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Landtagswahlen

Absturz nach Sinkflug

Infomail 104, 6. Februar 2003

Nachdem die amerikanische Raumfähre Columbia abgestürzt ist, hat es bei den Landtagswahlen in Deutschland nun die SPD erwischt. Während jedoch die sieben Astronauten unverschuldet zu tragischen Opfern eines technischen Unglücks wurden, hat die SPD ihr Desaster, das vorrausehbar war, absolut selbst zu verantworten.

In Hessen gewann die CDU mit ihrem brutalst möglichen Intriganten Koch an der Spitze klar mit 48,9 %. An ihrer Seite konnte auch die FDP auf 7,9 % zulegen. Die SPD verlor über zehn Prozentpunkte und kam auf magere 29,1 %. Die Grünen legten zu und schafften 10 %.

Die SPD verlor 77.000 Stimmen an die CDU und 32.000 an die Grünen. Entscheidend war aber, dass fast 150.000 SPD-WählerInnen nicht zur Wahl gingen.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in Niedersachsen: CDU 48,3% (+12,4), SPD 33,4 (minus 14,5!), FDP 8,1 (+3,2) und Grüne 7,6 (+0,6).

Diese Zahlen relativieren kaum die gesunkene Wahlbeteiligung. In Niedersachsen verlor die SPD in absoluten Zahlen rund 650.000 WählerInnen (von 2.068.477 im Jahr 1998 auf 1.330.721 im Jahr 2003).

Bezeichnend ist erneut das Wahlverhalten der Arbeiterklasse. Laut bürgerlicher Statistik, die allerdings zwischen Arbeitern und Angestellten differenziert (was die Aussagekraft relativiert), hat die CDU in beiden Ländern in der Arbeiterschaft hinzugewonnen, ihren Anteil in diesem Milieu aber auch v.a. deshalb erhöht, weil viele ArbeiterInnen, die sonst SPD gewählt haben, nicht zur Wahl gegangen sind.

Das Wahlverhalten der Arbeiterklasse ist Ergebnis ihrer tiefen Enttäuschung über die Politik der SPD - auf Bundesebene. Die Bundespolitik spielte eine herausragende Rolle für beide Landtagswahlen. Das floss auch in die Wahltaktik der Parteien ein. Die CDU wollte mit den Landtagswahlen der Schröder-Regierung einen Denkzettel geben, während z.B. Niedersachsens SPD-Chef Gabriels Taktik, sein Heil ebenfalls in der Kritik des Kanzlers zu suchen, nicht aufging.

Im Unterschied zur letzten Bundestagswahl, bei der es der SPD gelang, mit ihrem "Nein" zum Irak-Krieg den Sieg kurz vor der Ziellinie noch einmal zu sichern, war das Proletariat nicht noch einmal bereit, dafür der SPD einen Vertrauensbonus zu geben. Kein Wunder, da doch die SPD-Haltung "gegen" den Krieg alles andere als konsequent ist. Die ArbeiterInnen wollten der SPD aber vor allem einen Denkzettel für ihre Politik der Sparprogramme, Kürzungen und Angriffe geben.

Die Wahlergebnisse von Hessen und Niedersachsen bedeuten nicht nur eine formelle Machtverschiebung auf Länderebene und im Bundesrat zugunsten der offen bürgerlichen Parteien CDU und FDP. Sie sind das Signal zu weiteren, noch schärferen Attacken auf die Lohnabhängigen, auf die Mehrheit der Bevölkerung.

Kapitalisten und bürgerliche Politiker werden ihren Druck auf Rot/Grün erhöhen. So will z.B. Gerhardt von der FDP im Bundestag die Vertrauensfrage stellen - ein erster direkter Versuch, einen Regierungswechsel bzw. Neuwahlen zu erzwingen. Dabei könnte entweder eine schwarz/gelbe Koalition als bevorzugte politische Interessenvertretung des deutschen Kapitals installiert oder wenigstens eine Große Koalition erreicht werden.

Auch Schröder zieht Konsequenzen aus der doppelten Wahlkatastrophe. Er hat angekündigt, seine "Reformpolitik" noch konsequenter umzusetzen, d.h. die Arbeiterklasse noch heftiger zu attackieren. Nachdem die Hartz-Reform schon ein umfassender Angriff auf die gesamte Klasse ist, wird nun noch ein weiterer auf den Kündigungsschutz vorgetragen. Schröder versucht, sich als noch konsequenterer und deshalb auch immer noch akzeptablerer Sachwalter der Interessen des deutschen Kapitals darzustellen. Doch wie die Wahlen schon zeigten, nimmt ihm das niemand mehr ab. Die ArbeiterInnen haben die Schnauze voll vom Genossen der Bosse, das Kapital will und kann sich nun leichter der SPD-Regierung mit ihren "Rücksichtnahmen" auf "die" Gewerkschaften - genauer auf deren bürokratische Spitze - entledigen. Wozu die SPD als Kopie an der Regierung, wenn das Original CDU wieder zur Verfügung steht?!

Das Wahlverhalten vieler ArbeiterInnen erweist sich als Bumerang: anstatt eine Änderung der kapitalistenfreundlichen Politik Schröders zu erreichen, stärkt man CDU/FDP, die noch offener und kompromissloser als es die SPD vermochte, dieselbe Politik weiterführt. Das nennt man "vom Regen in die Traufe" zu kommen.

Es ist bezeichnend, dass meist die rückständigeren, am wenigsten organisiertesten Teile der Klasse nicht wählen oder zur CDU wechseln. In Niedersachsen z.B. ist die Wählerwanderung von Arbeitslosen zur CDU mit 20 % besonders krass.

Was beide Wahlen auszeichnet, ist jedoch auch der Umstand, dass die PDS von der SPD-Krise nicht profitieren konnte. Im Gegenteil: in Hessen trat sie erst gar nicht an, in Niedersachsen landete sie bei 0,5% oder 21.602 Stimmen - verglichen mit der Bundestagswahl hat die PDS damit fast die Hälfte der Stimmen verloren!

Eine bessere und die einzig richtige Wahlentscheidung wäre aber gewesen, trotzdem die SPD zu wählen - aus zwei Gründen: 1. hätte man einen politischen und moralischen Erfolg von CDU und FDP und damit einen noch größeren politischen Spielraum des Kapitals verhindern können; 2. hätte man mit einer Wahlunterstützung der SPD diese bürgerliche Arbeiterpartei ganz direkt unter Druck setzen und damit das eigentliche Ziel, ihr einen "Denkzettel" zu geben, viel besser -genauer gesagt: überhaupt nur so - erreichen können. Wie das möglich ist? Es gibt darauf eine Antwort.

Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die AnhängerInnen der SPD, alle Linken und GewerkschafterInnen hätten eine Wahlunterstützung der SPD damit verbinden müssen, konkrete Forderungen an sie zu stellen und für diese zu mobilisieren. So z.B. die Rücknahme der Hartz-Pläne, höhere Besteuerung der Reichen, Maßnahmen gegen die Mobilisierungen der US-Streitkräfte in Deutschland usw., usf.. Die Basis hätte sich selbst für die Durchsetzung dieser Ziele organisieren müssen. So hätte ein realer Druck auf die SPD und ihre reformistischen Partner in den Gewerkschaftsführungen ausgeübt werden können.

So hätten die SPD-WählerInnen auch eine kämpferische Alternative zur passiven Reaktion der Wahlenthaltung oder den Fehler der vermeintlichen "Proteststimme" für die CDU gehabt und wären gleichzeitig für den Kampf gegen Landes- und Bundesregierung besser vorbereitet, weil organisiert und mobilisiert gewesen. So wäre es auch möglich gewesen - unabhängig vom Ausgang der Wahl - die eigene Kampfkraft zu stärken und seine eigen Ziele durchzusetzen: gegen Kapital und jede Regierung - ob CDU- oder SPD-geführt. Ein solches Vorgehen hätte auch eine praktische Überprüfung der SPD-Politik und -Führung am Maßstab des Klassenkampfes verbessert und den politischen Ablösungsprozess der Klasse von ihren reformistischen Irreführern vorangetrieben.

Weder Wahlabstinenz, noch "alternative" Minikandidaturen wie die der PSG auf einem fragwürdigen, substanzlosen linksreformistischen Programm kann eine politische Alternative weisen, geschweige denn im Klassenkampf oder in der Wahl auch nur irgend etwas ändern.

Das dramatische Wahldesaster der SPD unterschiedet sich allerdings in einem Punkt wesentlich vom Absturz der Columbia. Aus deren Trümmern wird keine Raumfähre mehr zusammengebaut werden, während die SPD ihren Einfluss in der Arbeiterklasse nicht so schnell und unumkehrbar verlieren wird. Sie wird ihr Unwesen in der Arbeiterbewegung weiter treiben.

Wie die Geschichte zeigt, hat die Sozialdemokratie viel schwerere Niederlagen und viel größere politische Verbrechen überstanden, ohne daran zu zerbrechen oder ihre Arbeiterbasis, ihren Einfluss in der Klasse und ihre organisatorischen Verbindungen zur Klasse zu verlieren. Dafür bedarf es eines langwierigen, kompromisslosen Kampfes gegen den Reformismus. Dazu ist ein Kampf notwendig, der mit den richtigen Mitteln und Methoden geführt wird. Statt Wahlenthaltung oder linkstümelnden Manövern müssen die Arbeiterklasse und die Linke die Einheitsfronttaktik, zu der auch die Taktik der kritischen Wahlunterstützung gehört, anwenden und gleichzeitig den Aufbau einer politischen Alternative, einer revolutionären, kommunistischen Arbeiterpartei in Angriff nehmen.

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