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Nachruf

Fidel Castro (1926-2016)

Dave Stockton, Infomail 917, 27. November 2016

Fidel Castro, einer der Anführer der kubanischen Revolution, ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Sein Tod wird von Millionen betrauert werden, besonders im überwiegenden Teil der Welt, der immer noch von den imperialistischen Ländern der USA und Europas, deren Banken und Monopole ausgebeutet, unter Kriegen und Besatzung leiden. Sein Ableben wird nicht nur vom kubanischen Exil in Florida, sondern allen ReaktionärInnen weltweit gefeiert werden, darunter der neu gewählte Präsident Donald Trump.

Für SozialistInnen wird es Zeit sein, nicht nur Castros Beitrag zur Epoche von Kriegen und Revolutionen zu bewerten, sondern die gesamte Geschichte des US-Imperialismus in Lateinamerika und darüber hinaus. Als einziges der zahlreichen antiimperialistischen Regimes, die auf dem Kontinent regierten – von Jacobo Árbenz in Guatemala 1951 über Salvador Allende 1970 bis zu Hugo Chávez 1999 – waren Fidel Castro und GenossInnen in der Lage, an der Macht zu bleiben und dem nordamerikanischen Koloss auf dem Gipfel seiner Macht die Stirn zu bieten.

Popularität

Allein dies würde für die Tatsache von Kubas Popularität bei den Millionen der von US- und europäischen Imperialismen Unterdrückten und Ausgebeuteten auf der ganzen Welt genug zählen. Kubas 50-jährige Unterstützung für verschiedene Oppositionsbewegungen gegen den US-Imperialismus und dessen Verbündete trägt natürlich auch dazu bei.

Welch kritische Einschätzung auch immer revolutionäre MarxistInnen – TrotzkistInnen – am Regime Castros vornehmen müssen, sei es bezüglich des Mangels an von der ArbeiterInnenklasse direkt ausgeübter politischer Macht auf Kuba oder der falschen Revolutionsstrategie, für die es in globalem Maßstab eintrat, so müssen wir doch anerkennen, dass allein dessen mehrere Jahrzehnte währende Existenz den Widerstand enorm ermutigt hat.

Zu Hause vermochte es eine höchst erfolgreiche Alphabetisierungskampagne durchzuführen, Bildungs- und Gesundheitswesen stark auszubauen und vieles an Armut und Ungleichheit abzuschaffen, welches die Regime von vor 1959 geprägt hatte.

Obwohl es unter einer fast totalen Blockade litt, die Washington organisiert hatte und von den Marionettenregimen in Süd- und Zentralamerika unterstützt worden war, überlebte es und setzte den heuchlerischen „DemokratInnen“ im Weißen Haus seinen Widerstand entgegen.

Eine Zeit lang unterstütze es Guerillabewegungen in Lateinamerika und Afrika südlich der Sahara einschließlich jenen, die die Apartheid bekämpften zu einer Zeit, als Margaret Thatcher hinter den Kulissen alles, was sie konnte, aufbrachte, um das üble rassistische Regime in Südafrikazu stützen.

Es war nicht nur dazu in der Lage, weil es in einer Revolution entstanden war, die von der Bewegung des 26. Juli angeführt wurde und in ihrer Endphase riesige Massenunterstützung durch ArbeiterInnen in Städten und Dörfern erfuhr, sondern auch weil die Vereinigten Staaten Castro und seine WeggefährtInnen unablässig von ihren ursprünglich revolutionär-nationalistischen Zielen in Richtung antikapitalistischer Aktionen trieben, um die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen.

Washington unterhielt einen gnadenlosen Kalten Krieg gegen alle Spielarten nationalistisch oder kommunistisch geführter Befreiungsbewegungen. Es organisierte zahllose Putsche auf der ganzen Welt gegen selbst nur gemäßige bürgerlich-nationalistische Regime (in Brasilien, Indonesien, Bolivien, Chile usw.). Es führte einen 20 Jahre dauernden unglaublich blutigen Krieg in Vietnam (mit bis zu 3 Millionen Toten).

Entwicklung der Revolution

Die beinhart konterrevolutionäre Politik der USA spielte eine gewaltige Rolle bei der Entstehung des kubanischen Kommunismus. Im April 1959 hatte Castro Kommunismus wie Faschismus als verschiedene Arten von „Totalitarismus“ bezeichnet und erklärte, die kubanische Revolution sei „humanistisch“ – nicht rot, sondern „olivgrün“. Seine erste Regierung schloss bedeutende bürgerliche Kräfte ein. Aber Castros Unterfangen, eine begrenzte Landreform durchzuführen, mündete schnurstracks in Sabotage seitens der Großgrundbesitzer und US-Firmen, die große Teile des Bodens und der Zuckerverarbeitung kontrollierten.

Castro sah sich gezwungen, ArbeiterInnen in Stadt und Land dagegen zu mobilisieren, und seine bürgerlichen Minister dankten ab. Über das nächste Jahr hinweg musste er immer mehr Sektoren der Wirtschaft verstaatlichen – Ende 1960 waren es 80 % der Industrie. In der Folge verhängten die USA ein Handelsembargo über Kuba. Die UdSSR erkannte eine strategisch günstige Gelegenheit und sprang mittels Wirtschaftshilfe ein. 1961 wurde eine Plankommission nach sowjetischem Vorbild eingerichtet. Im Gefolge war Kuba zum ersten „kommunistischen Staat“ in den beiden amerikanischen Halbkontinenten geworden – „90 Meilen von Miami entfernt“.

Dadurch rettete sich Kuba vor Zusammenbruch und Invasion nach dem Fiasko in der Schweinebucht 1961 und der Raketenkrise 1962, indem das Regime nicht nur eine Diktatur über die pro-kapitalistischen Kräfte auf der Insel errichtete, sondern auch über die ArbeiterInnenklasse. Zwischen 1961 und 1963 fusionierte die Bewegung des 26. Juli mit der Kubanischen Kommunistischen Partei. Die Unterdrückung der kubanischen TrotzkistInnen und unabhängigen Gewerkschaften folgte auf dem Fuß. Obwohl die Revolution fortschrittliche politische Positionen in Bezug auf Frauenrechte annahm, führte sie zu einer Verschlechterung der Situation für LGBTIA-Menschen, die jahrzehntelang andauern sollte.

Es ist unstrittig: ohne Enteignung der kubanischen Bourgeoisie und der nordamerikanischen Kapitalisten, ohne Nationalisierung der Produktionsmittel, Einrichtung eines Außenhandelsmonopols und Inkraftsetzung einer bürokratischen Planwirtschaft nach stalinistischem Modell hätte ein unabhängiges Kuba nicht lange überleben können, hätte es nicht eine Welle von Revolutionen auf dem Kontinent inspiriert und gefördert.

Doch trotz aller populistischen Verzierungen und Che Guevaras heroischer Abenteuer Mitte der 1960er Jahre war diese bürokratische Diktatur auch ein Hindernis für die proletarische Revolution auf Kuba und international. Castro erwies sich anlässlich seines Chilebesuchs 1971 trotz begeisterten Empfangs als regelrechter Stalinist. Er unterstützte Allendes friedlichen parlamentarischen Weg, warnte ihn aber vor zu vielen „sozialistischen“ und antikapitalistischen Maßnahmen.

Guevara schien zu glauben, die internationale Ausbreitung des kubanischen Revolutionsmodells sei unverzichtbar, aber sein unerschütterlicher Glaube an die Strategie des „Guerillafokus“ verurteilte seine Bemühungen zum Scheitern. Castro selbst und die Sowjetunion unterstützten ihn auf alle Fälle nicht wirklich. Trotzdem spielte die kubanische Revolution – Seite an Seite mit dem heldenhaften vietnamesischen Widerstand gegen den US-Imperialismus – eine bedeutende Rolle in den 1960er und 1970er Jahren bei der Radikalisierung neuer Generationen von antiimperialistischen und revolutionären SozialistInnen. Natürlich spielte sie auch eine rückschrittliche Rolle, indem sie das sehr befleckte revolutionäre Glaubensbekenntnis des Stalinismus aufpolierte – im Glanz von Castro selbst, Guevara, Ho Chi Minh und Mao. Deshalb schlugen viele dieser jungen RevolutionärInnen den falschen Kurs ein, und „revolutionäre Parteien“ und Bewegungen ansehnlicher Größe scheiterten.

Nicht zuletzt spielte die in den Personen Fidels und Ches symbolisierte kubanische Revolution eine Rolle in der Beschleunigung der Degeneration der in der Vierten Internationale verkörperten trotzkistischen Bewegung. Sie war bereits zentristisch geworden und hatte sich Tito und Mao angepasst, als diese mit dem Kreml aneinandergerieten. Die Mehrheit – das Vereinigte Sekretariat – schmiegte sich programmatisch dem Castroismus an, gab die Notwendigkeit einer politischen Revolution für Kuba und Vietnam auf und weigerte sich sogar, die kubanischen TrotzkistInnen, die POR, zu verteidigen, als sie von Castro selbst in den Untergrund getrieben und ins Gefängnis geworfen wurden.

Für diese PseudotrotzkistInnen fehlten einfach auf Kuba noch „die Formen proletarischer Demokratie“, d. h. Räte, die später auf einem Weg der Reform hinzugefügt werden konnten. Zusätzlich akzeptierten sie ohne Umschweife, aber auf katastrophale Weise die Guerillastrategie in Lateinamerika. Viele der TrotzkistInnen, die dem Guevarismus und Castroismus nicht aufsaßen, versagten darin, Kuba als Staat anzuerkennen, in dem der Kapitalismus besiegt war, und diese Errungenschaft zu verteidigen.

Das Auseinanderfallen der Sowjetunion 1991 und die Restauration des Kapitalismus in China führten Kuba in die Bredouille. Die USA verschärften ihre Blockade in der Hoffnung, einen ähnlichen Zusammenbruch auf Kuba fördern zu können. Aber die Anti-US-Moral der KubanerInnen stabilisierte das Regime, welches auch einige seiner hyperzentralisierten und repressiven Züge lockerte.

Die „bolivarianische Revolution“ Hugo Chávez’ in Venezuela schuf ein beiderseitig nützliches Schlupfloch für Kuba in Gestalt billiger Ölimporte im Austausch mit ganzen Wogen kubanischer ÄrztInnen. Diese halfen den „bolivarianischen Missionen“, ein Gesundheitswesen in die Slums des Landes zu verpflanzen. Auch der „rosa Aufschwung“ (von Regimen wie in Bolivien, Brasilien, Ecuador und Venezuela) auf dem Kontinent erleichterte Kubas Los ebenso wie Hilfe aus China.

Nachdem jedoch Fidel die Macht an seinen Bruder, Raúl Castro, übergeben hatte, beschleunigten sich der Prozess der Öffnung zur kapitalistischen Weltwirtschaft und die Einführung von „Marktreformen“; zunehmende Ungleichheit war das Resultat. Wie überall woanders kann dieser Prozess nur zu einem Ergebnis führen – der Wiederherstellung des Kapitalismus. Raúls Bürokratie führt diese sicherlich im Schilde, bevorzugt aber den chinesischen Weg gegenüber dem russischen – d. h. die herrschende Bürokratie soll die absolute politische Macht behalten.

Barack Obamas Besuch verdeutlichte, dass ein Sektor des US-Kapitals die Wende von der Blockade zur Invasion mit US-Konsumgütern und Investitionen als schnellsten Kurs zur Restauration bevorzugt. Trump hat dieser liberalen Öffnung seine Gegnerschaft erklärt.

Wenn also das kubanische Proletariat nicht eine politische Revolution durchführt, die castroistische Bürokratie beseitigt und in deren Verlauf Organe der ArbeiterInnendemokratie (Räte) errichtet, wird Kuba schlussendlich Kapitalismus und Imperialismus ausgeliefert sein, in Anbetracht seiner geographischen Lage wieder einmal der harschen Hegemonie durch die USA. Augenscheinlich stemmen sich Teile der Jugend dagegen. Es ist Aufgabe revolutionärer Trotzkistinnen, sie für die Perspektive einer neuerlichen Revolution zu gewinnen, die die Errungenschaften zwischen 1959 und 1961 gegen innere Konterrevolution und Imperialismus verteidigt und diese Strategie international verbreitet.

Lehren

Das Bürgertum und seine Medien – ob in „ausgewogenen“ Kommentaren oder in antikommunistischen Tiraden – wird Castros Tod als Zeichen für das schließliche Ende des „Jahrhunderts an Revolutionen“ auffassen. Sie werden ihn für die Propaganda der Vorstellung ausnutzen, dass jeder Anlauf zum Sturz des Kapitalismus in Wirklichkeit scheitern muss und jedes Land, das ihn unternimmt, einst wieder zum Kapitalismus zurückkehren wird, jede soziale Revolution im Grunde utopisch ist. Reformistische SozialistInnen aller Schattierungen werden exakt dieselbe Schlussfolgerung ziehen.

Doch die Lehren, die die ArbeiterInnenklasse daraus gewinnen muss, sind völlig verschieden davon.

Die kubanische Revolution versinnbildlichte, dass eine von der mächtigsten imperialistischen Macht, die die Welt je gesehen hat, ausgehaltene bürgerliche Diktatur durch einen beherzt und entschlossen geführten Kampf besiegt werden kann. Die ArbeiterInnenklasse und die ländliche Bevölkerung können zum Sturz eines Feindes aufgerüttelt werden, der unbezwingbar erscheint.

Kuba zeigte jedoch auch, was für den Erfolg notwendig ist: die Revolution muss die Staatsmacht erobern, die Streitkräfte des alten Regimes zerstören und die Kapitalistenklasse enteignen, wenn sie diese Erfolge dauerhaft erhalten und gegen den unvermeidlichen Gegenschlag der Konterrevolution verteidigen will.

Aber Kuba und der Castroismus verdeutlichen auch, dass eine antikapitalistische Umwälzung zu einem Hindernis für weitere Fortschritte werden und schließlich die Erfolge der Revolution selbst untergraben wird, falls sie nicht zur direkten Ausübung politischer Macht durch die ArbeiterInnenklasse selbst mittels ArbeiterInnenräten führt. Falls sie diese in Händen einer bürokratischen Kaste belässt, wird diese den wirtschaftlichen und politischen Kollaps herbeiführen oder eigenhändig die Restauration des Kapitalismus.

Kubas Geschichte beweist auch: Trotz heldenmütiger Massen und handfester sozialer Errungenschaften, trotz sogar der ursprünglichen Absichten einiger kubanischer RevolutionärInnen selbst kann der Sozialismus nicht in einem isolierten Land aufgebaut werden. Wenn das auf ein großes Land wie die Sowjetunion zutraf, war dies umso mehr auf Kuba der Fall.

Die sozialistische Revolution des 21. Jahrhunderts wird zweifelsohne ihre Anregung aus der Kühnheit und Entschlusskraft der kubanischen Revolution schöpfen. Doch zugleich muss sie aus ihren Schranken Schlüsse ziehen: Sie muss auf echten Organen proletarischer Klassenmacht fußen, auf ArbeiterInnenräten, und sie muss sich weltweit verbreiten – oder sie wird untergehen.

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Nr. 214, November 2016

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