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USA

Taumel am Rand der Fiskalklippe

Markus Lehner, Infomail 663, 8. Januar 2013

Die meisten Finanzanalysten und bürgerlichen Ökonomen haben recht optimistisch auf das Jahr 2013 geschaut. Sie erwarteten, dass sich nach einer Fortsetzung der flachen Wachstumskurven in den ersten beiden Quartalen der lang erhoffte zyklische Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte materialisieren würde. Ein Blick auf stagnierende Wachstumsraten, fallende Kaufindizes, hohe Arbeitslosenzahlen usw. zeigt allerdings, dass dieser Optimismus genauso so begründet war wie die Vorhersage der Mayas für den Weltuntergang. Der Optimismus ging auch davon aus, dass die Eurokrise gelöst wäre, dass China wieder expansives Wachstum aufweisen würde und dass die USA ihre Probleme mit der Fiskalklippe  lösen könnten. Ganz abgesehen von den Aussichten für Europa, ist Anfang 2013 dieser Optimismus in Bezug auf die USA bereits Makulatur.

Was ist die Fiskalklippe?

Die sogenannte Fiskalklippe umschreibt gleichzeitige Steuererhöhungen und drastische Kürzungen bei den Staatsausgaben der USA, die automatisch mit dem Jahreswechsel in Kraft getreten wären – ironischer Weise aufgrund vorhergegangener Beschlüsse des von den Republikanern dominierten Kongresses.

Die Steuererhöhung würde das Ende für die Steuervergünstigungen v.a. für Reiche bedeuten, die einst von George W. Bush eingeführt wurden. Sie wurden damals damit begründet, dass die Ausgaben nach der im März 2000 geplatzten Spekulationsblase und dem Angriff auf das World Trade Center angekurbelt werden sollten. Trotz seines Programms eines „Politikwechsels“ stimmte Obama als Nachfolger Bushs einer Verlängerung dieser Steuererleichterungen in Höhe von 1,7 Billionen US-Dollar bis Ende 2012 zu. Eine Rückkehr zur alten Besteuerungspolitik hätte bedeutet, dass die Superreichen mit 39,6% statt 35% veranlagt worden wären, durchschnittlich etwa 90.000 Dollar mehr.

Die angedrohten Ausgabenkürzungen waren das Resultat eines Kompromisses zwischen Obama und dem Kongressparlament, der es dem Präsidenten erlaubte, 2011 die Ausgaben um 2 Billionen Dollar über den gesetzten Haushaltsrahmen von 14,6 Billionen aufzustocken. Das Abkommen sah vor, dass ein Programm von Haushaltskürzungen bis Ende 2012 vereinbart werden sollte, ansonsten träten sie automatisch mit Beginn 2013 in Kraft. Obwohl Steuererleichterungen und Ausgabensteigerungen ein gemeinsames Schlussdatum erhielten und die Notwendigkeit eines neuen Ausgaben- und Steuerpakets hervorkehren sollten, hat sich doch deutlich gezeigt, wie politisch gelähmt die US-Regierung ist.

US-Staatsschulden und globale Konjunktur

Nicht nur eine griffige Übereinkunft liegt in weiter Ferne, auch die Ausgaben sind mittlerweile gefährlich nahe an die neue Obergrenze von 16,4 Billionen US-Dollar herangerückt. Der Finanzminister Tim Geithner muss mit der Insolvenz der Staatsfinanzen Ende Februar 2013 rechnen. Die Fiskalklippe mit ihrer Bedrohung durch Einschnitte von jährlich 109 Milliarden auf 10 Jahre berechnet, die Gefahr der Staatspleite sowie die Lähmung der Gesetzgebung - all dies verspricht ein dramatisches Szenario für die nächsten Monate mit unabsehbaren Folgen für die USA und die Welt.

Die defizitäre Ausgabenpolitik der USA war im Verein mit der Lockerung der Geldmittel durch die Zentralbank für die leichte Erholung nach der weltweiten Rezession 2009 verantwortlich. Das Verhältnis von Haushaltsdefizit zum Bruttosozialprodukt betrug in diesen Jahren jährlich -11,2%, -10%, -8,7%, während die Schulden 100% über den BSP-Werten lagen. Wenn die USA Mitgliedstaat der Eurozone wären, würden sie in die Kategorie der Krisenökonomien wie die „Schuldensünder“ Spanien oder Griechenland fallen. Andererseits war die Schuldenpolitik wichtig für das Anwachsen des Welthandels und des Wiederanlaufens der Konjunktur in der US-Industrie und den Dienstleistungsbereichen.

Im Weltmaßstab brachte der US-amerikanische Kompromiss von 2011 eine Wende von der Rezession in der zweiten Jahreshälfte zu einem steilen, aber kurzlebigen Aufschwung Anfang 2012. Obwohl dieser kaum 6 Monate anhielt, konnte er immerhin die befürchtete Rezession bis jetzt verhindern. Einer der zentralen Aspekte der ganzen finanzmarktfreundlichen Politik der Geringbesteuerung der Superreichen verbunden mit Niedrigzinsen und lockeren Krediten ist die Erhaltung des gewaltigen Umfangs von flüssigen Geldmitteln, die für Investitionen in jedem Erdwinkel verfügbar sind und damit die Finanzmärkte stützen.

Angesichts des Problems mit der Fiskalklippe gab es offensichtlich keinen Weg für die US-Politik, jede Ausweitung der Verschuldung zu vermeiden. Wenn all die steuerlichen und Ausgaben sparenden Maßnahmen greifen würden, stünden 600 Milliarden US-Dollar den US-BürgerInnen und öffentlichen Einrichtungen nicht mehr zur Verfügung. Die geschätzte Auswirkung auf die Wachstumsrate der US-Wirtschaft beträgt -4%, was sie also in eine offene Rezession werfen würde. Da die USA immer noch einen Anteil von 20% am weltweiten Bruttosozialprodukt halten, würde ein dort zu erwartender und in der Eurozone schon eingetretener ökonomischer Rückgang die gesamte Weltwirtschaft in eine Rezession treiben.

Diese Gefahr und die unmittelbare Aussicht auf nachteilige Wirkungen für die Weltfinanzmärkte bewirkten, dass schließlich die Republikaner im US-Senat einen Kompromiss am frühen Morgen des Neujahrstages 2013 billigten, als die USA sich bereits im Sturzflug über die Klippe hätten befinden müssen. Was die politischen Repräsentanten trotz allen Getöses zum Bruch mit den eigenen Beschlüssen wirklich antrieb, war die Angst, rechtzeitig vor Öffnung der Finanzmärkte keinen Deal mehr hinzubekommen.

Was ist nun tatsächlich erreicht worden?

Keines der grundlegenden Probleme ist auch nur annähernd angepackt worden, die wichtigsten wurden lediglich auf zwei Monate vertagt. Die Zeitbombe der Staatspleite tickt also weiter.

Sicher ist nur eine Erhöhung des Steuersatzes von 35% auf 39,6% für Verdiener mit Jahreseinkommen oberhalb von 400.000 US-Dollar oder Privathaushalte mit mehreren Personen über 450.000 Dollar. Hier hat Obama einen Rückzieher von seinem Wahlversprechen der Steueranhebung für Einkünfte über 250.000 Dollar gemacht. Alle anderen Steuervergünstigungen der Bush-Ära bestehen damit fort. Da Steuern aber nicht vor Ende des Jahres anfallen, wird diese Maßnahme den Schwelbrand der Staatsfinanzkrise nicht löschen können.

Eine unmittelbare Wirkung wird von der Anhebung der Lohnsteuer um 2% ausgehen. Das bedeutet eine zusätzliche Steuerlast von etwa 1.000 Dollar im Jahr für Arbeiterfamilien mit einem Einkommen von 50.000 US-Dollar. Das einzige Zugeständnis an die Millionen ArbeiterInnenwähler für Obama bleibt die Fortsetzung der staatlichen Arbeitslosenunterstützung, die jedoch auf 12 Monate befristet ist.

Alle anderen Probleme, v.a. die Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben, sind um zwei Monate verschoben worden. Das wird nicht nur eine Wiederholung der Komödie im US-Kongress zur Folge haben, sondern eine weit ernstere Krise, weil dann die Staatsschulden die vom Gesetz vorgegebene Obergrenze erreicht haben werden und die größte Wirtschaft der Welt vor der Pleite steht.

Eine Fraktion innerhalb der Republikanischen Partei ist prinzipiell gegen jede Steuererhöhung und Anhebung der Schuldenobergrenze, was weitere durchgreifende Kompromisse ausschließen könnte. Zwar wohnt der Tea Party-Bewegung eine fundamentalistische Irrationalität inne, andererseits ist ihr Programm Ausdruck der Dominanz des Finanzkapitals im US-Imperialismus. Nach Verlusten während der Krise von 2008/09 war die US-Politik im Kern von der Rettung großer Finanzvermögen und deren mächtiger Rolle auf den Weltfinanzmärkten geprägt.

Solange Anstöße von der Industrie und den Dienstleistungen ausgingen und den Verbrauch förderten, konnte all dies unter den Schirm einer expansiven Fiskal- und Geldpolitik gebracht werden. Nun aber kommen mit der Fiskalklippe und der drohenden Staatsinsolvenz die inneren Widersprüche zwischen den verschiedenen Fraktionen der US-Bourgeoisie zum Vorschein und drücken sich in einer Lähmung durch den Tea Party-Fundamentalismus auf der einen und den Obama-Pragmatismus auf der anderen Seite aus. Am Ende wird klar, dass die Arbeiterklasse und die Armut diejenigen sind, die in keinem denkbaren Kompromisskonzept für beide Seiten eine Rolle spielen.

In dieser Lage ist es bedeutsamer denn je für die Arbeiterklasse, die Jugend und die Armut, ihre eigene Stellung gegen die Obama-Demokraten zu stärken. Abseits des Fiskalklippen-Dramas hat der Arbeitskampf der Schauerleute und die Möglichkeit eines umfassenden Streiks in allen Ostküstenhäfen der USA gezeigt, dass die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterklasse immer noch die Stärke besitzt, gegen die US-Bourgeoisie zurückzuschlagen.

Dennoch ist klar, dass die Gewerkschaftsbürokraten Obamas Politik unterstützen. Dies muss durch eine auf Klassenkampf orientierte Gewerkschaftsopposition bekämpft werden. Der Protest gegen schwerwiegenden Sozialabbau, Anhebung der Massensteuern und die gewerkschaftsfeindliche Politik des politischen Establishments in den USA muss nicht nur der Ausgangspunkt einer neuen Protestwelle sein, sondern muss auch alle auf Klassenkampf orientierten Kräfte anspornen, sich für den Aufbau einer neuen politischen Partei der Arbeiterklasse und des Jugendwiderstands gegen das kapitalistische System in den USA einzusetzen.

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