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Frankreich und Belgien

Nach Aktionstagen: Unbefristeter Generalstreik!

Jeremy Dewar, Neue Internationale 105, November 2005

Am 4. Oktober demonstrierten mehr als eine Million ArbeiterInnen in über 150 Städten Frankreichs. Alle großen Gewerkschaften unterstützten die Aktionen gegen die von Premier de Villepin angekündigten neoliberalen Reformen. Weitere wichtige Fragen waren die Angriffe auf Löhne, drohende Entlassungen und Schließungen von Firmen.

ArbeiterInnen aus öffentlichem und privatem Bereich streikten und protestierten gemeinsam. Auch über die Hälfte der Schulen war geschlossen oder besetzt, weil sich Jugendliche den Arbeiteraktionen trotz des Drucks anschlossen, den Polizei und Justiz auf die Jugendlichen ausübten. Im September standen deshalb 40 AktivistInnen wegen Teilnahme an den Schulbesetzungen vor Gericht.

Der 4. Oktober war der erste Aktionstag seit dem 29. Mai, als die französische Wählerschaft, v.a. der proletarische Teil, mit der NON-Kampagne für die Ablehnung der EU-Verfassung gestimmt hatte. Damit verhinderten sie nicht nur die Annahme der Verfassung als Ausdruck einer neoliberalen, imperialistischen Politik; sie stürzten die EU auch in eine politische Krise.

Der jüngste Aktionstag am 4.10. fand vor dem Hintergrund heftiger sozialer Auseinandersetzungen statt, wie z.B. bei den Arbeitern der SNCM-Fährbetriebe, bei Hewlett-Packard, British Airways oder Citroen Aulnay. Ein Lohnstreik in den Total-Raffinerien Gonfreville, der mit der Marseiller Hafenblockade zusammenfiel, legte neben der Produktion bei Total auch andere Raffinerien (Shell, BP, Exxon) lahm.

Die von der KP dominierte Gewerkschaft CGT führte Ende September einen Streik gegen die Regierungspläne zum Verkauf der fast bankrotten SNCM an Spekulanten. Dabei wurden Häfen blockiert und Polizeistationen angegriffen. Seeleute der korsischen Gewerkschaft, die eine Fähre gekapert hatten, wurden auf See von einem Hubschrauber mit bewaffneten Antiterrorpolizisten gestoppt.

De Villepin versucht, das neoliberale Reformprogramm mit Hilfe einer Deregulierung der Beschäftigungsverhältnisse und der Privatisierung des noch beträchtlichen öffentlichen Sektors, besonders der Gas- und Stromversorgung, durchzusetzen. Dies geschieht angesichts einer Arbeitslosenrate von fast 10% und einer steigenden Zahl von Firmen-Schließungen und Entlassungen.

Bisher gelang es ihm aber nur, einen Teil des staatlichen Gasunternehmens Gaz de France zu veräußern und einige Autobahnen zu privatisieren. De Villepin hat Pläne für ein neues Arbeitsgesetz verkündet, das kleineren Betrieben die Entlassung von ArbeiterInnen in den ersten beiden Beschäftigungsjahren erleichtern würde.

Die wahre Trophäe für de Villepin wäre die Privatisierung der Stromgesellschaft Electricité de France (EdF), die für den Herbst geplant ist. Der Verkauf von Anteilen ist nur der erste Schritt dahin. Die EdF ist ein riesiges Staatsunternehmen, worin die Gewerkschaften, vor allem die CGT, Verwaltungsposten innehat. Massenentlassungen und das Schleifen einer Festung der CGT wäre ein Riesentriumph für de Villepin und würde ihn auch gegen Sarkozy, seinen Konkurrenten um die Präsidentschaftsnachfolge, stärken.

Rolle der LCR

Olivier Besancenot, der Präsidentschaftskandidat der LCR (Ligue Communiste Revolutionaire), der größten linken Organisation in Frankreich, erklärte sofort nach dem Aktionstag:

„Die erste große gesellschaftliche Bewegung seit dem 29. Mai ruft nach weiteren Aktionen  und zwar so bald wie möglich. Wir dürfen nicht bis 2007 warten, sondern müssen diese Regierung mitsamt ihrer neoliberalen Politik jetzt aus dem Amt jagen.“

In den kommenden Wochen sind neue Mobilisierungen geplant. Am 19. November wird eine landesweite Kundgebung zur Verteidigung des Öffentlichen Dienstes in Paris stattfinden, wo sich die vielen örtlichen Kampagnen zur Verteidigung von Schulen, Krankenhäusern, Bahnhöfen und Postämtern vereinigen sollen. Andere Mobilisierungen sind geplant zur Verteidigung der Flüchtlinge, die von Abschiebung bedroht sind (sans papiers), und gegen die Bolkestein-Weisung, die eine Lawine von Privatisierungen und Auslagerungen von Dienstleistungen loszutreten droht.

Besancenot hat Recht; die LCR ist gut beraten, wenn sie zu einem massenhaften vereinheitlichten Aktionstag aufruft. Aber solche Aktionstage reichen nicht aus, auch wenn sie jeden Monat stattfinden würden. Entweder müssen diese Aktionen zu einem unbefristeten Generalstreik gesteigert werden, oder sie werden abflauen, weil die ArbeiterInnen erschöpft sind und keinen Durchbruch mehr für wahrscheinlich halten.

Nur ein echter, nicht auf einen Tag begrenzter, Generalstreik der Gewerkschaften, dem sich SchülerInnen und die antikapitalistische Bewegung anschließen, vermag de Villepin und Chirac in die Knie zu zwingen. Er muss von der Basis durch Vernetzung aus Abordnungen von allen am Kampf beteiligten Bereichen kontrolliert werden. Auch die Gewerkschaftsführer müssen kontrolliert werden, damit sie am Ausverkauf und am Bruch der Einheit durch Mauscheleien mit der Regierung wie schon so oft gehindert werden!

Dasselbe gilt für die politische Ebene. Mit Sarkozy steht ein hartgesottener Neoliberaler bereit, sollte de Villepin scheitern. Die Sozialistische Partei ist hoffnungslos zerstritten, weil sie die neoliberale Politik unterstützt hat und zunehmend Probleme mit ihrer Basis bekommt. Deswegen ist ein weiterer Rechtsruck spätestens 2007 nicht ausgeschlossen.

Die französische Arbeiterklasse braucht eine neue politische Partei. Die NON-Kampagne und die beiden Protestgeneralstreiks in diesem Jahr zeigen, dass es eine Massenavantgarde aus GewerkschafterInnen und Jugend gibt, die einem ernsthaften Aufruf für eine neue Arbeitermassenpartei folgen würden. Eine solche Partei darf nicht nur ein Wahlapparat sein oder eine Maschine für Straßenmobilisierungen. Sie muss eine machtvolle Kampfpartei sein, die um die Macht kämpft - eine revolutionäre Partei!

Arbeiterpartei

Doch diese Entwicklung erfolgt nicht im Selbstlauf. Ihr Erfolg hängt wesentlich auch von der extremen Linken ab. Immerhin gibt es in Frankreich mit der LCR und Lutte Ouvrier (LO) zwei stärkere „trotzkistische“ Organisationen, die bei den letzten Präsidentenwahlen zusammen rund 11% erreichten. Schon damals hätten beide die Initiative zum Aufbau einer neuen Arbeitermassenpartei ergreifen müssen - und haben diese Chance nicht genutzt!

Auch die Komitees für die NON-Kampagne sind gute Ausgangsbasen für ein solches Projekt, doch ein Grossteil der „linken“ Führer - in den Gewerkschaften, in der KP und in der Sozialistischen Partei (SP) -, die diese Bewegung initiiert haben, wollen dieses Potential nur dafür nutzen, eine „alternative, soziale Verfassung“ für das imperialistische Europa zu lancieren.

Die SP selbst treibt über den Kontroversen um die Unterstützung neoliberaler Politik und der EU-Verfassung auf eine Spaltung zu. Auch, um diese Krise des Reformismus auszunutzen und zu verhindern, dass die Suche nach einer politischen Alternative in einer „Wiederbelebung“ der KPF endet, ist die Losung nach einer neuen Arbeiterpartei zentral.

Entgegen der Strategie der Reformisten, darunter auch der Linkspartei/PDS, eine europäische Linkspartei zu etablieren, die für das utopische Projekt eines sozialen Europas eintritt und zugunsten von Bündnissen mit einigen bürgerlichen Parteien und des Kapitals die Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse auszuverkaufen, brauchen wir eine europaweite Vernetzung von Widerstandsstrukturen: in den Betrieben und Konzernen, in den sozialen Bewegungen usw.

Anstatt einer europaweiten Neuauflage von Labour, Sozialdemokratie, sozialistischen und staatstragenden „kommunistischen“ Parteien benötigen wir eine neue Arbeiterinternationale, die den Kapitalismus nicht renovieren, sondern stürzen will!

 

Generalstreiks lähmen Belgien

Am 7.10. hat ein Generalstreik einen Großteil des Landes lahm gelegt: Verkehr, Schulen und Regierungsbehörden. Dieser 24stündige Ausstand war der erste Generalstreik seit 1993.

Der Protest wurde von der mit der Sozialistischen Partei verbundenen Gewerkschaft FGTB/ABVV gegen die Pläne der Regierung geführt, die Vorruhestandsregelung für ArbeiterInnen bei vollen Rentenbezügen zu kippen.

Die christliche Gewerkschaft ACV und die liberale ACLVB weigerten sich, den Streik mit zu tragen. Dennoch war die Aktion äußerst wirkungsvoll, denn die GewerkschafterInnen der FGTV/ABVV errichteten Straßenblockaden, um Streikbruch zu vereiteln. Streikposten standen vor Betrieben und am Hafen. Antwerpen, der größte Hafen Europas, musste schließen, als die Docker die Arbeit niederlegten.

Auch der Flughafen von Charleroi war dicht. Schulen, Universitäten und das Postamt wurden ebenfalls geschlossen. Belegschaften vieler Privatfirmen schlossen sich an, darunter von Opel in Antwerpen, Sappi in Lanaken sowie von BMW in Bornem. Sogar ein Großteil der belgischen Medien unterstützte die gewerkschaftliche Aktion.

Jean-Claude Vandermeeren, Generalsekretär des wallonischen Teils der FGTB, legte der belgischen Regierung nahe, die Forderungen der Streikenden zu beachten:

„Wenn die Sozialistische Partei die Sachlage nicht erkennt und ernst nimmt, sondern glaubt, es gäbe kein Problem, verstehe ich nichts mehr von Politik.“

Die Sozialisten befinden sich in einer großen Koalition mit der Flämischen Liberalen Partei, deren Chef Verhofstadt Premierminister ist. Seine Regierung versucht, das übliche neoliberale Paket zu schnüren, wie es die Lissabonner Agenda der EU vorsieht: Steuergeschenke an die Kapitalisten, Kürzung der Staatsausgaben für die Lohnabhängigen und Privatisierung des staatlichen Dienstleistungsbereichs. Er behauptet, die Arbeitskosten wären zu hoch und würden Belgien schaden. Zusätzlich stehen die Renten in der Schusslinie.

Ende Oktober kam es zum zweiten Generalstreik innerhalb eines Monats. Im ganzen Land bewegte sich nichts mehr - außer 100.000 DemonstrantInnen in Brüssel sowie die Züge der Staatsbahn SNCB, mit denen die Streikenden in die Hauptstadt gekommen waren. Ihre Forderung: Keine Erhöhung des Rentenalters von 58 auf 60! Am Streik beteiligte sich diesmal auch die christliche Gewerkschaft. Für den 21. November ist der nächste eintägige landesweite Ausstand geplant.

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Nr. 105, November 2005

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