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Italien

Prodi hat gesiegt – fürs Kapital

Luke Cooper, Neue Internationale 110, Mai 2006

86% der Wählerschaft Italiens ging zu den Urnen und entschied die Wahl knapp zu Gunsten von Prodis Bündnis „Unione“. Im Parlament hat diese Allianz mit 49,8% der Stimmen nur eine hauchdünne Mehrheit von 0,7% gegenüber Berlusconis Partei. Im Senat, der zweiten Kammer, verfügt das Unionsbündnis über noch weniger Stimmen, aber dank des von Berlusconi eingeführten Wahlsystems, hat Prodi eine Mehrheit von zwei Sitzen.

Das Wahlrecht war von Berlusconi erst im Dezember 2005 geändert worden, so dass ein System von proportionaler Repräsentanz, das die Existenz von Parteienkoalitionen stärker berücksichtigt, herauskam. Eine Klausel besagt, dass die größte Partei im Parlament mit mehr Sitzen eine arbeitsfähigere Regierung bilden kann. Berlusconi wollte damit die Rechten stärken, aber der Schuss ist nach hinten losgegangen.

Der wacklige Sieg von Prodis Parlamentskoalition mit gerade einmal 25.000 Stimmen mehr wirkt sich in der Sitzverteilung nun mit 340:277 und im Senat mit 158:156 aus. Der Wahlausschuss brauchte 20 Stunden, um das knappe Ergebnis amtlich festzustellen. Noch nach Prodis Siegesansprache focht Berlusconi das Wahlresultat an und forderte eine große Koalition nach deutschem Vorbild. Dem widersprach Prodi jedoch zeitig und die Glückwünsche aus dem Ausland taten ihr übriges.

Im Wahlkampf hatte Berlusconi schamlos seine Kontrolle über weite Teile der italienischen Medien ausgenutzt, Prodi als verrückt hinstellen lassen und dessen Koalition mit der chinesischen KP verglichen.

Seine Amtszeit war geprägt von Gesetzen, die verhindern sollten, dass er von Antikorruptionsausschüssen verfolgt werden konnte. In dieser Hinsicht war Berlusconi der erzkorrupte italienische Populist. Das Wahlergebnis zeigt den Erfolg einer solchen Figur bei den reaktionären Mittelschichten, während Prodis Sieg auf den erklärten Hass der Arbeiterklasse gegen Berlusconi verweist, die in den vergangenen fünf Jahren mehr als einmal Auseinandersetzungen gegen ihn geführt hatten.

Beginnend mit der massiven Konfrontation gegen den italienischen Staatsapparat während der Proteste gegen den G8-Gipfel im Sommer 2001 sah sich Berlusconi von einer militanten und radikalen Arbeiterbewegung bedroht, die durch die zentrale Rolle politisiert worden war, die sie für die Entwicklung der antikapitalistischen und Antiglobalisierungsbewegung in Europa gespielt hatte. Bei mehreren Anlässen war sie in gewaltiger Zahl auf den Straßen präsent, wie z.B. gegen den Irakkrieg, gegen die Rentenkürzung, gegen Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Bildungsreformen und andere neoliberale Projekte.

Besonders 2002 und 2003 gab es riesige militante Mobilisierungen, vom Generalstreik, der von 13 Millionen befolgt wurde, über den Kampf gegen den Irakkrieg bis zu Generalstreiks gegen die Rentenreform. Das waren hervorragende Gelegenheiten, Berlusconi aus dem Amt zu jagen.

Aber sie wurde vertan - durch die Demobilisierungspolitik der linksreformistischen Rifondazione Comunista, der Demokratischen Linken sowie der CGIL und anderer Gewerkschaftsführungen, die sich vor einer Konfrontation mit der Regierung scheuten, die den Staat destabilisiert und eine revolutionäre Situation hätte herbeiführen können.

Doch nicht nur diese Massenopposition gegen den Neoliberalismus führte dazu, dass auch Italiens herrschende Klasse mit ihrer Regierung immer unzufriedener wurde.

Berlusconis System der Protektion und Vetternwirtschaft erwies sich als nur begrenzt brauchbar, die Gesamtinteressen des Kapitals umzusetzen und einen neoliberalen Generalangriff durchzuziehen.

Dieses Problem wird für die herrschende Klasse Italiens jedoch immer drängender. Die Ökonomie stagniert praktisch mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von gerade einmal 0,7% während der letzten fünf Jahre. Ihr dominanter Sektor ist die Fertigungsindustrie, die sich gegen billige Importe zur Wehr setzen muss. Die italienische Wirtschaft hat einen großen Staatssektor, der eine Überschuldung von 106% des Bruttoinlandsprodukts mitschleppt. Es gibt zu wenig multi-nationale Konzerne, die im Weltmaßstab konkurrenzfähig sind.

Kürzungen bei den Staatsausgaben für Soziales, Privatisierung, Maßnahmen gegen die staatliche Regulierung (Italien hat den reguliertesten Markt der OECD) und Angriffe auf die soziale Sicherheit - das sind die Heilmittel für die herrschende Klasse Italiens.

Berlusconi war und ist jedoch kein absoluter Anhänger des freien Markts, denn sein Geschäftsimperium hat er durch monopolistische Praktiken und Korruption aufgebaut. Die - vom Standpunkt der weiteren Entwicklung des italienischen Kapitals - notwendigen neoliberalen Reformen, Öffnung des Marktes usw. waren Berlusconi nur so lange heilig, wie sie nicht in Widerspruch zu seinen eigenen Geschäftsinteressen traten.

Auch aus diesem Grund hat er der herrschenden Klasse nur zwei größere Siege gegen die Arbeiterbewegung beschert. Seine Renten- und Arbeitsmarktreformen haben den Staatssektor weitgehend unbehelligt gelassen.

Italiens Bosse suchen wie ihre europäischen Partner nach einer starken Figur wie einst Maggie Thatcher, welche die Arbeiterklasse massiv angreift und eine Schocktherapie durchführt, damit die Wirtschaft wieder reibungsloser funktioniert.

Wird die Prodi-Regierung das schaffen? Sie wird es natürlich versuchen. Prodi ist einer der Architekten der Lissabonner Agenda, die 2000 mit der Maßgabe beschlossen wurde, Europa 2010 zur stärksten neoliberalen Ökonomie zu machen, die es mit den USA aufnehmen und eine beherrschende Rolle in der Weltpolitik spielen kann. Die europaweiten Attacken auf die Arbeiterklasse seither lassen sich auf diese wichtige Weichenstellung zurückführen.

Die Sorge der Bosse gilt daher nicht Prodis Willfährigkeit, sondern der Frage, ob seine Koalitionspartner nach dessen neoliberaler Pfeife tanzen werden und ob diese in der Lage sein werden, die Arbeiterklasse und die sozialen Bewegungen unter Kontrolle zu halten.

Prodis Koalition stützt sich auf die Rifondazione Comunista und die Demokratische Linke, die in den letzten Jahren beide an der Spitze der Massenauseinandersetzungen gegen Berlusconi standen - um diese dann zu demobilisieren. Ein italienischer Korrespondent kommentierte dies auf den Webseiten der BBC zu den italienischen Wahlen so: „Die Koalition auf der Linken besteht aus Parteien, die lediglich der Wunsch eint, Berlusconi zu schlagen.“

In der italienischen Arbeiterklasse und in der Antiglobalisierungsbewegung ist das Gefühl weit verbreitet, dass ein Eintritt in die Regierung die Voraussetzung sei, um den korrupten Berlusconi loszuwerden, obwohl Rifondazione-Chef Bertinotti noch auf dem Europäischen Sozialforum in Florenz 2002 versprochen hatte, dass die Partei „nie wieder“ eine Regierung wie Prodis Olivenkoalition 1996-98 unterstützen werde. In nur vier Jahren hat sich Rifondazione von dieser Position weg bewegt und ist nun wieder dabei, in eine Volksfrontregierung einzutreten, die von eben jenem Prodi geführt wird!

Sie hat die Klassenkämpfe systematisch demobilisiert und auf wahlpolitische Entscheidungen orientiert, die Illusionen in den bürgerlichen Staat verstärkt und sie von Klassenkonfrontation und dem Kampf um Arbeitermacht abgelenkt.

Neoliberales Programm

Noch schlimmer ist es um das gemeinsame Manifest der Unionskoalition bestellt, das auch neoliberale Reformen durchführen will. Unter „anti-neoliberal“ verstehen sie die Rückkehr zu einigen keynesianischen Maßnahmen und zum korporatistischen Kompromiss zwischen Gewerkschaftsführung und Kapitalisten.

Auf den Seiten 28 und 29 des Dokuments wird eine Wirtschaftspolitik auf den Prinzipien der Lissabonner Strategie 2000 vorgeschlagen, die von den Regierungen der EU beschlossen wurde. Außerdem wird ein Reformplan mit drei Zielen entwickelt: ein günstigeres Investitionsklima und verbesserte Konkurrenzfähigkeit, Qualitätssteigerung der Leistungen und Kostensenkung in der Staatsverwaltung. Der einzige kleine Appetithappen für die Arbeiterklasse ist die teilweise Ablehnung des Biagi-Gesetzes, das vorsieht, ArbeiterInnen zu verschlechterten Arbeitsverträgen zu beschäftigen.

Jede Kürzung bei den öffentlichen Ausgaben, jede Privatisierung und Marktreform bedeutet eine größere Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung, mit deren Stimmen die Koalition an die Regierung gebracht werden konnte. Das wird Rifondazione als linkeste Kraft in der Regierung und mit den stärksten Verbindung zu den Basisbewegungen vor die Wahl stellen: entweder Kampf auf den Straßen, was die Koalition in die Krise bringen wird, oder linke Flankendeckung für das aggressive neoliberale Programm Prodis.

Rifondazione wird versuchen, zwischen beiden Polen zu manövrieren. Die Partei will eher den populären Arbeiterprotest verlangsamen, als die Richtung des Reformprogramms verändern, wird ständig davor warnen, mit dem Protest zu weit zu gehen, weil das eine neue rechte Regierung heraufbeschwören könnte.

Dies ist ein übles Beispiel einer reformistischen Führung in einer Situation, die viele gute Gelegenheiten bietet, die Arbeiterklasse an der Spitze eine militanten internationalen Bewegung zu führen, die gegen den Neoliberalismus kämpft.

Für eine solche Strategie muss eine revolutionäre Partei in Italien aufgebaut werden, die bewaffnet ist mit einem Programm von Übergangsforderungen, das eine Brücke schlägt vom Kampf gegen Krieg und Neoliberalismus zur Machteroberung der Arbeiterklasse.

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Nr. 110, Mai 2006

*  Weltlage: Krise und Klassenkampf
*  Streik im Öffentlichen Dienst: Eine weitere Teilniederlage
*  WASG Berlin: Spreu und Weizen
*  Parteitage WASG/PDS: Neue Arbeiterpartei statt Top Down Projekt
*  Heile Welt
*  Iran: Vor einem neuen Krieg?
*  Kongo und der deutsche Imperialismus: Ein Platz an der Sonne?
*  20 Jahre Tschernobyl: Globaler Störfall
*  70 Jahre Revolution in Spanien, Teil II: Volksfront gegen die Revolution
*  Frankreich: Da war mehr drin!
*  Italien: Prodi hat gesiegt - fürs Kapital