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Solidarität mit den ArbeiterInnen der Ukraine!

Für die Selbstverteidigung gegen die Kiewer Regierung und ihre faschistischen Verbündeten

Internationales Sekretariat der Liga für die fünfte Internationale, 27. Februar 2014, Infomail 732, 2. März 2014

Die ukrainische Arbeiterklasse hat keinen Grund, den Sturz des korrupten Viktor Janukowitsch oder seiner Minister und Polizeichefs zu bedauern. Seine brutale Repression am 30. November gegen die  friedliche Besetzung des Unabhängigkeitsplatzes mittels der Spezialeinheit Berkut führte zu einer Bewegung, die ihn schließlich stürzte. Am 20./21. Februar schossen dann Polizeiheckenschützen wahllos  auf die Euromaidan-Kräfte und töten mehr als hundert Menschen. Dies machte Janukowitschs Untergang unvermeidlich und mehr als verdient.

Aber Janukowitschs Verbrechen sollten ArbeiterInnen und SozialistInnen - weder in der Ukraine noch international - dazu bringen, die Kräfte zu unterstützen, die ihn zu Fall brachten und ersetzten. Dies war kein Aufstand, dessen Hauptziel Demokratie und soziale Gerechtigkeit war. Er wurde von faschistischen Gruppen angeführt und brachte neoliberale rechte PolitikerInnen an die Macht, deren Ziel es ist, die Ukraine dem EU-Imperialismus unterzuordnen und dem Land ein "Reform“-Programm zu verordnen, das die ohnehin schon verarmten arbeitenden und arbeitslosen Massen trifft.

Außerdem: wenn diese Politik erfolgreich ist, führt sie zu nationaler Unterdrückung all jener, welche die anti-russische Version des ukrainischen Nationalismus nicht teilen. Diese Regierung hat nicht nur faschistische MinisterInnen in ihren Reihen - sie verfügt jetzt über eine Polizeitruppe und faschistische Banden, welche die Unterdrückung derjenigen durchführen, die ihre Legitimität nicht anerkennen. In jedem Fall provoziert solch eine Regierung unter dem Druck von Berlin und Brüssel Zwietracht in der Bevölkerung und möglicherweise sogar einen Bürgerkrieg, womit zugleich ein Vorwand für Interventionsdrohungen Russlands und der NATO gegeben wäre.

Als sich die Euromaidan-Besetzung entwickelte, wurden die progressiveren Kräfte - liberale Studierende, AnarchistInnen und SyndikalistInnen - die glaubten, dass  "Europa" mehr Demokratie und Wohlstand bedeuten würde, durch Kräfte von weit rechts an den Rand gedrängt und ausgeschlossen.

Rechtsextreme Nationalisten, die Russland und "den Osten" verachten, gelang es, den Maidan zu dominieren und die faschistischen Milizen, vorneweg der „Rechte Sektor“ (Pravy Sektor), kontrollierten ihn. Die Bewegung wurde folglich anti-russisch, betonte die Bedrohung durch den russischem Imperialismus und verwendete reaktionäre nationalistische Parolen.

Dies entfremdete zwangsläufig die großen russischsprachigen Teile der Bevölkerung, die sich nicht mit der EU identifizieren. Schon bedrohen die neuen Führer all jene, die das illegitime Regime ablehnen - die „Spalter“ und „Abtrünnigen“ - mit Bestrafung. Diese Ängste wurden bestätigt, als die gesäuberte Rada als als eine ihrer ersten Handlungen ein Gesetz aufhob, das Russischsprachigen das Recht gab, in Gebieten, in denen sie in der Mehrheit sind, ihre Sprache bei offiziellen Anlässen zu verwenden.

Kurz gesagt: in der Ukraine handelt es sich also in keiner Weise um eine demokratische Revolution wie beim „Arabischen Frühling“. Im Gegenteil, die Entwicklung trägt einen konterrevolutionären Charakter. Die Milliardär-Oligarchen der Ukraine, weit entfernt davon, entmachtet worden zu sein, wollen einfach die Pferde wechseln und, gestützt von der EU, die ArbeiterInnen dazu bringen, für das ökonomische Schlamassel, in dem sich das  Land befindet, teuer zu bezahlen. Was das bedeutet, können die ArbeiterInnen in Griechenland bezeugen.

Die schreckliche Situation der Ukraine ist zu einem großen Teil durch die globale kapitalistische Krise verursacht worden, aber auch durch die Plünderung des eigenen Landes durch die Oligarchen unter den beiden vorherigen Präsidentschaften. Dieser korrupte Neoliberalismus ging unvermindert weiter unter dem von der Orangenen Revolution von 2004-05 installierten Regime und produzierte eine klare Niederlage für die rechtsextremen Nationalisten in den Walen von 2010. Diese Wahlen, die von der EU und den USA als „frei“ und „gerecht“ beurteilt wurden, was sie nicht davon abhielt, den aktuellen Coup gegen die gewählte Regierung zu unterstützen.

Der Charakter des konterrevolutionären Regimes

Die neue Regierung, die von der Werchowna-Rada am 28. Februar gewählt worden ist, von einem Parlament also, aus dem über hundert Mitglieder von Janukowitschs „Partei der Regionen“ geflüchtet  waren, wurde dem Maidan zur Akklamation vorgeführt. Die Exekutive wird jetzt geleitet vom Präsidenten Oleksandr Turtschynow und Premierminister Arsenij Jatsenjuk von der all-Ukrainischen Union "Vaterland". Oleksandr Sytsch, ein Führer der faschistischen Svoboda, ist zum stellvertretendem Premierminister ernannt worden, zwei andere Svoboda-Mitglieder haben ministerielle Posten. Oleg Mochnytskij, ein Svoboda-Mitglied des Parlaments, führt jetzt das von Olech Tjahnybok geführte Büro des allgemeinen Anklägers. Svoboda ist keine Randpartei. Sie hat bereits 36 Sitze in der Rada und wird schon in den Maiwahlen Gelegenheit haben, ihre Stärke beträchtlich auszubauen.

Die neue Regierung ist neoliberal, aber mit faschistischen MinisterInnen, gebilligt von den USA und der EU, den "demokratischen Imperialistinnen". Wichtiger als diese ministeriellen Geschäftsbereiche ist aber die Form, mit der die verschiedenen faschistischen Milizen in der Ost- und Zentral-Ukraine die Polizeikräfte gesäubert bzw. sich mit ihnen verbunden haben. Sie sind die zuverlässigsten Unterstützer des neuen Regimes. Mit der Unterstützung  von Witali Klitschko, welcher UDAR (Der Schlag) leitet, macht die Jatsenjuk-Regierung Überstunden, um die Angebote ihrer Geldgeber in Berlin, Paris und Washington zu erfüllen.

Sie wird sich beeilen, die EU-Assoziationsvereinbarung zu unterschreiben, mit deren Aussetzung die  Bewegung begann. Einige von jenen, die in der Bewegung eingebunden waren, glaubten naiv, dass die Vereinbarung massive Rettungsmaßnahmen von Seiten der EZB und des IWF für die Wirtschaft bedeuten würde, die laut der neuen Regierung "am Rand des Abgrunds" steht. Tatsächlich braucht die ukrainische Wirtschaft  eine Spritze von etwa 35 Mrd. Dollar, um wenigstens ihren unmittelbaren finanziellen Bedarf  nur für dieses Jahr zu decken. Aber IWF-Darlehen und EZB-Kredite kommen weniger mit Rettungsseilen daher als vielmehr mit schweren Ketten.

Der neue Premierminister hat schon von unpopulären Maßnahmen gesprochen, die er einführen wird. Er kokettiert damit, dass seine MinisterInnen ein „Kabinett von politischen Selbstmördern“ seien. Die Reformen, die der IWF als Bedingung für Darlehen fordert, bedeuten, dass die ukrainische Währung von galoppierender Inflation getroffen werden wird; die Realeinkommen, ohnehin schon erschreckend niedrig   verglichen mit Russland, werden noch weiter fallen. Das Freihandelsabkommen wird rasch dazu führen, dass große Teile der Industrie und des Handels der Ukraine ausgelöscht werden, die außerstande sind, der ausländischen Konkurrenz standzuhalten. Die strukturellen Reformen bedeuten Schließungen und ziehen Arbeitsplatzverluste in einem Land nach sich, dem jede Wohlfahrtsinfrastruktur fehlt, um jene zu versorgen, die ihre Arbeitsplätze verlieren werden. Die industriellen Großsektoren in der östlichen Ukraine - Stahl, Kohle und Maschinenbau - sind immer noch v.a. mit dem russischen Markt verbunden. Viele könnten völlig zusammenbrechen. Dies ist wird umso wahrscheinlicher, wenn die Beziehungen zu Russland einfrieren und Handelsverbindungen zerrissen werden. Die Dinge könnten sich noch schneller entwickeln, wenn Putin die Öl- und Gashähne zudreht, und wenn die Ukraine nicht zahlen kann.

Ein ausgewachsener ökonomischer Krieg zwischen Russland und der EU ist alles andere als  ausgeschlossen, besonders wenn die EU ihre geostrategische Expansion fortsetzt und sich sogar auf das militärische Terrain durch das Angebot einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wagt. Auf diese Art bedeutet die Wirtschaftspolitik des neuen Regimes, wenn es sie durchführen kann, schwere Schläge für die ukrainischen ArbeiterInnen sowohl im Westen als auch im Osten.

Jedoch sind die brennendsten Gefahren politischer Natur angesichts dessen, wie sich das konterrevolutionäre Regime festsetzt. Auf den Straßen werden die Faschisten, jetzt vereinigt mit der Polizei, die in vielen westlichen Regionen zu ihnen überlief, die Stoßtruppen der neuen Regierungsoffensive gegen die ArbeiterInnen der Süd- und östlichen Ukraine sein, falls diese sich widersetzen. Beim Wüten in den zentralen Regionen haben sie Statuen von Lenin umgestürzt und zerschlagen, Büros der Ukrainischen Kommunistischen Partei und Gewerkschaftshäuser angezündet,  Juden angegriffen und sowjetische Kriegsdenkmäler beschädigt. Sie bedrohen offen jene, die sich ihnen widersetzen, in einer Weise, die in der Tat nationale Unterdrückung darstellen würde: damit, dass sie "nicht genügend patriotisch" seien, für ihre russischen Sympathien und ihre russische Sprache.

Der Kampf, um die faschistische Bedrohung abzuwehren, ist dringend nötig. Passiv zu bleiben, um den  nationalen Frieden und die Einheit zu erhalten, wird nicht funktionieren. Pazifismus ermutigt und steigert nur die Ausbreitung von faschistischen Übergriffen. Die Erfahrung mit Faschismus überall in der Geschichte und rund um die Welt zeigt, dass die Arbeiterklasse der Ukraine schwer dafür zahlen wird , wenn sie passiv eine ausgewachsene nationalistische und faschistische Offensive abwartet. Es müssen Verteidigungskräfte organisiert werden, um schon die geringsten Versuche der Faschisten, die Straßen kontrollieren zu wollen, energisch zu verhindern!

Die Krise der Führung der Arbeiterklasse

Das Hauptproblem, dem sich die Arbeiterinnen der Ukraine gegenüber sehen, ist die tiefe Krise der Führung innerhalb ihrer eigenen Reihen. Entsprechend ihrer eigenen Einschätzungen ist die revolutionäre Linke sehr schwach. Die anarchistischen und syndikalistischen Kräfte sind politisch verwirrt, wobei sie zwischen Beteiligung an der Bewegung (angezogen von den Kräften der "nationalen Revolution") und dem Übernehmen einer "neutralen" Position hin- und her schwanken.

Ein viel tieferes Problem sind die Auswirkungen von zwei Jahrzehnten der kapitalistischen Restauration durch die Oligarchen, ihre Vorherrschaft über die größeren Gewerkschaften und deren Bürokratie und die Rolle der stalinistischen kommunistischen Partei der Ukraine (KPU). Diese haben die Erfahrung von Massenwiderstand und Streiks in den späten 1980ern und frühen 1990ern im Wesentlichen ausgelöscht. Diese schwere Hinterlassenschaft von Niederlagen und Unterordnung unter "ihre" Oligarchen, besonders im Osten, erklärt, warum die Arbeiterklasse seit dem Ausbruch der Proteste während dreier Monate inaktiv und am Rande geblieben ist. Diese Belastung von historischen Niederlagen ist eine schwere Hypothek für die Aufgaben, denen die Arbeiterklasse in den kommenden Wochen und Monaten gegenüber steht.

Verständlicherweise hatten ArbeiterInnen auch wenig oder keinen Enthusiasmus für Janukowitsch oder die Partei von Julia Tymoschenko. Für Klitschko, der lange Jahre in Deutschland gelebt hat, Protegé von Angela Merkel und ihrer CDU war, ist es unwahrscheinlich, auch ArbeiterInnen anzuziehen. Seit die faschistischen Kräfte um Svoboda und den „Rechten Sektor“ dazu kamen und die vordersten Reihen der Demonstranten Bilder des völkermörderischen Antisemiten Stephan Bandera vor sich her trugen, war die Nicht-Beteiligung der ArbeiterInnen noch verständlicher. Jedoch war Neutralität in einer Situation, in der ein konterrevolutionärer und reaktionärer Aufruhr stattfand, keine Lösung.

Was erforderlich gewesen wäre, war nicht die Unterstützung für Euromaidan, sondern eine unabhängige Arbeiterklassenmobilisierung für soziale Gerechtigkeit und anständigen Lohn, gegen die Korruption und ökonomische Plünderung durch die Oligarchen, für gleichzeitigen Widerstand sowohl gegen den EU-Vertrag als auch zu Janukowitschs Deal mit Putin. Dies hätte auch die Forderungen nach demokratischen Rechten bedeutet; die Abschaffung der Präsidentschaft, eine neue Verfassung und eine demokratische konstituierende Versammlung, um die ökonomischen und sozialen Grundlagen zu diskutieren, die die Ukraine haben soll. Kurz, die Arbeiterklasse hätte eine unabhängige Position einnehmen und ihr massives soziales Gewicht verwenden sollen, um die Brutalitäten von beiden Seiten heraus zu fordern und zu besiegen.

Die Auffassung einiger ukrainischer Linker und mehrerer westlicher "RevolutionärInnen“, dass nichts getan werden kann, außer zu warten und Propaganda zu machen, so dass über Jahre oder sogar Jahrzehnte die rechtsextreme Ideologie nicht herausgefordert werden könnte, ist ein Rat der Verzweiflung. Selbst wenn aktiver Widerstand gegen das neue Regime besiegt werden sollte, wäre dies ein besseres Ergebnis, als sich einer Konterrevolution nicht zu widersetzen. Das wäre eine viel größere Niederlage, wie das Beispiel Deutschland im Jahr 1933 zeigte.

Selbst in der jetzigen „elften Stunde“, würden wirkliche RevolutionärInnen mit jeglicher Passivität brechen und für einen unzweideutigen Bruch mit den Oligarchen des Ostens und gegen jedes Vertrauen auf diese Kräfte eintreten. Noch viel weniger würden sie an Putin appellieren, einzugreifen. Sie würden erkennen, dass die Arbeiterklasse die einzige soziale Kraft mit ausreichender numerischen Stärke und ökonomischer Wirkung ist, um den Verwüstungen der illegitimen Regierung und ihren faschistischen Einpeitschern entgegen zu treten und ein Abgleiten in einen Bürgerkrieg zu vermeiden.

RevolutionärInnen müssen sich innerhalb der Arbeiterklasse organisieren, um eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei im Kampf zu schaffen. Sie muss nach dem Vorbild der Partei Lenins und der Bolschewiki modelliert werden, allerdings im krassen Gegensatz zu der stalinistisch-bürokratischen Monstrosität, welche die Ukraine über ein halbes Jahrhundert beherrschte. So schwer die Aufgabe auch ist, eine solche Partei  aufzubauen: es ist nicht unmöglich.

Selbst wenn jene, die die richtige Strategie verfehlen, die ArbeiterInnen dazu zu bewegen, ihre Organisierung rechtzeitig anzupacken, werden sie wahrscheinlich Zuwendung von den besten Militanten bekommen, wenn diese merken, dass dies allein zum Sieg führen könnte. Alle jene in der Linken, die die Notwendigkeit sehen, solch eine Partei auch international aufzubauen und sich jetzt für diese Aufgabe zu organisieren, verdienen es, materiell und moralisch von allen Revolutionären Hilfe unterstützt zu werden.

In diesem Kontext unterstützen wir den Aufruf der ukrainischen sozialistischen Organisation „Borotba“ für organisierte Selbstverteidigung gegen faschistische Angriffe und für den Zusammenschluss von SozialistInnen und Arbeiterklassen-Militanten zum Widerstand gegen das neue Regime, bei gleichzeitiger Ablehnung des reaktionären Einflusses des groß-russischem Chauvinismus innerhalb der Bewegung oder jeder Intervention von Putin.

Unterstützt die Selbstverteidigung der Arbeiterklasse!

Die Arbeiterklasse muss jetzt handeln, um sich gegen eine zweifache Bedrohung zu verteidigen: die unmittelbarste Bedrohung kommt von der reaktionären Regierung und den faschistischen Brigaden, welche die Polizeikräfte ersetzt oder sich mit ihnen vereinigt haben, und die nun nach Osten gesandt werden. Die dringendste Aufgabe ist, eine Miliz der ArbeiterInnen unter Kontrolle betrieblicher Räte aufzubauen, um sie sowohl gegen die Kiewer-Regierung als auch gegen einen faschistischen Angriff zu mobilisieren.

Die zweite Bedrohung ist die Zerstörung der Industrie im Osten, der Industrie, welche die Basis für die Jobs eines großen Teils der ukrainischen Gesellschaft darstellt und die nun schweren Angriffen gegenüber steht, wenn die neoliberalen ExpertInnen, die schon aus New York und Berlin auf dem Weg sind, an die „Arbeit“ gehen. Die Fabriken, die für Jahrzehnte die Basis für riesige Privilegien von Bürokraten waren, wurden danach durch die oligarchische herrschende Klasse verschleudert und privatisiert. Sie müssen jetzt besetzt werden, um ihre Schließung zu verhindern! Sie sollten unter die Kontrolle der Arbeiterinnen genommen werden und, als Echo auf die Forderungen der ArbeiterInnen von Tuzla in Bosnien, wieder verstaatlicht werden. Unter demokratischer Arbeiter- und Verbraucherplanung können sie ausgebaut werden, um Arbeitsplätze zu schaffen und eine Produktion zu schaffen, die Umwelt, Bildung und das Mittel für kulturelle und soziale Regeneration als Prioritäten hat.

Während ArbeiterInnen verständlicherweise wütend sind, wenn sie den gewaltigen Reichtum von Janukowitschs Palast sehen, sollten sie nicht vergessen, dass alle ukrainischen Oligarchen und politischen Führungspersönlichkeiten in ähnlichem Luxus leben. Mit Hilfe des aus der Ukraine geplünderten Reichtums haben sie sich Villen in London, Berlin und an der Riviera gekauft. Die Arbeiterinnen sollten die Aufmerksamkeit auf den Ursprung dieses Reichtums lenken: die niedrigen Löhne und die erbärmlichen Lebensstandards der ArbeiterInnen, auf den erbärmlichen Zustand der Sozialleistungen und die Lage der Industrie. Es sollten ArbeiterInneninspektionen durchgeführt werden, um über die Bedingungen des Lebens und die Lage der Industrie zu berichten, um die Korruption offenzulegen, die die ökonomische Struktur der Gesellschaft verwüstet hat, und fordern, dass die Bücher für die Inspektionen geöffnet werden. Die Fabriken sollten unter die Kontrolle der ArbeiterInnen gestellt werden, die kein Interesse an einem Abwracken der Produktion haben, sondern sie stattdessen in einen Plan gesellschaftlich nützlicher Produktion integrieren wollen. Ein Schlüssel dazu wird ein Appell an die ArbeiterInnen des Westens besonders in London und Deutschland sein, zu untersuchen, wo wie viel vom geplünderten Reichtum des ukrainischen Oligarchen entweder bei Geschäftsbanken oder in Luxusbesitz versteckt wurde.

Der Widerstand gegen das neue Regime muss dort verwurzelt sein, wo die Arbeiterklasse organisiert ist: in der Produktion, in Transport und Handel, wo die ArbeiterInnen ihre potentiellen Machtmittel haben. Die Ausschüsse der ArbeiterInnen in den Fabriken und Wohngebieten können die Basis für Räte sein, die sich auch aus Delegierten der Arbeitslosen, der Jugend und der RentnerInnen zusammensetzen.

Diese Delegierten, die ihren WählerInnen verantwortlich sein und jederzeit abwählbar sein sollen, müssen die Antwort auf die Krise diskutieren und kollektive Selbstverteidigungseinheiten als eine Antwort der ArbeiterInnen auf die Krise organisieren, die nicht von russischen Truppen oder den Staatsapparaten abhängt. Arbeiterselbstorganisation, die auf der Produktion basiert ist, sich in den kollektiven politischen Entscheidungen von betrieblichen Räten ausdrückt, bringt die sozialen Forderungen der ArbeiterInnen  auf die Tagesordnung und wirft auch die Frage auf, wer das Land führen soll - und in wessen Interesse. Die Bildung von solchen demokratischen Versammlungen und betrieblichen Arbeiterräten ist die einzige Möglichkeit, wie die Arbeiterinnen selbst die Fähigkeit erlangen können, eine Strategie des Widerstands in ihrem eigenen Interesse vorzuschlagen, zu diskutieren und zu vereinbaren.

Wenn die konterrevolutionäre Rada versucht, ihnen ihre Macht aufzudrücken, muss die Arbeiterklasse die mächtigste Waffe in ihrem Arsenal, den Generalstreik, mobilisieren, der die Gewinnmaschine der Oligarchen und das Funktionieren des Staates lähmt und die Frage der Macht stellt.

In einem Land, wo die Regierung schwach ist, und sich Formen von Doppelmacht  entwickeln könnten, müssen die Arbeiterinnen kämpfen, um ihre eigenen Formen von Verwaltung und Selbstverteidigung zu schaffen. Sie sollten das Kommando der noch nicht zum Kiew-Regime übergelaufenen regionalem Oligarchen nicht akzeptieren. Die ArbeiterInnen müssen sich Waffen beschaffen, um sich zu verteidigen. Sie müssen tun, was die Faschistinnen getan haben: die Arsenale der Polizeiwachen und der Kasernen öffnen. Sie müssen Teile der regionalen Streitkräfte für sich gewinnen, wenn diese an ihrer Seite ihre Kommunen verteidigen.

Der Generalstreik stellt die Alternative nicht zwischen dieser oder jener Parteiengruppe der oligarchischen Klasse, sondern zwischen Kapital und Arbeit, zwischen jenen, die alle Güter und kulturellen Reichtümer der Gesellschaft produzieren, und jenen, die ein Leben als Parasiten führen in einem Regime der Ausplünderung. Entsprechend sollte die Arbeiterklasse in den industriellen Kernen sich an Armee und Polizei wenden, damit diese ihre Waffen dem Volk übergeben und Räte an den Arbeitsplätzen und in den Wohngebieten wählen. Ausschüsse der Soldaten sollten in der Armee organisiert werden, um die Masse der einfachen Soldaten für die Sache der Arbeitermacht zu gewinnen.

Diese Arbeiterräte sollten so viel als möglich zwischen Osten und Westen verbunden werden, um die gemeinsame Verteidigung der Ukraine zu organisieren - gegen Interventionen imperialistischer Mächte, nicht nur gegen die EU, die sicher derzeit die Oberhand hat, sondern auch gegen Russland. Es ist möglich, dass russische „Freiwillige“ aus der extremen Rechten, oder auch Putins Spezialkräfte in größerer Zahl auf den Plan treten. Natürlich ist es zulässig, dass revolutionäre Freiwillige ihren ukrainischen Brüdern und Schwestern zu Hilfe zu kommen. Aber dies unter der Flagge des großrussischen Chauvinismus, möglicherweise Faschismus, zu tun, wird der Sache nur irreparablen Schaden zufügen. Es wird es sogar noch schwieriger machen, die Klasseneinheit mit ArbeiterInnen im Westen des Landes herzustellen.

Gegen Nationalismus!

Das Wachstum einer extremen nationalistischen Stimmung in der Ukraine muss sowohl im historischen als auch im aktuellen Kontext verstanden werden. Die Verbrechen des  Stalinismus, besonders die Massendeportation von Krimtataren, die Unterdrückung des Rechts auf Selbstbestimmung und jedweden Flügels politischer oder kultureller Nationalisten haben bis heute schwere Folgen. Die Rehabilitation des Faschisten Stepan Banderas durch das Juschenkow-Regime, das in der „Orangenen Revolution“ an die Macht kam, ist eine davon. Banderas war der politische Führer der „UPA - Ukrainischen Aufständischen Armee“, die gegen die Herrschaft  der "moskowitischen jüdischen" Bolschewiken gerichtet war. Die UPA, die mit den Streitkräften der Nazis kollaborierte, beteiligte sich an ethnischen Säuberungen von zehntausenden Polen und der Ermordung von über einer Million ukrainischer Juden.

Doch der Vorwand, unter dem sich die Faschisten und Neo-Banderisten sammeln, sind die Verbrechen des Stalinismus während der künstlich geschaffenen Hungersnot der frühen 1930er, der politischen Säuberungen vor und während des 2. Weltkriegs. Die Tatsache, dass sich KrimtatarInnen den nationalistischen Demonstrationen unter dem Slogan „Ruhm der Ukraine“ anschließen, ist kein Wunder,  wenn russische Chauvinisten noch heute Stalin, den Mann, der ihre Gemeinschaft von der Halbinsel vertrieb und sie nach Zentral-Asien deportierte, loben. Allerdings kann ein Wiederaufleben eines derartigen Nationalismus nur zu einem ähnlichen Desaster führen, wie es die Länder und Menschen des ehemaligen Jugoslawien in den frühen 1990ern traf.

In der Epoche des Imperialismus kann keine nationalistische Ideologie eine fortschrittliche Rolle spielen, es sei denn, sie ist der organische Ausdruck einer Bewegung gegen tatsächliche nationale Unterdrückung. Er kann gerade zum Gegenteil und zu erneuter nationaler Unterdrückung führen, wie es die ukrainischen Nationalisten gerade versuchen. Doch auch die Forderungen nach Unabhängigkeit oder Abtrennung, die in der ehemaligen russischen Krim-Provinz am stärksten sind, können keine Lösung für die KrimbewohnerInnen, die ArbeiterInnen Charkows oder der industriellen Regionen entlang des Don-Beckens sein. Solch eine "Unabhängigkeit" könnte, wenn überhaupt, nur von russischen Truppen garantiert werden. Ein derartiges Szenario, das keinerlei wirkliche Unabhängigkeit bedeuten würde, könnte einen Krieg entfachen, der ähnlich den Schrecken wäre, die das frühere Jugoslawien auseinander rissen.

Die ukrainische ArbeiterInnen sollten stattdessen an ihre KollegInnen in Russland, Polen, der EU, aber auch an die revolutionären ArbeiterInnen Bosniens appellieren, sie in ihrem Kampf für eine unabhängige, geeinte Ukraine unterstützen, die keine Privilegien für eine Ethnie oder Sprache kennt. Sie müssen sich stattdessen dem Kampf gegen die Überausbeutung eines jeden Flügels der Kapitalisten verpflichten.

Die imperialistischen Mächte wünschen aktuell natürlich keinen Bürgerkrieg in der Ukraine, nicht zuletzt,  weil sie den Transport russischen Gases durch die Pipelines des Landes noch nicht unterbrechen wollen. Aber die Herrschenden Europas „wünschten“ auch nicht den 1. Weltkrieg oder die Kriege, die das frühere Jugoslawien zerstörten. Dennoch führten ihre Rivalitäten und der Kampf um ökonomische und geostrategische Vorteile zu Schritten, die letztlich diese zerstörerischen Kriege hervorbrachten. Solch eine Situation könnte sich rasch in den kommenden Monaten und Jahren auch in der Ukraine entwickeln. Die blutige Geschichte Europas unter dem Joch des Imperialismus zeigt, dass die Herrschenden, ob "demokratisch" oder diktatorisch, nicht immer die weiteren Konsequenzen ihrer unmittelbaren Politiken bestimmen können.

Um einen Bürgerkrieg jugoslawischen Stils oder, noch schlimmer, einen verallgemeinerten europäischen Konflikt, falls Russland eingreifen sollte, zu verhindern und eine vereinte, von rivalisierenden Imperialisten unabhängige Ukraine zu erhalten, bedarf es der Intervention der Arbeiterklasse. Allein die Kraft der Arbeiterinnen kann die Faschisten und die Nationalisten beider Ethnien als auch ihre  ausländischen Hintermänner davon abhalten, ihr Land zu zerteilen. Alternativ dazu müsste sie selbst die Macht ergreifen.Dass es prinzipiell möglich ist, sich gegen den Staat und seine Schergen durchzusetzen, haben die letzten Wochen und Tage bewiesen. Allerdings wären die bisherigen Ereignisse nichts gegen die geeinte Aktion der ukrainischen Arbeiterklasse.

Weder Moskau noch Berlin -  für den Internationalismus der ArbeiterInnen!

Das bedeutet, dass die Verteidigung von Aktionen der ukrainischen ArbeiterInnen in erster Linie von ArbeiterInnen Deutschlands, Russlands u.a. europäischer Länder kommen muss. Denn wir haben absolut kein Interesse daran, den konkurrierenden imperialistischen Mächten zuzusehen, wie sie konspirieren, um die ukrainischen ArbeiterInnen zu versklaven. Gegen die Politik der Verzweiflung muss die Antwort ein echter demokratischer und internationalistischer Geist sein, wie wir ihn in den bosnischen Protesten bisher gesehen haben. „Nieder mit dem Nationalismus!“ ist ihre Parole, während sie zugleich gegen Sparmaßnahmen und Ungleichheit in ihrem Land kämpfen. Nur in der Einheit der Arbeiterinnen und Armen aller Nationalitäten gegen nationalen Hass, Sparmaßnahmen und Kapital liegt die Hoffnung für die Ukraine.

Die bürgerlich-nationalistischen Parteien haben die Macht mithilfe faschistischer Paramilitärs und rebellierender Polizeieinheiten in einem anti-demokratischen Putsch ergriffen. Die fortschrittlichen ArbeiterInnen sollten klar machen, dass sie die Rechtmäßigkeit dieser Regierung, ihrer Anweisungen,  sowie die Gesetze und Entscheidungen der konterrevolutionären Rada nicht anerkennen. Sie sollten jeden Handel, den die Rada mit der EU schließt, bekämpfen. Ihre Forderung sollte stattdessen der Rücktritt dieser Regierung, die Auflösung der Rada und die Einberufung freier Wahlen einer Verfassunggebenden Versammlung sein.

Die Arbeiterklasse müsste fordern, dass Armee und Polizei den Gewerkschaften ihre Waffen übergeben. An den Arbeitsplätzen und in den Städten müssten Arbeiterräte entstehen. Wenn sich die staatlichen Sicherheitskräfte im Osten oder Westen weigern sollten, das zu tun, sollten die ArbeiterInnen versuchen, sie auch gegen deren Willen zu übernehmen. Dies würde natürlich zweifellos die FaschistInnen und Polizeikräfte auf den Plan rufen. Aber die Alternative wäre, das Monopol der Streitkräfte in den Händen der Nationalisten und Faschisten zu belassen, die bereits gezeigt haben, was sie damit zu tun gedenken.

Arbeiterräte aus Ost und West müssten so gut wie möglich miteinander verbunden werden, um  gemeinsame Vorbereitungen für die Verteidigung einer vereinten Ukraine gegen die Intervention aller imperialistischen Kräfte zu treffen. Die ArbeiterInnen im Osten sind gegenwärtig in einer stärkeren Position, diesen Appell an die ArbeiterInnen im Westen zu machen, weil sie sich noch keiner derart massiven Einschüchterung organisierter und bewaffneter FaschistInnen gegenüber sehen.

Die Anstrengung, demokratische Arbeiterräte zu organisieren, die die Verwaltung der von FaschistInnen, NationalistInnen oder dem entmachteten Janukowitsch-Regime besetzten Regierungsgebäude übernehmen, müsste von bewaffneten ArbeiterInnen verteidigt werden. Die Arbeiterklasse sollte nicht auf eine Intervention aus Russland warten noch dem reaktionären, undemokratischen neuen Regime ermöglichen, seine Macht mit den Wahlen am 25. Mai, die unter vorgehaltener Waffe stattfinden würden, zu konsolidieren. Eine progressive Erhebung müsste mit den Vorbereitungen verallgemeinerter Streikaktionen beginnen. Die Maidan-Bewegung kannte solche bedeutsamen Streikaktionen nicht. Es ist   klar, dass sie unter den aktuellen Umständen sehr schwer zu organisieren wären. Dennoch wäre dies die einzige Möglichkeit, um die Arbeiteraktion gegen alle Flügel der kapitalistischen Klasse zu forcieren.

Es ist die Pflicht aller russischen, polnischen und der ArbeiterInnen der EU-Länder, den Kampf für eine unabhängige und vereinte Ukraine ohne Privilegien für eine Ethnie mit allen nötigen Mitteln zu unterstützen. Dieser Kampf müsste sich ausdehnen, um zu einem Kampf gegen die Ausbeutung durch jeden Flügel der Kapitalisten zu werden, und zu einem Kampf für die Zerschlagung der faschistischen Organisationen. Die konsequente Schlussfolgerung unserer Parole sollte die einer vereinten sozialistischen Ukraine als Teil der Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa sein.

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