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"Stichwahlen" in Argentinien

Kirchner oder Kirchner

Infomail 119, 16. Mai 2003

Nach dem ersten Wahlgang im April erreichten zwei bürgerliche Kandidaten die Stichwahl um die Präsidentschaft: Carlos Menem und Nestor Kirchner.

Dieser Ausgang der Wahl stellte eine Niederlage für die Linke und einen Schub für die zuvor diskreditierten Parteien dar, die für die ökonomische Depression und die politischen Unruhen seit Dezember 2001 die Verantwortung tragen.

Der ehemalige Präsident und IWF-Befürworter, der Peronist Carlos Menem, führte die Abstimmungsergebnisliste mit 23% an. An zweite Stelle rangierte der Favorit des scheidenden Präsidenten, der Peronist Nestor Kirchner mit 21%. Zusammen haben die 3 rechten Hauptkandidaten 63% aller Stimmen erhalten.

In die Stichwahl kamen Menem und Kirchner - eine Wahl zwischen Teufel und Belzebub. Keiner von beiden hätte auch nur eine Stimme der ArbeiterInnen und Arbeitslosen verdient. RevolutionärInnen hätten dazu aufrufen müssen, ungültig zu wählen, um die "demokratische" Farce zu durchkreuzen, um dem Imperialismus und der argentinischen Bourgeoisie kein Legitimation für den nächsten Präsidenten und seine Angriffe auf die Massen zu geben.

Jetzt wird die Wahl vollends zur Parodie. Zu wählen gibt es - einen (!) Kandidaten, nachdem Menem seinen Wahlkampf einstellte und seine Kandidatur zurückzog.

Ein solches Manöver zeigt zwar, dass die argentinische Bourgeoisie nach wie vor von inneren Gegensätzen zerrissen ist; es zeigt aber auch, dass sie nach der ersten Runde der Präsidentschaftwahlen die Massen und v.a. die Linke nicht allzu sehr fürchtet.

Niederlage der Linken

Die stalinistische und zentristische Linke schnitt dagegen jämmerlich ab. Die Vereinigte Linke IU (Izqierda Unida), ein Block aus MST und PC, und Jorge Altamiras PO (Partido Obrero) erlangte zusammen nur 500.000 Stimmen, das sind 2,5%. In den Legislativwahlen 2001 vereinigte die Linke (IU, PO-MAS, PTS und AvL) 800.000 Stimmen auf sich, was 8% der gültigen Stimmen entspricht.

Die PO verlor etwa 35% an WählerInnen gegenüber den Legislativwahlen von 2001 und fiel auf das Niveau der Präsidentschaftswahlen von 1999 mit ungefähr 0,7% Stimmenanteil zurück.

Die IU erhielt zwar weniger Stimmen als 2001, konnte sich aber gegenüber den Präsidentschaftswahlen 1999 auf 1,8% verbessern.

Einige der linken Parteien, die noch 1999 und 2001 angetreten waren, stellten diesmal keine KandidatInnen auf und riefen zum aktiven Wahlboykott auf. Die PTS, PCR, Patria Libre (Barrios de Pie), AyL (geführt vom populären Kongreßabgeordneten Luis Zamorra), MIJD sowie einige Volksversammlungen, verschiedene Intellektuelle und studentische Gruppen traten für 'Stimmenthaltung, Weißwählen oder Ungültigmachen der Wahlzettel' ein.

Die PTS gab u.a. gefälschte Wahlzettel heraus und rief die Wähler auf, damit die Wahlurnen zu füllen. Aber am Wahltag wurden nicht einmal 15.000 dieser Zettel benutzt.

Die Taktik des aktiven Boykotts beruhte auf der Annahme, dass als Resultat der revolutionären Krise von 2001 die alten 'Regimeparteien' Peronisten und Radikalen völlig abgewirtschaftet hätten. Das drückte sich in der weit verbreiteten Losung 'Sie sollen alle verschwinden' aus, die von allen Volksversammlungen, Arbeitslosenorganisationen und der Arbeitervorhut aufgestellt wurde.

Die Anberaumung der Wahlen durch Präsident Duhalde im Juni 2002 war ein Schachzug, einiges an Legitimation für eine Regierung zurück zu gewinnen, die das Vertrauen bei der Masse der Bevölkerung eingebüßt hatte. Daraus zogen Organisationen wie die PTS und andere den Schluss, dass der 'Sie sollen alle verschwinden'-Stimmung am besten durch eine Weigerung, sich an die bürgerlichen Spielregeln bei Wahlen zu halten, Rechnung zu tragen sei. Die PTS hoffte, durch eine aktive Boykottkampagne den Ausbau der verschiedenen Volksversammlungen, besetzten Fabriken und versprengten örtlichen Co-ordinadoras als alternativen Pol der politischen Autorität der Regierung entgegensetzen zu können.

Das Wahlergebnis verdeutlicht, dass sie sich damit jedoch total verrechnet hatten. Der Anteil der ungültigen Stimmen betrug nur etwa 2,5%, was ungefähr der Norm bei allen Wahlen in Argentinien entspricht. Dabei muss man noch einrechnen, dass erfahrungsgemäß die meisten ungültigen Wahlzettel eher auf Fehler der Wähler zurückzuführen sind als auf bewusste Unzufriedenheit mit dem System.

Nur 20% der Wählerschaft enthielt sich der Stimme. In Argentinien, wo Wahlpflicht herrscht, gilt als Durchschnitt, wenn 17-22% der Wahl fernbleiben. 2001 lag die Enthaltung bei 28%.

Die Taktik des 'aktiven Boykotts' war eine Fehleinschätzung. Das politische Hauptproblem für die argentinische Arbeiterklasse: ihr fehlt eine unabhängige Arbeitermassenpartei. 60 Jahre lang hat die mafiose peronistische Gewerkschaftsbürokratie die Masse der organisierten ArbeiterInnen an die Peronistische Partei PJ gekettet. Bei den diesjährigen Wahlen haben die verschiedenen Gewerkschaftsfürsten unterschiedliche peronistische Kandidaten unterstützt.

Seit den revolutionären Tagen im Dezember 2001 krankte die politische Lage hauptsächlich daran, dass die einige 10.000 Kader umfassende Vorhut es nicht vermochte, die mehrere Millionen starke organisierte Arbeiterklasse, v.a. in den beiden CGT- und dem CTA-Gewerkschaftsverband, in eine Schlacht zur Absetzung der Duhalde-Regierung durch Generalstreikaktionen hineinzuziehen. Die Gewerkschaftsführer der konkurrierenden CGT-Gewerkschaftsverbände haben dies ausdrücklich verweigert.

Um eine Brücke zwischen dem Bewusstsein der Vorhut und dem der Masse der ArbeiterInnen zu schlagen, war es für die Vorhut notwendig, jede Gelegenheit zur Propagierung des politischen Bruchs mit dem Peronismus und zur Formierung einer Arbeiterpartei zu ergreifen.

Die Präsidentschaftswahlen waren eine solche Gelegenheit. Im vergangenen Oktober schrieben wir: "Duhalde war am schwächsten in der ersten Jahreshälfte 2002, aber er erhielt stetige Unterstützung durch die CGT-Bürokratien, die sich weigerten, den Generalstreik gegen seine Regierung zu organisieren; vom Frühjahr an stieß die Massenbewegung an die Grenzen ihrer spontanen Entwicklung, und eine gewisse Bürokratisierung hat sich ihrer bemächtigt; drittens hat sich der IWF mit der Duhalde-Regierung, nachdem sie bis Mitte 2002 noch ohne fremde Unterstützung dastand, versöhnt.

Duhaldes Aufgabe ist es, die Krise zu stabilisieren, nicht sie zu überwinden, d.h. die Krise auf die Massen abzuwälzen, zugleich aber eine Verallgemeinerung des Widerstandes zu verhindern. Das bedeutet auch die Unterdrückung der linken Teile der Bewegung gegen ihn und einen Versuch, die Verfassung von 1994 vor denen zu retten, die fordern 'Alle müssen verschwinden!"..."Hand in Hand mit der Unterdrückung geht die Suche nach der Erneuerung des Regimes. Das bedeutet u.a. das Streben nach neuer Legitimation der 'Regimeparteien' durch Organisierung neuer Präsidentschaftswahlen, die den Massen die Möglichkeit zur Teilnahme bietet."

In Anbetracht dessen war die Aufgabe der Linken die Bildung der größtmöglichen vereinigten Kampagne um einen Arbeiterpartei-Kandidaten für die Präsidentschaft. Ein solcher Kandidat hätte beispielsweise aus den Reihen der landesweit bekannten VertreterInnen der besetzten Betriebe ausgewählt werden können.

Er hätte auf einer Plattform kandidieren sollen, die die Kernfragen der revolutionären Tage aufgeworfen hätte - für Lebensunterhalt sichernden Lohn, Verstaatlichung der Banken und besetzten Betriebe unter Arbeiterkontrolle, Verankerung der Volksversammlungen in der Arbeiterklasse, Freiheit für alle politischen Gefangenen.

Das Sektierertum einiger linker Organisationen wie der PO wäre zwar ein Hindernis gewesen, hätte aber durch Druck seitens der Arbeitslosen und besetzten Betriebe überwunden werden können. Durch ähnliche Druckentfaltung hätten auch unberechenbare 'Führer' wie Zamorra und seine AyL für ein solches Vorhaben gewonnen werden können.

Ein Kandidat auf einem revolutionären Aktionsprogramm hätte mindestens die bestehende Vorhut in einer gemeinsamen politischen Kampagne vereinen und hunderttausende von CGT-Mitgliedern von Kirchner im Großraum Buenos Aires wegziehen können, wo er allein die Hälfte seiner Stimmen erhielt.

Eine solche Kampagne hätte mehr bewirken können als die lächerlichen Ergebnisse für Jorge Altamira und seine PO oder die Unwirksamkeit der Boykott-Kampagne.

Im nächsten halben Jahr werden Gouverneurswahlen in verschiedenen Provinzen stattfinden. Die Linke muss die Lehren aus den Präsidentschaftswahlen ziehen und eine vereinte Kampagne um KandidatInnen einer Arbeiterpartei führen.

Die Resultate sind ein Sieg für Präsident Duhalde. Sein Kandidat war der Alleinfavorit für den Wahlsieg am 18.Mai. Menem war bei den meisten Leuten verhasst wegen seiner Verantwortlichkeit für die gegenwärtige Katastrophe, denn er hat während seiner beiden Amtszeiten in den 90er Jahren einen gnadenlos neoliberalen Kurs verfolgt. Er hatte seine verfügbares Wahlpotenzial im ersten Wahlgang bereits ausgeschöpft, als er von den Unternehmern, den oberen Mittelschichten und den ärmsten, am wenigsten klassenbewussten Elementen im Norden des Landes seine Stimmen bezog.

Kirchner schien von einem 'Chirac-Effekt' zu profitieren. Viele Stimmen werden ihm zufallen, allein um Menem zu verhindern. Daher ist die Aufgabe Menems auch nicht allzu verwunderlich.

Das Regime hat seine Position vom November 2001 - vor Ausbruch der 'revolutionären Tage' - noch nicht wiedergewinnen können. Die Radikale Partei ist zusammengebrochen, ihre Mitglieder und Führer haben sich in eine Vielzahl von bürgerlichen 'Unabhängigen' verwandelt. Die Wahlen haben auch gezeigt, wie offen gespalten die Peronistische Partei angesichts der sozialen Unruhen ist.

Aber die Masse der organisierten Arbeiterklasse orientiert sich wieder einmal an einem der peronistischen Kandidaten. Das ist die Tragödie der Wahlen im Jahr 2003. Die Zerschlagung des peronistischen Zugriffs auf die Arbeiterklasse bleibt das ungelöste Problem für die argentinische Linke. Ohne dessen Lösung wird sogar eine außerordentlich tiefe revolutionäre Krise, wie Argentinien sie 2001-2003 erlebt hat, nicht in eine Revolution münden.

Wenn die Arbeiterklasse diese tiefe gesellschaftliche Krise nicht zu lösen vermag, indem sie die Macht ergreift, wird sie in der Tat unweigerlich durch eine Konterrevolution gelöst werden

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