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CDU-Familienpolitik in Thüringen

15 Packen Pampers

Alice Berg, Neue Internationale 114, Oktober 2006

Für fünfzehn Packen Pampers im Monat sollen Eltern künftig zu Hause bleiben und dort ihre Kinder betreuen. 150 Euro im Monat zahlt der Freistaat Thüringen jenen Eltern, die ihr Kind zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr zu Hause betreuen. Die Kommune erhält zukünftig 1.000 Euro "Infrastrukturpauschale" für jedes Neugeborene.

Das Ganze trägt den großspurigen Titel: "Familienoffensive". Doch diese Zukunftspolitik von Thüringens Regierung unter Althaus hat einen Haken: sie wird auf den Schultern der Eltern ausgetragen. Denn im gleichen Zuge werden die Mittel für öffentliche Kitas von 157 Millionen auf 135 gekürzt. Schon mit Anfang des Jahres sind die Kita-Gebühren an vielen Orten deshalb um bis zu 50 Euro gestiegen.

Gelder, die zweckgebunden für Kinderbetreuung an Kitas gingen, werden jetzt einerseits den Kommunen überlassen, die damit alles Mögliche unter dem Slogan der „Kinderfreundlichkeit“ finanzieren können. Angesichts der Finanznot der Gemeinden kann man sich vorstellen, wie viel Fantasie Stadtkämmerer entwickeln werden, um mit diesen Geldern ihre Haushaltslöcher zu stopfen. Warum sollten sie auch anders handeln als die Landesregierung, der jüngst nachgewiesen wurde, dass sie 67% der Bundesmittel zweckentfremdet eingesetzt hat (Thüringer Allgemeine).

Andererseits werden die Gelder an die Eltern umgeschichtet. Bei 18,6 % Arbeitslosen (Jahresdurchschnitt 2005) im Freistaat und vielen - gerade Frauen - in Niedriglohnjobs, setzt die Regierung Althaus zynisch auf die finanzielle Notlage der Menschen, um mehr Kinder aus den öffentlichen Betreuungseinrichtungen  rauszubekommen.

Kitas in der Krise

In vielen Kitas stehen Entlassungen an. Vor allem integrative Kitas, wo flexible und individuelle Betreuungen möglich sind, werden davon betroffen sein. Zugleich werden die Kitas in den Wettbewerb untereinander getrieben, denn sie erhalten ihre Zuweisungen zukünftig als Kinderkopfpauschalen.

Aus dieser Krise der öffentlichen Kitas schlagen - wie immer - private Investoren Kapital. Sie bieten private Kitas als Franchise-Unternehmen den nun arbeitslosen Kindergärtnerinnen an. Aus Angestellten, die kollektiv arbeiten, sich gewerkschaftlich organisieren, einen Personalrat wählen und vielleicht durch einen Tarifvertrag einigermaßen geschützt sind, werden so unter der Hand flugs Selbstständige, die weitgehend ungeschützt arbeiten und untereinander in Konkurrenz stehen. Als Kreditgeber steht die Deutsche Bank bereit.

Großunternehmen wie z.B. IKEA nutzen dieses Konzept für Betriebskindergärten, um ihre Beschäftigten flexibel zu halten. Die privaten „Kindervillas“ kosten dann im Monat schon mal 450 Euro.

Althaus´ Familienpolitik bedeutet auch, den Frauen wieder verstärkt die Kindererziehung aufzubürden und ihnen zugleich den Zugang zur Erwerbstätigkeit als entscheidender ökonomischer Grundlage ihrer Emanzipation zu verbauen. Die CDU-Familienoffensive führt gleichzeitig zur weiteren Ausdünnung öffentlicher Kinderbetreuung als einer zwar bürgerlichen, aber immerhin rudimentären Form der Vergesellschaftung der Erziehung.

Gegen diese "Familienoffensive" hat sich bereits Widerstand gemeldet. Von Gewerkschaften, Elternverbänden und in der Bevölkerung selbst. Die erste Hürde eines Volksbegehrens ist bereits genommen. Dabei wurden von der Landesregierung sämtliche bürokratischen Taschenspielertricks genutzt, um möglichst viele Stimmen für ungültig erklären zu lassen. Mit der Durchsetzung ihrer Familienpolitik wird diese Landesregierung eventuell stehen oder fallen. Es ist so ungefähr das einzig nennenswerte Projekt, das Ministerpräsident Althaus vorweisen kann.

Aber ein Volksbegehren wird nicht ausreichen. Die Familienoffensive, inzwischen auch "Offensive gegen die Familie" genannt, ist nur ein Teil des allgemeinen Sozialabbaus und der Verprivatisierung öffentlicher Bereiche. So hat die Bundesregierung dieser Tage den Bafög-Grundstock um 38 Millionen gekürzt. Auch dieses Geld soll umgeschichtet werden und in private "Begabtenförderung" - also v.a. in die Förderung von Eliten, fließen.

Deshalb muss sich der Widerstand gegen den Sozialabbau, der im Mäntelchen der Familienfreundlichkeit oder der Begabtenförderung daherkommt, mit dem Widerstand gegen die gesamte neoliberale Reformpolitik verbinden.

Dazu ist es wichtig, auf den Aktionen und Konferenzen der sozialen Bewegungen stärker auch die „Familien“politik der bürgerlichen Parteien ins Visier zu nehmen. Es ist nicht nur Wahlkampfrhetorik, wenn PolitikerInnen in jedes Mikrofon beten, dass die Familien zu fördern seien. Sie brauchen die Familien, denn sie wollen den Familien die soziale Verantwortung aufladen, aus der sie den Staat und die Kommunen entlassen wollen.

Die Hartz-Gesetze wälzen die Kosten der Arbeitslosigkeit auf die ganze Familie ab. Jugendliche müssen bis 25 auf Kosten der Eltern wohnen. CDU-Generalsekretär Pofalla will jetzt auch die Kinder für die Not ihrer Eltern haftbar und sie bei Arbeitslosigkeit der Eltern unterhaltspflichtig machen. Die finanzielle Überbelastung der Familien verschärft natürlich die Konflikte innerhalb dieser. Mehr häusliche Gewalt und Unterdrückung sind die zwangsläufige Folge.

Die CDU und in ihrem Schlepptau die anderen bürgerlichen Parteien tragen so die Krise ihres Systems bis in den letzten privaten Winkel der Familie.

Es ist die Aufgabe von RevolutionärInnen zu helfen, dass sich diese Krise nicht innerhalb der Familien austobt, sondern zu Widerstand gegen das System wird; dass die Gewalt nicht häuslich ist, sondern sich gegen diesen Staat richtet, der die soziale und menschliche Existenz untergräbt.

Der bürgerliche Staat betreibt mit seiner "Sozial - oder Familienpolitik" eine verschärfte soziale Selektion - den unteren Klassen wird der Zugang zu Betreuung, Versorgung, Bildung und Ausbildung systematisch verbaut. Sei es "Pisa-Studie" oder die soziale Ordnung an den Universitäten - dieser Staat und diese Wirtschaft brauchen nur noch die Elite, das Recht auf Bildung erweist sich immer mehr als kleinbürgerliche Illusion.

Die Selektion zeigt sich besonders in den Familien, Sozialschwache und Arme können ihren Kindern keine Perspektive mehr bieten - die soziale Zukunft dieser 2.5 Millionen Kinder in Armut ist vorbestimmt. Deshalb müssen RevolutionärInnen die aktuellen Familien -und Bildungsdebatten bekämpfen, weil dort nur die künftige Elitenpolitik vorbereitet wird.

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Nr. 114, Oktober 2006

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*  Nach den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern: Rot/Rot schmiert ab
*  Kassel II: Wohin geht die WASG-Opposition?
*  CDU-Familienpolitik in Thüringen: 15 Packungen Pampers
*  NPD nach den Wahlen: Aufstieg der Ratten
*  Schweden: Nach der Wahl ist vor dem Kampf
*  Castros Krankheit: Kuba im Kreuzfeuer
*  Mexiko: Massen an die Macht!
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