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Griechenland

Syriza’s moderates Programm zwischen den Hoffnungen der Massen und dem Druck des Kapitals

Tobi Hansen / KD Tait, Infomail 795, 21. Januar 2015

Die vorgezogenen Neuwahlen am 25. Januar scheinen einen Sieg der Linkspartei SYRIZA zu bringen - und damit ein Ende des Monopols von Austeritätsregierungen in Europa.

Die Aussicht auf eine Regierung, welche die Politik des „Es gibt keine Alternative“ zu weiteren Sozialkürzungen und Privatisierungen unter dem Diktat der EU-Institutionen und des IWF ablehnt, hat die herrschende Klasse in Europa alarmiert - aber auch Hoffnungen bei Millionen ArbeiterInnen geweckt, welche die Auffassung von Syriza teilen, dass Arbeitsplätze, Renten und soziale Sicherungssysteme nicht den Profitinteressen der Banken und Konzerne geopfert werden sollten.

In diesem Kontext wurde die Wahl zwischen der von Nea Demokratia (ND) geführten Koalitionsregierung und Syriza auch zu einem Referendum über die letzten vier Jahre Kürzungspolitik, die nirgendwo rücksichtsloser durchgezogen wurde als in Griechenland.

Der Aufstieg von Syriza hat nicht nur den Konsens bezüglich der Notwendigkeit weiterer Sparprogramme in Frage gestellt. Ob Sieg oder Niederlage - es steht erneut die Frage, wer die Kosten der Krise zahlen soll. Ohne Zweifel wird die Politik einer möglichen Syriza-Regierung auch den Gang des Klassenkampfes in Europa entscheidend beeinflussen.

Krise der Austeritätspolitik

Nach der gescheiterten Wahl des Staatspräsidenten Stavros Dimas (Ex-EU-Kommissar) musste die bestehende ND/Pasok-Regierung für den 25. Januar Neuwahlen ausrufen. Innerhalb der drei Wahlgänge offerierte Premier Samaras potentiellen Unterstützern des Kandidaten Dimas nicht nur den Eintritt in die Koalition inklusive Regierungsposten, es wurde auch ein Schreckensszenario für mögliche Neuwahlen entworfen.

Die Regierung Samaras, die nach den wiederholten Wahlen 2012 zunächst eine Koalition aus der konservativen ND, der „links-bürgerlichen“ Pasok und Dimar (Demokratische Linke) bildete, war die Traumregierung für das griechische Kapital, für die EU und den IWF. Folgsame Befehlsempfänger der Troika und der Märkte, die alle Sparangriffe und Kürzungen durchsetzen, denen kein Angriff zu schmutzig war - und das alles im Namen der „Erholung“ der griechischen Wirtschaft. Als diese Regierung die öffentlichen Medienanstalt ERT geschlossen hatte, verließ Dimar die Regierungskoalition, aber ND und Pasok hielten die knappe Mehrheit aufrecht.

Die organisierte Massenverarmung breiter Teile der griechischen ArbeiterInnenklasse führt heute zu einer starken Migrationsbewegung jüngerer GriechInnen in andere EU-Staaten und zu einer Massenarbeitslosigkeit historischen Ausmaßes. 2,5 Millionen können sich keine Krankenversicherung mehr leisten oder müssen abwägen, ob sie Strom oder Krankenversicherung bezahlen, dies gilt selbst für Haushalte, die noch ein Einkommen haben.

Auf der anderen Seite haben die griechischen Reeder-Familien im Jahr 2013 den Spitzenplatz der Seelogistik von China zurückerobert, haben milliardenschwere Profite eingefahren und weigern sich, den erhöhten Steuersatz von 170 Millionen Euro zu zahlen. Diese Regierung des Kapitals hat wie die Vorgängerregierung unter dem EU-Technokraten Papademos alles getan, um die Krise auf Kosten der Beschäftigten, RentnerInnen, Arbeitslosen und der Jugend zu lösen.

Schon die Aussicht auf die Neuwahlen hatte Brüssel, Berlin, den IWF und die Finanzmärkte alarmiert. Vom Kreditstopp des IWF bis zur Etablierung des Wortes „GREXIT“: das Kapital reagierte harsch auf die Aussicht, dass eine neue Regierung nicht ganz so willfährig sein könnte wie die vorherigen. Besonders die deutsche Regierung ließ durchblicken, dass die EU jetzt vielleicht doch Griechenland aus dem Euroraum rausschmeißen könnte. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese „Drohungen“ von CDU/CSU/SPD tatsächlich etwas am Wahlausgang ändern.

Dementsprechend wird auch die Propaganda geschürt, der Ausbruch einer weiteren tieferen Eurokrise wird an die Wand gemalt, wenn eine Syriza Regierung kommt. Dies paart sich mit allgemeiner Hetze gegen die als „linksradikal“, „linkspopulistisch“ oder gar als „kommunistisch“ bezeichnete Syriza und ihren Spitzenkandidaten Tsipras. Natürlich hat v.a. das griechische Kapital kein Interesse daran, dass eine Regierung vielleicht eine höhere Besteuerung seiner Profite einführt oder auch nur davon spricht, die Löhne und Sozialleistungen wieder zu erhöhen.

Gewonnene oder verlorene Jahre?

Wie keine andere reformistische Partei hat Syriza in den letzten Jahren Masseneinfluss gewonnen und ist zu einer Massenpartei geworden. Dabei sind die Ablehnung der EU-Politik und der letzten beiden Regierungen die Hauptgründe für ihren Erfolg.

2010 und 2012 waren vom Massenwiderstand gegen die Austeritätspolitik geprägt, von einer ganzen Reihe - allerdings immer befristeter - Generalstreiks, von Platzbesetzungen und militanten Zusammenstößen der Jugend mit der Polizei. Die Fähigkeit der herrschenden Klasse, die Kürzungen wirklich durchzusetzen, stand real in Frage. Die damals noch regierende nationalistische Pasok und die ND erklärten, dass die griechischen ArbeiterInnen und Bauern im nationalen Interesse den Gürtel enger schnallen müssten.

Gegen diese Kapitulation vor den Diktaten des Finanzkapitals, forderte Syriza die Streichung der Schulden und die Aufhebung des „Memorandums“ der Troika aus EU, EZB und IWF. Es wurde offen erklärt, dass die EU zwar Griechenland vor dem Staatsbankrott durch Umschuldungen bewahren würde, aber nur, um mit diesen Maßnahmen die Massen dazu zu zwingen, die Schulden mehrfach zurückzuzahlen.

Syrizas vergleichsweise klare Ablehnung der Forderungen der imperialistischen Länder und Institutionen hat ihr die Unterstützung von Millionen ArbeiterInnen gebracht, die mit ihr eine Möglichkeit sahen, die Angriffe zu stoppen und rückgängig zu machen. Innerhalb weniger Monate, von Februar bis Juni 2012, wurde Syriza von einer oppositionellen Minderheitspartei zur wichtigsten Partei der Opposition.

Es ist kein Geheimnis, dass viele in Syriza damals dachten, dass sie auf einen Wahlsieg nicht vorbereitet waren, dass die Führung mehr oder weniger offen hoffte, dass sie nicht in die Verantwortung genommen werden würde. Als die griechische KKE (stalinistische KP) und auch Antarsya (links-zentristisches Bündnis) eine gemeinsame Wahlliste und die Aufforderung von Syriza, eine gemeinsame „linke Regierung“ bilden, ablehnten, trug das dazu bei, dass Samaras die Wahlen gewinnen konnte. Die griechische ArbeiterInnenklasse musste weitere drei Jahre durch ein Tal neoliberaler Angriffe hindurch.

Zugleich sah sich die Führung von Syriza mit der Frage konfrontiert, wie sie ihren Massenrückhalt bewahren und sich auf eine weitere Wahlchance vorbereiten konnte. Der Niedergang des Widerstands der Arbeiterklasse nach 2012 und besonders nach der Besetzung des Fernsehsenders ERT 2013 sowie der enorme Wahlerfolg Syrizas führten zu einer Stärkung der dominanten, reformistischen Führung der Partei. Nachdem sie die Partei als einzig ernsthafte Massenalternative zur Regierung durch ihre „Unnachgiebigkeit“ etabliert hatte, begann die Führung um Tsipras nun, eine „verantwortungsvolle“ Politik, eine „verantwortungsvolles“ Regierungsprogramm zu entwickeln.

Statt die Unterstützung von über einem Viertel der WählerInnen zur Mobilisierung zu nutzen (und dabei auch den politischen hohlen „Linkskurs“ der KKE auf die Probe zu stellen) erklärte Tsipiras Syriza zur „loyalen Opposition“. Die Partei versuchte sich als „respektablen“ Teil des politischen Systems darzustellen, der auch die herrschende Klasse getrost die Regierungsverantwortung anvertrauen könnte.

Die Forderung nach Streichung der Schulden wurde fallengelassen zugunsten der nach einer Neuverhandlung. Tsipras tourte durch Europa und suchte den Kontakt nicht nur zur reformistischen Arbeiterbürokratie, sondern auch zum europäischen Großkapital. Das Problem ist nur, dass dieses Europa der „Bosse“ und insbesondere der deutsche Imperialismus nicht auf Tsipras keynesianisches Modell abfährt, sondern vielmehr negative Nachahmereffekte fürchtet, sollte es irgendwelche Zugeständnisse an die griechischen Massen geben.

Der europäischen Linkspartei und vielen Linken in Europa scheint die Politik von Tsipras durch seine Umfragewerte politisch bestätigt, ja vorbildlich zu sein. In Wirklichkeit war sie das nicht. Die parlamentarische Ausrichtung der Syriza-Opposition hat den griechischen ArbeiterInnen kein einziges Sparprogramm erspart. Die strategische Ausrichtung von Syriza auf eine zukünftige Regierung ging mit einem Niedergang und einer Vernachlässigung der „außerparlamentarischen“ Bühne einher.

Ohne Strategie zur Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf um die Macht, waren die Abgeordneten der Partei - ob sie wollten oder nicht - machtlos angesichts immer neuer Kürzungsdiktate der Troika.

Die ArbeiterInnen, die Jugend und die Arbeitslosen, die jahrlang die Spitze des europäischen Widerstands bildeten, hatten keine Perspektive, wie die Kämpfe zusammenzuführen und zu zentralisieren wären. Die Platzbesetzungen und Stadtteilversammlungen waren oft lokal beschränkt, lehnten es ab, Mehrheitsentscheidungen zu treffen oder gar über ihren eigenen Bereich hinausgehende Koordinierungsstrukturen aufzubauen. Damit konnten sie ihr Potential nicht nutzen.  Zugleich fehlte aber auch eine Partei, die eine klare, revolutionäre Perspektive in diese Bewegung getragen hätte. Es zeigte sich einmal mehr, dass selbst eine sehr radikale, militante Massenbewegung nie ein Ersatz für eine solche Partei sein kann.

Der Widerstand, der Syriza 2012 stark gemacht und fast an die Regierung gebracht hatte, schwand unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit und Verelendung sowie der demoralisierenden Wirkung von über 30 befristeten Generalstreiks, die immer weniger ein Mittel der Sammlung für den Kampf waren, sondern zu einem perspektivlosen Ritual verkamen, das letztlich den Massen nur  ihre Ohnmacht vor Augen führte. Ebenso zeigte sich, dass vereinzelte gewerkschaftliche oder betriebliche Kämpfe keine Perspektive angesichts einer historischen Krise weisen konnten.

Die Massen sehen einen Ausweg - wenn überhaupt - nur in einer allgemeinen politischen Aktion. Nachdem sich die Generalstreiks aufgrund der Politik der Gewerkschaftsführungen und Syrizas, aber auch des Sektierertums der KKE, die mit „eigenen“ Streiks und Demos die Bewegung zusätzlich fragmentierte, als perspektivlos erwiesen hatten, ist für viele die Wahl einer Syriza-Regierung die einzig realistische Option.

Wir können daher einen massiven Zulauf für Syriza erwarten. Die Wahl von Syriza kann trotz eines durch und durch reformistischen Programms neue aktiven Hoffnungen in eine Verbesserung und eine Zunahme des Selbstvertrauens und Selbstbewusstseins der Massen mit sich bringen.

Das ist aber auch eine Möglichkeit, das Erbe der Niederlage der letzten Jahre zu überwinden. Es besteht die Möglichkeit, dass die ArbeiterInnenklasse organisatorisch und politisch die Initiative zurückgewinnen kann - wenn sie nicht passiv auf die „Wohltaten“ einer Syriza-Regierung wartet, sondern deren Wahlversprechen offensiv gegen den Druck des griechischen und europäischen Kapitals einfordert.

Das moderate Programm von Syriza und seine Widersprüche

Die Aussichten für die Syriza-Regierung in Griechenland präsentiert Tsipras. Sie sei, so Tsipras, keine Regierung der Profite, sondern eine Regierung, die das Volk schützen und seine Interessen durchsetzen will.

Dafür hat Syriza im September 2014 ein „Sofortprogramm“ verabschiedet, welches die schrittweise Rücknahme aller Kürzungen der letzten Jahre vorsieht, kostenlosen Strom für diejenigen, die derzeit keinen Anschluss bezahlen können, und ein öffentliches Investitionsprogramm zur Wiederbelebung der Wirtschaft. Dafür sollen alle Mittel, die in die Wiederbelebung der Wirtschaft fließen (inkl. Löhne und Sozialleistungen) aus den Schuldenverhandlungen herausgenommen werden.

Auch ein „gerechtes“ Steuersystem soll eingeführt werden, um die hohen Einkommen und Vermögen des griechischen Kapitals zu besteuern. Für diese Forderungen wird Syriza viel Unterstützung von der ArbeiterInnenklasse bekommen - und diese Unterstützung ist die Grundlage einer Syriza Regierung.

Ein solches Programm ist aber weder antikapitalistisch noch sozialistisch oder revolutionär. Nachdem die Sparprogramme die Wirtschaft in eine jahrelange Rezession gestürzt haben, besinnt Syriza sich nun vielmehr auf keynesianische Rezepte, um den griechischen Kapitalismus wieder flott zu machen. Das Programm ist bewusst so formuliert, dass es die Kreditgeber einerseits beruhigen, andererseits aber auch die ärgsten Nöte von Millionen rasch mildern soll.

Indem Tsipras immer wieder betont, dass er das kapitalistische System selbst nicht in Frage stellen will, hofft er, die Imperialisten in der EU davon zu überzeugen, die Fixierung auf neoliberale Kürzungen durch einen „flexiblere“, keynesianische Politik zu ersetzen.

Die Strategen von Syriza hoffen dabei, reale Konflikte zwischen den Staaten und Kapitalien in der EU auszunutzen. So schielen sie auf jene Teile des europäischen Kapitals, die selbst fürchten, durch die EU-Politik und die Forderungen der deutschen Regierung unter die Räder zu kommen. Sie hoffen dabei auch auf deren politische Wasserträger in der europäischen Sozialdemokratie, die Gewerkschaftsbürokratie, den französischen Präsidenten Hollande usw. Auch der Aufstieg von Parteien wie Podemos gilt der Syriza-Führung als Mittel, das europäische Großkapital zu einer  Kursänderung zu zwingen.

Auch wenn die Konflikte, die Tsipras und seine Berater auszunutzen versuchen, real sind, so ist ihr reformistischer „Realismus“ letztlich auf Sand gebaut. Er kann vielmehr zu einem wirklichen Fallstrick für die griechischen ArbeiterInnen werden. Warum?

Erstens setzt die Strategie von Tsipras nicht nur voraus, dass er „vernünftige“ Kapitalisten findet. Sie erfordert zugleich auch, dass die Arbeiterklasse in Griechenland nicht zu viel fordert, dass sie selbst passiv bleibt, so dass er dann seinen Teil eines möglichen Kompromisses auch erfüllen kann. Statt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, sollen die griechischen Massen auf Verbündete in der EU, ob nun Dragi oder die EZB, Hollande oder sonst jemand warten. So würde aber die Politik der Klassenkampf-Passivität der letzten Jahre fortgesetzt. Natürlich weiß Tsipras, dass eine aktive Arbeiterklasse, die energisch kämpft, weiterführende Forderungen erhebt oder gar den Kapitalismus selbst in Frage stellt, jedes Entgegenkommen des EU-Kapitals sofort beenden würde.

Zweitens kann eine solche Politik der Klassenzusammenarbeit in einer historischen Krisenperiode zu keinem dauerhaften „Kompromiss“ (wie fragwürdig und reaktionär dieser auch sein mag) führen. Angesichts der verschärften globalen Konkurrenz, der Überakkumulation von Kapital ist eine Vernichtung der schwächeren, weniger konkurrenzfähigen Kapitale letztlich unvermeidlich. Der Keynesianismus kann dieses Problem allenfalls aufschieben, aber nicht lösen.

Drittens wird eine Syriza-Regierung daher notwendigerweise als „Vermittler“ zwischen Kapital und Arbeit auftreten müssen. Doch diese „Vermittlung“ gegensätzlicher, einander ausschließender Interessen kann nicht auf Dauer gelingen. Sie wird dazu den bürgerlichen Staatsapparat mit einem Heer von Berufsbeamten verwenden müssen, der eng mit der herrschenden Klasse verbunden ist. Sie wird dazu den polizeilichen Repressionsapparat oder gar die Armee brauchen, sollte die Arbeiterklasse ihre Interessen verteidigen oder auch nur etwas „zu viel fordern“. Andererseits wird die Syriza-Regierung, sollte sie auch nur ihre bescheidenen Reformen ernsthaft anpacken (z.B. die Einführung eines Mindestlohns oder einer Mindestrente), ist eine beinharte Konfrontation mit den griechischen Kapitalisten unvermeidlich. Die Regierung müsste dann nachgeben - oder zur Mobilisierung ihrer AnhängerInnen in den Betrieben und auf der Straße greifen.

Ein solches Programm kann daher keine der beiden Hauptklassen der griechischen Gesellschaft - und schon gar nicht die Imperialisten - auf Dauer zufrieden stellen. Es wird gerade in einer Krisenperiode wie der aktuellen rasch an seine eigenen Widersprüche stoßen.

Es ist daher die Aufgabe von RevolutionärInnen, klar darzulegen, dass die Zuspitzung dieser Widersprüche unvermeidlich ist. Das Programm von Syriza will einerseits die Kapitalisten dazu überreden oder zwingen, auf einen Teil ihres Profits zu verzichten, anderseits verspricht es aber, das System zu erhalten.

Als RevolutionärInnen wollen wir diesen Widerspruch zuspitzen - indem wir die Arbeiterklasse, die heute in ihrer großen Mehrheit Hoffnungen und Illusionen in Syriza hegt, nicht nur helfen, die verhasste ND-Regierung um Samaras zum Teufel zu jagen. Es geht auch darum, den ArbeiterInnen zu helfen, dass eine Syriza-Regierung einen möglichen Wahlsieg nicht einfach auf dem Altar der Klassenzusammenarbeit opfert. Es geht darum, die ArbeiterInnen, welche die Versprechen von Syriza ernst nehmen, zu mobilisieren und Syriza zu zwingen, nicht vor den griechischen Kapitalisten und der Troika zu kapitulieren, sondern seine fortschrittlichen Versprechen umzusetzen.

Das wird die inneren Widersprüche des Syriza-Programms deutlich zu Tage treten lassen. Es ist daher auch ein Mittel, die reformistischen ArbeiterInnen von der Notwendigkeit zu überzeugen, über dieses Programm und die Grenzen des Kapitalismus hinauszugehen.

Dazu ist es notwendig, die Kritik an der Politik und Strategie von Syriza offenzulegen - aber auf eine Art und Weise, die uns nicht von den Massen isoliert, die diese Partei unterstützen. Wir müssen zeigen, dass wir keine Regierung brauchen, die sich auf Reformen im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaft beschränkt.

Eine Arbeiterregierung

Griechenland braucht vielmehr eine Arbeiterregierung, die - ob sie nun über eine parlamentarische Mehrheit verfügt oder nicht - von der mobilisierten Arbeiterklasse kontrolliert und verteidigt wird. In den Kämpfen 2010-12 haben die Lohnabhängigen und die Jugend wiederholt Ansätze solcher Organe, auf die sich eine genuine Arbeiterregierung stützen müsste, geschaffen. Eine Arbeiterregierung, die einen Weg des Übergangs zur sozialistischen Umgestaltung der griechischen Gesellschaft weist, müsste sich auf solche Organe des Kampfes (Räte, Milizen, Kontrollkomitees, Streikkomitees usw.) stützen. Sie müsste die Konterrevolution entwaffnen und den bürgerlichen Staatsapparat zerbrechen. Sie müsste v.a. die ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft bewusst ändern - die großen Unternehmen und Banken entschädigungslos und unter Arbeiterkontrolle enteignen und die Wirtschaft gemäß einem demokratischen Plan reorganisieren. Und sie müsste  ihre Politik bewußt in den Rahmen der gesamteuropäischen Revolution, des Kampfes für Vereinigte sozialistische Staaten von Europa stellen.

Eine Syriza-Regierung wäre zweifellos keine genuine Arbeiterregierung. Aber die Konflikte, denen sie ausgesetzt sein wird, können das Terrain für eine solche vorbreiten. Dazu brauchen RevolutionärInnen jedoch auch eine politische Taktik gegenüber einer solchen Regierung.

Die griechische und europäische Linke kann sich hinsichtlich der Bildung einer solchen Regierung - und erst recht nicht angesichts der Wahlalternative Samaras-Tripras - nicht „neutral“ verhalten. Im Falle einer Syriza-Regierung sind die anderen linken „kommunistischen“ Parteien und Abgeordneten verpflichtet, diese Regierung gegenüber den Angriffen der EU, des griechischen Kapitals und den griechischen Faschisten zu verteidigen. Sie wären auch verpflichtet, die Klasse zu mobilisieren um die Umsetzung der Wahlversprechen von Tsipras zu kontrollieren.

Syriza hat gegenüber der KKE und Antarsya sein Angebot für eine „linke Kandidatur“ erneuert, wie schon 2012. Doch auch 2015 bekam Syriza die gleiche ablenende Antwort. Natürlich sollen KKE und Antarsya nicht unkritisch jedes Regierungsangebot einfach annehmen, wohl wissend, dass sie der elektoralen Dominaz von Syriza wenig entgegen zu setzen haben. Doch die bloße Ablehnung würde nur den Weg zu einer neuen offen-bürgerlichen Austeritätsregierung öffnen.

So kann die hochgradig sektiererische KKE wahrscheinlich bestens begründen, warum Tsipras kein Revolutionär ist. Warum die KKE aber eine Syriza Minderheitsregierung nicht unterstützen sollte,  im Gegensatz zur gemeinsamen Koalitionsregierung mit der ND 1989 und angesichts der Möglichkeiten einer kritischen Unterstützung heute - darauf hat die orthodox-stalinistischen KKE keine vernünftige Antwort.

Hauptpunkt der Ablehnung von Syriza ist deren Stellung zur EU. Das Syriza keinen Austritt aus der EU fordert, ist für die KKE der Beweis für eine weitere Unterwerfung unter den „EU-Imperialismus“. Die KKE strebt den Austritt aus EU und Euro an, nur so sei die Krise zu überwinden. Was dann mit dem griechischen Kapital wird und inwieweit die Wiedereinführung der Drachme die Volkswirtschaft beleben soll, bleibt unbeantwortet - wahrscheinlich beruht diese Taktik auf der Hoffnung auf „fortschrittliche Kreise“ der nicht-monopolistischen griechischen Bourgeoisie.

Anstelle solcher Begründungen bräuchte die revolutionäre Linke eine Taktik, wie sie zusammen mit den linken Strömungen in Syriza eine mögliche Regierung a) unterstützt aber auch b) vor sich hertreibt und die Forderungen der ArbeiterInnen direkt mit der Regierungspraxis zu konfrontieren. Eine solche Taktik müsste einer Minderheitsregierung für die Wahl des Ministerpräsidenten und die versprochenen ersten Maßnahmen die Unterstützung im Parlament und der Straße zusichern, wie auch selbst Forderungen für den Amtsantritt aufstellen.

Gleichzeitig müsste diese Unterstützung im Parlament einhergehen mit einer Mobilisierung der Gewerkschaften (in denen die Linken in Syriza, KKE und Antarsya Einfluss haben) und der  sozialen Bewegungen. Diese Mobilisierung kann zum Aufbau von Aktionskomitees führen, die sich klar gegen jegliche Weiterführung einer ND/Pasok-Regierung aussprechen und klare Forderungen an eine Syriza-Regierung erheben und real mit dem griechischen Kapitalismus brechen wollen. Dann kann der reformistische Charakter von Syriza verdeutlicht werden - und damit auch die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Partei.

Die europäische Perspektive

Die EU, das griechische Kapital und die Medienkonzerne werden nichts unversucht lassen, Syriza bis zum Wahltag scharf zu bekämpfen. Schon nach den Anschlägen gegen Charlie Hebdo war noch-Premier Samaras nicht zu dumm zu behaupten, Syriza würde mit ihrer linken Migrationspolitik genau solchen Attentätern die Staatsbürgerschaft erleichtern.

Auch die neue Parteigründung von Ex-Premier Papandreou „Bewegung“, aus der Pasok heraus und unterstützt von den privaten Medien Griechenlands, schickt sich an, entweder neuer Regierungspartner der ND zu werden oder zumindest das Establishment in einer Syriza-geführten Regierung zu vertreten. Alle warnen davor, dass nur die Idee einer anderen Krisenpolitik schon wieder Krise und Niedergang heraufbeschwören würde. Die Instabilität der EU liegt aber nicht an möglichen reformistischen Regierungsparteien, sondern an der Herrschaft des Kapitals und der konkreten Dominanz des deutschen und französischen Kapitals auf dem EU-Binnenmarkt.

Genau deshalb müssen wir mit massivem Druck auf Syriza und die griechische Bevölkerung  im Falle eines Wahlsieges rechnen. Für die europäische antikapitalistische, revolutionäre Linke und die Gewerkschaften muss es bei der Wahl am 25. Januar um mehr gehen, als Daumen für Tsipras zu drücken. Es geht auch darum, gegen den politischen und wirtschaftlichen Druck des „eigenen“, deutschen Imperialismus, der EU und des IWF auf eine mögliche linke Regierung in Griechenland wie die mediale Hetze gegen „faule GriechInnen“, Widerstand zu leisten.

Es muss darum gehen, den Sparangriffen und Massenverarmungs-Programmen des Kapitals und der EU-Bürokratie etwas entgegen zu setzen: eine kämpferische antikapitalistische Bewegung auf den Straßen Europas. In Italien und Belgien haben sich im November und Dezember Hunderttausende gegen anstehende Kürzungen bei Löhnen und Sozialleistungen mit Generalstreiks gewehrt und bewiesen, dass die europäische ArbeiterInnenklasse weiterhin kampffähig ist.

Wenn in Griechenland die Sparpolitik des Kapitals abgewählt wird und alle Versuche, dies zu verhindern gescheitert sind, dann kann diese Wahl in Griechenland auch ein Startschuss für neue Proteste und Bewegungen gegen die Krise darstellen.

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