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Andrej Holm tritt als Berliner Staatssekretär zurück

Linkspartei-Spitze kapituliert vor Müller

Martin Suchanek, Infomail 924, 17. Januar 2017

Drei Tage lang hatte die Berliner Linkspartei zur Rücktrittsforderung an Andrej Holm geschwiegen. Am 16. Januar veröffentlichten die Fraktionsvorsitzenden Carola Bluhm und Udo Wolf sowie die Parteivorsitzende Katina Schubert schließlich eine Erklärung, die einer Kapitulationsurkunde gleichkommt. Ein altes Sprichwort lautet zwar „Besser spät als nie“, n diesem Fall wäre aber nie wohl besser gewesen.

Erklärung der Berliner Linkspartei

Die Spitzen der Berliner Linkspartei sprechen Holm zwar ihren „Respekt“ aus. Für den Staatssekretär, den einzig glaubhaften Vertreter einer sozialen Stadt- und Wohnungspolitik im Senat, wollten sie die Koalition aber nicht riskieren. Diese soll fortgesetzt werden, nachdem Holm unter dem massiven Druck zurückgetreten ist.

„Wir haben Respekt vor dem Schritt von Andrej Holm und bedauern die Umstände, die ihn zu seinem Rücktritt veranlasst haben, insbesondere den fehlenden politischen Rückhalt beim sozialdemokratischen Koalitionspartner. Für die rot-rot-grüne Koalition ist das ein herber Rückschlag im Bemühen um einen spürbaren Politikwechsel. Wir halten an unserem Ziel einer neuen sozialen Wohnungspolitik fest.“ (http://www.die-linke-berlin.de/nc/politik/presse/detail/zurueck/aktuell/artikel/gemeinsame-erklaerung-der-landesvorsitzenden-und-der-vorsitzenden-der-linksfraktion/)

Respekt gebührt Holm sicherlich angesichts der reaktionären Hetze. Der Respekt der Linksparteioberen ist aber der „Respekt“ der politischen AusverkäuferInnen. Das Ziel einer „sozialen Wohnungspolitik“, die sich die Linkspartei auf ihre Fahnen geschrieben hatte, wurde verraten, indem ihr einziger profilierter Vertreter im Senat geopfert wurde. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass Rot-Rot-Grün ohne Holm einer solchen Politik auch nur einen Millimeter näher kommen wird? Glaubt jemand ernsthaft, dass die Linkspartei eine solche durchsetzen kann oder auch nur will, nachdem sie ihren Staatssekretär aufgrund einer leicht durchschaubaren politischen Kampagne abschießen ließ? All jenen sei die letzte Erklärung empfohlen:

„Mit dem Rücktritt von Andrej Holm sind die koalitionsinternen Probleme nicht vom Tisch. Wir werden jetzt mit unseren Koalitionspartnern beraten müssen, ob und wenn ja, wie wir zu einer Arbeitsweise kommen, die auf den Prinzipien von Augenhöhe und Gleichberechtigung beruht, und wie wir tatsächlich in einen Arbeitsmodus kommen, der es zulässt, dass wir die Ziele des Koalitionsvertrags politische Praxis werden lassen. Die Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsfraktionen haben sich heute darauf verständigt, zeitnah einen Koalitionsausschuss vorzuschlagen.“ (Ebenda)

Da wird Müller aber zittern. Er zwingt Holm zum Rücktritt, die Linkspartei knickt ein und jetzt soll er diese zu SenatorInnen gewordenen politischen PapiertigerInnen fürchten?

Der weitere Rechtsruck der Senatspolitik hat längst begonnen. Schon vor Holms Rücktritt forderte der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh eine noch rassistischere Migrationspolitik, noch zügigere Abschiebungen von MigrantInnen als der Senat ohnedies zugesteht. Auch die von Berliner SPD, Grünen und Linkspartei beschlossene Ausweitung der Videoüberwachung soll, geht es nach dem Willen der SPD-Rechten, noch einmal ausgedehnt werden. Für die Bullen soll das Budget erhöht werden – „natürlich“ mit Zustimmung der Linkspartei.

Durch den Rücktritt Holms wurde zwar eine offene Koalitionskrise oder gar deren Bruch verhindert – aber um den Preis, dass die Linkspartei ihren letzten politischen Kredit verliert. Sie lässt sich, geht es nach den Vorstellungen ihrer „Spitzenleute“, weiter von den Koalitionspartnern politisch vorführen – aber bitte „auf Augenhöhe“ und zuerst im Koalitionsausschuss.

Grund für die Hetze gegen Holm

Die Berufung Holms zum Staatssekretär war als eine Geste an die Berliner Linke und MieterInneninitiativen gedacht. Er war und ist profilierter Gegner von Privatisierungen, Gentrifizierung, neo-liberaler Stadtpolitik. Die Linkspartei hoffte dadurch, ihrer Regierungsbeteilung ein linkes Mäntelchen überstülpen zu können und diese Initiativen zu integrieren.

Als die reaktionäre Hetze gegen Holm wegen seiner angeblichen „Stasivergangenheit“  einsetzte, solidarisierten sich innerhalb weniger Tage über 15.000 Menschen mit ihm. Den UnterzeichnerInnen der Petition #Holmbleibt war klar, dass es sich bei der Kampagne gegen Holm um eine reaktionäre Hetze handelt, zumal er sich von der bürokratischen Herrschaft der SED längst und glaubwürdig politisch distanziert hatte.

Anders als alle Senats-„KollegInnen“ von SPD und Grünen, aber auch der Linkspartei, hat sich Holm aktiv für die Interessen der MieterInnen eingesetzt und gegen die Berliner Baumafia und die Regierungen, die sie deckten, gekämpft. Er ist auch schon gegen Privatisierungen eingetreten, als der Rot-Rote Senat zwischen 2001 und 2011 mehr als 200.000 öffentliche Wohnungen verscherbelt hat – mehr als jede andere Regierung der Stadt. Gegen ihn wurde 2006 sogar ein Ermittlungsverfahren wegen angeblicher „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ angezettelt und Haftbefehl erlassen. Er wurde wochenlang eingeknastet und öffentlich diffamiert wegen seiner politischen Haltung und Gegnerschaft zur neo-liberalen Wohnungspolitik.

Vor seiner Ernennung zum Staatssekretär wurde plötzlich seine „Stasi-Vergangenheit“ „entdeckt“. Die ehrlicheren bürgerlichen Blätter und auch „Oppositionelle“ vom Schlag der FDP machten kein Hehl daraus, dass sie Holm bekämpfen, weil seine Wohnungs- und Stadtpolitik den Interessen von InvestorInnen, SpekulantInnen, der Baumafia zuwiderliefe. Deshalb war er für sie und ihresgleichen „untragbar“. Schließlich soll die Wohnungsnot auch ein Bombengeschäft sein – und dieses soll nicht gestört werden.

Sicherlich waren die Hoffnungen in Holm – einschließlich seiner eigenen – in die Möglichkeiten der Veränderung der Stadt- und Mietenpolitik durch den Senat auf Seiten seiner UnterstützerInnen übertrieben und oft auch illusorisch, wie die reichlich bescheidenen Vereinbarungen des Regierungsprogramms zeigen. Für die VertreterInnen bürgerlicher Parteien und erst recht der kapitalistischen „Qualitätspresse“ vom Schlage der FAZ war aber schon das zu viel. Ein Staatssekretär, der HausbesetzerInnen mehr Sympathie entgegenbringt als HausbesitzerInnen, sei schließlich ein regelrechter „Investorenschreck“, passe nicht zu einer „modernen Großstadtpolitik“. Immerhin muss FAZ, FDP, CDU, der Bauwirtschaft und den ImmobilienspekulantInnen zugestanden werden, dass sie offen ihre Klasseninteressen artikulieren. Für sie ist das Eintreten gegen Spekulation und Gentrifizierung fast schon sozialistisch, in jedem Fall aber eine Kampfansage.

Klassenpolitik liegt der Linkspartei-Führung aber fern. Während die VertreterInnen der herrschenden Klasse ihre Interessen verfolgen, artikulieren und durchzusetzen versuchen, appelliert sie an die „Vernunft“. Müllers Erpressungspolitik wird daher auch nicht als weiteres Einknicken vor Immobilienspekulation und BaulöwInnen denunziert. Es folgt keine Kampfansage, sondern Gejammer und Sorge um die liebe Koalition.

Der ultimativen Rücktrittsforderung trat sie nicht durch die Solidarisierung mit Holm entgegen. Linkspartei-Vertreter wie Klaus Lederer beklagen vielmehr, dass sie jetzt vor die Alternative gestellt würden, ihre Posten im Senat zu verteidigen oder sich hinter Holm zu stellen. Nach drei Tagen „Bedenkzeit“, die wahrscheinlich von der Hoffnung geprägt waren, dass Holm „freiwillig“ das Handtuch werfe, hat sich die Führung der Linkspartei für die Koalition entschieden – und tut nun so, als stünde sie hinter Holm, den sie doch nur im Regen stehen hat lassen.

Für den Erhalt der Koalition hat die Parteispitze nicht einen Staatssekretär geopfert, sondern auch den Rest ihrer Glaubwürdigkeit in der Wohnungspolitik.

Was tun?

Die Führung der Berliner Linkspartei hat mit ihrer Entscheidung, Holm fallen zu lassen, erneut deutlich gemacht, dass sie für Senat und SpekulantInnen, nicht für die MieterInnen eintritt.

Was tut die Linke in der Linkspartei Berlin? Bislang hat die AKL Holms eigene Erklärung veröffentlicht, eine eigene Stellungnahme gibt es bisher keine. Die SAV fordert richtigerweise, dass ein Parteitag, nicht die SenatorInnen und Parteispitze über den weiteren Verbleib in der Koalition entscheiden soll, schließlich verdeutlicht der Fall Holm nur, dass die gesamte Regierungspolitik nur in einer weiteren Anpassung enden kann. Allein, selbst wenn es zu einem Parteitag kommen sollte, so müssen sich auch die Linken in der Linkspartei an die Nase fassen. Sie haben zwar die Bildung der rot-rot-grünen Koalition abgelehnt, sie haben es aber versäumt, in Berlin wie auch bundesweit eine Fraktion gegen die Parteiführung zu bilden, die auch vor einem Bruch mit den RegierungssozialistInnen nicht zurückschreckt, sondern diesen vorbereitet.

Entscheidend wird jedoch sein, ob es nach der Kapitulation der Führung der Berliner Linkspartei vor Müller gelingt, eine Bewegung gegen die Politik des Senats zu bilden.

Gegen den Abschuss von Holm durch Bürgermeister Müller wurden am 16. Januar erste Protestkundgebungen organisiert. Das kann ein Anfang sein. Die über 15.000 UnterstützerInnen der Petition für Holm zeigen, dass es in Berlin auch ein Potential für eine Bewegung gegen steigende Mieten, für ein Wohnbauprogramm, finanziert durch die Besteuerung von Gewinnen und Vermögen und unter Kontrolle der MieterInnen und Gewerkschaften und für die Beschlagnahme leerstehenden Wohnraums gibt.

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Nr. 215, Dez. 16/Jan. 17

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