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Linke Debatte

Die neurechten “Montagsdemos”

Georg Ismael/Martin Suchanek, Infomail 750, 13. Mai 2014

Unter dem Titel „Die Rebellion gegen die EU ist gerechtfertigt“ haben Fabio Montale und Michael Prütz einen Diskussionsbeitrag auf der NaO-Website veröffentlicht. Im Text geht es allerdings weniger um die EU oder die ohnehin von kaum einem „radikalen Linken“ in Frage gestellte Berechtigung der Rebellion gegen ebendiese.

Vielmehr wird er eine politische Verortung der neu-rechten „Montagsdemos“, wie sie von Elsässer und Co. seit einigen Wochen betrieben werden, zur Diskussion gestellt.

Das grundlegende Problem, das wir mit dem Text haben, ist, dass das Entstehen dieser Demos praktisch nur unter dem Gesichtspunkt eines Versagen, das „Elends“ der „antagonistischen Linken“ gesehen wird. Das greift jedoch viel zu kurz.

Die beiden Autoren gehen davon aus, dass es einen tieferen Riss zwischen den Massen und den politischen Eliten gibt. Demgegenüber würde „einem Großteil derantagonistischen Linken in Deutschland (...) nichts besseres“ einfallen, „als sich von einem Teil des daraus hervorgehenden Politisierungsprozesses, also den Montagsdemonstrationen, zu distanzieren. Diese seien obskur, ja deutlich rechts.“

An der „antagonistischen Linken“ (womit wahrscheinlich alle, die gegen Kapitalismus und für Revolution sind, gemeint sein sollen) gibt es zweifellos viel zu kritisieren. Dass die Montagsdemos obskur und deutlich rechts sind, gehört aber nicht dazu.

Eine Abgrenzung von diesen Montagsdemos ist zwar noch kein politisches Konzept - unerlässlich ist sie unserer Meinung nach allemal. Insbesondere und gerade wenn man darin erfolgreich sein will, eine revolutionäre und von Lohnabhängigen getragene Bewegung gegen den Krieg und die imperialistischen Ambitionen Deutschlands in der EU aufzubauen.

Wir gehen davon aus, dass wir die beiden Genossen darin übereinstimmen und auch ihr Text legt nahe, dass es unbedingt notwendig ist, sich von den Montagsdemos abzugrenzen und diese politisch zu bekämpfen. Das einzieht jedoch der Schelte der „antagonistischen Linken“ den Boden. Daher wenden sich die beiden Genossen gegen die Gleichsetzung einer Kritik an den FührerInnen der Montagsdemos mit dem Abstempeln sämtlicher TeilnehmerInnen als rechts und obskur. Die Gleichsetzung hat aber der „Großteil der antagonistischen Linken“ erst gar nicht vorgenommen. Vielmehr geht eine solche Fragestellung am wesentlichen vorbei, wie nämlich diese Montagsdemos in ihrer Gesamtheit einzuschätzen sind.

Class matters

Der Fehler der Genossen besteht darin, nicht auf den Charakter dieser Demonstrationen einzugehen, so wie es die Berliner NAO korrekter Weise beispielsweise in Bezug auf die Maidanbewegung tat. Sie unterlassen es zu fragen, was sich eigentlich in der Mischung aus Wut, EU-Kritik, Ruf nach Frieden und rechten Schlagseiten ausdrückt.

Die Mischung aus „Richtigem“ (Ablehnung der Schuldzuschreibung für die Krise in der Ukraine an Russland, Entsetzen über größer werdende soziale Differenzen, ...) und deren ideologische Verbindung zu Verschwörungstheorien und Beschwörung der Natur wird hier nicht als Gesamtheit begriffen, die einen bestimmten Klassenstandpunkt ausdrückt – und zwar nicht nur den der „FührerInnen“ der Montagsdemos, sondern auch den der Demos selbst.

Die neu-rechten Montagsdemos unterscheiden sich grundlegend von den Montagsdemos gegen Hartz-IV und gewerkschaftlichen Kämpfen, auch wenn das Bewusstsein der Mehrheit auch in diesen Auseinandersetzungen in letzter Instanz bürgerlich geprägt ist. Damit meinen wir, dass es sich „spontan“ im Rahmen des Lohnarbeitsverhältnisses bewegt. Aber selbst der biederste gewerkschaftliche Kampf kann nicht umhin, sich am Lohnarbeitsverhältnis abzuarbeiten, für eine Verbesserung der Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft einzutreten.

Natürlich versuchten bei den Protesten gegen Hartz-IV auch Rechte anzuknüpfen. Es war unter Linken bei den Montagsdemos gegen die Hartz-Gesetze Konsens, faschistische und rechte Kräfte aus der Bewegung zu verbannen, zu bekämpfen. Auch die DGB-Gewerkschaften vertreten eine solche Politik.

Während die Montagsdemos gegen die Hartz-Gesetze eine proletarische Massenbewegung - weitgehend natürlich von Erwerbslosen - waren, so artikuliert sich in den neu-rechten Montagsdemos der Standpunkt der Mittelschichten der Gesellschaft. Das heißt keineswegs, dass alle KleinbürgerInnen, AkademikerInnen oder Staatsbeamte wären. Vielfach hoffen sie allenfalls auf eine solche Zukunft, sind sie doch als „relativ“ besser Gestellte vom sozialen Abstieg bedroht. Aber ihre Kritik (und damit auch ihre Welterklärung und Therapie) geht von diesem Standpunkt aus.

Die Missstände werden angeprangert, um dann auf eine vermeintlich bessere bürgerliche Gesellschaft ohne FED und EU zu hoffen oder gar der „Rückkehr zur Natur“ das Wort zu reden. Diese Kritik an der Gesellschaft und ihre Lösungsmittel sind rückwärtsgewandt, sind reaktionär (und zwar selbst dann, wenn sich kein einziger Nazi oder Querfrontler auf den Demos tummeln würde). Auch wenn die Montagsdemos Symptome benennen wie den Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts, so unterscheiden sich deren Lösung und eine revolutionäre Antwort grundlegend.

Für MarxistInnen ist der Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts in einer grundlegenden Krise des Kapitalismus unvermeidlich. Er kann nur auf zwei Arten wiederhergestellt werden: Entweder durch historische Niederlagen der Lohnabhängigen, durch eine Neuzusammensetzung der Klasse, eine Neubestimmung des Kräfteverhältnisses und der darauf aufbauenden politischen Ordnung oder nur durch eine neue, sozialistische Gesellschaftsordnung, also eine sozialistische Revolution.

Die neu-rechten Montagsdemos hingegen versprechen einen utopischen „dritten Weg“, ein Zurück zu einen imaginären Zustand gesellschaftlicher oder gar natürlicher Harmonie.

Dass sich solche „Bewegungen“ in Zeiten der Krise, des tiefer werdenden Risses der Gesellschaft vermehrt und auch keineswegs nur in Deutschland immer wieder bilden, zeigt, dass die Krise nicht nur die Lohnabhängigen trifft, sondern auch das Kleinbürgertum und die Mittelschichten, ja selbst Teile des weniger konkurrenzfähigen Kapitals. In Deutschland kommt noch hinzu, dass sich in den Jahren seit der Rezession v.a. das Exportkapital auf Kosten anderer Kapitalgruppen und der Konkurrenz stärken konnte und damit auch große Teile der gewerkschaftliche organisierten, relativ privilegierten Schichten der Arbeiterklasse wieder ein Stück weit in das betrieblich-gewerkschaftlich regulierte System der Klassenzusammenarbeit integriert werden konnten. Auf politischer Ebene entspricht dem die Große Koalition.

Das macht die Sache mit den Montagsdemos natürlich nicht besser (oder schlechter). Es erklärt aber, dass es für die „antagonistische Linke“ objektiv schwerer ist, in dieser Lage an die Kernschichten der Arbeiterklasse heranzukommen. Eine solche Lage begünstigt auch unabhängig von den politischen Schwächen der „radikalen Linken“ die Entstehung von diffusen, rückwärtsgewandten „Oppositionsbewegungen“ und Parteien, die teilweise etwas linker sind (Piratenpartei), teilweise eindeutig rechter (AfD). Sie speisen sich jedoch aus einem ähnlichen Unbehagen an der bürgerlichen Gesellschaft, die als solche jedoch nicht in Frage gestellt, sondern nur deren vermeintlich idyllische Vergangenheit beschworen wird.

Eine marxistische, revolutionäre Linke muss sich von der Illusion hüten, dass bei den Montagsdemos einfach nur „Verwirrte“ rumliefen, die sich rein zufällig von rückwärtsgewandten Vorstellungen anziehen lassen und ebenso leicht auch für eine klassenkämpferische oder revolutionäre Idee zu begeistern wären. Sicher kann und muss ein Teil von den „Montagsdemos“ weggebrochen werden - das geht aber nur durch eine Kombination aus politischer Kritik und Abgrenzung einerseits und dem Aufbau einer politischen klaren und aktionsfähigen revolutionären Linken andererseits.

Die Neue antikapitalistische Organisation hat in Berlin dazu erste Schritte unternommen. Noch in diesen Mittwoch soll in Berlin ein linkes Antikriegsbündnis gegründet werden, dass sich auf andere Städte ausdehnen sollte. Potential für AnhängerInnen und Aktive gibt es genug. Doch sollte dies nicht bei den neurechten Demonstrationen gesucht werden, sondern vielmehr bei den Kämpfen für die Rechte der Flüchtlinge, die tausende Jugendliche mobilisierte, den Initiativen gegen Krise und für internationale Solidarität, bei den mehr als 30.000 Menschen, die sich allein in Berlin an den Demonstrationen von DGB und revolutionärem Ersten Mai beteiligten, den sozialen Bewegungen und den Kämpfen der Lohnabhängigen in Deutschland. Dass die radikale Linke es bisher nicht vermochte, diese Kämpfe in Deutschland und europaweit unter einer kämpferischen Perspektive zu koordinieren, ist sicherlich kritisierenswert, hat aber nichts mit der korrekten Ablehnung der jetzigen Montagsdemonstrationen zu tun.

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