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VW-Skandal

Boulevard und Billiglohn

Peter Lenz/Theo Tiger, Neue Internationale 103, August/September 2005

Für Vertrauensleute und Betriebsräte bei VW glich der Juli einem Spießrutenlauf. Nach den täglichen "Meldungen" der Boulevardpresse sind die KollegInnen deprimiert, aggressiv, wollen aus der IG Metall austreten und lästern in Anspielung auf die angebliche Versorgung von BR-Mitgliedern mit brasilianischen "Edelprostituierten" über "Hartz 6".

Angesichts der Medienhetze geben wir zu bedenken , dass es auch in Brasilien ein VW-Werk mit Betriebsräten gibt, deren Reisen nach Deutschland ganz anderen Zwecken dienen als dem Vergnügen. Wir finden es auch nicht falsch, wenn der Konzern dem Betriebsrat Reisen usw. bezahlt, ohne dass die Kapitalseite dies bewilligen muss. Aber dies muss im Interesse der Belegschaft erfolgen, vor der Belegschaft absolut transparent und von der Basis kontrollierbar sein. Sonst diente es nicht den Interessen der Beschäftigten und ist obendrein für die bürgerliche Presse ein gefundenes Fressen. Auch einige Linke tappen in die Falle, im Zuge der durchaus berechtigten Kritik an der Abgehobenheit und den Privilegien der Arbeiterbürokratie gleich sämtliche erkämpften Rechte mit über Bord zu werfen.

Was von der Medienattacke wirklich zu halten ist, wird auch daran deutlich, dass die Geschäftsleitung jederzeit die Möglichkeit hatte, die Kosten und Ausgaben des Betriebsrates zu kontrollieren. Die gespielte Überraschung und Empörung der Medien und des Managements ob der "Machenschaften" des VW-Betriebsrats sind Teil einer Kampagne, die offenbar etwas ganz Anderes bezweckt, als die Hebung der Betriebsrats-Moral.

Arbeiterbürokratie und Medienhetze

Nach dem Bekanntwerden der "Schusteraffäre" und des Rücktritts von Konzern-BR Volkert setzte in allen Medien eine heftige Kampagne ein. Die Aufdeckung von Verfehlungen einzelner Funktionäre wurde dabei geschickt mit Angriffen auf jegliche Arbeiterrechte, auf "überzogene" Löhne usw. vermischt. So wird auch der "zu hohe" Organisationsgrad der VW-Belegschaft aufs Korn genommen. Jegliche Ausgaben des BR sollten vom Vorstand genehmigt werden. Im Gegenzug fragen wir hier, warum nicht gefordert wurde, die astronomischen Mangergehälter von der Belegschaft genehmigen zu lassen?!

Die Skandal-Berichte der Boulevardmedien sind eine Steilvorlage für die neoliberalen Hetzer von Wirtschaft und FDP, die Vorgänge um Volkert sollen für einen allgemeinen Angriff auf die "Mitbestimmung" umgemünzt werden. Fast täglich erschien der "Automobilexperte" Dudenhöfer im Fernsehen, um seine Weisheiten zu verkünden, wie VW auf Kosten der Belegschaft wieder zu neuen Höhenflügen ansetzen könnte.

Bei keiner der zahlreichen Korruptionsaffären in deutschen Vorstandsetagen und Wirtschaftsverbänden wurde jemals das System dahinter, die kapitalistische Wirtschaftsordnung, in Frage gestellt. Da war dann immer nur von "schwarzen Schafen" die Rede. Die Affäre im Betriebsrat soll aber nun genutzt werden, um die "Mitbestimmung" bei VW, sprich: einiger über den Betriebsrat institutionalisiert Rechte der ArbeiterInnen anzugreifen.

Dabei sollte auch bei den aktuellen Vorgängen immer noch der Ausgangspunkt dieser Machenschaften berücksichtigt werden. Nicht Herr Volkert baute ein Netz von Scheinfirmen auf und ließ sich für Aufträge schmieren. Ausgangspunkt und Zentrum des eigentlichen Korruptionsskandals ist Herr Schuster, Personalchef bei Skoda. Schuster, Berater von Hartz und Co-Autor der Hartz - Arbeitsmarktreformen ist die zentrale Figur der "VW-Affäre" und nicht die Betriebsräte, die dieses Netz dann für sich genutzt haben.

"Wann wird VW endlich ein normaler Betrieb" , so die rhetorische Frage eines Kommentators der Financial Times. Normal heißt für ihn Ausschaltung jeglicher Interessensvertretung der ArbeiterInnen, Verkauf der Staatsanteile am Konzern an "Investoren" , keine Einschränkung für harte "Sanierer" wie Bernhard.

Apropos Staatsanteile und Enteignung. Erinnern wir uns: Das Grundkapital für die Volkswagenwerke in Wolfsburg wurde beschafft, indem Hitlers "Deutsche Arbeitsfront" die geraubten Immobilien des ADGB verscherbelte und dazu auch Zwangsbeiträge der "Deutschen Arbeitsfront" bereitstellte. Tausende ZwangsarbeiterInnen haben dieses Kapital vermehrt. Nach dem Krieg hat die englische Besatzungsmacht das Werk dann dem Land Niedersachsen übergeben. Ihre Ansprüche auf die im VW-Konzern steckenden Gewerkschaftsmittel haben die Gewerkschaften später aufgegeben. Nach und nach sind immer mehr VW-Anteile an private Anleger verkauft worden.

Hartz-Reform im eigenen Haus

"Wir können die Augen nicht vor der weltweiten Konkurrenzsituation verschließen", sagte Hartz über den VW-Sparwillen. "Vor allem der europäische Automobilmarkt enttäuscht. Insbesondere auch in Deutschland zeichnet sich nach drei Jahren Stagnation noch immer keine Belebung ab", fügte Hartz - der Architekt der Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung - hinzu. Nach Einschätzung von VW werde sich der Druck auf die Erträge durch Preiskämpfe in der Autobranche bis zum Jahr 2011 weiter verschärfen.

Erst bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von mehr als 40 Stunden würden Überstunden gezahlt, sagte Hartz. Dies bedeute, dass ein VW-Arbeiter neben seinen regulären 1080 Arbeitsstunden im Jahr zunächst unentgeltlich 400 Stunden zusätzlich arbeiten müsse, die auf einem Arbeitszeitkonto verbucht würden. Erst ab einer Leistung von 1480 Arbeitsstunden pro Jahr würden dann Überstunden gezahlt. Auszubildende sollen weniger verdienen, dafür will der Konzern die Zahl der Azubi-Plätze um 20 Prozent erhöhen.

VW will ein neues Arbeitszeitmodell einführen. An drei Tagen, montags bis mittwochs bzw. donnerstags bis samstags, soll 10 Stunden von 6 bis 16 Uhr gearbeitet werden. Die darauf folgende Woche 5 Tage, montags bis freitags 6 Stunden von 16 bis 22 Uhr.

Durch den Wegfall der Nachtschicht mit Zuschlägen und einer 20minütigen tariflich bezahlten Pause will VW jährlich 67 Millionen Euro an Löhnen sparen. Für den einzelnen VW-Arbeiter bedeutet diese Form der 30-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich (nach Abzug der Pausen 28,8-Stunden-Woche) einen Lohnverlust von rund 300 Euro netto im Monat.

Neue Konzernstrategie

Um künftig noch besser auf Wechselkursrisiken und neue Konkurrenten vorbereitet zu sein, arbeitet Konzernchef Pischetsrieder laut Automobilwoche zudem an einem "Weltbebauungsplan", bei dem vor dem Hintergrund verschiedener Wechselkursszenarien geprüft werde, wo im Zeitraum 2010 bis 2015 welche Fahrzeuge herstellt werden sollen. Dabei will der Konzern vermehrt von "Synergieeffekten" und einer stärkeren Rolle seiner ausländischen Werke profitieren, hieß es.

Bislang zeichnen sich laut "Automobilwoche" größere Produktionsvolumina für Mexiko sowie Indien, Malaysia und China ab. Schon heute wird ein Großteil des Betriebsgewinns durch ausgelagerte Produktionsstätten "erwirtschaftet", in der Slowakei, in Mexiko, Brasilien und Südafrika können durch niedrige Löhne und Steuern Extraprofite erreicht werden.

Angesichts dieser Konzernstrategie dürfen die Gewerkschaften nicht in nationaler Standortlogik verharren, nicht die Verteidigung der etablierten Standorte darf das erste Ziel sein, sondern der gemeinsame Kampf mit allen Beschäftigten weltweit muss Priorität erlangen. Die IG Metall und die Belegschaften in den deutschen Werken müssen den Kampf gegen den Konzern-Vorstand zusammen mit den internationalen Gewerkschaften führen. Ein Beispiel dafür ist VW Südafrika. Dort fordern die Gewerkschaften 9,5% mehr Lohn und sind auf einen Streik vorbereitet. Hier müssen die deutschen GewerkschafterInnen solidarisch sein und nicht zuerst die nationalen Interessen im Blick haben.

Wie weiter?

Für einen effektiven Widerstand müssen die gewerkschaftlichen Strukturen von unten erneuert werden. Verbindung mit anderen Belegschaften im Konzern und in der Branche muss aufgebaut werden, denn die weltweit Überproduktion und Konkurrenz führt zu permanenten Kürzungsmaßnahmen in allen Konzernen. Schließlich muss die Frage politisch aufgegriffen und mit den Angriffen auf Sozialleistungen, Arbeitslosengeld usw. verbunden werden.

Der aktuelle Skandal um den VW-BR zeigt, wozu es führt, wenn die Funktionäre von der Basis abgehoben und mit Privilegien ausgestattet agieren können. Kämpferische und  kritische GewerkschafterInnen sind von der Unterstützung ihrer KollegInnen abhängig. Nur durch aktive Gewerkschafter kann die entstandene Bürokratie wirksam bekämpft werden, nur durch kritisches Engagement der Beschäftigten kann die Gewerkschaft jetzt gestärkt werden, um der Politik der Vorstände wirksam entgegen zu treten.

Wir haben 2004 in unserem Aktionsprogramm geschrieben:

"Die Gewerkschaften, die SPD und die PDS werden heute von einer reformistischen Bürokratie beherrscht. Sie ist eng mit dem bestehenden kapitalistischen System verflochten: durch Posten in Aufsichtsräten und Parlamenten, durch Einkommen, die weit über dem der Mitglieder liegen usw. Diese Schicht hat kein Interesse, die bestehenden Verhältnisse grundlegend zu ändern, sie fungiert vielmehr als Vermittler, als "Tauschhändler" zwischen Kapital und Arbeit. Mit der gegenwärtigen Führung, mit ihrem Kurs der Klassenkollaboration und der "Ernennungsdemokratie" können nur die Pfründe einiger Apparatschiks und eines kleiner werdenden Teils der Arbeiteraristokratie gesichert werden - für die Masse des Proletariats und der lohnabhängigen Mittelschichten ist die Fortführung dieser Politik ein Debakel. Die Gewerkschaften müssen zu Kampforganisationen der Mitglieder werden! Dazu sind die Demokratisierung der Gewerkschaften und ein Programm des Klassenkampfes unabdingbar!

Weg mit der reaktionären Bindung der Betriebsräte an die Schweigepflicht und das Unternehmenswohl! Entwicklung der Vertrauenskörper zu Basisorganisationen, denen die betrieblichen InteressensvertreterInnen rechenschaftspflichtig und von ihnen jederzeit abwählbar sind! Gegen jede Einschränkung des Streik- und Koalitionsrechts! Verbot der Aussperrung! Kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat:"

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Nr. 103, Aug./Sept. 2005


*  Gemeinsam gegen den Generalangriff: Linkspartei wählen, Widerstand organisieren!
*  Aktionsprogramm: Vom Abwehrkampf zur sozialen Revolution!
*  Wahlkampf 2005 und die Linke: Mitschwimmen und absaufen
*  SPD, DGB, Linkspartei und Mindestlohn: Wer bietet weniger?
*  VW-Skandal: Boulevard und Billiglohn
*  Frauen und Polen: Kirche, Küche, Kinder
*  AFL-CIO-Spaltung: "Kings of Labor" entzweit
*  Hugo Chavez: Der neueste Prophet
*  Heile Welt
*  Sozialforum in Erfurt: Reformismus von unten oder Widerstand gegen den Generalangriff?