Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Italien

Eine Linke links von RC

Interview mit Elettra Anghelinas (COBAS), Neue Internationale 122, Juli/August 2007

Vor gut einem Jahr wurde die Regierung Berlusconi abgewählt. Unter dem langjährigen EU-Kommissions-Präsidenten Prodi wurde eine Mitte-Links-Regierung gebildet, der auch Rifondazione Comunista (RC) angehört, eine Schwesterpartei der hiesigen Linkspartei. Zu den Auswirkungen, die diese Regierungsbeteiligung auf die Gewerkschaften, die Antikriegsbewegung und die Linke allgemein hat, haben wir Elettra Anghelinas befragt, Mitglied der Basisgewerkschaft COBAS, die nicht nur in den sozialen Kämpfen, sondern auch in der Antikriegsbewegung sehr aktiv ist.

Auch wenn wir politische Differenzen zu COBAS haben, so spielt sie im Moment zweifellos eine wichtige progressive Rolle.

Das Interview fand Anfang Juni in Rostock statt. Seither hat sich in Italien viel ereignet. Die angesprochene Demo am 9. Juni wurde für COBAS und alle anderen Organisatoren zu einem großen Erfolg. 150.000 folgen dem Aufruf gegen Bush und seinen globalen Krieg, aber auch gegen den Militarismus der Prodi-Regierung, gegen Afghanistan- und Irakeinsatz.

Eine zweite Demo, organisiert von der regierungstreuen „Friedensbewegung,“ von RC, CGIL und anderen, die nur gegen Bush demonstrierte, brachte gerade 1.500 zusammen. Die Generalsekretäre der Organisationen blieben unter sich, diejenigen ihrer Mitglieder, die demonstrieren wollten, stimmten mit den Füßen ab.

NI: Am 17. November letzten Jahres gab es beeindruckende Massenmobilisierungen von Jugendlichen und Arbeitern gegen die neue Regierung, die erst ein halbes Jahr im Amt war.

A: Wir haben einen Generalstreik vorgeschlagen und es gab Demonstrationen in ganz Italien, die größten in Rom, Mailand, Neapel und Turin. Auf der Straße waren ArbeiterInnen mit Studierenden, prekär Beschäftigten und MigrantInnen - mehr als eine halbe Million.

Aber unser Widerstand gegen die Haushaltspolitik von Prodi hatte bereits am 4. November mit einer Demo gegen Prekarisierung begonnen. Auch die FIOM (Metall-Gewerkschaft), Rifondazione Comunista, attac und andere haben sich beteiligt. Wir gingen mit einer klaren Position gegen den Haushalt und den Arbeitsminister Damiano auf die Straße. Unser Transparent „Damiano, Knecht der Unternehmer“ drückte sehr gut die Wut der jungen Leute und der prekär Beschäftigten gegen die italienische Gesetzgebung aus, die auf Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und Lockerung der Rechte setzt. Die jetzige Regierung will diese Gesetze behalten. Unser Transparent wurde aber von der CGIL (dem größten Gewerkschaftsbund, der mit den Regierungsparteien DS und RC verbunden ist) sehr kritisiert.

Der Generalstreik vom 17. November bestätigte diesen Widerstand gegen den Haushalt, der die Ausgaben für Bildung und Soziales kürzt und der jungen Leuten die Chance auf Arbeit nimmt - es werden gerade mal 8.000 von 350.000 Befristeten im Öffentlichen Dienst übernommen. Aber es zeigte auch den massenhaften Widerstand gegen die prokapitalistische und kriegstreiberische Politik. Die ArbeiterInnen hatten schon das Gefühl, dass die Prodi-Regierung die Fortsetzung von Berlusconi ist.

NI: Wohin wird sich der Widerstand in den nächsten Monaten entwickeln? Besteht die Chance, die CGIL allgemein und speziell die MetallerInnen der FIOM für den Kampf gegen den neoliberalen und imperialistischen Kurs Prodis zu gewinnen?

A: Am 17. November zeigte sich auch die Schwäche des Gewerkschaftsbundes im Kampf gegen Prekarisierung und Sozialabbau. Viele Mitglieder der CGIL haben mit uns gestreikt, während der Generalsekretär der CGIL den Mitgliedern verboten hat, mit der COBAS zu streiken und zu demonstrieren. Was die FIOM betrifft, so hat die eine gewisse Unabhängigkeit von der CGIL und wir arbeiten öfter zusammen, wie bei den erwähnten Protesten und in anderen Dingen.

Die CGIL aber ist wie auch andere Gewerkschaftsverbände, die CISL und UIL „loyal“ gegenüber der Regierung. Anstatt sich der Regierung zu widersetzen, stellen sie sich gegen ihre eigenen Mitglieder.

NI: Wir erinnern uns gut, dass Fausto Bertinotti im November 2002 auf dem Europäischen Sozialforum in Florenz Selbstkritik geübt hat an der Unterstützung von RC für die „Olivenbaum“-Koalition von Prodi von 1996 bis 1998. Das stieß damals auf große Begeisterung, auch unter den Mitgliedern von RC. Gibt es heute Widerstand in der Partei gegenüber Bertinottis 180-Grad-Wende zur Unterstützung einer „sozial-liberalen“ Regierung?

A: Die Schwierigkeiten in der jetzigen Periode in Italien liegen darin begründet, dass linke Parteien wie Rifondazione in die Regierung gehen und Bereiche, die sich zuvor im Widerstand gegen Berlusconi befanden, jetzt in die Regierungspolitik integriert sind. Das hat zur Folge, dass Menschen und Organisationen, die in der Vergangenheit bereit waren, gegen den Kapitalismus zu kämpfen, jetzt irgendwie still geworden sind.

Natürlich gibt es Widerstand nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch innerhalb der Organisationen. Aber die Situation ist kritisch. Die Regionalwahlen im Mai haben den rechten Parteien in Norditalien Gewinne gebracht. Entscheidend war wohl die Wahlenthaltung von linken Wählern. Das zeigt, dass es Schichten gibt, nicht notwendigerweise radikale, sondern möglicherweise auch moderat eingestellte, die sehen, wie negativ das politische Verhalten dieser Regierung ist, sei es in Bezug auf Armut, Beschäftigung, Bildung, Gesundheit, Wohlfahrt, Umwelt oder Krieg.

NI: Die antikapitalistische Bewegung in Italien war immer so etwas wie ein Vorbild für die Bewegung im übrigen Europa. Sie entwickelte ein Netzwerk von sozialen Organisationen, (Sozialforen und Sozialzentren), der Gewerkschaftsbasis, Antikriegs-AktivistInnen, aber auch Mitglieder der größeren kommunistischen und ex-kommunistischen Parteien, das gemeinsam gegen Krieg, die Angriffe der Berlusconi-Regierung usw. mobilisierte. Gibt es dieses Netzwerk noch und in welchem Zustand ist es? Stellt es noch eine Basis für den Widerstand gegen Prodi dar?

A: Angesichts dieser politischen Situation und mit der Entscheidung vieler Menschen, vielen Gruppen und Bündnissen, die Regierung zu unterstützen - wenn auch „kritische“ - hat das von dir beschriebene Netzwerk, das prägend für die Zeit zuvor war, aufgehört zu existieren. Aber das heißt nicht, wie gesagt, dass es keine Opposition gäbe oder gar die Möglichkeit zu gemeinsamem Kampf fehlen würde. Wir können uns lediglich gerade nicht vorstellen, „feste Allianzen“ zu haben. Wir versuchen also immer wieder, um bestimmte Punkte herum Bündnisse zu schaffen. Wir haben das um die Frage der Prekarisierung getan, wir tun dies um die Kriegsfrage. Ich denke, das ist derzeit der einzige Weg zu mobilisieren.

Die Kriegsfrage ist beispielhaft: Seit Juni 2006 hat COBAS mit Demonstrationen gegen die Kriegseinsätze begonnen, aber Massendemonstrationen waren nicht mehr möglich, nachdem die frühere Antikriegsbewegung mehr oder weniger selbst in der Regierung eingebunden war. Wir haben mit einer neuen Bewegung begonnen, die ihren Ausgangspunkt im Widerstand gegen den Ausbau der US-Basis in Vincenza nahm. 150.000 haben dort protestiert und RC war Teil des Bündnisses. Jetzt planen wir eine Demo für den 9. Juni in Rom, wenn Bush kommt. Wir wissen, dass Rifondazione gespalten ist, viele Mitglieder wollen auf die Straße gegen den Krieg, aber die Partei selbst wird nicht gegen die Kriegseinsätze demonstrieren, denen sie selbst im Parlament zugestimmt hat.

NI: Du warst auf allen Europäischen Versammlungen, die mit dem Sozialforum in Verbindung stehen. In Florenz, Paris oder Athen zeigte sich, wie groß die Möglichkeit ist, massenhaft aus ganz Europa bis in den Nahen Osten zu mobilisieren.

Dennoch wird unserer Meinung nach das Sozialforum nach wie vor durch diejenigen gelähmt, die darauf bestehen, dass es nur Forum ist, ein „Raum“ ohne Koordination und gewählte Führung. Selbst die Versammlung der Sozialen Bewegungen diskutiert so wichtige Themen wie die Prodi-Regierung nicht und berät nicht über Strategie. Welche Perspektiven seht Ihr?

A: Es stimmt, dass das ESF derzeit mehr oder weniger paralysiert ist. Selbst das Welt-Sozialforum scheint trotz der Beteiligung „moderaterer“ Organisationen, z.B. von NGOs, lebendiger zu sein und mehr Bewegung zu produzieren.

Aber das Problem ist nicht nur das Fehlen einer Führung, sondern das Fehlen einer echten Bewegung um das ESF. Es gibt viele Bewegungen in Europa, aber sie haben keine Verbindung mehr zum ESF.

Um das Problem zu lösen, hilft es nicht, die Gründung neuer Sozialforen zu proklamieren. Das ist passé. Die Sozialforen haben neue Netzwerke kreiert, haben Leute politisiert und teilweise den Parteien zugeführt. Wir müssen heute mit dem arbeiten, was wir haben: der Anti-Kriegsbewegung beispielsweise oder der Umweltbewegung. In Italien entwickelt sich ein Netzwerk vieler Gruppen, die gegen lokale Umweltprobleme kämpfen. Sie haben keine Verbindung zu den Grünen oder anderen Parteien und kämpfen hart gegen die Regierung, die in ihrer Gegend gefährliche Einrichtungen installieren will. Sie haben Industrie-Gelände besetzt, landesweite Demonstrationen organisiert und die Bewegung wächst weiter.

Ich nehme dieses Beispiel, weil es zeigt, wie weit das ESF derzeit von den wirklichen Bedürfnissen der Bewegung entfernt ist. Ein Grund für die Distanz zu den Bewegungen ist auch die interne Situation des ESF. Die Sozialforen in Frankreich und Italien sind gespalten und nicht mehr in der Lage, ihre Führungs- und Vorbildrolle im ESF wahrzunehmen. Wenn es eine Lösung gibt, besteht sie darin, die wirklichen Kämpfe um Arbeit, Prekarisierung und Krieg auf das ESF zu bringen.

Was wir noch tun können, ist das ESF als Ort zu nutzen, um zu europaweiten Mobilisierungen aufzurufen - mit dem Ziel, in diesem Prozess alle Netzwerke, Organisationen und Gruppen in Europa einzubeziehen.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 122, Juli/Aug. 2007
*  Heiligendamm: Ein Erfolg der Bewegung - doch wie weiter?
*  Attac und Linke: Von folgendloser "Solidarität" zu staatstreuer Hetze
*  Heile Welt
*  Europäische Union: Merkel Durchbruch?
*  Italien: Eine Linke links von RC
*  Telekom-Streik: Doppelt verkauft
*  Die Linke und das NLO: Imitation oder Alternative?
*  Sudan: Neuer Wettlauf um Afrika
*  100 Jahre Sozialistenkongress: Gegen Kapital und Krieg
*  Palästina: Israel und USA zetteln Bürgerkrieg an