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70 Jahre Revolution in Spanien, Teil I

Der Weg zur Revolution

Hannes Hohn, Neue Internationale 109, April 2006

Mit dem folgenden Beitrag beginnen wir eine Artikelfolge zur Spanischen Revolution. Mit ihr wollen wir Verlauf und Bedeutung dieses Ereignisses nachzeichnen und die Politik der wichtigsten Kräfte der Arbeiterbewegung bewerten. Wir zeigen, dass vor allem die Volksfrontkonzeption der Stalinisten (die auch heute als Methode der Politik der Linkspartei zugrunde liegt) wie auch die Politik der Anarchisten ungeeignet waren, die Revolution zum Sieg zu führen, ja sie in die Niederlage trieben. Wir werden auch zeigen, dass die Politik der POUM keine konsequente Alternative zu diesen Strömungen bieten konnte und selbst ein Teil des Problems und nicht der Lösung der Frage der revolutionären Strategie war. Die Auseinandersetzung mit deren Politik ermöglicht, grundsätzliche Schlüsse über deren Politik für die Gegenwart zu ziehen.

Die Spanische Revolution, die mit dem Massenaufstand der ArbeiterInnen und Bauern gegen den blutigen Militärputsch General Francos im Jahr 1936 ihren ersten Höhepunkt erlebte, ist eine verratene, verleumdete, vergessene Revolution. Soweit überhaupt erwähnt, ist meist vom „Spanischen Bürgerkrieg“ die Rede und nicht von einer Revolution. Statt vom Kampf von Klassen um die Staatsmacht wird der Konflikt nur als ein Konflikt zwischen Demokratie und faschistischer Diktatur dargestellt.

Doch tatsächlich handelte es sich bei den Ereignissen im Spanien der 30er Jahre um den ersten Versuch des Proletariats in einem westeuropäischen Land im 20. Jahrhundert, die Macht zu ergreifen und den Kapitalismus zu stürzen.

Historische Folgen

Das Scheitern dieses Versuchs hatte nicht nur für Spanien fatale Folgen. Die blutige Diktatur Francos knebelte Spanien für lange, die soziale Rückständigkeit des Landes wurde über Jahrzehnte zementiert. Noch bedeutender waren die Folgen für die internationale Entwicklung. Die faschistischen Mächte Deutschland und Italien probten im Spanischen Bürgerkrieg für den bevorstehenden Weltkrieg und errichteten auch auf den Trümmern der Spanischen Revolution ihre „Achse“. Zugleich war die Niederlage des spanischen Proletariats nach der Machtergreifung des deutschen Faschismus 1933 eine weitere demoralisierende Niederlage für die internationale Arbeiterbewegung.

Andererseits können wir uns lebhaft vorstellen, welche Bedeutung ein Sieg der Spanischen Revolution gehabt hätte. Ganz direkt wäre die damals die Volksfrontregierung in Frankreich, die von den Stalinisten installiert worden war, um die französische Arbeiterklasse vom Kampf um die Macht abzuhalten und sie in ein strategisches Bündnis mit Teilen der französischen Bourgeoisie zu führen, von „links“ unter Druck gekommen. Es wäre sehr wahrscheinlich gewesen, dass der Funke der Revolution auch Frankreich entzündet hätte.

Auch die Herrschaft Stalins, der im eigenen Land jeden Ansatz von Arbeiterdemokratie durch eine bürokratische Diktatur ausmerzte, mit Schauprozessen und Terror jede Kritik unterdrückte und die Protagonisten der russischen Revolution, allen voran Trotzki, verbannte oder ermordete, wäre mit einem Sieg in Spanien erschüttert worden.

Der II. Weltkrieg war in den ersten Jahren auch deshalb ein Siegszug Hitlers, weil dieser auf zwei wesentliche reaktionäre Faktoren bauen konnte, die seine Triumphe von 1939 bis 1941 ermöglichten. Zum einen waren das die kapitulantenhaften und maroden bürgerlichen Regime wie Frankreich, die hofften, Hitlers Ambitionen nach Osten, zum Angriff auf die Sowjetunion lenken zu können, und eine Kapitulation vor Hitler der Mobilisierung der Massen vorzogen. Zum anderen war es das Geheimankommen zwischen Hitler und Stalin vom August 1939, welches Hitler ermöglichte, Polen zu erobern, ohne einen Konflikt mit der Sowjetunion zu riskieren.

Eines ist klar: ein revolutionäres Frankreich hätte von Hitler niemals so überrannt werden können wie es 1940 der Fall war. Im Gegenteil: der bewaffnete Widerstand der Massen gegen Hitlers Wehrmacht hätte Stalin enorm unter Druck gesetzt, seine „Neutralitätspolitik“ aufzugeben und wäre zugleich ein aufmunterndes Signal für alle Kräfte gewesen, die gegen Faschismus, Krieg und Kapitalismus kämpften.

Die Niederlage der Revolution auf der iberischen Halbinsel war nicht nur für Spanien selbst katastrophal; sie war zugleich ein wesentlicher Faktor dafür, dass der Faschismus Europa jahrelang mit Krieg und Terror überziehen konnte. Spanien ist eine blutige Bestätigung der These Lenins, dass der Imperialismus eine Epoche ist, die mit Kriegen und Revolutionen schwanger geht.

Vorgeschichte

Die 1920er und 30er Jahre waren für Spanien eine Periode, in der sich die sozial-ökonomischen Probleme zuspitzten.

Spanien war ein rückständiges Land. Sein Anteil am Welthandel betrug gerade 1,1%. Das winzige Eisenbahnnetz von nur 8.000 Km entsprach der nur gering entwickelten Industrie, die v.a. um Barcelona angesiedelt war. Die Arbeiterklasse war mit nur zwei Millionen dementsprechend klein, jedoch sehr konzentriert und gut organisiert, v.a. in der CNT, dem anarcho-syndikalistischen Gewerkschaftsverband.

Der Hauptteil der Bevölkerung waren Bauern und die Landwirtschaft Hauptwirtschaftszweig. Zwei Drittel des Ackerlandes war in Händen von Großgrundbesitzern. Den Rest teilten sich 5 Millionen Bauernfamilien, die z.T. auf wenig fruchtbaren Böden wirtschafteten, von denen sie kaum leben konnten. Daneben existierten Millionen verarmter Landproletarier und Tagelöhner.

Die Weltwirtschaftskrise von 1929 stürzte auch Spanien in eine tiefe Krise. Die Agrar-Konkurrenz aus Südamerika und Australien ruinierte den spanischen Agrar-Export und drückte Löhne und Einkommen der Landbevölkerung. Unter dem Druck des britischen und französischen Imperialismus zerbrach auch der Binnenmarktschutz Spaniens durch hohe Zölle.

Die Auswirkungen dieser „Globalisierung“ verschärften die sozialen Konflikte und führten schließlich zum Zusammenbruch der Militärdiktatur Primo de Riveras im Januar 1930. Die folgenden Monate brachten einen Aufschwung des Klassenkampfes mit sich, der von großen Demonstrationen der Studenten und der Arbeiterklasse geprägt war, im Mai 1930 in einem Generalstreik gipfelte und sogar mit der Bewaffnung der ArbeiterInnen einherging.

Diese Kämpfe fegten König Alfonso VIII. hinweg und brachten 1931 eine republikanische Regierung unter Einschluss der Sozialdemokratie PSOE an die Macht.

Diese Regierung stand riesigen Problemen gegenüber - der Massenarmut, v.a. auf dem Land, der ökonomischen Rückständigkeit, der wirtschaftlichen Abhängigkeit und der Staatsverschuldung. Diese Probleme konnten nur überwunden werden, wenn eine grundlegende Landreform den agrarischen Großgrundbesitz enteignet und den Landhunger der Dorfarmut gestillt hätte. Damit eng verbunden musste Spanien industrialisiert werden - auch, um eine Modernisierung der Landwirtschaft zu ermöglichen. Das alles (wie auch die Sanierung der Staatsfinanzen) war aber unmöglich, ohne die überaus großen Privilegien des Klerus und der Armee zu beseitigen.

Die Umsetzung dieser an sich bürgerlich-demokratischen Reformen überforderte die bürgerliche Regierung der Zweiten Republik aber komplett. Zwar gestand sie Verbesserungen der Löhne zu und begann mit der Umsetzung einiger kleinerer demokratischer Verbesserungen; die zentralen Fragen - v.a. die Landfrage - aber blieben ungelöst. Einerseits, weil man Angst hatte, an den sozialen Grundlagen der reaktionärsten Teile der Gesellschaft - Adel, Klerus und Militär - zu rütteln. Selbst wenn man das ernsthaft gewollt hätte, so wären ernsthafte Umwälzungen nur durch die Mobilisierung der Massen und die gleichzeitige Zerschlagung des alten Staatsapparates möglich gewesen. Doch gerade das wollte die Koalition aus spanischer Bourgeoisie und Sozialdemokratie nicht.

Im Ergebnis der ausbleibenden Reformen wandten sich die ländlichen Massen enttäuscht von der republikanischen Regierung ab und wählten im November 1933 eine reaktionäre katholische Regierung.

Als dann Anfang 1934 der rechte Republikaner Lerroux die Macht ergriff und etliche Reformen, darunter den gesetzlichen Minimallohn auf dem Land, aufhob, fielen die Landarbeiterlöhne sofort um 50%; die Not, aber auch die Verzweiflung und die Wut der Bevölkerung stiegen auf den Siedepunkt.

Revolutionäre Krise

Im Oktober 1934 erhob sich das spanische Proletariat in Asturien, in Madrid und Barcelona brach ein Generalstreik aus. In Asturien hatten Arbeiterkomitees und bewaffnete Arbeitermilizen die Macht. Die ArbeiterInnen waren v.a. in der CNT organisiert, aber auch die sozialdemokratische UGT und die stalinistische PCE gewannen an Einfluss.

Doch die Aktionen blieben regional begrenzt und fanden kaum Widerhall auf dem Land. So gelang es der Armee unter General Franco trotz des heroischen Widerstandes, die Aufstände niederzuwerfen. Er nahm blutige Rache, was 2.000 ArbeiterInnen das Leben kostete und 30.000 in die Kerker brachte.

Die damalige Situation in Spanien ähnelte unübersehbar jener in Russland 1917. Die tiefe soziale Krise und das Elend der Massen erforderten tief greifende Umwälzungen. 1917 waren die Hauptforderungen „Land, Brot, Frieden“. 1936 stand zwar nicht die Frage des Krieges, sehr wohl aber die der Entmachtung des reaktionären Militärs. Und die Forderungen „Land und Brot“ waren in Spanien genauso brisant wie zuvor in Russland.

In Russland wie in Spanien zeigte sich, dass eine bürgerliche Regierung weder bereit noch in der Lage war, die anstehenden - eigentlich bürgerlich-demokratischen - Aufgaben zu lösen. In beiden Fällen drängte das Proletariat zur Macht und organisierte sich dafür in Räten und Milizen. In beiden Fällen organisierte sich die Reaktion - dort war es Kornilow, hier war es Franco.

In Russland wie in Spanien offenbarte sich, dass die grundlegenden Fragen der Gesellschaft nicht von einer Regierung unter Führung der Bourgeoisie gelöst werden konnten, sondern nur dann, wenn die Arbeiterklasse selbst die Macht ergreift.

Und es gab noch zwei Gemeinsamkeiten. In Russland wie in Spanien war das Proletariat die dynamischste Kraft, die städtischen industriellen Zentren waren die Zentren der Revolution. Da die Arbeiterklasse aber nur eine kleine Minderheit der Gesellschaft stellte, war sie auf Verbündete angewiesen - die Millionen armer Bauern.

Im Februar 1936 wurde die Regierung der „Volksfront“ gewählt. Die Verschiebung der politischen Stimmung nach links lässt sich daran ablesen, dass die Volksfrontparteien (PSOE, stalinistische PCE, bürgerliche Republikaner) mehr Stimmen bekamen als die gesamte Rechte, und dass die bürgerliche Mitte geradezu kollabierte - Ex-Premier Lerroux bekam nicht einmal einen Sitz!

Die Volksfrontregierung

Im Gegensatz zu dieser politischen Stimmung aber war das Regierungsprogramm sehr „gemäßigt“. Zwar forderte die PCE die Beschlagnahme der größten Güter, die Trennung von Kirche und Staat und die Beendigung der Kirchen-Subventionen, doch in allen wesentlichen Fragen ging ihr Programm über den Rahmen bürgerlich-demokratischer Reformen nicht - auch später nicht - hinaus.

Die Enteignung der Bourgeoisie und aller Großagrarier, die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und die Schaffung von Räten und Milizen der ArbeiterInnen und Bauern gehörten nicht zu ihrem Programm.

Das entsprach vollkommen der Strategie der Komintern nach deren Schwenk von der ultralinken Phase der „Dritten Periode“ hin zur Volksfrontstrategie nach 1933. Danach ginge es in Spanien nicht um die Machtergreifung des Proletariats und den Sturz des Kapitalismus, sondern nur um bürgerlich-demokratische Reformen, die mittels eines Bündnisses mit den demokratischen Teilen der Bourgeoisie umgesetzt werden sollten.

Bereiteten sich nach dem Februar 1917 die Bolschewiki um Lenin und Trotzki auf den Sturz der bürgerlichen provisorischen Regierung vor, so tat die stalinistische KP Spaniens alles, die „provisorische“ Regierung Spaniens an der Macht zu halten.

Schon bald sollte sich zeigen, welche fatalen und blutigen Konsequenzen diese Politik hatte.

 

In den weiteren Artikeln werden wir uns mit der Politik der wichtigsten Strömungen der Arbeiterbewegung und zentralen Fragen der Spanischen Revolution beschäftigen.

Bürgerliche oder proletarische Revolution?

Stalinismus: Der entschiedenste Verfechter der Volksfront

Diktatur des Proletariats oder der Bourgeoisie?

Anarchismus und Staat

Zwischen Kommunismus und linkem Flügel der Volksfront

POUM: Schwanken als politisches Konzept?

Die Lehren der Spanischen Revolution

Die Politik der Bolschewiki-Leninisten (Trotzkisten)

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Nr. 109, April 2006

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