Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Jahrhundertflut

Eine Naturkatastrophe?

Infomail 196, 5. Januar 2005

Die Flutkatastrophe in mehreren Anrainerländern des Indischen Ozeans hat bisher mehr als 150.000 Tote gefordert. Die Zahl der Vermissten und die täglich neu hinzukommenden Toten lassen befürchten, dass die Zahl der Opfer sich noch beträchtlich erhöhen wird. Ohne Frage handelt es sich bei dieser Sturmflut um die größte Naturkatastrophe des letzten Jahrhunderts.

An und für sich sind Tsunamis - die gefürchteten Riesenwellen infolge von Erdbeben - in der jetzt betroffenen Region nichts Außergewöhnliches. Sie treten in Abständen immer wieder auf, wenn auch meist in schwächerer Form als diesmal. So werden z.B. die Küsten Japans oder auch der USA von Tsunamis oder Flutwellen aufgrund von Stürmen fast regelmäßig heimgesucht. Doch auch wenn der Tsunami diesmal ein weit größeres Ausmaß hatte und mehrere, tausende Kilometer voneinander entfernte Länder verwüstete, so stellt sich doch die Frage, ob eine derart hohe Zahl von Opfern nicht vermeidbar war.

Schicksal?

In den betroffenen Regionen sind eigentlich periodisch auftauchende Flutwellen nicht ungewöhnlich. Zudem vergingen zwischen dem Eintreffen der ersten Flutwelle in jenen dem Epizentrum nächstliegenden Ländern und den danach betroffenen Ländern immerhin bis zu fünf Stunden - Zeit genug also, um die Menschen rechtzeitig zu warnen. Inzwischen ist klar, dass diese Vorwarnungen in vielen Regionen nicht erfolgten. Woran lag dieses, für Zehntausende verhängnisvolle, Versäumnis?

Das Problem fängt schon damit an, dass es im Indischen Ozean als einer diesbezüglich kritischen Zone kein Frühwarnsystem für unterseeische Beben gibt. In anderen Erdregionen, wo die Metropolen der imperialistischen Großmächte wie Japan oder die USA liegen, gibt es das sehr wohl. Auch im Indischen Ozean wäre die Installation eines solchen Systems technisch problemlos möglich und es würde die lächerliche Summe von nur etwa 18 Millionen Euro kosten!

Genauso könnte über Sattelitensysteme eine rechtzeitige Warnung betroffener Regionen erfolgen. Doch wie so oft werden die enormen technischen Möglichkeiten im Zeitalter des Kapitalismus nicht für das Wohlergehen der Menschen eingesetzt, sondern dafür, den "Terrorismus" zu bekämpfen, gegnerische U-Boote auszuspionieren oder die brandneuen Börsendaten quer über den Erdball zu jagen.

Wie sich im Nachhinein herausstellte, waren es aber auch ganz "profane" Gründe, die eine rechtzeitige Warnung vor dem Todes-Tsunami verhinderten. So weigerte sich eine thailändische Behörde, die bedrohte Küstenregion zu warnen, weil das die Touristen "verschreckt" hätte. So konnte vor allem auf kleineren Inseln die einheimische Bevölkerung oft nicht informiert werden, weil es dort keine "Kommunikationssysteme" gibt, wie z.B. die indische Regierung amtlich erklärte. Im Klartext bedeutet das z.B., dass die Leute sich aufgrund ihrer Armut weder Telefon noch Fernseher leisten können. Wie heißt es im Volksmund? "Wer arm ist, stirbt dumm".

Auch andere Naturkatastrophen der letzten Jahre machten immer wieder deutlich: bei gleicher Ursache waren die Opferzahlen in "armen Gebieten" bis zu hundertmal höher als in "gutsituierten" Gegenden. Ein Vergleich der Opferzahlen bei Erdbeben etwa in der Türkei oder zuletzt im Iran mit jenen z.B. in den USA zeigt sehr krass, dass ein massives, relativ erdbebensicheres Haus eben nicht so schnell in sich zusammenstürzt wie eine Lehmhütte.

Profit statt Sicherheit

Die große Zahl der Opfer unter TouristInnen verweist noch auf ein anderes Problem. Die Nobelherbergen der großen Touristikkonzerne sind meist - werbewirksam - dicht am Ufer erbaut. Wir erinnern uns an die Überschwemmungen von 2002 hierzulande. Auch da zeigte sich, dass die rücksichtslose Bebauung überschwemmungsgefährdeter Zonen zu einem Desaster führen kann. Was an Oder und Elbe noch glimpflich abging, führte an den Ufern des Indischen Ozeans zu einer Katastrophe.

Natürlich wäre es auch zu viel verlangt, wenn die Regierungen der Südseeparadise den Reisekonzernen vorschreiben würden, wie und wo sie bauen dürfen. Die netten Reiseveranstalter TUI, Neckermann und Co. müssen sich genauso fragen lassen, wie sehr ihnen die Sicherheit ihrer KundInnen am Herzen liegt, da ihnen die Frage der Vorwarnung vor Tsunamis oder wenigstens die Aufklärung der Reisenden, wie man sich im Falle des Falles verhalten sollte, offenbar egal ist. Beim Betrachten der TV-Bilder über die Sturmflut wird einem schnell klar, dass viele Menschen nur dadurch ums Leben kamen, weil sie nicht wussten, wie man sich richtig verhält.

Der Tragödie zweiter Teil

War schon die Flutwelle selbst eine Tragödie für die betroffenen Regionen, so drohen den Davongekommenen nun Seuchen, weil es an sauberem Wasser, Lebensmitteln und medizinischer Versorgung mangelt - trotz aller Hilfslieferungen und der Solidarität von Millionen auf der ganzen Welt. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Flutkatastrophe über Länder hereinbrach, die - ob Indonesien, Indien oder Thailand - allesamt Entwicklungsländer sind; Länder, die sich in halbkolonialer Abhängigkeit von den imperialistischen Metropolen befinden. Die Touristenzentren, die gigantischen Geschäftshochhäuser in den Metropolen Asiens täuschen nicht darüber hinweg, dass die große Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebt. Die letzten Schlagzeilen aus diesen Ländern vor der Flut verweisen auf die trockene Realität der Fakten: Prostitution, Kinderarmut, Überausbeutung in sweat shops ... Millionen leben am Rande der Existenz und es brauchte weniger als eine große Flut, um das Bisschen, das diese Menschen haben, zu vernichten.

Die in vielen Regionen fehlende Infrastruktur - schon wenige Kilometer von den Bettenburgen der Touristen entfernt gibt es oft weder Strassen noch Telefon noch Krankenhäuser - erschwert nicht nur das Heranschaffen von Hilfsgütern, es bedeutet auch für viele, dass sie selbst keine Mittel haben, ihr Überleben zu sichern, es bedeutet, dass für Tausende jede Hilfe zu spät kommt.

Gerade jetzt, wenn in allen Medien von der "humanitären Katastrophe" gesprochen wird, gerade jetzt, wenn PolitikerInnen, die sich als hemmungslos korrupt gezeigt haben, zur Hilfe aufrufen, gerade jetzt ist es notwendig, klar zu sagen: dass die Flut so viele Opfer forderte und noch fordern wird, ist am wenigsten Folge eines Naturereignisses - es ist Folge einer Gesellschaftsordnung, die ihre Ressourcen nicht für die Interessen der Menschen einsetzt, sondern alles dem Profit und der Macht der Profiteure unterordnet.

Insofern ist es auch der Gipfel an Scheinheiligkeit, wenn Bundespräsident Horst Köhler das Ausmaß der Schäden und die Opfer beklagt und zu Spenden aufruft. Gerade er war als früherer Chef des IWF ganz direkt dafür verantwortlich, dass die "Dritte Welt" im imperialistischen Würgegriff von Unterentwicklung und Verschuldung blieb.

Und von Leuten wie Schröder, Clement oder Merkel, die nichts unversucht lassen, hierzulande Millionen von Arbeitslosen und Lohnabhängigen soziale Leistungen zu kappen, und den Konzernen Steuerermäßigungen in Milliardenhöhe zuzuschanzen, klingt jede Spendenaufforderung wie Hohn! All jene Wirtschaftbosse und PolitikerInnen, die Milliarden in die Rüstung stecken, die Besatzungstruppen in alle Welt schicken, die aufmüpfige Länder der "Dritten Welt" mit Bomben und Raketen überziehen, sollten sich ihr humanitäres Getue sparen! Ihnen geht es nicht um Hilfe, ihnen geht es um einen Anlass, sich als barmherzige Samariter zu präsentieren. Ihre Hilfe erweist sich außerdem nicht selten nur als Subventionierung der Konzerne, die bei der Flut einige - ohnehin meist versicherte - Werte eingebüßt haben.

So wurde aktuell gemeldet, dass die Hilfskräfte von der im Indischen Ozean operierenden US-Flotte vor allem dazu eingesetzt werden, die in Mitleidenschaft gezogenen Öl-Anlagen des US-Öl-Multis Exxon schnell wieder instand zu setzen.

Ist die Flut in Asien schon schlimm genug, so lässt sie noch Schlimmeres befürchten. Da aufgrund des Klimawandels künftig mit einer Zunahme von Umweltkatastrophen gerechnet werden muss, deutet sich an, wie wenig bereit und in der Lage die kapitalistische Welt ist, sich gegen solche Ereignisse zu wappnen oder ihnen gar vorzubeugen. Wenn die Herrschaft des Kapitals über die Weltwirtschaft, über deren Ressourcen und wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten nicht beendet wird, so wird man künftig über die jetzige Sturmflut vielleicht sagen, sie sei noch glimpflich abgegangen. Abgesehen davon, dass die "größte humanitäre Katastrophe des Jahrhunderts" nicht - wie die Medien oft meinen - dieser Tsunami ist, sondern zwei imperialistische Weltkriege.

Die Politiker klagen schon jetzt darüber, was der Wiederaufbau kosten wird. Dabei würden die Profite nur der zehn größten Konzerne der Welt ausreichen, um die materiellen Schäden der Flut zu beheben. Aber während Siemens, Daimler, Deutsche Bank und Co. nichts oder nur peanuts spenden, wird an die "einfachen" Leute appelliert, zu spenden.

Natürlich brauchen die Opfer Hilfe! Was sie nicht brauchen, ist eine "Volksfront" der Heuchler! Nach einer kurzen Phase von öffentlichem, humanitären Aktivismus war bisher immer schnell Schluss mit der Spendabilität. Die Opfer anderer Naturereignisse leben meist noch Jahre danach in ärmlichen Notbehausungen. Die Zerstörung der Infrastruktur und der Erwerbsmöglichkeiten in den betroffenen Ländern vergrößert nicht nur die alltägliche Armut der Bevölkerung, es vertieft auch Unterentwicklung und Abhängigkeit dieser Ländern.

Hilfe muss mehr sein als nur eine Folge von Spendengalas im Fernsehen. Wirkliche Hilfe bedeutet auch und vor allem, die allgemeinen und tieferen Ursachen der jetzigen humanitären Katastrophe zu beseitigen: Armut, Verschuldung, Abhängigkeit der "Dritten Welt". Es bedeutet, das wirkliche Problem beim Namen zu nennen: den Kapitalismus!

Daher müssen wir dafür eintreten, dass

sämtliche Schulden der "Dritten Welt" gestrichen werden;

imperialistische Unternehmen in den betroffenen Ländern unter Arbeiterkontrolle entschädigungslos enteignet werden;

Kapital und Reichtum progressiv besteuert werden und daraus die Hilfszahlungen erfolgen;

die Arbeiterbewegung, die Bauern, die städtische und ländliche Armut kontrollieren, wohin die Hilfsgelder- und mittel fließen;

jede Einmischung, Erpressung und Gewaltanwendung des Imperialismus gegen die "3. Welt" beendet und bekämpft wird. Kein Einsatz der US-Armee oder der Bundeswehr unter dem Vorwand der "Hilfeleistung" - schon gar nicht in Bürgerkriegsregionen wie Aceh, wo Imperialismus und indonesische Regierung versuchen werden, Truppen zur Aufstandbekämpfung unter dem Vorwand der "Hilfestellung" in die Region zu schicken!

die undemokratischen und mit dem Imperialismus kooperierenden Regime in der "3.Welt" von den ArbeiterInnen, Bauern und der Armut gestürzt werden!

Arbeitersolidarität statt Spendenrummel

Angesichts der gesellschaftlichen und politischen Dimensionen dieser scheinbaren "Natur"katastrophe ist es notwendig, dass die Arbeiterbewegung eine eigene Hilfskampagne initiiert - um den Betroffenen zu zeigen, dass sie bessere Freunde haben, als die bürgerlichen Politiker, Bürokraten und Bonzen aller Art. Beispiele dafür gibt es, u.a. haben schwedische MetallerInnen 100.000 Euro gesammelt. Demgegenüber nehmen sich die 50.000 des DGB sehr bescheiden aus ...

Auch die "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG) meldete sich durch ihr Bundesvorstandsmitglied Thomas Händel zu Wort. Er meinte, dass die Hilfe durch THW und die Reiseveranstalter (!) noch weiter unterstützt werden müsse. Noch mehr Geld also in den Rachen von TUI und anderer Konzerne?! Kein Wort zur Mitverantwortung konkret dieser Konzerne oder gar des Imperialismus allgemein an diesem globalen Unglück! Selbst in der Frage des Schuldenerlasses kann man sich nur dazu aufraffen, einen "weit gehenden" Schuldenerlass zu fordern. Wie viel Verschuldung ist denn zulässig, Herr Händel???

"Statt der `Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch` ist jetzt ein Vielfaches an Hilfe für die in Not geratenen Reisenden und gegen das Elend in den betroffenen Regionen nötig" so Händel weiter. "Damit wären die technischen und medizinischen Ressourcen der Bundeswehr in einem Friedenseinsatz weitaus sinnvoller eingesetzt." Genau, Parteifreund Händel: wenn man den Bock zum Gärtner machen kann, dann auch die Bundeswehr zu einer Hilfsorganisation! Manche lernen offenbar selbst aus der größten Flut nichts.

Der Arbeiterbewegung und vor allem die Gewerkschaften sollten eine eigene Kampagne starten, die das Sammeln damit verbindet, eine Debatte über die Dimensionen und Hintergründe dieser humanitären Katastrophe zu führen und die Hilfe mit der Forderung nach mehr Gewerkschaftsrechten und dem Kampf gegen neokoloniale Ausbeutung und Ausplünderung in der "3. Welt" zu verbinden. Wir müssen fordern, dass die Hilfeleistungen demokratisch koordiniert und unter Kontrolle der Bevölkerung der betroffenen Gebiete und der Arbeiterbewegung erfolgen und dem Zugriff der korrupten Bürokratie wie auch Konzern-höriger Manager entrissen wird.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::