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Italien

Bertinotti kapituliert

Martin Suchanek, Neue Internationale 105, November 2005

Bislang sind „Primaries“ (Vorwahlen) nur aus den USA bekannt. Dort werden die Kandidaten der großen Kapitalistenparteien in einer Vorwahl gekürt, an der nicht nur Parteimitglieder, sondern im Grund das ganze Wahlvolk teilnehmen können.

Am 16. Oktober wartete auch das Mitte-Links-Bündnis „Unione“, das von den Christdemokraten des ehemaligen EU-Vorsitzenden Prodi über die „Demokratische Linke“ bis zu Bertinottis Rifondazione reicht, mit einer solchen plebiszitären Aktion auf. Anders als in den USA, wo es wenigstens einen realen Wettstreit zwischen Kandidaten gibt, stand der Sieger hier schon vorher fest.

Prodi wurde als Spitzenmann inthronisiert - noch vor Abschluss eines formellen Bündnisses oder gar irgendeiner programmatischen Festlegung. Nun hat er als Vertreter der italienischen Kapitalistenklasse freie Hand. Seine Führungsrolle im Mitte-Links-Bündnis und seine politischen Ziele sind jetzt nicht durch Parteienschacher und politische Abkommen, sondern vom „Volk“, von der „Basis“ sanktioniert.

Bertinottis Schlappe

Prodi erhielt 3.103.334 Stimmen, was 74,4% entspricht. Auf dem zweiten Platz folgt Fausto Bertinotti, der auf 14,6% kommt und damit deutlich unter den angepeilten 20 Prozent blieb. An dritter Stelle rangiert Clemente Mastella von der noch rechts von Prodi stehenden christdemokratisch-korrupten UDEUR mit 4,5%. Die beiden Außenseiter Ivan Scalfarotto (Personalchef des multinationalen Citigroup-Konzern, parteipolitisch unabhängig) und Simona Panzino (ex-Disobbedienti), die dem Kandidaten ohne Gesicht (Senza Volto) ihren Namen geliehen hatte, bleiben unter einem Prozent. 0,6% und 25.670 Stimmen gibt es für Scalfarotto und 0,4% und 18.818 Stimmen für Panzino.

Der Erfolg Prodis und die Niederlage Bertinottis - vom Desaster der „Senza Volto“ (ehemals Ya Basta! bzw. Disobbedienti) ganz zu schweigen - verdeutlicht gewissermaßen arithmetisch, wozu die Bündnisorientierung von Rifondazione geführt hat.

Ähnlich wie das Olivien-Baum-Bündnis in den 1990ern ist auch die Unione ein klassenübergreifender Block, der dazu dient, die neoliberale, EU-passförmige Restrukturierung des italienischen Kapitalismus voranzutreiben. Er dient der politischen Integration der Arbeiterklasse, der Massenbewegungen, die in den letzten Jahren immer wieder die Regierung Berlusconi an den Rand des Ruins getrieben haben.

Von denselben politischen Führungen und Apparaten, die heute Prodi inthronisieren, wurden in den letzten Jahren immer wieder eintägige Generalstreiks, Massenstreiks in Großbetrieben auf halbem Wege abgeblasen und mit faulen Kompromissen beendet.

In Italien hat sich in diesen Kämpfen mehr als in allen anderen europäischen Ländern auch eine Zuspitzung der Machtfrage gezeigt. Dieser wollte die Linke aber aus dem Weg gehen und stattdessen ein  Bündnis mit der „fortschrittlichen“ Bourgeoisie eingehen.

Diese Politik hat in den letzten Jahren zur Demobilisierung sozialer Kämpfe geführt (was auch ihr eigentlicher Zweck war). Sie hat aber deshalb keineswegs zu einer Stärkung der links-reformistischen Parteien wie Rifondazione geführt, sondern nur zur Stärkung der Herrschenden.

Die Disobbediente um Casarini haben dazu den nützlichen autonomen Idioten gespielt und für die „anti-autorititäre“ Begleitmusik zur Volksfront gesorgt, die eigentlich nur zur Legitimation Prodis gegenüber linker Kritik gebraucht wird.

Bertinottis Beteuerung, dass jetzt - nachdem die Rifondazione-Führung dem plebiszitären Auswahlverfahren und dem Bündnis mit Prodi längst zugestimmt hat - eine „Programmdiskussion“ anstünde, ist ebenso hilflos wie verlogen. Prodi hat schließlich nie ein Hehl aus seinem Programm gemacht und als EU-Präsident maßgeblich an der, vorerst gescheiterten, Verfassung mitgestrickt.

Unter seiner Regierung würde sich Italien selbstredend nicht dem „Kampf gegen den Neoliberalismus“ verpflichten, wohl aber einer „vernünftigeren“ und sozial integrativeren Politik des Sozialraubs und der Annäherung an den deutschen und französischen Imperialismus.

Die von Rifondazione in Italien angeschobenen „Euroforen“, die Ausformulierung links-bürgerlicher Utopien eines sozialen europäischen Kapitalismus dienen als erbaulicher Trost beim Abstieg in die Niederungen einer künftigen Regierung Prodi.

Die Forderung „nach Programmdiskussion“ ist eine Beruhigungspille für die eigene Anhängerschaft und eine politische Waffe gegen die oppositionellen Minderheitsströmungen in Rifondazione.

Rolle der Opposition

Die Kritik der Minderheitsströmungen, die insgesamt rund 40 Prozent der Parteiführung repräsentieren, war zwar scharf, politisch jedoch weit weniger radikal und grundlegend als notwendig. (Übersetzungen von Interviews mit Vertretern dieser drei Strömungen finden sich unter: antifa.unihannover.tripod.com)

„Essere Comunisti“ (Kommunisten sein), die größte der drei Strömungen griff das Plebiszit als Angriff auf das demokratische Mehrheitswahlrecht und als Amerikanisierung und Personalisierung der Politik an und monierte die programmatische Unklarheit.

So meint Claudio Grassi von „Essere Comunisti“: Obwohl „wir das Programm nicht mit der ganzen Mitte-Linken diskutiert und keinen eigenen Programmentwurf verfasst haben, haben wir unsere Regierungsbeteiligung (nach einem derzeit zu erwartenden Sieg der Mitte-Links-Union im April 2006) dennoch als sicher erklärt. Und ich frage mich, was werden wir in einer Mitte-Links-Regierung tun, wenn diese sich nicht einige unserer grundlegenden Forderungen zu eigen macht?” (Interview, veröffentlicht in il manifesto am 14.8.2005)

Ähnlich die “Sinistra Critica“ (Kritische Linke) um die Zeitschrift „ERRE“ (früher: „Bandiera Rossa“), im Wesentlichen Mitglieder des “Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale” in Italien.

“Man akzeptiert die Idee, dass der Sieger Ministerpräsident wird, ohne noch irgendetwas über das Programm zu wissen. De facto gibt es eine präventive Inthronisierung, die Rifondazione akzeptiert. So wird allerdings ein ganzer Zyklus beendet. Bislang stand der PRC immer außerhalb der Mitte-Linken. Es konnte enge Beziehungen geben. Man konnte sich auch zwecks Regierung verbünden, aber immer von außen. Mit den Vorwahlen führt Bertinotti den PRC hingegen in die Union.” (Interview mit Salvatore Cannavò, il manifesto“ vom 30.8.2005)

Beide Strömungen lassen eine grundlegende Kritik der Mitte-Links-Koalition vermissen. Das Problem wird an im Grunde zweitrangigen Fragen aufgehängt (Personalisierung, keine eigenen Forderungen etc.). Ein Regierungsbündnis mit der herrschenden Klasse (respektive einer Fraktion) wird jedoch akzeptiert.

Eine solche Kritik wird die weitere Anpassung Rifondaziones unter Bertinotti nicht verhindern können, sondern höchstens einige “Korrekturen” im Programm einer zukünftigen bürgerlichen Regierung herbeiführen.

Die dritte Oppositionsströmung, die trotzkistische „Progetto Comunista”, hat als einzige größere Oppositionsgruppe in Rifondazione (sie stellt 6,5 Prozent des Parteivorstandes) eine grundlegender Kritik.

“Die Vorwahlen sind für die Wiederherstellung der Sozialpartnerschaft funktional, d.h. faktisch für die Ausschaltung der Kämpfe und der Bewegungen der letzten Jahre. Es ist bezeichnend und auch gravierend, dass einige Führungen der Bewegungen die Rolle von zweiten Hauptdarstellern in diesem Spiel akzeptieren.“

Und weiter:

„Das Problem ist, dass sich diese Konkurrenz bis zum letzten Blutstropfen um die Hegemonie auf dem linken Flügel der Koalition in einer Auseinandersetzung um das Vorrecht zur Zusammenarbeit mit Prodi und mit der liberalen Mitte der Union auflöst. Im Gegensatz dazu müssten die Kräfte der Linken und die Bewegungen mit Prodi und mit der Mitte brechen, um einen wirklich alternativen Pol ins Leben zu rufen. Das Bestürzende ist, dass unser Bereich (d.h. die Fraktion „Progetto Comunista“ innerhalb von Rifondazione) in der gesamten Linken die Einzigen sind, die einen Bruch mit Prodi und mit der liberalen Mitte fordern. Von diesem Gesichtspunkt aus gleichen sich alle anderen Kräfte der Linken in der Union. Die Vorteile dieses Wettbewerbs um die Zusammenarbeit mit der liberalen Mitte streichen allein Berlusconi (indirekt) und Prodi (direkt) ein.” (Interview mit Marco Ferrando in il manifesto, 30.8.2005)

Zuspitzung des Kampfes

Die nächsten Monate werden zu einer Zuspitzung des politischen Kampfes in Rifondazione führen, denn die Parteispitze bereitet sich auf die Unterstützung einer Koalitionsregierung vor, gegenüber der die Angriffe der ersten Prodi-Regierung Peanuts sein werden.

Das heißt aber auch, dass die Linken in Rifondazione eine revolutionäre Fraktion gegen die Bertinotti-Führung formieren müssen, die sich nicht wie in der Vergangenheit mit halbherzigen Kritiken zufrieden gibt, sondern auch zum Bruch mit RC und zur Formierung einer neuen, revolutionären Arbeiterpartei bereit ist.

Das Potential und die Notwendigkeit einer Politik zeigen sich gerade in der tiefen Krise der Regierung Berlusconi, die noch rasche massive Einschränkungen der demokratischen Rechte und wilde Angriffe auf die Arbeiterklasse und das Bildungswesen durchsetzen will.

Dass die Betroffenen dagegen nicht nur mit dem Stimmzettel, sondern auch in Aktionen ankämpfen, beweist die Massendemonstration Ende Oktober, als rund 100.000 LehrerInnen, SchülerInnen und Studierende in Rom gegen die Angriffe auf das Bildungswesen protestierten.

Für den 25. 11. hat die links-syndikalistische Basisgewerkschaft COBAS einen Streik- und Aktionstag gegen die zunehmende Inflation im Land und für die Wiedereinführung der Skala Mobile (einer Inflationsanpassung der Löhne) angekündigt. Für den gleichen Tag rufen auch die anderen Gewerkschaften zu einer vierstündigen Arbeitsniederlegung auf.

Gerade diese Zunahme der Kampfbereitschaft der Klasse verdeutlicht, wie katastrophal die Politik Bertinottis und der meisten Gewerkschaften ist. Die Gewerkschaftsbonzen machen mit, beschränken aber dabei den Kampf gegen die Regierungsangriffe auf symbolische, zeitlich begrenzte Proteste, um dann die Arbeiterklasse zur Wahl der „Unione“ aufzurufen. Bertinotti tut dies, indem er die Arbeiterklasse und v.a. die Avantgarde an die liberale Bourgeoisie fesselt.

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Nr. 105, November 2005

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