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70 Jahre Revolution in Spanien, Teil II

Volksfront gegen die Revolution

Hannes Hohn, Neue Internationale 110, Mai 2006

Die mit den Wahlen im Februar 1936 an die Macht gekommene Volksfrontregierung setzte sich aus mehreren bürgerlichen Parteien, der Sozialdemokratie und der stalinistischen KP zusammen. Sie war Ausdruck eines zeitweiligen Patts der Klassenkräfte. Das Proletariat drängte zur Macht, mehrfach bildete es eigene Machtorgane - Räte, Generalstreikkomitees und Milizen -, die v.a. unter Führung der Anarchisten standen. Doch deren Kämpfe wurden blutig niedergeschlagen und litten unter Führungen, die außerstande waren, die Macht zu ergreifen.

Auf der anderen Seite formierte sich die Reaktion: der Klerus, der Großgrundbesitz, das Gros der Armee und der Bourgeoisie. Sie scharten sich um General Franco. Dieser stand zunächst loyal zur Regierung, um sich aber schon bald gegen sie zu stellen. Sein „Seitenwechsel“ markiert den Beginn der Offensive wie auch den Trend des Großteils der herrschenden Klassen von der Volksfrontregierung weg - aus Angst vor der Gefahr der proletarischen Revolution.

Die Volksfrontregierung war in dieser Situation des relativen Gleichgewichts der Klassenkräfte und des noch nicht begonnenen offenen und konsequenten Kampfes um die Macht wesentlich Ausdruck eines Kompromisses, eines zeitweiligen „Verharrens“ der Klassenkräfte, einer Atempause der Revolution - ähnlich der Provisorischen Regierung im revolutionären Russland.

Die Volksfront an der Macht

Kaum installiert, war die Volksfrontregierung bald schon mit den grundsätzlichen Problemen der Spanischen Revolution konfrontiert: in erster Linie der Landreform und der Formierung der bewaffneten Konterrevolution.

Die Regierung verabschiedete eine „milde“ Agrarreform, die das Landproblem aber nicht löste. Sie sah etwa 50.000 Ansiedelungen pro Jahr vor. Danach wären selbst nach 20 Jahren nur eine Million Bauern zu Eigentümern geworden. Angesichts dieser Schneckenreform gingen die Bauern in vielen Gegenden zu gewaltsamen Landbesetzungen über. Anfangs tolerierte die Regierung diese Aktionen noch, aber bald stellte sie sich dagegen und ging gewaltsam gegen die „ungesetzlichen“ Bauern vor.

Die inkonsequente Landreform wie das Vorgehen der Regierung gegen die Bauern machte diesen klar, dass die Volksfrontregierung ihre Bedürfnisse nicht erfüllt. Die bäuerlichen Massen - ein wesentliches Potential - der Revolution war verschenkt.

Das wird andererseits auch daran deutlich, dass die Anarchisten großen Erfolg bei ihrer Land- Kampagne hatten. Durruti, ein Führer der anarchistischen CNT sagte: „Wir führen einen Krieg und machen zur gleichen Zeit die Revolution (…) Jedes Dorf, das wir erobern, beginnt entlang einer revolutionären Linie sich zu entwickeln.“

So wurden in Aragon die großen Güter von LandarbeiterInnen kollektiviert. Dort lebten 70% der Landbevölkerung in solchen Kollektiven. In Katalonien, wo es weniger große Güter gab und kleine Landbesitzer dominierten, gab es Landverteilungen und die Abschaffung der Pachtzinsen.

Wie in der russischen Revolution zeigte sich auch in Spanien die Möglichkeit, die Masse der Landbevölkerung auf die Seite der Revolution zu ziehen. Die Politik der Volksfrontregierung stieß die Bauern aber ab. So blieben Millionen Bauern der Verteidigung der Revolution gegen die Franco-Faschisten gegenüber gleichgültig, anstatt sie aktiv zu unterstützen.

Wie in der Agrarfrage versagte die Volksfront auch in der Militärfrage. Sie sah es nicht als nötig an, den bürgerlichen Staat, v.a. die Armee, zu zerschlagen und ihn durch Räte und Milizen der ArbeiterInnen und Bauern zu ersetzen. Sie vertraute auf die Loyalität der Armee und ihrer Führung. Wie später im Chile Allendes erwies sich das als blutiger Irrtum.

Als die Landbesetzungen außer Kontrolle zu geraten drohten, als die ArbeiterInnen die Betriebe besetzten und unter ihre Kontrolle nahmen, als die ArbeiterInnen sich bewaffneten und eigene Milizen aufstellten, wurde der spanischen Bourgeoisie und besonders der Masse der Offiziere klar, dass das Reform-Projekt der Volksfront von den Wogen einer Revolution weggespült werden könnte; dass die Geister, die sie rief - die Massen - nicht mehr kontrolliert werden könnten.

Diese Gefahr vor Augen putschten die Offiziere um Franco. Der Putsch war absehbar und die Pläne dafür waren der Regierung bekannt. Der Kriegsminister der Volksfront erklärte am 18. März 1936, dass „alle Offiziere (…) der spanischen Armee (…) die Befehle der gesetzmäßigen Regierung erfüllten.“ Welch Irrtum! Mitte Juli revoltierten 50 Garnisonen der Armee, nur 500 von 15.000 Offizieren blieben der Republik treu. In kürzester Zeit kontrollierten die reaktionären Falangisten halb Spanien. Der Bürgerkrieg hatte begonnen.

Franco wurde nicht nur direkt von den faschistischen Regimes Deutschland und Italien unterstützt; zu den brutalsten Kämpfern in den Reihen seiner Truppen gehörten auch viele Marokkaner. Auch hier hatte es die Volksfront versäumt, der spanischen Kolonie Marokko volle Unabhängigkeit zu gewähren, was die Marokkaner auf die Seite der Revolution gezogen hätte. Stattdessen blieben die Kolonialgebiete ein Aufmarschgebiet der Konterrevolution.

Doppelmacht

Wie auf dem Land nahmen die Kämpfe der ArbeiterInnen in den Städten ab Frühjahr 1936 deutlich zu. Es gab zahlreiche Streiks um Löhne, Arbeitsbedingungen und die Amnestierung der politischen Gefangenen.

Am 1. Juli begann eine Streikwelle von 70.000 Bauarbeitern um höhere Löhne. Das Arbeitsministerium gab den Forderungen zwar nach, doch die Bewegung war längst über ihre ursprünglichen Ziele hinausgegangen. Viele ArbeiterInnen waren bewaffnet, auch, um sich gegen die Faschisten zu verteidigen. Die anarchistische Gewerkschaft CNT hatte ein zentrales Verteidigungskomitee gebildet. „Die Streikenden zwingen die Geschäftsleute mit der Waffe in der Hand, sie zu bedienen, besetzten Restaurants und aßen, ohne zu bezahlen.“, so beschreibt Pierre Broué die Situation.

Die reale Macht lag in den Händen von Arbeiterkomitees und Milizen, letztere zählten etwa 100.000 KämpferInnen. Während es in Madrid, wo die Anarchisten schwächer und der Einfluss der KP und der Sozialdemokratie stärker waren, der Regierung gelang, die Bewegung zu bremsen, sah es in Barcelona ganz anders aus.

Dort hatte der Staat nichts zu sagen. Bewaffnete ArbeiterInnen kontrollierten die Strassen, Fabriken und Verwaltungen. Sie organisierten das öffentliche Leben und die Produktion. Obwohl die staatlichen Strukturen auch dort noch vorhanden waren, konnten sie ohne Zustimmung der Arbeiterorgane nicht handeln. Die politische Führung hatten die Anarchisten inne. (Was sie mit ihr anfingen, wird im nächsten, dem dritten Teil der Artikelserie beleuchtet).

Die Volksfront versuchte das Unmögliche - zwischen den widerstreitenden und auseinanderstrebenden Polen der Franko-Reaktion hier wie der Massen dort zu balancieren - um den spanischen Kapitalismus zu retten. Alles hing nun davon ab, wie die Führungen der Arbeiterklasse auf diese Doppelmachtsituation reagierten.

Die Politik der Stalinisten

Wie war die KP 1935/36 aus einer Miniorganisation zu einer einflussreichen Kraft geworden? Ausgestattet mit der Rückendeckung der Moskauer Bürokratie, die sich zu Unrecht als Erbin der revolutionären Bolschewiki ausgab, gelang es der spanischen KP, sich in den Kämpfen des Proletariats so einzumischen, dass sie sich einerseits als aktive Kraft verankern konnte, andererseits aber die Bewegung von der Erkämpfung der Staatsmacht ablenkten.

Da auch die AnarchistInnen nicht die Zerschlagung des bürgerlichen Staates als Programm verfolgten und trotz ihrer führenden Rolle in der Arbeiterklasse und unter den Bauern nicht nach der Staatsmacht griffen, konnte es der KP trotz der Volksfrontpolitik gelingen, sich zeitweise als „linke“ Alternative, v.a. aber als „konsequente“ Alternative darzustellen. Sie profitierte insofern von der politischen Impotenz anderer Linker wie auch von der mangelnden Erfahrung des spanischen Proletariats.

Sie setzte entsprechend der von Stalin vorgegebenen Politik der Komintern auf eine strategische Kooperation mit den „demokratischen“ Imperialismen Frankreich und Britannien. Zugleich verzichtete sie bewusst auf das Weitertreiben der Revolution in Richtung Machtergreifung der Arbeiterklasse und die Überwindung des Kapitalismus, indem sie einem vom Typ her menschewistischen Etappenmodell huldigten: Begrenzung der Revolution auf die bürgerlich-demokratische Phase, der dann irgendwann und irgendwie eine sozialistische folgen könnte.

Diese im Kern bürgerliche Konzeption und der gleichzeitig vorhandene Einfluss der KP als „Bremse“ im Proletariat machte sie für die Bürgerlichen als Volksfrontpartner interessant, ja unverzichtbar. So hieß Anfang 1936 ein beliebtes Sprichwort: „Wenn du Spanien vor dem Marxismus retten willst, dann wähle die Kommunisten!“

Wie richtig diese Einschätzung war, geht auch aus einem offiziellen Statement der Komintern hervor, in dem es heißt: „dass der gegenwärtige Kampf  in Spanien nicht zwischen Kapitalismus und Sozialismus, sondern zwischen Faschismus und Demokratie stattfindet. In einem Land wie Spanien, wo feudale Einrichtungen und Wurzeln noch sehr tief reichen, hat die Arbeiterklasse (…) die einzig mögliche Aufgabe (…) die bürgerlich-demokratische Revolution zu verteidigen.“

1917 in Russland war die gesellschaftliche Situation äußerst ähnlich - nur die Schlussfolgerung der Bolschewiki um Lenin und Trotzki war gänzlich anders: Weiterführung der demokratischen Revolution zur sozialistischen; nicht Teilnahme an der bürgerlichen Übergangsregierung, sondern deren Sturz und „Alle Macht den Räten“.

Daran zeigt sich, dass die Komintern unter Stalin in wenigen Jahren eine politische Kehrtwendung um 180 Grad vollzogen hatte. Von der Strategie der Weltrevolution war sie umgeschwenkt auf ein strategisches Bündnis mit den „demokratischen“ Teilen der Weltbourgeoisie. Für die reaktionäre Illusion dieses Teufelspaktes schickte Stalin das spanische Proletariat in die Hölle.

In der Tat war es so, dass die KP die Volksfront durchaus nicht von links attackierte, sondern im Gegenteil auch deren größte Versäumnisse und Schweinereien deckte und aktiv unterstützte. Sie verteidigte die Regierung gegen linke Kritik. Doch nicht nur das: mit Hilfe von Stalins Geheimpolizei ging sie äußerst brutal gegen andere Linke, gegen kämpferische ArbeiterInnen und FrontkämpferInnen vor. Unter allerlei Lügen und Vorwänden wurden AnarchistInnen und andere Linke liquidiert.

Welche Lehren?

Nachdem die Volksfront trotz des aufopferungsvollen Kampfes hunderttausender KämpferInnen dem faschistischen Ansturm unterlegen war, gingen Stalins Schergen auch noch daran, die überlebenden Zeugen seines Fiaskos in Spanien zu liquidieren: so z.B. viele sowjetische Offiziere, die in Spanien gekämpft hatten.

Bis auf den heutigen Tag ist die Volksfrontstrategie die zentrale politische Achse der Politik stalinistischer und anderer reformistischer Parteien wie der PDS, der WASG oder von Rifondazione communista. Auch wenn dieses Konzept noch nie und nirgends Erfolg hatte, sondern wie in Chile 1973, in der Iranischen Revolution 1979 und in zahllosen anderen Situationen nur die revolutionären Möglichkeiten verspielt und die den Massen blutige Niederlagen beschert hat, so scheint die einzige Lehre dieser Linken aus den Ereignissen in Spanien offenbar die zu sein, keine Lehren daraus zu ziehen.

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Nr. 110, Mai 2006

*  Weltlage: Krise und Klassenkampf
*  Streik im Öffentlichen Dienst: Eine weitere Teilniederlage
*  WASG Berlin: Spreu und Weizen
*  Parteitage WASG/PDS: Neue Arbeiterpartei statt Top Down Projekt
*  Heile Welt
*  Iran: Vor einem neuen Krieg?
*  Kongo und der deutsche Imperialismus: Ein Platz an der Sonne?
*  20 Jahre Tschernobyl: Globaler Störfall
*  70 Jahre Revolution in Spanien, Teil II: Volksfront gegen die Revolution
*  Frankreich: Da war mehr drin!
*  Italien: Prodi hat gesiegt - fürs Kapital