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Nach der Ermordung van Goghs

Die Rassisten sind überall!

Infomail 190, 20. November 2004

Ein rassistischer Filmemacher, der "kein Blatt von den Mund nimmt" und Muslime als "Schweineficker" bezeichnet, wurde ermordet. Van Gogh war ein Busenfreund des toten Rassisten und Rechts-Radikalen Pim Fortuyn. Van Gogh hatte gerade einen Film über die Unterdrückung der Frauen im Islam produziert.

Der Mörder hat ihn wahrscheinlich deswegen - also aus ganz und gar reaktionären Motiven - ermordet. Der mutmaßliche Täter wird gefasst, ein "Terrorist" und Moslem. Moscheen brennen.

Diese Entäußerung reaktionärer Gewalt ist für die bürgerliche Öffentlichkeit ein gefundenes Fressen. Die christlich-konservativen Rechten packen die Leitkultur und die "christlich abendländische Tradition" aus. Das "Ende der Multi-Kulti-Gesellschaft" stehe fest.

Selbst in den "toleranten Niederlanden" wäre jetzt die "falsch verstandene Toleranz" gegenüber dem Islam zum Bumerang geworden - und das, obwohl Holland doch unheimlich viel "Erfahrung" mit der "Integration" Fremder - so die rassistische Verkehrung der imperialen Annexion ganzer Völker durch das Holländische Kolonialreich - hätte.

Keine rassistische und imperialistische Lüge oder Tollheit, die hier ausgelassen wird. Kolonialreich, Ausbeutung anderer Länder - das bringt "Erfahrung", die "wir Deutsche zu wenig" haben.

Die deutschen Chauvinisten und Rassisten ziehen daraus die "Lehre", dass Deutschland erst recht nicht für eine "multi-kulturelle Gesellschaft" geeignet sei. Und überhaupt: Schuld sind die Moslems allemal selbst, weil sie sich weigern, "unsere" Werte wirklich anzunehmen.

"Die Niederlande sind überall," ereifern sich nicht nur die extreme Rechte oder diverse CDU-CSU-Knaller. Natürlich dürfen auch SPD-Chauvinisten und ihr Innenminister Schily nicht fehlen. Wahr an dem Spruch von den allgegenwärtigen "Niederladen" ist vor allem eins: Einen Brandanschlag auf eine Moschee könnte es auch hierzulande durch Nazis und Rassisten geben.

Ansonsten stehen drei Millionen Muslime in Deutschland unter Generalverdacht. Diese müssen "besser" überwacht, bespitzelt, erzogen werden. In den Moscheen soll hinkünftig nur in deutscher Sprache gesprochen werden dürfen, damit der Verfassungsschutz besser mitschreiben kann. Die "gewaltbereiten Islamisten" und alle anderen "mutmaßlichen Terroristen" sollen "präventiv" abgeschoben werden können - also ohne konkreten Beweis für irgendeine Tat und unter Ausschluss der sonst im bürgerlichen Rechtsstaat so hoch gelobten Unschuldsvermutung!

Wo sich die "Islamisten" zu Grundgesetz und deutschen Staat bekennen, ist ihnen erst recht nicht zu trauen. Dann ist das nämlich nur "Tarnung".

Rassismus und Immigration

Die rassistischen Vorwürfe gegen "die Moslems" zeigen freilich, wie die realen Ursachen zunehmender Diskriminierung, Ausgrenzung und auch eines tatsächlich tragischen Anwachsen des politischen Islam in der bürgerlichen Öffentlichkeit auf den Kopf gestellt werden (und aufgrund ganz realer Interessen auch auf den Kopf gestellt werden müssen).

Die Immigration seit den 1960er Jahren, darunter auch vieler türkischer oder arabischer Menschen, die in der aktuellen Debatte oft genug einfach als "Muslime" vorkommen, war von Beginn an durch Nichtintegration gekennzeichnet. Das drückt sich auch im rassistischen Terminus "Gastarbeiter" aus. Die ArbeitsimmigrantInnen sollten hier in einer Periode des Mangels an Arbeitskräften arbeiten und dann wieder in "nach Hause gehen". Von Seiten des deutschen (wie auch anderer westeuropäischer) Staates war immer nur ein "zeitweiliger" Aufenthalt der "AusländerInnen" vorgesehen.

Die reale Entwicklung hat jedoch einen anderen Entwicklungsganz erzwungen. Die ImmirgrantInnen wurden zu einem Teil der Gesellschaft. Die Rückkehr in die "Heimat" war keine Perspektive, weil der reale Lebens- und Arbeitsmittelpunkt eben hier war.

Aber dies war immer mit einer rassistischen Diskriminierung der ImmigrantInnen verbunden, selbst wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen konnten. Noch heute gelten sie als "AusländerInnen", selbst wenn sie in Deutschland geboren wurden, Deutsch ihre Muttersprache ist usw.

Diese Diskriminierung und Unterdrückung äußert sich unter veränderten ökonomischen Bedingungen - sprich einer permanenten Massenarbeitslosigkeit seit Jahrzehnten und daher verschärfter Konkurrenz unter den Lohnabhängigen - darin, dass ImmigrantInnen von Arbeitslosigkeit, Verarmung usw. weit überdurchschnittlich betroffen sind.

Waren viele der Arbeitsimmigranten in den 60er Jahren als Facharbeiter relativ weit in die Arbeiterbewegung integriert worden, so nimmt heute der Anteil von Facharbeitern nichtdeutscher Herkunft ab. Jugendliche türkischer, kurdischer oder arabischer Abstammung finden viel schwerer einen Ausbildungsplatz als Deutsche.

In der bürgerlichen Öffentlichkeit gibt es dafür eine Erklärung: die "Ausländer" sprechen schlechtes Deutsch, leisten daher weniger in der Schule und werden zu allem Überdruss auch noch von "der Familie", die in der spießbürgerlichen Weltsicht ansonsten eher als "leistungsfördernd" gilt, vom Lernen abgehalten.

Massenarbeitslosigkeit und rassistische Unterdrückung verschwinden so ganz aus dem Blickwinkel. So wie sich der Arbeitslose lt. bürgerlicher Doktrin nur "richtig anstrengen müsse", um einen Job zu ergattern, so muss "der Ausländer" nur richtig deutsch lernen und "die Leitkultur" verinnerlichen - und schon gibt's Integration und Arbeit.

Die Familien würden ihre Kinder "abschotten" und nur in der Familie und in Koranschulen erziehen lassen. Fehlende oder schlecht ausgebaute Kindertagesstätten und Ganztagsschulen, fehlende oder unzureichende Betreuung oder einfach zu hohe Gebühren für Familien, die an der Armutsgrenze leben müssen - diese Resultate neo-liberaler Angriffe der letzten Jahre und eines dramatischen Sozialkahlschlags werden in der deutschen Debatte gänzlich ausgeblendet. Dass die Schließung von Kindergärten oder Jugendzentren einen Teil der Jugend dazu bringt, auf Angebote der Moscheen zurückzugreifen, wird dann einfach "vergessen".

Die aktuelle Debatte ist für die rechts-konservativen und offen rassistischen Kräfte in Regierung und Opposition ein Mittel, um ImmigrantInnen insgesamt stärkerem Druck auszusetzen, indem sie alle Angehörigen einer Glaubensgemeinschaft diskriminieren. Nach Jahrzehnten systematischen Verwehrens der Integration und der Vorenthaltung elementarer demokratischer Rechte für Millionen in Deutschland lebender ImmigrantInnen (z.B. des Wahlrechts) sollen jetzt erst recht neue formalisierte Schikanen - vom Deutschtest und Zwangsunterricht bis hin zur Überprüfung der "Grundgesetztreue" - samt "erleichterter Abschiebemöglichkeiten" geschaffen werden. Von dieser Seite dient die Forderung dazu, die ImmigrantInnen weiter zu stigmatisieren und ihnen den schwarzen Peter der "Nicht-Integrationswilligkeit" zuzuschieben.

Ähnliche Forderungen wie die Rechten erheben jetzt allerdings auch die VertreterInnen der "Mitte" aus den Reihen der Sozialdemokratie, der Grünen, der Liberalen bis hin zur PDS. Für die Integration müsse mehr "getan" werden, z.B. Förderunterricht und Deutschkurse für türkische und arabische Jugendliche. Dann, so die Vorstellung etlicher Leute dieser bürgerlichen Strömung, würden sich die Ungleichheiten und die Diskriminierung der ImmigrantInnen in Gleichheit und Wohlgefallen auflösen.

Der Rassismus gegenüber TürkInnen, AraberInnen, KurdInnen - egal ob muslimischen Glaubens oder nicht - erscheint so als Resultat eines Bildungsdefizits, während doch in Wirklichkeit schlechtere Bildungschancen oder Chancen am Arbeitsmarkt Ausdruck rassischer Unterdrückung sind.

Es ist eine kleinbürgerliche Illusion zu glauben, dass z.B. schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt für ImmigrantInnen durch gleiche Bildung etc. zu überwinden wären (genauso wie die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt auch bei gleicher oder gar besserer Bildung und Ausbildung bestehen bleibt).

In Wirklichkeit ist doch die "Lernunwilligkeit" von Jugendlichen selbst Resultat der Erfahrung, dass sie am Arbeitsmarkt ohnedies kaum eine Chance haben. In Wirklichkeit wird doch das "Nicht-Deutschlernen" bei einem Teil der ImmigrantInnen doch auch dadurch verfestigt und gefördert, weil sie tagtäglich rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind, weil die deutschen Nachbarn oft ohnedies mit den "Ausländern" nicht reden wollen.

Kurzum, in den letzten Jahren sind auch mehr und mehr ImmigrantInnen in Situationen gedrängt worden, in denen es keinen oder nur geringen praktischen Nutzen hat, Deutsch zu lernen. Es gehört schon eine gehörige Portion Borniertheit, Arroganz und chauvinistische Überheblichkeit dazu, von anderen Menschen das Deutschlernen als reinen Selbstzweck zu verlangen.

Es gehört auch eine Menge Ignoranz und Borniertheit dazu, wenn Linke nicht verstehen, dass die rassistische Politik des deutschen Staates, die zunehmende Verarmung und tw. Verelendung unter den ImmigrantInnen viele - darunter auch viele Jugendliche - in die Hände reaktionären Kräfte, zur Moschee bis hin zum politischen Islam treibt.

Nein zur anti-moslemischen Hetze!

Die aktuelle Hetze gegen die Muslime richtet sich gegen alle ImmigrantInnen. Sie dient aber auch dem weiteren Abbau demokratischer Rechte, die sich heute gegen wirkliche oder vermeintliche "Islamisten", ebensogut aber auch gegen anti-imperialistische Widerstandskämpfer und Linke richten. Sie muss von allen Linken, allen Anti-KapitalistInnen und der gesamten Arbeitbewegung bekämpft werden!

Weg mit allen staatlichen Verboten und Observierungen! Weg mit allen Einschränkungen politischer Rechte für ImmigrantInnen!

Weg mit allen Formen der Diskriminierung! Weg mit allen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen! Für volle Staatsbürgerrechte für alle, die in Deutschland leben!

Wie oben gezeigt, muss der Kampf gegen diese Angriffe, mit dem Kampf gegen Verarmung und Massenarbeitslosigkeit verbunden werden. Nur so - durch den Kampf gegen Rassismus und kapitalistische Offensive - kann die Grundlage für eine, wirkliche Integration aller geschaffen werden.

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