestellte erhalten sogar 30% weniger.

Die Service-Bereiche sind die am  besten organisierten Bereiche der Telekom. Im verbliebenen Rest ist ver.di deutlich schwächer. Für die gesamte Branche, vor allem also auch für die anderen Telefon- und Mobilfunkunternehmen ist diese Niederlage ein herber Rückschlag.

Zurecht fragen sich die Telekom-Beschäftigten nun, wofür sie gestreikt haben; zurecht fragen sich die Beschäftigten in den Konkurrenz-Unternehmen, wozu sie sich überhaupt organisieren sollen.

Ver.di kann diese Niederlage überleben - wäre die Deutsche Postgewerkschaft DGP heute noch eigenständig, könnte sie zumachen. Die Verantwortung für diese herbe Niederlage trägt in erster Linie die Führung des Fachbereichs. Lothar Schröder und Co haben alles getan, um den Rest der Organisation aus dem Streik herauszuhalten, um selbst die totale Kontrolle über die Streikführung zu behalten. Es gab nie eine Diskussion in der gesamten Gewerkschaft über die Führung des Streiks, ein Erfahrungsaustausch mit anderen (streikerfahrenen) Bereichen wurde unterbunden, Solidarität war geduldet, wurde aber nicht bewußt organisiert.

Das wirft erneut ein Schlaglicht auf die problematische Struktur von ver.di, wo 12 Fachbereiche weitgehend selbstständig neben einander her agieren. Streiks werden nicht als gemeinsame Kämpfe wahrgenommen oder geführt. Gegenseitige Unterstützung ist schwierig, jedem Sekretär ist im Zweifelsfall die Rentnerfeier in seiner Sparte wichtiger als der Streik in einer anderen. Was die potentielle Stärke ver.dis sein könnte, eine große Mitgliederzahl und eine breite Durchdringung vieler öffentlicher Bereiche, wird in bürokratischer Ignoranz vernachlässigt und in Schwäche umgemünzt.

Hinter formalen Strukturen und bürokratischem Verhalten steht immer auch Politik. Bei der Telekom gibt es zwei Quellen des Verrats der Bürokratie: Die eine ist die jahrzehntelange Staatsbetriebstradition. Eine starke Identifikation mit dem Betrieb, gestützt unter anderem auch auf die richtige Einstellung, dass Kommunikation zur öffentlichen Grundversorgung gehört. Mit der Identifikation mit dem Betrieb ist oft auch eine Verbundenheit mit dem Staat, unterstützt von den allgemeinen Illusionen in den Sozialstaat zu verzeichnen.

In der Praxis hieß dies bei allen öffentlichen Großbetrieben zugleich, dass es einen lebhaften Austausch der Gewerkschaften mit dem Management, geschmiert noch durch die Sozialdemokratie, gab. Während in den Stahl-Konzernen dank der Montan-Mitbestimmung Gewerkschafter gelegentlich Arbeitsdirektoren werden, standen in vielen Bereichen des Öffentlichen Dienstes alle Führungsposten offen.

Die so integrierten und korrumpierten Gewerkschaften konnten der Privatisierung nichts entgegen setzen. Nach kurzem Aufschrei haben sich die Spitzen der Postgewerkschaft, der Eisenbahner und der ÖTV in der Energiewirtschaft hemmungslos der Wettbewerbsfähigkeit, den Rendite-Erwartungen und möglichen Börsengängen verschrieben.

Vergebene Chancen

Während des Telekomstreiks stellte folglich auch kein Verantwortlicher die Unternehmensziele der Telekom in Frage. Angriffe auf die Managergehälter waren schon die politischste Aussage, neben lächerlichen Versuchen, an die Sozialdemokraten (und Gewerkschafter), die noch in Aufsichtsgremien hocken, zu appellieren.

Für die ver.di-Verhandlungsführung ging es also nie darum, den Kampf effektiv zu führen und eine Rücknahme der Angriffe zu erzwingen, sondern nur die Bedingungen der Ausgliederungen zu gestalten. Von Seiten der Belegschaft udn ihrer Kampfbereitsachft war der Sieg durchaus möglich.

Nach sechs Wochen Streik war noch nirgends ein Abbröckeln der Streikfront sichtbar und es gab genügend Möglichkeiten, den Druck zu verstärken. Insbesondere die Bereiche der Telekom, die nicht überführt werden sollten, hätten zu Solidaritätsstreiks gerufen werden können und müssen. Die Konkurrenzunternehmen der Telekom wurden überhaupt nicht einbezogen, obwohl auch sie von einer Niederlage Schlimmstes befürchten müssen. Die positive Einstellung der Bevölkerungsmehrheit wurde nicht genutzt, es gab kaum öffentliche Aktivitäten, Angebote von anderen Betrieben wurden einfach ignoriert.

Auch der G8-Gipfel bot Chancen. Die Kommunikation dort hätte gestört werdne können. Rostock wäre auch ein prima Ort gewesen, an dem sich die Gewerkschaftsführung an AktivistInnen hätte wenden können, um Unterstützung für Streikposten zu werben. Die Betriebe wurden zwar bestreikt, aber sie hätten auch dicht gemacht werden können.

Der Streik wurde also abgebrochen, anstatt ihn auszuweiten. Als Begründung wurde in ver.di intern  genannt, dass mit dem 1. Juli die Betriebsübergänge der 50.000 wirksam würden, dann gäbe es einen neuen Arbeitgeber und es dürfe nicht einfach weiter gestreikt werden.

Dazu ist zu sagen, dass es möglich ist, einem Betriebsübergang nach §613a individuell zu widersprechen. Wenn dies massenhaft geschieht - und wann, wenn nicht in einem Streik ist dies möglich - würde das niemand übergehen, die Telekom müsste formal nach Ersatzarbeitsplätzen suchen (anschließend Kündigungen, Sozialplan mit Sozialauswahl, aber alles formal sehr lang dauernd).

Die Tätigkeiten, die „übergegangen“ wären ohne die sie ausübenden Beschäftigten, würden aber von niemand ausgeübt. Der Streik würde stattfinden, aber anders.

Die juristische Schiene ist also nur scheinbar schlüssig, sie zeigt aber ein weiteres Feld des Scheiterns der partnerschaftlichen Gewerkschaftspolitik auf.

Der Betriebsübergang, eigentlich gedacht als Regelung für Werksverkäufe an andere Eigentümer und nicht als Manöver gegen die Beschäftigten, sieht vor, dass die Löhne und andere Rechte der Beschäftigten als individueller Anspruch für mindestens ein Jahr gesichert sind, wenn im neuen Unternehmen kein Tarifvertrag gilt. Bei den Telekom-Töchtern gibt es aber einen. Dieser ist aber schlecht - trotzdem hat ver.di ihn vor Jahren selbst unterschrieben. Damit hat die Gewerkschaft selbst der Telekom den Boden für dieses Manöver bereitet. Die Logik dieser Gewerkschaftspolitik ist nicht neu. Sie ist erstens der Versuch, die Kernbelegschaft auf Kosten der „Rand“-Belegschaften zu retten. Zweitens beinhaltet sie die Bereitschaft, lieber schlechte Tarifverträge zu unterschreiben als keine, um die „Regelungskompetenz“ zu beweisen.

Diese Logik wirkt ja auch im Abschluss weiter. Die jetzt Übergegangen werden noch eine Weile „besser gestellt“ als diejenigen, die schon in den Töchtern arbeiten.

Von dieser Führung ist kein ernsthaft geführter Kampf zu erwarten gewesen. Aber wie hat sich die Basis verhalten? Einer hohen Disziplin im Streik steht zugleich eine starke Unterordnung unter den Apparat gegenüber. Die oben beschriebene Staatsbetriebsmentalität wirkt auch in der Belegschaft weiter.

Während des Streiks war wenig von Eigeninitiativen der Streikenden und Konflikten mit der Streikleitung zu spüren. Aus einzelnen Städten gibt es aber ermunternde Meldungen. Auch die Zustimmung von 72% ist mehrdeutig. Sie setzt sich zusammen aus Zustimmung und Resignation, gespeist aus der Erkenntnis, dass mit dieser Führung kein Sieg möglich ist. 28% Stimmen gegen den Abschluss zeigen, dass es ein Potential gibt, aus dem eine Opposition aufgebaut werden könnte. Das wird nötig sein, denn das war nicht der letzte Angriff.

Fazit

Der Streik bei der Telekom war mehr als nur ein „normaler“ Tarifkampf. Der Angriff der Konzernführung, der Widerstand und die Niederlage haben enorme gesellschaftliche und politische Bedeutung.

Die ver.di-Führung hat sich dabei praktisch als Streikbrecher betätigt und den Kampf abgebrochen, als seine Ausweitung möglich und notwendig war. Es ist klar, dass ähnliche Ausverkäufe und Verrätereien auch in allen anderen Branchen von der Bürokratie und den Konzernbetriebsräten möglich, ja wahrscheinlich sind. Dagegen hilft nur, eine organisierte Opposition, eine anti-bürokratische klassenkämpferische Basisbewegung in den Gewerkschaften aufzubauen - gegen Privatisierung, Ausgliederung, Arbeitsplatzvernichtung und Lohnsenkung.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 122, Juli/Aug. 2007
*  Heiligendamm: Ein Erfolg der Bewegung - doch wie weiter?
*  Attac und Linke: Von folgendloser "Solidarität" zu staatstreuer Hetze
*  Heile Welt
*  Europäische Union: Merkel Durchbruch?
*  Italien: Eine Linke links von RC
*  Telekom-Streik: Doppelt verkauft
*  Die Linke und das NLO: Imitation oder Alternative?
*  Sudan: Neuer Wettlauf um Afrika
*  100 Jahre Sozialistenkongress: Gegen Kapital und Krieg
*  Palästina: Israel und USA zetteln Bürgerkrieg an