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Anmerkungen zu einem Artikel des Lower Class Magazin

Darüber sollten wir wirklich reden

Martin Suchanek, Infomail 794, 16. Januar 2015

Die aktuellen rassistischen Mobilisierungen zeigen deutlich, dass wir eine Debatte in der Linken über die Einschätzung der rechten Bewegung und der notwendigen Kampfmethoden brauchen. Im Dezember veröffentlichte das Lower Class Magazin (LCM) den Artikel „In Schildkrötenformation zum SPD-Stand – Antifa, wir müssen reden!“

Der Artikel wirft zwar einige richtige Fragen auf und spart nicht mit sarkastischen, tw.  treffenden Kommentaren über die Schwäche der autonomen Antifa. Der Text ist auch eine verdeckte politische Kritik an den der Intervention und den Positionen von NaO, GAM und insbesondere von REVOLUTION - auch wenn diese mit keinem Wort direkt erwähnt werden.

Die politische Alternative, die der Text zur „Invasion“ der Antifa in Marzahn anbietet, ist jedoch der Weg in eine Sackgasse, eine Mischung aus Verharmlosung der Rassisten und Faschisten mit einem Wiederaufleben der Sozialfaschismustheorie, eine Kombination von linksradikalen Phrasen, biederem Ökonomismus und einem kompletten Unverständnis für die Notwendigkeit revolutionärer Intervention und von Stadien im Aufbau revolutionärer Gruppierungen.

1.

Schon der Aufmacher zieht eine vernichtende und grundfalsche „Bilanz“ der Demonstration vom Montag, dem 8. Dezember: „Es war die sinnloseste Demonstration seit langem. Das einzig Gute an ihr war, dass sie die Probleme der hauptstädtischen Antifa-Bewegung gebündelt vor Augen führte.“ (LCM)

Nun wissen wir nicht, auf welchen Demonstrationen der Autor war. Sinnlosere linke Demonstrationen gab und gibt es gerade im Berliner Stadtzentrum am laufenden Band. Dass immerhin 500 Leute zur Demonstration kamen - und damit deutlich mehr als vor einer Woche - war ein kleiner Schritt vorwärts.

War es wirklich „die sinnloseste Demo seit langem“, dann war es eigentlich Zeitverschwendung und falsch, überhaupt dorthin zu fahren und dafür zu mobilisieren - noch dazu, wenn die AntifaschistInnen dort für das LCM anscheinend ohnehin nur Staffage für SPD, Grüne und Linkspartei waren. Der Autor ist dann auch folgerichtig gegangen. Freilich nicht, ohne uns danach mit seiner Version der Verharmlosung von Faschisten und Rassisten zu beglücken:

2.

„Wir stehen nun brav im Black-Block-Outfit vor den SPD- und Grünen-Symbolen, immerhin jene Parteien, die mit Sicherheit mehr Schaden für Flüchtlinge (und überhaupt für jeden und jede in diesem Land und vielen anderen) angerichtet haben, als die Marzahner Deppenbürger je in der Lage wären, und geben die Massenbasis für den Bürgerprotest ab, der leider keine eigene Massenbasis mitgebracht hat, die wir im Austausch fürs eigene Bespieltwerden anagitieren hätten können.“ (LCM)

Unbestritten, dass heute SPD und Grüne, wo sie an Regierungen sind, mehr Schaden anrichten für Flüchtlinge und alle möglichen Menschen. Vollkommen falsch ist jedoch die Aussage, dass die „Deppenbürger“ nie dazu in der Lage wären, mehr Schaden anzurichten als SPD und Grüne. Verdichten sich die rechten und rassistischen Mobilisierungen zu einer Massenbewegung, radikalisieren sie sich weiter, so droht die Entstehung einer faschistischen Partei, die vom Bürgerprotest zum Pogrom schreiten mag, die nicht nur gegen Heime demonstriert, sondern sie abfackelt.

Mehr noch: Im Zuge der unvermeidlichen Verschärfung der kapitalistischen Krise und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt in der nächsten Periode, in den nächsten 5-10 Jahren kann aus den „Deppenbürgern“ eine faschistische Massenbewegung werden - eine Bewegung der rabiaten, zu einem Rammbock gegen die MigrantInnen, die Linken, die gesamte Arbeiterbewegung geformten KleinbürgerInnen, Mittelschichten und politisch rückständigen ArbeiterInnen. Unter solchen Verhältnissen kann natürlich auch die Frage einer faschistischen Herrschaftsform aufgeworfen werden.

Das Gerede, dass es nicht schlimmer als unter SPD und Grünen kommen könne, erinnert fatal an die „Sozialfaschimustheorie“ der KPD, an die „Dritte Periode“. Die Resultate sind bekannt.

3. Folgrichtig lehnt der Autor aus dem LCM die Einheitsfronttaktik gegenüber den reformistischen, bürgerlichen Arbeiterparteien SPD und - weniger eindeutig - DIE LINKE ab. Warum? Weil diese ja schon so viele politische Verbrechen begangen haben. Mit diesem Argument hätte natürlich die Einheitsfronttaktik seit dem Verrat der Sozialdemokratie 1914 immer konsequent abgelehnt werden müssen. Wie wir aus historischer Erfahrung wissen, hat diese Weigerung nicht zu einer Schwächung der Sozialdemokratie, sondern zur Konservierung ihres politischen Einflusses über wichtige Schichten der Klasse und zur Schwächung der Einheit gegen den gemeinsamen Gegner geführt.

Wie in der autonomen Szene üblich, werden SPD und Grüne in einen Topf geworfen - ob sich eine bürgerliche Partei auf die Arbeiterklasse stützt oder nicht, ist für die Bestimmung der politischen Taktik offenkundig egal.

Bei aller Liebe zur „sozialen Frage“, zur Stadtteilarbeit: eine Orientierung auf einen proletarischen Antifaschismus, welche die Autoren von LCM ja verbal einfordern, bleibt hohl, wenn sie keine richtige Taktik gegenüber den Massenorganisationen der Arbeiterklasse anzugeben vermag.

Der Autor des Artikels lehnt eine solche jedoch überhaupt ab. Statt SPD und Linkspartei vorzuwerfen, dass sie ihre Mitglieder nicht mobilisiert hatten, waren dem LCM zwei Schirme und Büchertische von sozialdemokratischen Parteien Anlass genug, frustriert nach Hause zu gehen, um sich nicht weiter „vereinnahmen“ zu lassen.

Diesen politisch infantilen Akt rechtfertigt der Autor damit, dass SPD und LINKE ja keine Mobilisierungskraft mehr hätten. Fragt sich nur, warum die SPD dann den Bürgermeister stellt, die LINKE in Marzahn/Hellersdorf ihren mitgliederstärksten Bezirksverband hat usw.

Eine kommunistische Kritik an der SPD und der LINKEN müsste diesen Parteien und den Gewerkschaften vorwerfen, dass sie ihre Mitglieder nicht mobilisieren, dass ihre „Anstrengungen“ einen vollkommen unernsthaften Charakter haben. Was bedeutet das politisch? Dass wir keine Stände von SPD und LINKEN zulassen und getrennte Demos machen? Nein! Es bedeutet, von SPD und LINKEN und v.a. von den Gewerkschaften zu fordern, dass sie ihre Mitglieder mobilisieren. Wenn z.B. Petra Pau auf die Frage, warum nicht mehr Mitglieder von der Marzahner Linkspartei kamen, antwortet, dass diese Angst hätten, gegen die Rechten auf die Straße zu gehen, so sollten wir sagen: „Mobilisiert Eure Mitglieder in der ganzen Stadt, um Eure Mitglieder in Marzahn zu unterstützen und ihnen Mut zu machen.“

Die Frage der Einheitsfront ist v.a. eine Frage der Taktik gegenüber den proletarischen Massenorganisationen, Gewerkschaften und reformistischen Arbeiterparteien, deren Basis und Führungen. Wenn wir also von „Verankerung“ in Marzahn sprechen, geht es zuerst um die Frage, wie wir die AnhängerInnen, Mitglieder und WählerInnen von Linkspartei und SPD mobilisieren können.

Anders das LCM. Wenn es um die „Bevölkerung“ in Marzahn geht, hat es (in dieser Hinsicht ganz ähnlich der ansonsten verhassten „anti-deutschen“ autonomen Antifa) v.a. die vom Rassismus der Heimgegner geprägten Schichten im Auge, denen gegenüber die Antifa nicht als „Invasoren“ erscheinen dürfte. Statt das Hauptaugenmerk darauf zu legen, wie die reformistischen ArbeiterInnen, anti-rassistische Jugendliche, die MigrantInnen im Bezirk für ein anti-rassistisches und anti-faschistisches Bündnis gewonnen werden können, gilt das Augenmerk „den“ MarzahnerInnen, die sich von den rassistischen Demos angezogen fühlen und mit Nazis zu marschieren bereit sind. Dieser ist offenkundig der vorgestellte Dialogpartner, den es zu überzeugen gilt, will man sich im Stadtteil verankern:

4. „Es braucht eigene Parolen, weil wir es mit einer spezifischen Situation zu tun haben. Welche das sind? Nun, zum Beispiel ‚Nein zum Heim!’ Natürlich ergänzt durch ‚Privatwohnungen für Refugees jetzt’. Es ist nicht unsere Aufgabe für den Heimbau zu demonstrieren, das sollen die Bürgerparteien, die sich diese Dummheiten ausdenken, mal schön selber tun. ‚Nein zum Heim!’ war immer eine linke Forderung, es gibt keinen Grund sie sich wegnehmen zu lassen. Flüchtlinge leben nicht gern in Lagern, so wie kein Mensch gerne in Lagern lebt. Das ist ein vermittelbarer Inhalt, und es zwingt die AnwohnerInnen Farbe zu bekennen: Seid ihr gegen das Heim, gut, dann setzt das doch gemeinsam mit den Refugees durch (und lernt ganz nebenbei, dass eure Ängste nicht begründet sind). Seid ihr auch gegen Privatwohnungen, na dann ging´s euch wohl von Anfang an nicht um eure vorgeschobenen Gründe.“ (LCM)

Die Nazis und Rassisten demonstrieren bekanntlich gegen das Heim. Und sie tun das, weil sie in Marzahn und allen anderen Stadtteilen, wo sie demonstrieren, keine Flüchtlinge wollen - ob nun im Heim oder in der „Privatwohnung“. Dazu braucht es nicht erst den Beleg, dass die Rechten natürlich auch in Städten gegen Flüchtlinge zu Felde ziehen, wo es eine Unterbringung in Wohnungen gibt.

Das weiß wirklich jede(r), auch alle „Deppenbürger“. Schließlich geht es den rassistischen Demos nicht um die Unterbringungsform (da würden diese wohl eher noch das Heim statt Flüchtlinge in „ihrem“ Wohnblock vorziehen), sondern darum, dass es keine „AusländerInnen“, keine „Überfremdung“ usw. in „ihrem“ Bezirk und am besten in ganz Deutschland gibt. Nur das LCM tut so, als wüsste es das nicht. Mit der Losung „Weg mit dem Heim!“ soll der Marzahner Wutbürger noch einmal auf die Probe gestellt und gezwungen werden, Farbe zu bekennen - wo er doch längst schon Farbe bekannt hat.

Das LCM begründet diese Position zusätzlich damit, dass „Weg mit dem Heim!“ immer eine linke Forderung gewesen sei. Das ist Nonsens. Ob diese Forderung links oder rechts ist, hängt vom Kontext ab, in dem sie erhoben wird. Die Rechten klauen hier keine Forderung. Sie drücken in „Weg mit dem Heim!“ einfach „Weg mit MigrantInnen!“ aus.

Da hilft auch der Zusatz „Privatwohnungen für alle jetzt!“ nichts. Es ändert nichts daran, dass das LCM die Losung „Weg mit dem Heim!“ unzulässig mit einer Anbiederung an die Rechten verbindet (und in dieser Hinsicht trotz einzelner richtiger Kritiken an den autonomen Antifas, den Anti-Deutschen, an SPD und Grünen letztlich selbst eine rechte Alternative zu den Bürgerbündnissen entwirft).

Natürlich treten wir auch dafür ein, dass das Lager-/Heimsystem abgeschafft wird. Daher kämpfen wir für ein Programm zur Lösung der Wohnungsfrage und ein Programm öffentlicher Arbeiten, um die Konkurrenz zwischen MigrantInnen und „einheimischen“ ArbeiterInnen einzuschränken.

Was aber, wenn wir das nicht durchsetzen können? Was, wenn Heime oder der Bau eines Heims von rechts angegriffen werden? Angenommen, es kommt dann zu einer Abstimmung in der BVV Hellersdorf/Marzahn. Nazis oder Rassisten würden dort den Antrag „Nein zum Heim!“ einbringen, die CDU stimmt dem zu, SPD, LINKE und Grüne wollen mit Nein Stimmen. Angenommen, es käme auf die Stimme von KommunistInnen an, ob der Antrag durchgeht oder nicht. Wie stimmen wir ab? Die Frage zu stellen, heißt sie zu beantworten. Wir stimmen in dieser Situation natürlich mit „Nein“, lehnen die „linke“ Losung ab. Genau solchen Fragen weicht das LCM konsequent aus.

Während es sich unversöhnlich gegenüber der Sozialdemokratie und den Grünen gibt, ist es opportunistisch gegenüber rassistisch inspirierten „AnwohnerInnen“.

Dies ist dieselbe reaktionäre Position, die auch in Teilen der radikalen Linken weit verbreitet ist. Die empörten AnwohnerInnen wären immerhin „ehrlicher“ als die Sozialdemokraten und andere, die ihre Unterstützung rassistischer Politik hinter Gutmenschtum verbergen würden. Die AnwohnerInnen lassen da gleich ohne Wenn und Aber ihren Frust raus. Zudem würden sie mit Wut auch gleich ihren Hass auf das ganze verlogene sozialpartnerschaftliche System zum Ausdruck bringen.

Ganz ähnlich hatte schon die KPD in der „Dritten Periode“ den „Sozialfaschismus“ als besonders gefährlichen Faschismus „entlarvt“, weil er in verhüllter, „unehrlicher“ Form auftrete. Daher sorgt sich das LCM in seinem Fazit auch v.a. darum, dass wir mit SPD und Grünen marschieren.

5.

Dem ultralinken Kurs der KPD lag die Theorie von der „Faschisierung“ der Weimarer Republik zugrunde. Die Präsidialkabinette Brünings, von Papens und Schleichers waren in ihren Augen faschistisch, die Sozialdemokratie verkörperte den linken Flügel des Faschismus: was konnte am Hitlerschen Nationalfaschismus noch Schlimmeres haften, der KPD noch Ärgeres drohen?

Mit der „Programm-Erklärung zur nationalen und soziale Befreiung des deutschen Volkes“ vom 24. August1930 setzte die KPD dieser Politik die Krone auf. Diese Linie, der „Scheringer-Kurs“, suchte den Schulterschluss mit den völkischen Elementen im Kampf gegen den Young-Plan und das „Diktat von Versailles“. Während der Ruhrbesetzung durch französisch-belgische Truppen im 1. Halbjahr 1923 verfolgten KPD und Komintern aus der Einschätzung heraus, Deutschland sei durch die  Kriegsniederlage auf den Status einer Halbkolonie zurückgeworfen, eine ähnliche Politik (Schlageter-Kurs). Im Unterschied zu 1930 blieb es aber bei einer Episode mit nicht annähernd solch verheerenden Folgen. Es gab eine offene Diskussion in der Parteipresse, außerdem eine Einheitsfrontpolitik gegenüber der SPD statt ihrer Denunziation als sozialfaschistisch. Die kommunistischen Abgeordneten stimmten gegen den Antrag der Reichsregierung zum „passiven Widerstand“. Das Bündnis mit der französischen Arbeiterklasse wurde bekräftigt. Das strategische Ziel im Kampf gegen die Zerrüttung der europäischen Wirtschaft durch die Kriegsfolgen gipfelte in der Losung „Für die Vereinigten sozialistischen Republiken Europas“ statt in der chauvinistischen Parole vom Revanchekrieg gegen die Westmächte. Im Reich kämpfte die KPD gegen die Reparationsfolge mit den Losungen: „Die Bourgeoisie muss für ihren Krieg zahlen! Erfassung der Sachwerte in Gold!“ Natürlich wurde das Diktat der siegreichen Alliierten auch in Deutschland verurteilt, aber der Schulterschluss mit der eigenen herrschenden Klasse genauso. Das Unvermögen der KommunistInnen, die sich bietenden Gelegenheiten des Jahres 1923 für eine erfolgreiche Arbeiterrevolution auszunutzen, war nur zu einem verschwindend geringen Teil der „nationalbolschewistischen“ Schlageter-Linie anzulasten.

1930 knüpfte die KPD an diese ideologische Anpassung an nationalistische Kreise an – aber in einem weit umfassenderen und auch verheerenderen Sinn. Das führte zum sog. „Scheringer-Kurs“. Für die KPD und die Komintern handelte es sich darum, im Interesse der Sowjetunion die starre Front zwischen „Sozialfaschismus“ und nationalem Faschismus im imperialistischen Lager „aufzuweichen“. Das Fazit dieser Politik: Einzelgewinnen aus dem rechtsnationalistischen Lager - unter ihnen Leutnant a.D. Scheringer - standen zahlreiche Abgänge ins Lager der Faschisten gegenüber; nicht das imperialistische Lager und seine politischen Werkzeuge wurden „aufgeweicht“, sondern die dringend notwendige antifaschistische Arbeitereinheitsfront wurde verhindert, die kommunistischen - und sozialdemokratischen - Parteimitglieder hochgradig verwirrt, irregeführt und gelähmt.

Höhepunkte dieser „Einheitsfront“ - mit den Faschisten gegen die „Sozialfaschisten“ der SPD (!) - waren die Teilnahme am vom „Stahlhelm“ inszenierten Volksentscheid im Sommer 1931 gegen die sozialdemokratisch geführte Regierung Braun/Severing in Preußen („Roter Volksentscheid“) und gemeinsame Agitation und Propaganda mit den Betriebszellen der NSDAP (NSBO) während des Streiks bei den Berliner Verkehrsbetreiben im November/Dezember 1932.

Die Abrechnung mit der NSDAP erfolgte auch nicht nach dem Sieg einer „national-sozialistischen Volksrevolution“ unter Führung der KPD, sondern umgekehrt: in den Folterkellern und Konzentrationslagern des NS-Regimes ab dem 1. März 1933! Die weiteren Katastrophen sind bekannt, hoffentlich auch dem LCM.

6.

„Mit Grünen und SPD zum Sieg?

Selten war zudem offenkundiger, wer sich vor wessen Karren spannen lässt, denn heute. Wie die Schafe laufen wir in die SPD/Grüne/Linke-Kundgebung ein, kritische Parolen gibt es keine, ganz als ob hier unsere engsten FreundInnen und BündnispartnerInnen stünden. Man muss sicher die Linke nochmal von den beiden anderen Parteien unterscheiden, aber SPD und Grüne? (...)

Ach, man könnte ewig weitermachen. Es gibt zur Frage der Bündnispolitik vieles zu sagen. Hätten SPD, Grüne und die Linke ihre ‚Basis’ mobilisiert (sofern die das überhaupt noch können, was ich stark bezweifle), dann müssten wir diskutieren, ob uns das nicht auch was bringt, weil wir da unsere politischen Inhalte in diese ‚Basis’ hineintragen könnten. Aber die drei haben gar nichts mobilisiert, außer Parteiregenschirme und RednerInnen, um uns zu beschallen, als wüssten wir nicht besser als die selber, warum wir hier sind. Dazu kommt: Wir machen uns unglaubwürdig. Wir präsentieren uns als Anhängsel dieser ‚Großparteien’, denen eigentlich ein Hauptstück unserer Kritik gelten sollte.“ (LCM)

Hätten SPD und Grüne ihre Basis mobilisiert, dann hätten wir eventuell doch anwesend sein können. Die ganze taktische Weisheit läuft hier auf Folgendes hinaus: Wenn die Reformisten (oder eine „linkere“ offen bürgerliche Partei wie die Grünen) Massen mobilisieren, gehen wir hin. Mobilisieren die Reformisten nicht, verweigern sie sich, so verzichten auch wir auf die Anwendung der Einheitsfronttaktik - die Aufforderung zur gemeinsamen Aktion.

Das heißt, wir verzichten in Wirklichkeit immer. Die Taktik wird auf diese Art nämlich überhaupt nicht als Mittel verwendet, die reformistischen Führungen unter Druck zu setzen und einen Keil zwischen deren Basis und die Führung zu treiben.

Nebenbei bemerkt, beißt sich diese Aussage mit der eigenen Einschätzung. Wenn „jene Parteien, die mit Sicherheit mehr Schaden für Flüchtlinge (und überhaupt für jeden und jede in diesem Land und vielen anderen) angerichtet haben, als die Marzahner Deppenbürger je in der Lage wären“ - SPD und GRÜNE nämlich (die LINKE wird aus nicht erläuterten Gründen aus dieser Reihe ausgeschlossen) - das Hauptübel wären, dann müsste der Artikelverfasser doch über deren Mobilisierungsschwäche eigentlich erleichtert sein. Dann muss aber auch nicht ihre Basis, sondern können nur „die Marzahner Deppenbürger“ erste Ansprechadresse sein, womit wir wieder bei der Parodie auf den Schlageter- und Scheringer-Kurs wären.

Ob wir ein „Anhängsel“ von Großparteien sind oder nicht, hängt nicht von den Proportionen zwischen RevolutionärInnen und ReformistInnen ab, sondern davon, ob RevolutionärInnen ihre Politik offen vertreten und die dazu nötigen Mittel verwenden.

Die „autonome“ Antifa samt der AnhängerInnen vom LCM hat nichts dergleichen getan. Es gab keine Flugblätter, keine Aufforderungen an SPD/LINKE zur Mobilisierung und keine Kritik. Es ist aber bemerkenswert, dass sich LCM in dieser Hinsicht auch vom „Rest“ der Autonomen nicht unterschied - außer durch das zweifelhafte Verdienst, früher abgehauen zu sein.

Im Gegensatz dazu hatte REVOLUTION eigene Fahnen, einen eigenen Block, das NaO ein eigenes Flugblatt. Wir hatten eine eigenständige Intervention, die uns nicht nur von SPD, LINKEN, Grünen unterschied, sondern auch von ALLEN Strömungen der autonomen Linken. Anzumerken ist, dass DIE LINKE und das Marzahner Bündnis auch eigene Flugblätter hatten. Die Helden vom LCM hatten nicht einmal das.

Solcherart ist eine eigenständige Intervention natürlich immer schwer möglich, ob die SPD nun mit 7 oder 7.000 Mitgliedern anwesend ist.

Es ist aber bezeichnend für das LCM, dass es auf unsere Intervention, auf unsere Inhalte erst gar nicht einging - weil das nämlich eine praktische Kritik und Widerlegung ihrer  Politik aus Sektierertum und Opportunismus ist.

7.

Der LCM-Artikel vertritt eine Alternative zur Politik der Antifa, aber auch zur Taktik der Einheitsfront: „Stadtteilarbeit statt Demotourismus“

„Kurz: Wenn wir wollen, dass Marzahn, Hellersdorf, Buch und so weiter Orte werden, die – auch für Flüchtlinge – eine lebenswertere Umgebung darstellen, als das jetzt der Fall ist, können wir nicht einfach immer wenn´s brennt von außen dahin fahren und den Leuten erklären, wie sie sich verhalten sollen. Wir müssen während der ‚Friedenszeiten’ dort handlungsfähig werden, soziale Beziehungen aufbauen, Menschen dabei unterstützen, sich selbst zu organisieren.“ (LCM)

Hier wird grundsätzlich darauf verzichtet, die ArbeiterInnen in den Bezirken für eine revolutionäre Arbeiterpolitik (und einen proletarischen Antifaschismus) zu gewinnen, sie davon zu überzeugen (was seinerseits natürlich die Notwendigkeit der Einheitsfronttaktik gegenüber SPD/Linkspartei/Gewerkschaften) einschließt.

Statt dessen wird das Ganze als „Verankerungsproblem“, als Umsiedlungsprojekt dargestellt, wo wir soziale Beziehungen aufbauen und Menschen unterstützen müssen. Darüber hinaus gehende politische Inhalte, Losungen, Vorschläge, Programme gibt es nicht (sieht man von der fragwürdigen Darlegung zu „Weg mit dem Heim!“) ab. Anscheinend erwächst in der Vorstellung des LCM aus der „Verankerung“ dann schon das Richtige, so wie die Ökonomisten in der russischen Sozialdemokratie aus den betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen spontan das revolutionäre Bewusstsein erwachsen sahen.

8.

Diese politische Vorstellung ist eng mit zwei anderen Gedanken gepaart.

a) Trotz heftiger Kritik an der „Antifa“ wird im ganzen Artikel umstandslos ein „Wir“, eine „revolutionäre“ Einheit der „radikalen Linken“ aller möglichen Spektren unterstellt, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Dass „Wir“ gemeinsam Stadtteilarbeit machen könnten, ist eine irreale Vorstellung, weil „Wir“ eben kein einheitliches Konzept „der“ Stadtteilarbeit haben und wegen der ideologischen Differenzen in der „radikalen“ Linken auch nicht haben können. So macht ja schon jetzt die anti-deutsche Antifa in Hellersdorf „Stadtteilarbeit“, ist dort ein Stück weit „verankert“. Sie ist aber verankert für ein falsches politisches Konzept. Würden wir dort auch Stadtteilarbeit machen, würden wir uns zu ihr wie zu jeder anderen konkurrierenden linken Gruppierung oder Organisation der Arbeiterbewegung verhalten. Eine „einheitliche“, gemeinsame Arbeit kann es ebenso wenig geben, wie es sie jetzt in Bezirken wie Kreuzberg oder Friedrichshain gibt.

Würden die autonomen Gruppen dem Vorschlag des LCM folgen und „Stadtteilarbeit“ in Marzahn o.a. Bezirken machen, so würden sie dort nur dieselbe falsche Politik reproduzieren, die sie schon heute in Kreuzberg, Friedrichshain, Hamburg oder Frankfurt/M. machen. Das Problem einer falschen Politik des autonomen Radikalismus, der autonomen Antifa wäre damit überhaupt nicht angesprochen, es würde nur (räumlich) verlagert werden. Das LCM unterstellt aber eine mehr oder weniger einheitliche „autonome“ Familie, die nur verpflanzt werden müsste. Sie bietet eine Lösung an, die letztlich im Rahmen der Politik der krisengeschüttelten (post)autonomen Szene bleibt, statt mit ihr zu brechen.

b) Der entscheidende Grund hierfür ist der Verzicht auf ein politisches Programm und auf prinzipienfeste Taktiken. Das trifft nicht nur für die Einheitsfront zu.

Es trifft auch darauf zu, dass überhaupt kein Verständnis vorhanden ist für die Möglichkeiten und die zentralen Aufgaben, die sich für eine Gruppierung in einem bestimmten Stadium des Parteiaufbaus ergeben. Heute sind praktisch alle Gruppierungen der „radikalen Linken“, ob sie das wollen oder nicht, Propagandagruppen. Sie können sich nur in Ausnahmefällen an „die Masse“ wenden, sondern sprechen in der Regel nur die politisch bewusstesten Teile der Klasse und die fortschrittlichsten Schichten der Intelligenz an.

Das heißt, dass ihre Politik v.a. den Charakter der Propaganda annimmt, von „vielen Argumenten für Wenige“. „Verankerung“ - sei es in einem Betrieb, in einer Gewerkschaft, im Stadtteil, an einer Uni oder Schule - ist daher notwendig sehr begrenzt und kann nur durch das Wachstum der Gruppe bzw. Fusionen, Umgruppierungen, die zu einer größeren revolutionären Organisation (und letztlich zu einer Partei) führen, überwunden werden.

Die Verankerung im Stadtteil kann ein Mittel sein, eine Gruppe auf lokaler Ebene voranzubringen - sie ist aber sicher nicht der Königsweg im Parteiaufbau. So werden Fragen der Umgruppierung oder die Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit einen weitaus größeren Stellenwert beim Aufbau einer revolutionären Organisation einnehmen.

In jedem Fall aber wird auch die Stadtteilarbeit nicht ohne politische Taktik gegenüber anderen, nicht-revolutionären Parteien und Kräften auskommen. Zudem wird für ihren revolutionären Charakter nicht einfach die „Verankerung“ ausschlaggebend sein, sondern das politische Programm.

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