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Hugo Chavez

Der neueste Prophet

Rico Rodriguez, Neue Internationale 103, August/September 2005

Die internationale antikapitalistische Bewegung hat einen neuen Star: den venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez. Er hat als demokratisch gewählter Präsident der Oligarchie den Kampf angesagt, er wendet sich gegen den US-Imperialismus und hat diverse Sozialprogramme begonnen. In Chavez sehen viele Menschen eine Persönlichkeit, die angetreten ist, das venezolanische Volk und mit ihm alle lateinamerikanischen Völker zu befreien. Egal, wo Chavez auftaucht, wird er bejubelt und als neuer Prophet der sozialen Gerechtigkeit gefeiert. Doch was steckt wirklich hinter der Politik von Hugo Chavez?

Wie er an die Macht kam

Hugo Rafael Chavez Frias wurde 1998 mit 56% Stimmanteil zum venezolanischen Präsidenten gewählt. Er trat mit dem Anspruch an, das Land zu modernisieren, Besitz zu Gunsten der Armen umzuverteilen und die jahrzehntelange Hegemonie der Oligarchie zu durchbrechen.

Chavez bildete zwar eine neue Regierung, doch die Eigentums- und Machtverhältnisse ließ er weitgehend unangetastet. So regiert in Verwaltung, Polizei und Wirtschaft weiterhin der gleiche elitäre Filz wie früher. Als Chavez ernsthaft daran ging, seine Reformpolitik umzusetzen, begann die Oligarchie einen entschlossenen Feldzug gegen ihn.

Die Massenmedien befinden sich komplett in der Hand der Opposition, richten sich gegen seine Regierung und forderten teilweise offen zum Widerstand gegen ihn auf. Die Opposition plante mehrere Versuche, Chavez zu stürzen: im Jahr 2000 durch ein Amtsenthebungsverfahren, 2002 durch einen Putschversuch, durch zwei Generalstreiks 2002 und 2003 und durch ein Referendum zur Amtsenthebung 2004.

Dass Chavez trotz der beispiellosen Hetzkampagne der Medien gewann, zeigt, dass er beachtliche Unterstützung in den ärmeren Schichten der Bevölkerung genießt.

Allerdings ist die Reformpolitik von Chavez die eines linken Populisten. Seine soziale Basis stellt eine Allianz verschiedener Schichten und Klassen dar - die Armut auf dem Land und in den Städten, Teile des Kleinbürgertums und die Lohnabhängigen in den weniger "privilegierten" Branchen sowie Sektoren der Armee und der Bürokratie, die das Interesse an einem "eigenständigen", d.h. von der direkten Kontrolle des US-Imperialismus venzuelanischen Imperialismus repräsentieren.

Dass Chavez in den Kernschichten der Ölarbeiterschaft, die zur venezolanischen Arbeiteraristokratie zählen, weniger Einfluss hatte, bewiesen die beiden Generalstreiks gegen ihn. Sie waren gemeinsam von bürgerlicher Opposition und Gewerkschaftsbürokratie der Ölindustrie organisiert worden. Allerdings hat sich seit dem letzten "Generalstreik" die Zusammensetzung der Ölarbeiterschaft erheblich geändert – ein ohne Zweifel richtiger Schachzug, gegen eine reaktionäre Haltung dieser Arbeiterschichten und einer Gewerkschaft.

Überhaupt ist die Ölindustrie das Schlüsselproblem Venezuelas und der Politik von Chavez. Einerseits kollidieren seine Versuche der Verstaatlichung der Ölindustrie mit den Interessen des Imperialismus, v.a. des US-amerikanischen. Andererseits erlaubt der Ölreichtum es Chavez, seine Sozialprogramme zu finanzieren, ohne das Gros der einheimischen Bourgeoisie und der Großagrarier massiv angreifen zu müssen. Diese Reformpolitik auf "Ölbasis" kann jedoch durchaus schnell ins Schleudern kommen, wenn die Weltmarkt-Nachfrage nach Öl einmal sinken sollte und der Imperialismus sein Öl woanders herholt.

Seitdem klar war, dass Chavez die Umgestaltung des Landes in Angriff nahm und vor allem durch seine unabhängige Ölpolitik die Privilegien US-amerikanischer Kapitalisten gefährdete, hilft die USA der Opposition, wo sie nur kann. Während des Putsches wurden beispielsweise Teile der Funkkommunikation der Putschisten über Schiffe der US Navy abgewickelt, die vor der venezolanischen Küste lagen. Außerdem finanzierte die Bush-Regierung die venezolanische Opposition. Mittels der US-Behörde National Endowment for Democracy. Flossen allein im Putschjahr 2002 877.000 Dollar an die Opposition.

Das Programm von Chavez

Bei einer Pressekonferenz beim Welt Sozial Forum 2005 sagte Chavez, dass sich seine Regierung sowohl als antiimperialistisch als auch als antikapitalistisch bezeichnet. Doch was steckt hinter dieser wohlklingenden Formulierung?

Chavez Programm ist links-populistisch und zielt besonders auf die nationale Unabhängigkeit. Die grundlegenden Eigentums- und Produktionsverhältnisse bleiben dabei jedoch unangetastet, auch wenn er viel von "Sozialismus" spricht.

Chavez versucht durch eine Reihe von Gesetzen, wie z.B. das "Gesetz vom Boden und der ländlichen Entwicklung" oder das "Steuergesetz über Erträge", den Kapitalismus zu reformieren und den Einfluss der herrschenden Klassen zurückzudrängen. Mit Antikapitalismus oder gar Sozialismus kann das jedoch nicht gleichgesetzt werden.

Obwohl sich Chavez immer wieder gern als Revolutionär bezeichnet, beschreitet er den Weg der sozialen Reform. Er hat nicht vor, den Boden des Kapitalismus zu verlassen und schon gar nicht, sich auf andere Organe, als den bürgerlichen Staatsapparat zu stützen.

Chavez´ Politik erinnert sehr an die Chilenische Volksfrontpolitik unter Allende in den 1970ern. Auch dort wurde eine Reihe von sozialen Reformen und gegen den Imperialismus gerichteten Maßnahmen angefangen. Auch dort wurden die besitzenden Klassen nicht enteignet. Auch dort blieb der bürgerliche Staat intakt.

Das Ergebnis ist bekannt: Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechterten sich, das Kleinkapital blockierte und mit Hilfe der CIA putschten die Generale unter Pinochet. Allendes Reformpolitik endete unter den Trümmern seines Präsidentenpalastes. Chavez gelang es, die Vorstöße seiner Gegner abzuwehren - bisher.

Bolivarische Revolution?

Chavez und seine AnhängerInnen bezeichnen den "Prozess", der gerade in Venezuela abläuft, als "bolivarische Revolution", benannt nach dem lateinamerikanischen Freiheitskämpfer Simon Bolivar, der im 19. Jahrhundert den Kampf gegen die spanischen Kolonialherren anführte. Chavez entwickelte ein Konzept, das er "Bolivarismus" nennt.

Eckpunkte dieser Politik sind nationale Unabhängigkeit, politische Beteiligung der Bevölkerung durch Volksentscheide und Referenden und die gerechte Verteilung der umfangreichen Erdöleinnahmen zu Gunsten sozialer Programme wie dem Ausbau des Bildungswesens. Doch was Chavez Revolution nennt, ist eigentlich eine Reform. So erfolgreich Bolivar damals durchaus war: im Zeitalter des Imperialismus in der Krise ist wenig Spielraum für eine Reformpolitik mehr vorhanden. Diese wird im wesentlichen durch folgende Faktoren bestimmt: Die Situation der Massen, die Öleinnahmen des Landes und die internationale Lage.

Kurz nach seinem Amtsantritt wurde von Chavez eine Verfassungsgebende Versammlung einberufen und eine neue Verfassung ausgearbeitet, welche durch ein Referendum angenommen wurde.

Chavez betont immer wieder, dass in der neuen Verfassung die Rechte der ArbeiterInnen garantiert seien. Sicherlich stellt die neue Verfassung einen gewissen Fortschritt dar. Doch sie bewegt sich weiterhin auf der Grundlage kapitalistischer Eigentums- und Machtverhältnisse. Sie stützt sich auf ein Parlament und einen bürgerlichen Regierungsapparat.

Sie enthält keinerlei Elemente einer Selbstorganisierung der Arbeiterklasse und der Bildung eigener Machtorgane wie Räte oder Milizen. Der Tenor der Verfassung ist klar: das Volk kann mehr mitreden, aber entschieden wird von der Machtelite.

Chavez beim WSF

Hugo Chavez war der Star beim diesjährigen Welt Sozial Forum (WSF) in Porto Alegre. Er hielt eine lange Rede, in der er seine Regierung und seine Maßnahmen verteidigte und von den Sticheleien der Opposition berichtete. Er pries sein Programm als den richtigen, demokratischen Weg, um den Kapitalismus zu überwinden.

Die Massen des WSF waren begeistert. Endlich haben sie einen Führer gefunden, der es geschafft hat, an die Macht zu kommen und sich dabei auf gewaltlose und demokratische Strukturen zu stützen und wirkliche Reformen anzugehen und dem Imperialismus zu trotzen.

Damit hatte Hugo Chavez die Sympathie der TeilnehmerInnen des WSF sicher. Doch er verbreitet die Illusion, durch Reformen den Kapitalismus "überwinden" zu können, in der Weise hat Chavez ein prominentes Vorbild, Brasiliens Lula war der letzte Star des WSF, welcher mit Reformillusionen die Massen begeisterte, doch beim diesjährigem WSF von zehntausenden mit "Lula, oppurtinista" empfangen wurde.

Damit bestärkt Chavez jene Kräfte der sozialen Bewegung, welche eine lose Vernetzung bevorzugen und eine verbindliche Koordinierung zum Kampf gegen den Kapitalismus ablehnen.

Heute gilt es Venezuela gegen jede Aggression der Oligarchie und der Imperialisten, was auch die Verteidigung eines bürgerlichen Präsidenten gegen einen reaktionären, von den USA unterstützten oder initiierten Putsch einschließen würde.

Doch wir sagen auch klar, dass zur Bildung einer gerechten Gesellschaft mehr notwendig ist. Ein populistisches Reformprogramm kann die Probleme der Welt nicht lösen und die Arbeiterklasse nicht von ihrem Elend befreien. Um das zu erreichen, muss die Arbeiterklasse eigene Machtstrukturen, wie etwa Räte bilden und die Macht des Kapitals endgültig brechen.

Im Zeitalter des globalen Kapitalismus, des Imperialismus, ist es nicht möglich, Reformen wirklich durchzusetzen, ohne dass die Arbeiterbewegung den Kapitalismus stürzt und selbst die Staatsmacht ergreift. Die venezuelanische Revolution kann nur siegen, wenn sie zu einer die permanenten Revolution weitergeführt wird.

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Nr. 103, Aug./Sept. 2005


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*  Aktionsprogramm: Vom Abwehrkampf zur sozialen Revolution!
*  Wahlkampf 2005 und die Linke: Mitschwimmen und absaufen
*  SPD, DGB, Linkspartei und Mindestlohn: Wer bietet weniger?
*  VW-Skandal: Boulevard und Billiglohn
*  Frauen und Polen: Kirche, Küche, Kinder
*  AFL-CIO-Spaltung: "Kings of Labor" entzweit
*  Hugo Chavez: Der neueste Prophet
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*  Sozialforum in Erfurt: Reformismus von unten oder Widerstand gegen den Generalangriff?