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Bundesparteitag der Linkspartei in Hannover Die Hoffnung stirbt zuletzt Tobi Hansen, Infomail 950, 18.Juni 2017 Im Echo auf den Hannoveraner Parteitag der Linken sind sich zumindest die bürgerlichen Medien einig: zu links, zu viele Forderungen, zu viel Beharren auf dem Programm und sich nicht deutlich genug SPD und Grünen angebiedert zu haben. Mit diesem Ergebnis wollen Spiegel und Frankfurter Rundschau die Linke 2017 nicht als potentielle Mehrheitsbeschafferin für Rot-Rot-Grün in Szene setzen. Dass dies auch Teile der Partei oder des Vorstandes so einschätzen, steht außer Zweifel und wurde vor allem von Fraktionschef Bartsch und Parteichefin Kipping betont. Bartsch verwies dabei auf die einfache parlamentarische Arithmetik: welche Kompromisse die Linke für eine Koalition eingehen müsste, wüsste man ohnedies erst nach den Verhandlungen. Dann könnte darüber auch abgestimmt werden – je einfacher die Wahrheiten, desto klarer oft die Zielrichtung. Kipping verwies nochmals auf das starke elektorale Bewusstsein mancher Flügel der Partei. Schließlich müsse man doch etwas verändern und das ginge nun mal an der Regierung besser als in der Opposition. Die alte Müntefering-Losung „Opposition ist Mist“ schimmerte durch. Am letzten Tag durfte schließlich Wagenknecht ihre Sicht auf die Regierungsfähigkeit darstellen. Wie das andere Spitzenpersonal erklärte auch sie ca. 30 Minuten lang, warum SPD und Grüne derzeit nicht koalitionsfähig seien: diese würden doch keinen Deut nach links gehen, dementsprechend sollte man auch keine Positionen aufgeben. Nicht beantwortet hat sie leider, warum sie selbst seit einiger Zeit nach rechts geht. Was potentielle Sondierungsgespräche oder Koalitionsverhandlungen angeht, hat Wagenknecht die Messlatte zumindest dem Wahlprogramm angeglichen – eine durchaus übliche Praxis der parlamentarischen BewerberInnen, auch wenn das die bürgerlichen Medien der Linkspartei nicht zugestehen wollen. Regierungspraxis Zuletzt hatten die Landesregierungen mit Beteiligung der Linkspartei wieder gezeigt, was das praktisch heißt. Im Gezerre um die Föderalismusreform wurde den Ländern Thüringen, Brandenburg und Berlin die Zustimmung zur Autobahnprivatisierung „abgenötigt“. Im Gegenzug wurden ihnen Einnahmen und Zuweisungen z. B. für Verkehrswege versprochen. Berechtigterweise sorgte dieser im parlamentarischen System durchaus übliche Kuhhandel in der Linkspartei für Protest. Schließlich verstießen die Landesregierungen und -parteien damit gegen verschiedene Parteitagsbeschlüsse sowie das Programm – also all das, was reformistische Mitregierende meistens vergessen. Ministerpräsident Ramelow toppte die „Rechtfertigungen“ der Länder („Erpressung“ etc.) damit, dass er für ihre Solidarität untereinander gegenüber dem Bund abgestimmt hätte. Die chronische Unterfinanzierung der Kommunen wird so sicher nicht dadurch beendet werden, dass die Masse der SteuerzahlerInnen – also die Lohnabhängigen – für weitere Gebühren auf privatisierten Verkehrswegen zahlen muss. Bei welchen weiteren Sauereien Ramelow noch mit der Bundesregierung stimmen will, blieb unbekannt. In der Praxis bleibt die Linkspartei an der Regierung Sachwalterin des bürgerlichen Systems. Sie versucht allenfalls, an dem einen oder anderen kleinen Rädchen zu drehen, ein unmerkliches Wenig an Umverteilung zu organisieren, nur um dann festzustellen: Mehr war nicht drin, zum einen mit den KoalitionspartnerInnen, zum anderen im Kapitalismus selbst. Nirgendwo war oder ist die Linkspartei an der Regierung in der Lage, die Massen für ihre Interessen zu mobilisieren und mit diesen den Klassenkampf auch im Parlament zu führen, nein, im Parlament ist die Linkspartei auch nur Vollstreckerin des bürgerlichen Status quo. Mit der Politik der kommunistischen Bewegung, die in den frühen 20er Jahren die Taktik der „ArbeiterInnenregierung“ entwickelt hat, hat das im Gegensatz zu manchen Schutzbehauptungen von Linken in der Linkspartei (z. B. marx21) nichts zu tun. Die Kommunistische Internationale betrachtete diese als Brücke zum Sturz des Kapitalismus. Der Eintritt in eine Regierung mit anderen ArbeiterInnenparteien war daher an die Bedingung geknüpft, dass diese gegen die herrschende Klasse vorgehen, die größtmögliche Bewaffnung (praktisch und politisch) des Proletariats gewährleisten und so die Übernahme der Macht durch die ArbeiterInnenklasse vorbereiten sollte. Das Regierungsverständnis der Linkspartei ist das direkte Gegenteil – die (Mit-)Verwaltung des Kapitalismus. Die Linke in der Linkspartei Auch wenn es unter der großen Mehrheit der Linkspartei sicher keine grundsätzlichen Einwände gegen die Beteiligung an Koalitionsregierungen gibt, so stieß der letzte Deal berechtigterweise auf Kritik am Parteitag. Ein entsprechender Antrag, welcher die Landesregierungen verurteilte, erreichte ein Patt, Stimmengleichheit von Ja und Nein. Sascha Stanicic von der SAV griff diese „Ländersolidarität“ scharf an mit der rhetorischen Frage, ob es in den Ländern keine Klassen gäbe oder man sich mit der CSU gemein machen müsse, um über die Hintertür der Autobahnprivatisierung zuzustimmen. Zuvor hatte es schon viel Empörung mit der Entscheidung der LandespolitikerInnen in den „sozialen Netzwerken“ gegeben. Viele waren komplett ernüchtert bzw. sprachen von „zwei Parteien in einer“, den „Regierungssozen“ usw. Manche sahen sich auch bestätigt in der Annahme, dass man nichts gegen den rechten Flügel ausrichten könne. Was deutlich fehlte, war und ist eine Debatte, warum die Linkspartei so handelt, ob und wie das überhaupt verändert werden könne. Wie kämpft z. B. die „Antikapitalistische Linke“ (AKL) in der Linkspartei gegen Autobahnprivatisierung und Sachzwangrhetorik, welche Alternative zur derzeitigen Führung und Praxis wird präsentiert? Warum wird ein Netzwerk wie marx21 gegen die PrivatisiererInnen der Landesregierungen bislang erst gar nicht aktiv? Warum stellt sich deren Frontfrau Buchholz als Verteidigerin der Staatsverträge mit den Kirchen hin und wird dabei noch vom antideutschen Lederer unterstützt, welcher als Berliner Kultursenator „seine“ Verträge so wichtig findet? Letztlich haben die Linken keinen Plan, wohin denn die Reise gehen soll, also ob und wie denn eine sozialistische, klassenkämpferische Kraft aufgebaut werden kann, gegen wen dieser Kampf auch in der Linkspartei geführt werden müsste und welches Programm dazu nötig wäre. Gewissermaßen ist sich die Linke in der Partei auch der Problematik bewusst, dass irgendwie mit den „Realos“, dem Regierungsflügel gebrochen werden muss. Sonst sei klar, was aus dem linken Flügel werde: eine Staffage für den Wahlkampf, während danach die anderen die Koalitionen aushecken wie z. B. in Berlin. Lucy Redler, aktiv in AKL und SAV, hat diesen Konflikt in ihrer Stellungnahme „10 Jahre Linkspartei“ ebenfalls als Hauptproblem aufgeführt: „Es wird nicht gelingen, DIE LINKE als kämpfende, ‚revolutionäre‘ Kraft darzustellen, eine ‚neue Kultur der Selbstermächtigung und Beteiligung durch Organisierung an der Basis‘ zu schaffen, ohne kontroverse Debatten offen zu führen, den Konflikt mit dem auf Regierungsbeteiligungen und ‚Realpolitik‘ orientierten Flügel einzugehen und für klar antikapitalistische Mehrheitsverhältnisse zu kämpfen. Ohne solche haben wir am Ende nicht einmal eine Reform der Partei, geschweige denn die Revolution.“ „Die Partei muss sich ändern, nicht hier und da ein bisschen, sondern in ihrem ganzen Auftreten, ihrer Schwerpunktsetzung, ihrer inneren Verfasstheit – sie braucht nicht weniger als eine Revolutionierung. So lange bei Parteitagen ein Großteil der Delegierten Mandatsträger, MitarbeiterInnen und Vorstandsmitglieder sind, hilft das Beschwören von mehr Bewegungsorientierung und Selbstorganisation in Strategiepapieren nur wenig. So lange inThüringen abgeschoben wird, ist die Forderung nach einem ‚gesellschaftlichen Lager der Solidarität‘ von innen hohl.“ Und zur Rolle der Parteilinken: „Um diese Fragen sollte die Parteilinke entschlossen ringen und gleichzeitig eigene positive Beispiele setzen: durch erfolgreiche lokale Kampagnen, durch engagierte Solidaritätsarbeit für KollegInnen im Betrieb, durch beispielhafte antirassistische Initiativen. Nur wenn wir einen Beitrag leisten, die Partei zu verankern und ihr spezifisches Gewicht zu erhöhen, kann es uns wirksam gelingen, in innerparteilichen Debatten Gehör zu finden.“ Diese beiden Zitate verdeutlichen das Dilemma der Linken, von AKL und SAV. Im ersten werden viele richtige Dinge angesprochen, z. B. dass auch Widersprüche zwischen der Regierungspraxis und dem vorhandenen Anspruch vieler Mitglieder existieren. Im zweiten Zitat sehen wir dann, wie z. B. die SAV das Dilemma lösen will. Das „entschlossene Ringen“ müsste vor allem zu einer „Verbreiterung“ der AKL führen, dass diese Strömung mit Programm, Analyse und Taktik in dieser Partei für andere Mehrheiten kämpft und sichtbarer wird. Sonst wird die angemahnte aktive Basisarbeit, die z. B. die SAV für die Linkspartei betreibt, schnell ein zweischneidiges Schwert. Derzeit steht dies aber im Widerspruch zur Regierungspraxis und zum allgemeinen Auftritt der Partei. Sicherlich ist es richtig, diese Basisarbeit anzugehen und z. B. antirassistische Initiativen aufzubauen, aber auch vorhandene zu unterstützen wie „Jugend gegen Rassismus“, dem die SAV und ‘solid leider entsagten. Das Problem dabei ist, dass gleichzeitig eine andere praktische Politik von den Vorständen und Fraktionen durchgesetzt wird, die Linkspartei gut „etabliert“ ist und genau dies vom rechten Flügel weiter vorangetrieben wird. Wenn in Anbetracht dessen in die „linke Basisarbeit“ abgetaucht wird, ändert sich dadurch leider nicht, wie es die SAV wahrscheinlich taktisch erhofft, das Kräfteverhältnis innerhalb der Partei. So sind die Initiativen, in den Krankenhäusern für mehr Personal zu kämpfen, natürlich eine wichtige gewerkschaftliche Kampagne. Aber wird das z. B. die Berliner Linkspartei und andere Landesregierungen daran hindern, weitere Schritte zur Privatisierung und Rationalisierung im Gesundheitswesen zu unternehmen? Leider nicht, wie am Beispiel Autobahn gesehen. So verkommen AKL und SAV zur Staffage einer „linken“ Regierungspartei. Nach 10 Jahren „oppositioneller“ Arbeit muss die allgemeine Entwicklungsrichtung der Partei bilanziert und eine Konsequenz gezogen werden. In den 10 Jahren hat sich die Linkspartei eben nicht nach „links“ entwickelt, gab es keinen Zustrom kämpferischer Massen, welcher die Kräfteverhältnisse grundlegend ändert oder wenigstens ändern könnte. In und mit dieser Partei ist auch nicht abzusehen, dass irgendeine kämpferische Gruppe diese als Ausgangs- bzw. Kristallisationspunkt ihrer Kämpfe betrachtet. Das bedeutet aber, die eigene „Treue“ zu dieser Partei zu überdenken. Unter den Linken in der Linkspartei ist diese Arbeit in der Realität längst zu einer strategischen Orientierung geworden. Seit 10 Jahren beklagt z. B. die SAV die gleichen ungelösten Probleme, klagt dieselben Zielvorstellungen ein – und die Partei macht doch weiter wie bisher. Ihr „Realo“-Flügel ist den Linken weit voraus. Er hat letztlich eine Vorstellung davon, wie die Linkspartei auf Bundesebene „regierungsfähig“ wird, rekrutiert sich aus den ostdeutschen Verbänden, aber auch den GewerkschafterInnen des Westens, um sich letztlich gemeinsam der SPD anzubiedern. Jemand wie Parteichef Riexinger hat schon als bekannter Gewerkschaftslinker deren Formierung zu einer organisierten, anti-bürokratischen Opposition gebremst, als Linksparteichef agiert er gegenüber SPD und DGB-Spitze ebenso inkonsequent. Die Linken in der Linkspartei hoffen jedoch, dass Riexinger oder andere prominente Linke irgendwie doch auf ihrer Seite wären, ein Sprachrohr oder zumindest verlässliche Verbündete abgeben. Sie tun falsch daran, dass eine dieser Figuren mehr oder weniger „unbewusst“ schon einen antikapitalistischen kämpferischen Kurs fahren wird – das tun weder Riexinger oder gar Wagenknecht! Die Linke in der Linkspartei braucht diese Illusionen freilich dringender als irgendjemand sonst – sie sind unverzichtbarer Bestandteil ihter Hoffnung, dass nach 10 Jahren Entrismus aus der Linkspartei doch noch eine konsequente linke, also sozialistische Partei werde. |
Nr. 220, Juni 2017
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