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Grundsatzprogramm der SAV

Neues Programm - alte Fehler

Brigitte Falke, Arbeitermacht 56, Mai/Juni 1999

Die Sozialistische Alternative Voran (SAV) beschloss auf ihrer Bundeskonferenz in Köln im April 1999 ein neues Grundsatzprogramm. Allgemein gesehen stellt es für die SAV und ihre internationale Tendenz CWI sicherlich einen Fortschritt dar, wenn sie nun offenbar auch zu der Einsicht gelangt ist, dass man als revolutionäre Gruppe heute ein erneuertes revolutionäres Parteiprogramm braucht. Doch genügt es methodisch auch den Anforderungen eines revolutionären Programms?

Zunächst ist festzustellen, dass die SAV das Programm nicht mit einer selbstkritischen Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte beginnt. Es fehlt eine Erklärung, warum die SAV jahrzehntelang in der SPD gearbeitet hat, und warum sie dann plötzlich vor einigen Jahren von einem Tag auf den anderen die SPD als offen bürgerliche Partei "erkannte" und geschlossen diese Partei verließ. Immerhin: Es ist ein programmatischer Fortschritt, die Illusion aufgegeben zu haben, dass sich aus der SPD eine sozialistische Massenpartei machen ließe. Dafür ist aber auch das neue Programm von der Illusion eines demokratischen Weges zum Sozialismus geprägt. Dass sie die SPD diesbezüglich nicht umändern kann, hat sie zwar erkannt, aber die SAV glaubt, nun selber die sozialistische Massenpartei werden zu können, die die demokratische Umwälzung zum Sozialismus bewerkstelligen könne.

Tendenz zum Katastrofismus

In einem Kapitel, überschrieben mit "Kapitalismus bedeutet Barbarei", wird die Perspektive des Kapitalismus wie folgt zusammengefasst: "Am Anfang des 21.Jahrhunderts heißt die Alternative Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaft oder wirtschaftlicher und sozialer Verfall der menschlichen Zivilisation und letztendlich ökologische oder atomare Zerstörung des Planeten. Die Widersprüche des Kapitalismus verschärfen sich und kommen immer gewaltiger zum Ausbruch"(S.5f.). Später heißt es etwas konkreter: "Seit der Weltwirtschaftskrise 74/75 befindet sich der Weltkapitalismus in der Periode von Stagnation und Depression (...). Weil die Kapitalisten nicht mehr durch Reinvestition von Gewinnen und Erweiterung der Produktion ihre Profite maximieren können, tun sie es durch verschärfte Ausbeutung, Börsen- und Finanzspekulation, Plünderung der Staatskassen, Privatisierung von Staatsbetrieben. Sie sind zu reinen Schmarotzern an der Gesellschaft geworden"(S.8). Abgesehen davon, dass Kapitalisten nie etwas anderes als Schmarotzer sind, die von der Mehrarbeit der werktätigen Bevölkerung leben, wird hier der Begriff der kapitalistischen Krise und die Wirkung der Überakkumulation seit dem Beginn der 70er Jahre, mit einer "Periode von wirtschaftlicher Stagnation und Depression" verwechselt. Schon Lenin bemerkte zur "Fäulnistendenz" in der imperialistischen Epoche: "Es wäre ein Fehler zu glauben, dass diese Fäulnistendenz ein rasches Wachstum des Kapitalismus ausschließt; durchaus nicht, einzelne Industriezweige, einzelne Schichten der Bourgeoisie und einzelne Länder offenbaren in der Epoche des Imperialismus mehr oder minder stark bald die eine, bald die andere dieser Tendenzen. Im großen und ganzen wächst der Kapitalismus bedeutend schneller als früher, aber dieses Wachstum wird nicht nur im allgemeinen immer ungleichmäßiger, sondern die Ungleichmäßigkeit äußert sich auch im besonderen in der Fäulnis der kapitalkräftigsten Länder"(LW,B.22,S.305f.).

Auch heute bedeutet die allgemeine Tendenz zu nicht profitabel verwertbaren Kapitalmassen nicht, dass alle Bereiche und Regionen der kapitalistischen Ökonomie dadurch in Stagnation und Fäulnis verfallen. Ganz im Gegenteil: Gerade der Druck der Krise bewirkt in gewissen Regionen und Branchen revolutionäre Umwälzungen der Produktionsgrundlagen und gewaltige Wachstumsschübe (siehe z.B. Informationstechnologie, Aufschwung in Süd-Ost-Asien). Dies ändert nichts an der allgemeinen Tendenz zum Fall der Profitraten und zur Überkapitalisierung, die gerade auch diese Bereiche heftigen Wachstums "über Nacht" wieder in Bereiche der extremen Krise werfen kann (siehe z.B. Asien-Krise). Ebenso bedeutet die Ausdehnung und Internationalisierung der Finanzmärkte nicht nur - wie SAV meint - den "Aufbau von enormen Mengen fiktiven Kapitals"(S.8). Es bedeutet auch eine historisch noch nie dagewesene Ballung von Kapital, die für enorme Investitionsprojekte mobilisiert werden kann (siehe z.B. die Kapitalisierung von China).

Von einer allgemeinen Stagnation und Fäulnis auszugehen, die schlicht auf Zusammenbruch und Barbarei hinausläuft, heißt, die Möglichkeiten des Kapitalismus zu unterschätzen. Anders als Rosa Luxemburg (z.B. in "Die Akkumulation des Kapitals") ging Marx in "Das Kapital" nicht von einer allgemeinen Grenze der kapitalistischen Akkumulation aus, an der sich die Alternative "Sozialismus oder Barbarei" stellen würde. In den von Luxemburg verworfenen Schlussfolgerungen des 3.Bandes des "Kapitals" zeigt Marx, dass es nicht nur eine Tendenz zum "Fall der Profitrate" gibt, sondern auch "entgegenwirkende Ursachen", die es dem Kapital, insbesondere durch Erhöhung der Ausbeutungsrate und Internationalisierung der Produktion, ermöglichen, eine neue Phase der erweiterten Akkumulation einzuleiten, nur um letztlich die Krisentendenzen ein weiteres Mal in vertiefter Form langfristig zu befördern. Auch in dem mit "Globalisierung" bezeichneten Phänomen des gegenwärtigen Weltkapitalismus, sind Möglichkeiten für eine solche langfristigere Aufschwungsphase angelegt (siehe z.B. die Entwicklung der US-Ökonomie im letzten Jahrzehnt).

Wesentlich hängen diese Perspektiven des Kapitalismus natürlich von der Entwicklung des Klassenkampfes ab, die ein solches Durchsetzen "entgegenwirkender Ursachen" wesentlich bestimmt.

Es ist bezeichnend, dass die SAV bei der Darstellung der Entwicklungsperspektive des Kapitalismus die Wirkungen des Klassenkampfes nicht erwähnt (bzw. nur insofern, als Sozialabbau, Rassismus etc. als Folgen der Krise dargestellt werden). Es sind aber besonders solche Niederlagen der Arbeiterklasse, wie in Britannien und den USA der 80er Jahre, oder der Zusammenbruch der degenerierten Arbeiterstaaten Anfang der 90er Jahren, die dem Kapitalismus neue Akkumulationsmöglichkeiten verliehen haben, so wie andererseits der Aufschwung der Klassenkämpfe Mitte der 90er Jahre Grenzen dafür aufgezeigt hat.

Es muss klar gesagt werden, dass es zentral von der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Organisierung abhängt, ob die Menschheit endlich eine Alternative zu diesem krisengeschüttelten System findet, oder ob der Kapitalismus es wiederum schafft, sich über eine Phase von extremen Opfern für die Mehrheit der Menschheit für Jahrzehnte zu stabilisieren. Daher stimmt nicht, wie die SAV schlussfolgert: "Die Bürgerlichen sind aber nicht in der Lage, ihren historischen Sieg gegen des Stalinismus für die Stabilisierung ihres eigenen Systems zu nutzen, geschweige denn in ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschritt umzusetzen"(S.11). Wäre dem so, bräuchte sich die Arbeit von Kommunisten bloß darauf zu beschränken, den hoffnungslosen Zustand des Kapitalismus allgemein klar zu machen. Tatsächlich müssen wir jedoch mobilisieren und verdeutlichen, dass der Kapitalismus sehr wohl noch Entwicklungsspielräume hat, und welche verheerenden Folgen diese Möglichkeiten für die Arbeiterklasse haben.

Die Arbeiterklasse

Zur Rolle der Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Situation des Kapitalismus stellt die SAV fest: "Sozialistisches Bewusstsein bedeutet die Vorstellung von einer Systemalternative zum Kapitalismus. Die Herrschaft der Bürgerlichen stützt sich in der heutigen depressiven Phase des Kapitalismus unter anderem darauf, dass sich die Arbeiterklasse nicht vorstellen kann, Produktion und Gesellschaft zu organisieren. Dieses Bewusstsein muss und wird die Arbeiterklasse wiedererlangen"(S.18f.). Etwas vorher heißt es: "Die Entwicklungen der 80er und Anfang der 90er Jahre haben dazu geführt, dass es in den Reihen der Arbeiterklasse zu großer politischer Verwirrung und zur ideologischen Entwaffnung gekommen ist. Der Sieg des Kapitalismus über den Stalinismus war hauptsächlich ein ideologischer Sieg."(S.18). Diese Verwirrung sei noch dadurch verstärkt worden, dass SPD und Gewerkschaftsführung "ihr formales Ziel einer sozialistischen bzw. neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung" aufgegeben haben.

Nicht erwähnt wird, dass sozialistisches Bewusstsein in der Arbeiterklasse durchaus nichts Selbstverständliches ist; dass die Arbeiterklasse, als Produkt der kapitalistischen Gesellschaft und der verallgemeinerten Warenproduktion, durch Konkurrenz und Arbeitsteilung beständig gespalten wird, zurückgeworfen auf das kleinbürgerliche Bewusstsein eines isolierten Kleineigentümers der Ware Arbeitskraft. Die Hervorbringung von sozialistischem Bewusstsein in der Arbeiterklasse kann daher nur durch den politischen Kampf gegen die aus diesen Wurzeln immer wieder in der Arbeiterklasse entstehenden (klein)bürgerlichen Bindungen an den Kapitalismus erreicht werden. Diese Bindungen stellen keine episodischen "Verwirrungen" dar oder sind einfach das Werk verräterischer SPD-Bürokraten. Nur in außergewöhnlich zugespitzten revolutionären Entwicklungsphasen, in denen gleichzeitig eine starke revolutionär-kommunistische Partei in der Arbeiterklasse verankert ist, gelingt es, dass ein Großteil der Arbeiterklasse sich von diesen Bindungen an den Kapitalismus befreit und sich tatsächlich ein Klassensubjekt "Arbeiterklasse" herausbildet.

Ein Verkennen der Tatsache, dass die Entstehung sozialistischen Bewusstseins ein politischer Kampf gegen verschiedenste, notwendig in der Klasse entstehende Strömungen und Fehler sein muss, führt die SAV dazu, dass diese Aufgabe als rein "propagandistische" Aufgabe verstanden wird: "Die SAV wartet nicht passiv ab, bis sich sozialistisches Bewusstsein von alleine entwickelt. Breite Propaganda für Sozialismus ist ständiger Teil ihrer Arbeit"(S.19). Hier wird verkannt, dass Entwicklung sozialistischen Bewusstseins nicht einfach die abstrakte Propaganda für den Sozialismus "neben der Alltagsarbeit" ist, sondern dass dieses sozialistische Bewusstsein nur in der Auseinandersetzung mit den reformistischen, ultra-linken, sektiererischen, kleinbürgerlichen, liberalen, etc. Strömungen entsteht, die in den alltäglichen und globaleren Auseinandersetzungen mit dem Kapital in der Arbeiterklasse zu mehr oder weniger einflussreichen Rollen kommen. Die SAV gehört dagegen einer Tradition an, die Auseinandersetzungen mit anderen Tendenzen innerhalb der Arbeiterbewegung eher vermeidet, als "sektenhaft" ablehnt, um sich auf den "praktischen" Aufbau einer sozialistischen Massenpartei zu beschränken. Doch woher sollen die Arbeiter wissen, dass die SAV tatsächlich die Partei wird, die ihnen einen Alternative weist, und nicht die vielen anderen politischen Kräfte, die sich ihnen anbieten, wenn sich dies nicht in beständiger Auseinandersetzung beweist. Wie andererseits will die SAV wissen, dass sie im Gegensatz zu all diesen anderen Kräften als Kleingruppe die richtige sozialistische Perspektive hat, wenn sie dieser Auseinandersetzung aus dem Weg geht. Die "breite Propaganda für den Sozialismus" der SAV drückt sich auch nicht in einer Politik von Übergangsforderungen aus, die aktuelles Bewusstsein mit einer allgemeinen Perspektive des Sturzes des Kapitalismus und des Aufbaus des Sozialismus methodisch verbindet. Stattdessen taucht "sozialistische Propaganda" bei der SAV v.a. als Zusatz zu ansonsten im Kern nur reformistischen Forderungen auf.

Schließlich führt die ökonomistische Vereinfachung des Arbeiterklassenbegriffs auch zu einer verhängnisvollen Unterschätzung der revolutionären Aufgabe: Die SAV definiert die Arbeiterklasse schlicht und einfach als die Klasse der lohnabhängig Beschäftigten (S.25), die damit fast 90% der BRD-Bevölkerung ausmachen würde. Wie wir im RM Nr.28 ausführlich dargestellt haben, hat Marx in den "Theorien über den Mehrwert" dagegen richtig analysiert, dass sich in den überkapitalisierten Ländern notwendigerweise eine immer größer werdende Reihe von (v.a. lohnabhängigen) Mittelschichten herausbildet. Nicht die formale Eigentumsfrage allein (Eigentum an Produktionsmitteln versus Lohnabhängigkeit) ist wesentlich für die Klassenbildung im Kapitalismus, sondern die Stellung zum Ausbeutungsprozess (d.h. zur Produktion von Mehrwert), wie sie sich in der realen Differenzierung durch die kapitalistische Arbeitsteilung (Qualifikation, Kommandobefugnisse) und Betroffenheit von den Konsequenzen der Kapitalakkumulation (Arbeitslosigkeit, Intensivierung der Arbeit,...) ausdrückt.

In den entwickelten Industrienationen sind bis zu 30% der lohnabhängig Beschäftigten durch ihre privilegierten Positionen im Produktionsprozess oder im öffentlichen Bereich in einer "mittleren" Lage zwischen Kapitalisten- und Arbeiterklasse. Dazu kommt noch, dass ein wesentlicher Teil der Arbeiterklasse der imperialistischen Länder vom Kapital mithilfe imperialistischer Extraprofite ruhiggestellt werden kann, so dass schon Lenin von der Existenz einer breiten "Arbeiteraristokratie" sprach. Mittelschichten und Arbeiteraristokratie sind ein wichtiger Hebel für die Bourgeoisie, um die Arbeiterklasse ideologisch zu kontrollieren und ihre normale bürgerliche Herrschaft zu organisieren. In kritischeren Zeiten, in denen auch große Teile von Mittelschichten und Kleinbürgertum von den Auswirkungen der kapitalistischen Krise betroffen sind, bilden sie ein gewichtiges Potential für reaktionäre Mobilisierungen gegen eine sozialistische Alternative, wie es der Faschismus am krassesten offenbarte.

Auch auf Grund ihrer unzureichenden Analyse der Klassenverhältnisse kommt die SAV zu dem Schluss, dass ein "friedlicher", immer größere Teile der Lohnabhängigen überzeugender Weg zum Sozialismus möglich ist - dass also der revolutionäre Aufstand und die "Diktatur des Proletariats" irgendwie umgangen werden könnten.

Diktatur des Proletariats?

Die SAV beginnt den Abschnitt "Arbeiterdemokratie" mit: "Eine Arbeiterdemokratie ist eine Übergangsgesellschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus." Unter Arbeiterdemokratie versteht die SAV jedoch nicht, wie man denken könnte, die demokratische Herrschaft der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie, d.h. als eine revolutionäre Staatsform. Diese Staatsform wurde von Marx als "Diktatur des Proletariats" bezeichnet. Sie bedeutet, dass es eine Arbeiterdemokratie nur innerhalb der Arbeiterklasse gibt, nicht gegenüber der noch existierenden Bourgeoisie und ihren Anhängseln. "Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt eine Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats"(MEW19,S.28).

Stillschweigend hat die SAV also eine eigene Phase des demokratischen Übergangs zum Sozialismus eingeführt! Insofern ist es auch kein Zufall, dass das Programm in typischer SAV-Tradition auch weder von der Notwendigkeit der Zerschlagung des bürgerlichen Staates spricht, noch die Notwendigkeit der Bewaffnung des Proletariats sieht. Wie man sieht, hat die SAV-Position nichts gemein mit der marxistischen Staatsauffassung.

Ihrem Demokratismus folgend, sollen für den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus die Gesetze der Warenproduktion genutzt werden: "Wertgesetz und Warenproduktion wirken aber nicht mehr wie im Kapitalismus blind und destruktiv über die Marktgesetze, sondern werden bewusst eingesetzt zur Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums." Dieses Verständnis von Ökonomie in der Übergangsgesellschaft ist falsch.

Wertgesetz und Warenproduktion wirken immer blind und destruktiv, weil sie gerade darauf beruhen, dass nicht die Gesamtproduktion auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse, d.h. auf den Gebrauchswert orientiert sind, sondern auf die abstrakte Vermehrung von Tauschwert. Herrschaft von Wertgesetz und Warenproduktion führen naturwüchsig dazu, dass sich kapitalistische Verwertungsprinzipien durchsetzen, weil nur durch sie Warenproduktion wertgesetzlich effektiv sein kann.

Eine ganze gesellschaftliche Periode dadurch zu charakterisieren, dass einerseits Wertgesetz und Warenproduktion fortwirken, die politische Herrschaft jedoch arbeiterdemokratisch organisiert sei, ist eine Umkehr der Marxschen Konzeption von den Erfordernissen des Übergangs zum Sozialismus: "Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebenso wenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren" (MEW 19, 19 - 20).

Die Vergesellschaftungstendenz der Produktion ist im Kapitalismus schon tendentiell angelegt, aber durch die Grundlage des Privateigentums an Produktionsmitteln und die private Verwertung von Kapital wird diese Vergesellschaftung in einer widersprüchlichen, sich gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, der Arbeiterklasse richtenden Weise durchgeführt. Eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Durchsetzung eines gesamtgesellschaftlichen Planes ist daher der notwendige erste Schritt, um den Übergang zum Sozialismus weiterzutreiben. Solange Tauschprinzipien (Markt) und Privateigentum an Produktionsmitteln (in welcher demokratischen Form auch immer) zugelassen werden, müssen sich kapitalistische "Sachgesetzlichkeiten" notwendigerweise immer wieder geltend machen.

Diese Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Unterdrückung des Marktes ist aber unmöglich ohne die Zerschlagung des Staatsapparates, der das Privateigentum verteidigt. Damit ist die Diktatur des Proletariats notwendig. Daraus ergibt sich, dass es von der Machtergreifung an eine Einheit von Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Diktatur des Proletariats und Entwicklung der Rätedemokratie geben muss.

Die SAV verfolgt eine kautskyanische Konzeption vom friedlichem Übergang durch Rätedemokratie und Verstaatlichung, so dass es kein Wunder ist, dass bei ihr die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats fehlt.

Diese Auffassung vom demokratischen Übergang zum Sozialismus bei der SAV ist Ausdruck eines in der Linken weit verbreiteten Demokratismus. Geblendet vom Prinzip der "sanften Gewalt der Vernunft", wird verkannt, dass die vielfältigen Wirkungsweisen des Kapitalverhältnisses, der von ihm hervorgebrachten Arbeitsteilung und gesellschaftlichen Differenzierungen, ein vielfältiges System von "Sachzwängen" und "struktureller Gewalt" hervorbringen, das radikal, an der Wurzel angegriffen werden muss, um überwunden zu werden. Gegenüber Privateigentum, Marktorientierung oder Beharren auf privilegierten Positionen innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung kann es für Kommunisten keine "demokratische Toleranz" geben.

Parteiaufbau

Im Abschnitt "Aufbau der SAV" stellt die SAV dar, wie sich ihr Parteiaufbau zu vollziehen hat. Auch dabei wird sie dem Anspruch einer revolutionäre Arbeiterpartei nicht gerecht. Dem Programm fehlen insbesondere folgende Aspekte des Parteiaufbaus:

• die Notwendigkeit des demokratischen Zentralismus für den Parteiaufbau;

• die Notwendigkeit der Entwicklung revolutionärer Kader, die imstande sind, Klassenkämpfe zu führen;

• die Notwendigkeit beständiger programmatischer Arbeit;

• die Abfolge verschiedener Stadien des Parteiaufbaus.

Die SAV unterschätzt v.a. auch die zentrale Bedeutung des Programms für den Aufbau der Partei.

Sie spricht von der Notwendigkeit einer neuen Arbeiterpartei, die nicht unbedingt revolutionär sein müsse, und vertritt in allen Fällen die Taktik der Arbeiterpartei als notwendiger Zwischenetappe, nach der es erst später möglich sei, eine revolutionäre Arbeiterpartei aufzubauen. Richtigerweise setzt sie für eine erfolgreiche Revolution eine revolutionäre Arbeiterpartei voraus. Allerdings hat die SAV ein verkürztes Verständnis eines revolutionären Programms, das die Brücke von den Tageskämpfen zur Revolution schlägt. Dies wird in einem bezeichnenderweise mit "Anhang" überschriebenen Kapitel deutlich, das ein aktuelles "Übergangsprogramm" enthalten soll.

Bis auf eine Forderung "Statt Produktion für den Profit- Produktion für die Bedürfnisse von Mensch und Umwelt. Überführung der Banken, Konzerne, Versicherungen in Gemeineigentum und demokratische Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung." nennt die SAV nur Tagesforderungen, die sich im Prinzip auch im Kapitalismus verwirklichen lassen. Interessant ist dabei, dass von Verstaatlichung ohne die Notwendigkeit von Arbeiterkontrolle - die der Forderung erst revolutionäre Dynamik verleiht - gesprochen wird. Stattdessen verwendet man die verschwommene Formulierung von "demokratischer" Kontrolle. Aber selbst diese eine "Übergangsforderung" kann erst zur wirklichen systemsprengenden Forderung werden, wenn sie ein Element in einem ganzen System solcher Forderungen ist, ansonsten steht sie als abstrakte Maximalforderung unverbunden neben den Minimalforderungen. Dies verweist auf ein Minimal-Maximal-Konzept, welches als Anleitung zum revolutionären Klassenkampf ungenügend ist und in der Praxis - auch bei der SAV - zu reformistischer Handwerkelei führt.

Charakterisierung von SPD und PDS

Im Abschnitt "Das Verhältnis der SAV zu anderen Parteien" wird die SPD von 1914 bis zu den 1980er Jahren fälschlicherweise als Arbeiterpartei mit sozialistischem Anspruch gesehen. Danach wäre sie vollständig verbürgerlicht (Sie sei damit nun eine vollständig bürgerliche Partei, s.o.). Die SPD hat ihre Arbeiterbasis aber nicht weitgehend verloren. Die Mehrheit v.a. der organisierten Arbeiter sehen die SPD immer noch als ihre Partei an. Diese organische Verbindung drückt sich nicht nur bei Wahlen beständig aus, sondern auch im (verglichen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen) starken Einfluss der Gewerkschaften in dieser Partei. Dagegen schätzt die SAV die Wahlen unabhängig von organischen Bindungen für die SPD ein: "Sie wurde zu einer rein bürgerlichen Partei, auch wenn sie ihre Wählerschaft weiterhin hauptsächlich aus der Arbeiterklasse hat."

Weiter behauptet die SAV: "Die traditionellen Arbeiterparteien sind verbürgerlicht". Sie meint damit die SPD, die jedoch ihren "Sündenfall" bereits 1914 hatte, als sie aus vorgeblicher "nationaler Verantwortung für Deutschland" im Reichstag den Kriegskrediten zustimmte. Die Maßnahmen von Schröder und Konsorten sind nicht verräterischer als diejenigen des "Bluthundes" Noske und der anderen Totengräber der Novemberrevolution 1918/19. Die SAV jedoch betrachtet die SPD erst 1994 als vollständig "verbürgerlicht", woraufhin sie aus der SPD austrat und wie ihre Sektionen und Internationale den Entrismus dort für beendet erklärte, ohne konkret zu sagen und sagen zu können, was für sie nun das entscheidende Ereignis war, welches sie zu diesem Schritt veranlasste (außer der grotesken Behauptung, erst nach der Niederlage des Stalinismus habe die SPD ihren Anspruch aufgegeben, für eine sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung einzutreten). Im übrigen erkennt sie nicht die Widersprüchlichkeit der SPD als "bürgerliche Arbeiterpartei". Die SPD ist organisch weiterhin mit der Mehrheit der Arbeiterklasse verbunden, ihre Politik ist jedoch bereits seit 1914 bürgerlich. Um die Arbeiter von der Sozialdemokratie loszubrechen bedarf es einer bestimmten Einheitsfronttaktik. Das spielt jedoch für die SAV keine besondere Rolle. Stattdessen behauptet die SAV, die bürgerlichen Arbeiterparteien seien keine Arbeiterparteien mehr und es müsse daher eine neue Arbeiterpartei aufgebaut werden (die wiederum nicht revolutionär sein müsse). So richtig es ist, ein revolutionäres Programm nicht zur Bedingung für die Unterstützung einer entstehenden Arbeiterpartei zu machen, so falsch ist es allerdings, wie die SAV selbst nur ein reformistisches Programm vorzulegen. Dahinter steckt der alte Irrglaube, durch den Verzicht auf "verschreckende" Inhalte leichter eine Massenbasis schaffen zu können. Was man dabei jedoch nur erreicht, ist eine bei der nächsten ernsten Probe wieder zerbrechende Organisation oder eine, die für die Zwecke der Revolution völlig ungeeignet ist.

Die PDS wird zwar richtig als reformistische Partei bezeichnet, aber nur deshalb, weil sie sich noch formal zum Sozialismus bekenne, was die SPD nicht mehr täte, die daher "konterreformistisch" sei. Die PDS bewege sich faktisch auch dorthin und werde ihrem sozialistischem Anspruch nicht gerecht, weil sie nicht für sozialistische Ziele mobilisieren würde.

Diese Charakterisierung übersieht, dass die PDS nicht anders als die SPD grundlegend Politik im Rahmen der bürgerlichen Herrschaftsordnung, d.h. der Herrschaft des Privateigentums macht. Dies hat sie eindrucksvoll durch ihre Funktion als Übergabe-Agent der DDR an den BRD-Kapitalismus bewiesen. Wie "tief" das Bekenntnis zum Sozialismus wiegt, zeigt ihre praktische Politik in Parlamenten und Landesregierungen und beweißt sich theoretisch in Gysis "Thesen", die einem "Abschied vom Sozialismus" gleichkommen.

Daraus folgt, dass sich SPD und PDS in ihrem Charakter als bürgerliche Arbeiterparteien nicht grundsätzlich unterscheiden. Sie spielen momentan nur unterschiedliche Rollen (good cop/bad cop). Sie sind beide gleichermaßen reformistische Hindernisse, die im Kampf um eine Revolutionierung des Arbeiterklassenbewusstseins überwunden werden müssen. Es ist daher notwendig, gegenüber beiden gleichermaßen Taktiken der Entlarvung durch Einheitsfrontpolitik anzuwenden. Falsch ist es dagegen, wie die SAV dies (z.B. bei Wahlunterstützungen) auf die PDS einzuschränken. Die Behauptung, deren "sozialistischeres" Programm würde dies ermöglichen, schürt tatsächlich bloß Illusionen in inhaltslose Bekenntnisse der PDS-Führung.

Fazit

Wir halten die programmatische Diskussion für notwendig, um revolutionär-marxistische Politik zu entwickeln. Insofern ist die zu beobachtende Ignoranz der Debatten innerhalb der Linken seitens der SAV-Führung kontraproduktiv für den Aufbau einer revolutionären Partei. Wir sind bereit, bei aller Kritik am SAV-Programm, mit den Genossen und Genossinnen der SAV zu diskutieren. Wir bieten als Alternative zum SAV-Programm unsere programmatische Grundlage, das Trotzkistische Manifest, an.

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