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Frankreich

ArbeiterInnen kämpfen gegen Fabrikschließungen

Marc Lassalle, Infomail 650, 23. Oktober 2012

Am 12. Oktober, weniger als zwei Wochen nachdem 50.000 in Paris gegen den Fiskalpakt der EU demonstrierten, waren wieder ArbeiterInnen auf den Straßen der Hauptstadt. Um gegen die immer weiter steigende Arbeitslosigkeit und gegen Fabrikschließungen zu protestieren, stellten sie sich der CRS-Aufstandspolizei entgegen, welche ohne Rücksicht Schlagstöcke und Pfefferspray einsetze.

Die Confédération Générale du Travail (CGT) - der kämpferischste große Gewerkschaftsdachverband - hatte zu einen Aktionstag für Arbeitsplätze und „zum Schutz der Industrie“ aufgerufen. In ganz Frankreich folgten massenhaft ArbeiterInnen diesem Aufruf und machten ihn zu einem Aktionstag gegen Fabrikschließungen.

Eine kämpferische Antwort war genau das, was gebraucht wurde. Am Morgen des 12. Oktober versuchten tausende ArbeiterInnen, den Salon de l'Automobile, ein Teil der Pariser Motor Show, zu stürmen. Sie hielten mutig mehrere Stunden gegen die CRS stand, welche wieder massiv Pfefferspray einsetze. Der Präsidentschaftskandidat der Nouveau Parti d'Anticapitaliste (NPA), Philippe Poutou, war allerdings der einzige politische Führer, der sich an der Aktion beteiligte.

Schließungen

In den ersten Reihen dieser Aktion standen ArbeiterInnen des Peugeot-Werks Aulnay, eine Fabrik nahe Paris. Das Management hatte es im Juli geschlossen, wodurch Tausende arbeitslos wurden.  Während des Wahlkampfes erklärten Präsident Hollande von der Sozialistischen Partei sowie Minister Arnaud, dass diese Entscheidung inakzeptabel sei. Mittlerweile haben sie diese jedoch akzeptiert und verhandeln nur noch ein paar kosmetische Verbesserungen aus, um ihr Gesicht zu wahren.

Seit der Wahl Hollands im Mai sind aus seinen, die Umfragewerte in die Höhe treibenden Versprechen, die Wirtschaft zu stimulieren, Arbeitsplätze zu schaffen und die Fabrikschließungen einstweilig zu stoppen, eine Lawine aus schlechten Nachrichten für die ArbeiterInnen geworden. Eine Reihe von großen Unternehmen hat ArbeiterInnen entlassen: Peugeot, das Pharmaunternehmen Sanofi, Air France und die Supermarktkette Carrefour. Der Stahl-Konzern Mittal hat sich entschieden, seine Hochöfen in Florange zu schließen, wogegen ArbeiterInnen monatelang mobilisiert haben. Das Pharmaunternehmen Sanofi-Aventis hat sich trotz hoher Profiten und geringer Steuerabgaben dazu entschieden, seine Forschungsabteilung umzustrukturieren. Viele andere Unternehmer werden diesen Beispielen folgen.

Als am Nachmittag des 12. Oktobers 25.000 Menschen in Paris und 90.000 im ganzen Land demonstrierten, zeigte die CGT das Ausmaß der Entschlossenheit ihrer ArbeiterInnen, ihre Arbeitsplätze zu verteidigen und Solidarität mit anderen Kämpfen zu üben. Aber sie offenbarte auch die Unklarheit und das Fehlen einer klaren Strategie der Gewerkschaftsführung. CGT-Führer Bernard Thibaut nannte dies eine „Warnung“ an die Regierung. Viele ArbeiterInnen waren da viel konkreter und forderten das komplette Verbot von Werksschließungen. Manche DemonstrantInnen, die der radikalen Linken nahe stehen, riefen: „ Heute auf den Straßen, Morgen in den Fabriken, lasst uns die Kündigungen stoppen!“

Wirtschaft im Niedergang

Der neu gewählte Präsident und seine Regierung werden immer weiter mit einem Sturm von schlechten Wirtschaftsdaten überhäuft: die Arbeitslosigkeit hat 10% überschritten, das BIP-Wachstum liegt praktisch bei Null. Frankreich wird wahrscheinlich bald wieder in eine Rezession rutschen, die Perspektiven für das nächste Jahr sind noch düsterer. Die ersten Maßnahmen der neuen Regierung blieben deutlich unter den Erwartungen der ArbeiterInnen, die für diese Regierung gestimmt hatten. Sie hat den Fiskalpakt minimal neu verhandelt und kosmetische Änderungen an ihm vorgenommen - eine versprochene radikale Maßnahme wurde in einen „Wachstumspakt“ umgeändert. Auf der Basis eines Anti-Sparprogramms gewählt, hat die Regierung ein Kürzungspaket von 40 Milliarden Euro aufgelegt, durch das sie sich eine Reduzierung des Haushaltsdefizits in Höhe von 3% des BIP in den nächsten 3 Jahren verspricht.

Während die LehrerInnen, welchen Holland die größten Wahlversprechen machte, von den Maßnahmen einigermaßen verschont bleiben, werden alle anderen Sektoren Jahre der Lohnsenkungen und Arbeitsplatzvernichtung entgegenblicken können. Während Holland das Banner der steigenden Wettbewerbsfähigkeit von Frankreichs Exportindustrie hochhält, drängt er die Gewerkschaften und Wirtschaftsbosse zu Verhandlungen, mit dem Ziel die Arbeitskosten auf Kosten der Arbeiterrechte zu senken.

Die Popularität von Innenminister Manuel Valls unter den Rechten hat stark zugenommen, weil er die rassistische Linie von Sarkozy fortsetzt und weiterhin Camps von Roma zerstört, sie deportiert und die Polizeirepression gegen die Jugendlichen in den Banlieues sowie die Stigmatisierung der Muslime aufrechterhält.

Welche Antwort auf die Angriffe?

Die Regierung ist schon jetzt in einer schlechten Situation. Die von ihre beschlossenen Kürzungs- und Sparmaßnahmen haben Millionen von ArbeiterInnen enttäuscht, die für sie gestimmt haben. Dies drückt sich in sinkenden Umfragewerten aus. Die wichtigste Frage ist nun die: Wie geht es weiter mit der Arbeiterbewegung?

In dieser Frage kann die Regierung traurigerweise auf die Unterstützung der Gewerkschaftsführer bauen. Der nach Mitgliedern größte Gewerkschaftsverband, die Confédération Française Démocratique du Travail (CFDT), ist nur zu gern bereit, die Gespräche mit der Regierung fortzusetzen und jegliche Aktion an der Basis zu verhindern. Die Gewerkschaft Force Ouvriére (FO) weigert sich ebenso, die CGT-Demonstrationen zu unterstützen. Beide Gewerkschaften sind traditionell unter der Kontrolle der Sozialistischen Partei.

Die CGT ist immer noch unter der Kontrolle der französischen Kommunistischen  Partei (PCF). Momentan ist sie Teil der Front de Gauche (Linksfront), welche die Anti-Fiskalpakt-Demonstrationen am 30. September organisierte. Aber auch die CGT wird nur mit großem Unwillen für einen weiteren Aktionstag aufrufen - und auch nur dann, wenn genügend Druck an der Basis vorhanden ist.

Die Linksfront ist momentan in zwei Flügel gespalten. Ein Flügel wird von der PCF dominiert und fordert lediglich, mehr Druck auf die Regierung für Reformen zu machen. Der andere Flügel wird von Jean-Luc Mélenchon und seiner Parti de Gauche (Linkspartei) geführt, welcher einen kämpferischeren Kurs fordert, der auf Mobilisierung auf der Straße setzt. Beide würden gern dem Beispiel von SYRIZA in Griechenland folgen, um eine große und lautstarke Bewegung gegen die Sparmaßnahmen aufzubauen, in der Hoffnung eine größere Rolle in Wahlen einzunehmen, falls es  der PS misslingen sollte, die Krise zu dämpfen.

Mélenchon, um den sich viele ArbeiterInnen scharten, war auf der Hauptdemonstration am 12. Oktober klar die Attraktion, wohingegen Philippe Poutou und Oliver Besancenot von der NPA, sowie Nathalie Artaud von Lutte Ouvriere, eher als Nebendarsteller auftraten.

Die radikale Linke in Frankreich ist verwirrt und gespalten. Die NPA ist nach der beschämenden Wahlschlappe bei den Präsidentschaftswahlen und der Abspaltung des Rechten Flügels hin zu Mélenchon immer noch demoralisiert, ihre Mitgliedszahlen schwinden weiter. Sie ruft momentan für eine linke Opposition gegen die Regierung und für eine Kampagne gegen Entlassungen und Werksschließungen auf. Jedoch offenbart diese Perspektive zwei entscheidende Fehler: Erstens hat die NPA bis jetzt keine wirkliche Analyse des Wahlerfolgs der Linksfront abgeliefert noch Taktiken zum Umgang mit ihr entwickelt.

Zweitens gibt es keinen Versuch, auf das Bewusstsein der Millionen von ArbeiterInnen, die mit der Forderung nach Maßnahmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen und einer Verbesserung der Lebensverhältnisse für Holland gestimmt haben, Bezug zu nehmen. Die Hauptspaltung wird zwischen denen verlaufen, welche die kämpfenden ArbeiterInnen unterstützen und jenen, die die Anweisungen der Bosse ausführen.

Natürlich weiß die französische Linke, dass Hollande diese Maßnahmen nicht umsetzen wird, allerdings trifft das auch heute nicht auf die Millionen WählerInnen zu, die für ihn gestimmt haben. Die linken Gruppen, welche in den Wahlen miserable Ergebnisse erzielt haben, haben kein Recht, diesen Fakt zu ignorieren, passiv abzuwarten und am Ende alle anderen zu belehren, wie falsch sie doch lagen. In dreißig Jahre der wechselnden Regierungen aus Reformisten und konservativen Bürgerlichen wurde dies, als es nötig war, nicht getan. Die größte Schwäche der französischen Linken ist ihr fehlendes Verständnis des Reformismus und oder ihre mangelnde Fähigkeit, sich die Taktiken, welche von Lenin, Trotzki und der Kommunistischen Internationale entwickelt wurden, um ihn zu bekämpfen, anzueignen.

Eine klare Einheitsfront-Taktik gegenüber Reformisten und Gewerkschaften wird nötig sein, um eine große Bewegung aufzubauen. Eine Schlüsselfrage liegt im Stoppen der Fabrikschließungen. Hierfür werden Demonstrationen oder militante direkte Aktionen gegen symbolische Gebäude nicht ausreichen. Was gebraucht wird, ist eine Welle von unbefristeten Besetzungen der zu schließenden Betriebe, so wie es schon in den 30er, 60er und 70er Jahren passiert ist. Gleichzeitig ist es entscheidend, die Millionen von Jugendlichen, prekär Beschäftigten und Arbeitslosen für eine Kampagne für gut bezahlte Jobs mit vollen gewerkschaftlichen Rechten zu mobilisieren.

Diese Kampagne muss aber auch radikalere antikapitalistische Forderungen aufstellen wie:

Entschädigungslose Verstaatlichung aller Unternehmen, die mit Kündigungen drohen!

Stopp aller Kürzungsmaßnahmen! Die Reichen sollen durch eine progressive Besteuerung zahlen!

Verstaatlichung der Banken unter Arbeiterkontrolle!

Die Linke sollte die reformistischen Parteien, welchen immer noch Millionen von ArbeiterInnen folgen, dazu auffordern, diese Forderungen aufzunehmen und gleichzeitig davor warnen, dass sich diese ihren Verpflichtungen entziehen werden, diese Forderungen umzusetzen.

Solche Forderungen können zu Parolen der kämpferischen ArbeiterInnen und Jugendliche für eine echte Arbeiterregierung werden, welche mit dem Kapitalismus und dem bürgerlichen Staat bricht, sich auf direkt-demokratische Kampforgane der Arbeiterklasse stützt, die aus der Mobilisierung gegen Kapital und Regierung erwachsen müssen.

Das ist die Lehre, die wir aus Griechenland ziehen können. Dies ist es, auf was sich eine echte antikapitalistische Partei konzentrieren sollte, anstatt den Linksreformismus von Alexis Tsipras, dem Führer SYRIZAs, nachzuahmen. Wenn die NPA in den nächsten Monaten keine klare Perspektive, keine strategische und taktische Vorstellung entwickelt, wie sie die Bewegung voranbringen und zugleich die Führungsrolle und die reformistische Politik der Fronte de Gauche und der Gewerkschaftsführungen in Frage stellen kann, wird sie das in den nächsten Monaten nur weiter von der Masse der ArbeiterInnen isolieren.

Wenn die NPA überleben oder sogar eine führende Rolle in den Arbeiterkämpfen der kommenden Periode spielen will, ist es entscheidend, dass sie eine programmatische Neuausrichtung durchführt und einen organisatorischen Wiederaufbau voranbringt.

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