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China

Fraktionelles Patt in der KP

Peter Main, Infomail 656, 23. November 2012

Wenige Dinge sind so gut organisiert wie der alle fünf Jahre stattfindende Kongress der chinesischen KP. Schon der Umfang der Veranstaltung mit ihren 2.500 Delegierten und ihre Einstimmigkeit vereinen sich zu einem Eindruck der vorbestimmten Ordnung, Kompaktheit und reibungslosen Effizienz. Aber wie bei jedem Theaterstück vermittelt sich auch hier dem Betrachter auch ein Stück Illusion, denn hinter den Kulissen findet die Wirklichkeit in Form von fraktionellen Intrigen, erbitterten Rivalitäten, Verrat, ja selbst Mord statt.

Der Kongress musste um mehr als einen Monat verschoben werden, weil die Fraktionen sich gegenseitig blockierten. Die Scharmützel scheinen auch während des einwöchigen Kongresses weiter gegangen zu sein, zumal am Schlusstag die Delegierten und internationalen Medien eine geschlagene Stunde auf die Abschlusserklärung über den Ausgang des Streits über die Ernennung von  Zentralkomitee und Politbüro warten mussten.

Eine Geschichte von Fraktionskämpfen

Fraktionskämpfe in der chinesischen KP sind nichts Neues. Es ist jedoch erwähnenswert, dass dieser Kongress erst den zweiten Führungswechsel brachte, der nicht von ausgiebigen Säuberungen bis hin zu Hinrichtungen der alten Spitzenfunktionäre begleitet war. Der Fraktionskampf hat aber eine neue Form, ja Dimension angenommen. 20 Jahre nach der Entscheidung, den Kapitalismus wieder herzustellen, haben sich Elemente des Klassenkampfes in die fraktionellen Auseinandersetzungen gedrängt. Bestimmend sind jedoch nicht die Kämpfe der Arbeiterklasse, sondern die der Bourgeoisie.

Seit 1949 wird China von einer bürokratischen Kaste regiert, die in der und durch die KP organisiert ist. Ab Anfang der 50er Jahre versuchte die Bürokratie, durch Techniken der zentralisierten bürokratischen Planung, wie sie in Stalins Sowjetunion angewendet worden waren, China zu einer modernen industriellen Wirtschaft zu entwickeln. Ohne die demokratische Einbindung der ArbeiterInnen und BäuerInnen  hatte das System jedoch keinen Erfolg, war verschwenderisch und am Ende zum Scheitern verurteilt. Innerhalb der Bürokratie bildeten sich Fraktionen um alternative Konzepte, die das System effektiver machen sollten - jedoch weiter unter Kontrolle der Bürokratie. Die Fraktionskämpfe blieben zeitweise verborgen, gelegentlich allerdings traten sie auch sehr offen zu Tage, z.B. zur Zeit der ‚Kulturrevolution’ 1967. Die Folgen - die großen Hungersnöte Anfang der 50er Jahre, die bürgerkriegsähnliche Zustände Mitte der 60er Jahre und der unerbittliche ökonomische Verfall zu Beginn der 70er Jahre - konnten jedoch nicht verheimlicht werden.

Wiedereinführung des Kapitalismus in den 90er Jahren

Nach mehr als einem Jahrzehnt der Experimentiererei beschloss die Deng Xiaoping-Fraktion 1992, dass es keine andere Wahl gäbe, als den Kapitalismus wieder einzuführen, die Exilbourgeoisie einzuladen, die Wirtschaft wieder zu beleben und zu entwickeln und damit China in die Weltarbeitsteilung zu reintegrieren.

Seitdem hat die rasche Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie bis an die zweite Stelle hinter den USA dem Fraktionskampf einen neuen Inhalt gegeben. In einer kapitalistischen Gesellschaft drücken alle ernsthaften politischen Konflikte die Interessen der widerstreitenden Klassen und deren Fraktionen aus. Obwohl die nach tausenden, vielleicht Millionen zählenden Kapitalisten in China ein gemeinsames Interesse an der Profitabilität des Systems unter der Diktatur der Bürokratie haben, können sich aber weder der gewünschte Kurs noch die sektoralen Interessen in konkurrierenden politischen Programmen oder Parteien ausdrücken.

Die verschiedenen Kapitalsektoren, die aus ländlichen Kleinbetrieben entstanden, die von der Privatisierung staatlicher Einrichtungen profitiert haben, die abhängig sind von Auslandsinvestitionen, in der Schwer-, bzw. Leichtindustrie oder völlig neu gebildete Branchen - sie alle müssen sich für ihre besonderen sektoralen Interessen innerhalb der Grenzen der bürokratischen Diktatur behaupten. Eine Änderung in den KP-Statuten hat vor 10 Jahren auch Unternehmern ermöglicht, Parteimitglieder zu werden. Sie stellen nun bereits ein Fünftel der KP-Mitgliedschaft. Dies verschärft die Fraktionierung in der Partei.

Der bürokratische Apparat selbst bringt ebenfalls fraktionelle Gruppierungen hervor, zudem versuchen Bürokraten, für sich und ihre Familien persönliche Vermögen anzuhäufen und schaffen damit den Übergang vom Funktionärsstatus, dessen Einkünfte vom Staatsapparat abhängen, zum kapitalistisch bestimmten investiven Vermögen. Dies treibt den Differenzierungsprozess in der Partei weiter voran.

Wachsende Arbeiterklasse

Chinas neuen Kapitalisten mag zwar die bürokratische Diktatur lästig sein, aber wie auch die ausländischen Firmen erkennen sie, dass diese Herrschaftsform die einzige Garantin sozialer Stabilität ist. Niemand muss besonders weitblickend sein, um zu sehen, wer diese Stabilität bedrohen könnte: es ist die chinesische Arbeiterklasse, die inzwischen 350 Millionen Menschen umfasst und nicht länger bereit ist, die Bedingungen der ersten Generation hinzunehmen, als sie vom Land in die Städte strömten. Hinter ihnen stehen ihre Verwandten, mehr als 500 Millionen BäuerInnen, deren Lebensweise unter der Wucht der kapitalistischen Ökonomieentwicklung verändert wird.

Selbst bevor die Weltwirtschaftskrise 2008 ihren Tribut auch von der chinesischen Wirtschaft forderte, erzwangen die ständigen Bestrebungen der ArbeiterInnen, ihre Arbeitsbedingungen und -löhne zu verbessern, Zugeständnisse wie die Erhöhung der Mindestlohngrenzen und die Duldung von provisorischen Arbeiterzentren durchzusetzen. Die Krise gab einen weiteren Anstoß für solche Veränderungen und sie verliehen der Arbeitermilitanz eine noch stärkere Durchschlagskraft. Das wurde z.B. bei bei den Streiks bei Honda und den wiederholten ‚Störungen’ in den Elektronik-Werken von Foxconn deutlich.

Auch auf dem Land haben sich oft kämpferische Auseinandersetzungen zwischen Bauern und örtlichen Behörden ereignet, besonders Landbesetzungen. Das bekannteste Beispiel ist Wukan. Das Problem konnte nur entschärft werden durch die Neuwahl eines Dorfkomitees - ein offenes Eingeständnis des Mangels an politischer Vertretung der ländlichen Bevölkerung in der Gesellschaft.

Solange die Wirtschaft um 12-13% wuchs, schien dies der Beweis, dass die meisten Teile der Gesellschaft eine beständige Verbesserung erleben würden. Nun jedoch rutschen die Wachstumsraten unter 8%, und auch die Erwartungen, dass China sich entgegen dem Weltabwärtstrend entwickelt, sind nicht mehr so hoch. Das wiederum spitzt die fraktionelle Konkurrenz unvermeidbar zu. Im letzten Jahr hat der bevorstehende Führungswechsel hierzu grundlegende strategische Fragen aufgeworfen.

Kampf um politische Ausrichtung

Bisher lag die Parteiführung in Händen derer, welche die Restauration des Kapitalismus kontrollierten. Diese Gruppierung, die mit der Person von Jiang Zemin und deren Einfluss in Schanghai in Verbindung gebracht wird - Chinas erstem  Finanz- und Handelsplatz -, konnte als Zentrum des politischen Spektrums in Partei- und Staatsführung angesehen werden. Ihre Strategie ermutigt die kapitalistische Entwicklung und die ‚Öffnung zur Welt’; zugleich hält sie die Diktatur der Bürokratie aufrecht. Ideologisch betrachtet sie ihre Diktatur als einzigen Wächter im ‚nationalen Interesse’ und setzt Staatskontrolle mit ‚Sozialismus’ gleich.

Obgleich ihre Strategie für die Kontrolle von Chinas raschem Aufstieg verantwortlich war, hat sie dennoch die Legitimität ihres politischen Regimes unterhöhlt. Ganz abgesehen von den auseinander strebenden Interessen der verschiedenen Kapitalsektoren haben schreiende sozialen Ungleichheiten und zunehmende Klassenkonflikte, die von dieser Politik hervorgerufen werden, ein dickes Fragezeichen hinter die Fähigkeit dieser Fraktion zur Aufrechterhaltung ihrer Machtfülle gesetzt.

Auf der Parteirechten stehen Kräfte, die weniger staatliche Kontrolle wollen, sich stärker auf den Markt verlassen und wenn nötig eine politische Lockerung als Mittel einführen würden, wenn sie dazu dient, die gesellschaftlichen Veränderungen nicht explodieren zu lassen. Eine der Figuren dieser Strömung ist Wang Yang, der Parteichef der Provinz Guangdong, der für das neue Führungsgremium, den ständigen Ausschuss des Politbüros, hoch gewettet war.

Die nach chinesischen Begriffen Linken sind jene, die glauben, es seien schon zu viele Zugeständnisse in Richtung Marktöffnung gemacht worden. Sie befürworten eine neue Stärkung der Staatskontrolle und damit von Macht und Ansehen der Bürokratie. Für sie reduziert sich der gesellschaftliche Sprengstoff auf eine Verbindung von politischer Massenmobilisierung und staatsfinanzierter Hebung des Lebensstandards, verbesserter Versorgung im Wohnungs-, Wohlfahrts-, Bildungs- und Gesundheitswesen. Bo Xilai, der ehemaligen Parteichef von Tschungking (Chonqqing) und Kandidat für ein höchstes Führungsamt, aber nun hinausgesäubert und vermutlich auf einen Prozess im Gefängnis wartend, war der bekannteste Vertreter dieser Linie.

Die Enthüllungen über die Riesensummen, die Bo Xilais Frau ins Ausland geschafft hat mit Hilfe des verstorbenen Briten Neil Heywood, wie auch das Vermögen, das die Familie des scheidenden Premiers Wen Jiabao angehäuft hat, kommen für die chinesische Öffentlichkeit nicht überraschend. Korruption von Parteimitgliedern gab es auf allen Ebenen der Gesellschaft. Aber die Diskussion in der Öffentlichkeit ist bedeutsam, denn es enthüllt die Tiefe der Gräben innerhalb der Partei. Der Ernst der Lage und die Schwierigkeit, die widerstreitenden Interessen der verschiedenen Fraktionen zu versöhnen, war der Hauptgrund für die Verzögerung des Kongresses.

Ein Patt

Am Schluss scheint es, als wäre ein Patt erreicht worden, bei dem der einzig gangbare Weg die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Status Quo war. Dies drückt sich in der Zusammensetzung des ständigen Ausschusses des Politbüros aus, das von 9 auf 7 Mitglieder geschrumpft ist, um Meinungsverschiedenheiten bei wichtigen politischen Beschlüssen vermeiden zu helfen, womit auch das innere Patt klar eingestanden wird. Am bemerkenswertesten ist, dass die herausragenden Vertreter der Rechten, Wang Yang und Li Yuanchao nicht in dieser Führungsriege sind. Zugleich wird der kurzfristige bürokratische  Kompromiss durch die Mehrheit der Mitglieder gewährleistet. 5 der 7 Führungspersönlichkeiten werden nach dem nächsten Kongress 2017 zurücktreten.

Momentan verfügt der Ausschuss über eine bequeme Mehrheit um das Zentrum unter Führung von Xi Jinping. Sein Hintergrund hat ihn für diese Rolle prädestiniert. Sein Vater, Xi Zhongxun war Mao-tse-tungs Weggefährte schon vor dem langen Marsch, stieg nach der Revolution zum Vizepremier auf, wurde dann aber als Wegbereiter des Kapitalismus in der Kulturrevolution entmachtet. Später wurde er unter Deng Xiaoping rehabilitiert und wurde der Architekt der Sonderwirtschaftszonen während der kapitalistischen Restauration.

Xi Jinping selbst war Parteichef der Küstenprovinzen Fuijan und Zhejiang und schließlich in Schanghai. Er ist politischer Schützling von Jiang Zemin, dessen Rolle durch seine Anwesenheit am Schlusstag des Kongresses hervorgehoben wurde, obwohl er sich angeblich vor 10 Jahren politisch zurückgezogen hatte. Anders als sein Vorgänger Hu Jintao wird Xi auch den Vorsitz der Militärkommission der Partei übernehmen.

Trotz der vorherrschenden Priorität, die Stabilität mittels dieses Kompromisses zu wahren, werden sich wahrscheinlich die Fraktionskämpfe weiter verschärfen. Die Rechten werden sich im Zuge der kapitalistischen Weiterentwicklung stärken. Sollte die Verbindung von binnen- und weltwirtschaftlichen Krisen die Wachstumsraten weiter eindämmen, wird der Druck zu einem radikalen Politikwechsel wachsen. Auf jeden Fall wird sich ein politischer Streit nicht auf innerparteiliche Debatten einschränken lassen, sondern wird schon jetzt offen von Akademikern, Technokraten und Journalisten ventiliert. Das wird die staatliche Zensur angreifen und auch die Rolle der Partei.

Vor diesem Hintergrund werden die Forderungen nach demokratischen Freiheiten um sich greifen. Vielleicht werden sie zunächst von Intellektuellen oder Marktliberalen formuliert, aber Rede- und Versammlungsfreiheit, Auflösung der Geheimpolizei, Abschaffung der führenden Rolle der Partei, politische Organisationsfreiheit u.a. demokratische Grundrechte sind wesentlich auch für die volle Entfaltung einer unabhängigen Arbeiterbewegung.

Wenn die bürokratischen Fraktionskämpfe die Repression untergraben, bietet ein solcher Wandel neue Möglichkeiten für die Arbeiterklasse, eigene Interessen zu verfolgen: Aufbau demokratischer Betriebsorganisationen im Rahmen der offiziellen Gewerkschaften wenn nötig, Umwandlung der bestehenden Arbeiterzentren von sozialen Einrichtungen zu Zentren der kollektiven Organisierung und des Kampfes, Nutzung aller Medien, um die politische Diskussion und die Formulierung von Taktik und Strategie der Arbeiterklasse anzufachen, schließlich die Organisierung der klassenbewusstesten ArbeiterInnen zu einer revolutionären Partei.

Die Antwort der Bürokratie ist vorhersehbar: Sie wird die Notwendigkeit noch größerer innerparteilicher Disziplin betonen, wird Versuche der öffentlichen Debatte über politische Fragen unterdrücken, alle Kritiker der Regierungspolitik der Illoyalität gegenüber Chinas Interessen bezichtigen und den Chauvinismus im Inland und eine kriegerischere Politik nach außen wieder aufleben lassen.

Für RevolutionärInnen wird es entscheidend sein, nicht nur demokratischen Forderungen gegen die Einparteiendiktatur Rückhalt zu geben, sondern ihnen einen proletarischen Klasseninhalt zu geben und Methoden des Klassenkampfes zu propagieren, um die Forderungen durchsetzen zu können. Auch muss angesichts des Aufstiegs von China zu einer imperialistischen Macht der Internationalismus betont werden, das Gift des Chauvinismus und Nationalismus muss bekämpft werden. Möglicherweise werden v.a. auch die Rechte der nationalen Minderheiten in Chinas Grenzen verteidigt werden müssen inkl. des Selbstbestimmungsrechts bis hin zur Abtrennung, wenn sie dies wollen.

Das Patt des 18. Parteikongresses drückt letzten Endes die Unfähigkeit der Bürokratie bzw. der Bourgeoisie aus, den wirtschaftlichen Aufbau und die Gleichheit in der chinesischen Gesellschaft herzustellen und auch ihre gemeinsame Angst vor der wachsenden Stärke der Arbeiterklasse. Ihr Kompromiss an der Spitze löst die Probleme nicht wirklich. Die kommenden Jahre werden eine Zunahme der Widersprüche innerhalb des Regimes zeigen. Diese Widersprüche können erst dann gelöst werden, wenn die chinesischen ArbeiterInnen die Herrschaft der Bürokratie und der Bourgeoisie gleichermaßen zerschlagen.

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