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Die IG Metall hat abgeschlossen

Ausverkauf statt Streik

Frederik Haber, Infomail 881, 15. Mai 2016

„ Dem überzeugenden Druck der Belegschaften ist es zu verdanken, dass diese Einigung überhaupt möglich war“, sagt Zitzelsberger, der IG Metall-Chef von Baden-Württemberg. Er verweist auf 760.000 MetallerInnen in Warnstreiks bundesweit und davon 222.000 in Baden-Württemberg.

Mögen die Zahlen auch leicht geschönt sein, tatsächlich haben sich Hundertausende für die Forderung nach mehr Lohn eingesetzt. Stimmt also die Geschichte, dass die Unverschämtheit der „Arbeitgeber“, das niedrigste Angebot seit Jahrzehnten vorgelegt zu haben, durch den harten Einsatz der Kolleginnen und Kollegen und dem großen Verhandlungsgeschick der Führung gebrochen wurde?

In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sieht der Politabschluss für 21 Monate (April 2016 – Dezember 2017) folgendes vor. Für April bis Juni 150,- Euro Einmalzahlung, vom 1.7. 2016 bis zum 31.3. 2017 eine Entgelterhöhung um 2,8 Prozent und ab April 2017 noch einmal 2 Prozent. Hinzu kommt, dass sich die Gewerkschaft und die Unternehmer darauf verständig haben, dass der Abschluss „differenziert“ ausfallen kann. Die Bürokratie und die Kapitalisten können vereinbaren, dass die Auszahlung der 150,- Euro um bis zu drei Monate (also bis zum Oktober) verschoben oder ganz gestrichen wird. Auch die Umsetzung der Lohnerhöhung 2017 kann in einzelnen Betrieben „einvernehmlich“ um bis zu drei Monate ausgesetzt werden. All das verkauft die IG Metall als tollen Erfolg.

Man kann die Geschichte auch anders erzählen. Man kann feststellen, dass 2,5 bis  3 % – auf ein Jahr gerechnet – von Anfang an ein Ergebnis war, das dem Kapital nicht weh tut. Der Lohnanteil bei den Produkten liegt in der Metallindustrie bei den wenigsten Betrieben über 20 %, zumindest was den Lohnanteil betrifft, der zu tariflichen Bedingungen bezahlt wird. Die Tariferhöhung bedeutet also meist weniger als 0,5 % Preiserhöhung bzw. kann durch eine Rationalisierung in dieser Höhe abgefangen werden. Der übliche Produktivitätsfortschritt liegt in dieser Branche allerdings deutlich höher.

Weil Unternehmen und IG Metall-Führung dies wissen, wurde von letzterer schon bei der Forderungsfindung alles getan, um die Vorschläge aus den Betrieben, die über 5 % lagen, niederzubügeln. Die Unternehmer halfen die anfangs als zu tief erachtete Forderung von 5 % durch ein Niedrigangebot von 0,9 % zu legitimieren. Am Ende bleibt die Metallindustrie in dem gleichen Korridor, in dem sich alle Tarifabschlüsse bewegen – mit oder ohne Warnstreiks.

Ausverkauf

Damit ist auch schon gesagt, dass dieses Ergebnis kein Erfolg ist. Auch wenn die Erhöhung dank der niedrigen Inflation – falls die so bleibt – ein kleines Plus bringt, wird die Umverteilung zugunsten des Kapitals fortgesetzt. Der Anteil an den von ihnen selbst geschaffenen Werten, den die ArbeiterInnen erhalten, wird noch weiter sinken. Der Produktivitätsfortschritt fließt in den nächsten zwei Jahren überwiegend in die Taschen der Kapitalisten. Sie haben zusätzlich „Kalkulationssicherheit“, nicht nur bezüglich ihrer Profite, sondern auch dahingehend, dass sie die Angriffe auf Arbeitsplätze, Stilllegungen, Entlassungen und Verlagerungen weitgehend ungestört durchziehen können. Die Geschlossenheit der Gewerkschaft, die in einer Tarifbewegung durchaus entsteht, flaut wieder ab. Jede Belegschaft steht wieder für sich allein und meist auf verlorenem Posten.

Die großzügige Differenzierung im Abschluss, die Möglichkeit für die Betriebe, die Einmalzahlung zu streichen und die zweite Runde der Tariferhöhung bis fast ans Ende der Periode zu verschieben, spaltet die Belegschaften zusätzlich. Sie schafft dann im Vorfeld der nächsten Runde noch zusätzlich „differenzierte“ Bedingungen in den Belegschaften, die schon jetzt unterschiedlich genug sind. Es ist auch klar, dass solche Differenzierungen zukünftiger Bestandteil der Tarife sein werden. Um dies zu vereinbaren, wurden die Verhandlungen seitens der IGM extra in Nordrhein-Westfalen zu Ende geführt, da dort die „kleineren“ Unternehmen  ein stärkeres Gewicht haben.

Alles war also so gewollt – von beiden Seiten. Denn der Konkurrenzkampf wird weltweit härter. Die deutsche Metallindustrie verteidigt damit nicht nur ihre Profite, sondern auch die Position Deutschlands als imperialistischer Großmacht. Denn es sind vor allem Maschinenbau und Automobilindustrie, die den gewaltigen Exportüberschuss erzielen, der andere Länder in Schulden und in die Abhängigkeit von Deutschland treibt. Das ist die Arena, in der die deutsche Bourgeoisie auf Augenhöhe mit dem US-Imperialismus und anderen Rivalen agieren kann.

Die IG Metall-Führung steht dabei treu an der Seite des deutschen Exportkapitals immer und überall, egal ob es gegen zu strikte Abgaswerte der EU, die Folgen des VW-Dieselgate, für EU-„Rettungs“-Pakete zugunsten der Banken oder für die Abschaffung des Streikrechts geht.

Dampfablassen – und Deutschland retten

In den Tarifrunden wird dann Klassenkampf gespielt. Nicht nur Massenmobilisierungen, Warnstreiks und nie erfüllte Streikdrohungen, es fallen auch markige Worte über die gierigen Unternehmer und Manager. Aber regelmäßig scheint das wahre Denken der reformistischen Apparatschiks durch. Wir sind „eine Säule der Stabilität für Deutschland“, erklärte der IGM-Sprecher Rodenfels auf der Aktion in Karlsruhe am 21. April und begründete das mit der Kaufkraft fördernden Wirkung der Tariferhöhung. „Willst du Deutschland kaputtmachen?“, fragt ein erster Bevollmächtigter einen Vertrauensmann, der für Streik zur Durchsetzung der Forderung von 5 % eintritt.

Das Ritual ödet vor allem die Vertrauensleute und andere AktivistInnen zunehmend an und immer mehr KollegInnen haben – zu Recht – das Gefühl verarscht zu werden. Was tun? Kein Tarifkampf ist auch keine Alternative.

Im Unterschied zu manch anderen Gewerkschaften gibt es  in der IG Metall die Auffassung, dass durch Kampf etwas zu erreichen ist. Und das ist gut so. Das ist besser, als wenn Gewerkschaften und Belegschaften erst lernen müssen, dass Kampf ein Weg zur Erreichung der eigenen Ziele ist.

Es gab in der Geschichte durchaus gute Belege dafür wie den Kampf um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder die 35 Stunden-Woche. Die heutige Praxis sieht allerdings anders aus. Es gibt kaum noch Beispiele für erfolgreiche Verteidigung von gefährdeten Arbeitsplätzen, die Tarifrunden werden seit Jahren unter den Möglichkeiten abgeschlossen – aber das liegt nicht am Kampf, sondern an denen, die ihn organisieren und kontrollieren.

Linke und kämpferische GewerkschafterInnen müssen also bei allen Aktionen gegen das Kapital mitmachen, auch wenn diese so angelegt sind, dass sie möglichst wenig Schaden anrichten. Aber sie dürfen nicht einfach unkritisch mitmachen, sie müssen eigene Vorschläge für den Kampf vorbringen und die Diktatur des Apparats bekämpfen. Auch wenn es noch sehr schwierig ist, damit heute durchzukommen, nur so können sich die kritischen und kämpferischen KollegInnen sammeln und für eine Gewerkschaft kämpfen, die an der Seite der Belegschaften steht, die alle Teile der Belegschaft vertritt, auch die LeiharbeiterInnen und WerksverträglerInnen, und die nicht die Allianz mit dem deutschen Kapital gegen die Kolleginnen in anderen Ländern sucht, sondern für die Interessen der gesamten Klasse kämpft!

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Nr. 209, Mai 2016
*  Erster Mai: Klassenkampf. Befreiung. Revolution
*  Drohende Entlassungen: Schatten der kommenden Krise
*  VW-Krise: Wer wischt den Schmutz weg?
*  GewerkschafterInnenaufruf: Für eine anti-rassistische Kampagne in den Betrieben
*  Jugend gegen Rassismus: Wie weiter nach dem Aktionstag?
*  Schulstreik: Wie geht's weiter an deiner Schule?
*  China vor 50 Jahren: Die sogenannte "Kulturrevolution"
*  Britannien: Großdemos gegen Tory-Politik
*  Kampf gegen Frauenunterdrückung: Abtreibungsverbot in Polen
*  Brasilien: Wir haben eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg - der Kampf geht weiter!
*  Präsidentschaftswahlen in Österreich: Politisches Erdbeben mit Ansage