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Stuttgart

Polizei räumt Schlossgarten - nächstes mal räumen wir S21!

Robert Teller, Infomail 607, 23. Februar 2012

Am Mittwoch, 15. Februar wurde der Stuttgarter Schloßgarten von einem Großaufgebot von Bullen geräumt und mit der Fällung bzw. Ausgrabung von 176 Bäumen begonnen. Die etwa 1000 BesetzerInnen, die während der Nacht dort ausharrten, um die Arbeiten zu verhindern, konnten den Bullen nichts entgegensetzen. Derzeit sind die Fällarbeiten bereits abgeschlossen und anstelle des historischen Parks mit seinen 200jährigen Platanen erstreckt sich eine gewaltige Schneise durch die Stuttgarter Innenstadt.

Ab 3 Uhr in der Nacht hatten Bullen das "Zeltdorf" umstellt und waren anschließend langsam vorgerückt, bis zum Vormittag hatten sich die BesetzerInnen entweder freiwillig zurückgezogen oder wurden weggetragen. Eine ernsthafte Verteidigung der Barrikaden um das Zeltdorf bzw. der Bäume hat nicht stattgefunden. Dies wäre aufgrund des Kräfteverhältnis auch kaum möglich gewesen.

Obwohl die Aktion somit im Wesentlichen symbolischen Charakter hatte, kündigt die Polizei an, etliche AktivistInnen mit Vorwürfen wie "Beleidigung" o.ä. strafrechtlich zu verfolgen.

Tags zuvor fand im Büro der Parkschützer eine Razzia statt, weil angeblich "Anleitungen oder Komponenten von Molotowcocktails" vermutet wurden - ein junger Aktivist wurde festgenommen und vier Tage lang festgehalten, weitere AktivistInnen befinden sich in Haft. Viele weitere Verfahren gegen AktivistInnen, unter anderem wegen Landfriedensbruch, Sachbeschädigung oder Widerstand sind anhängig oder bereits abgeurteilt - insgesamt weit über hundert Fälle von Repression.

Andererseits ergehen sich nun Polizei, Regierung und Bahnvertreter in Versöhnungsbotschaften und danken den "friedlichen Bürgern" für ihr "besonnenes Verhalten". Da der Südflügel nun weg ist, der Park abgeholzt ist und S21 schlussendlich nicht mehr zu verhindern ist, gebe es jetzt keinen Grund mehr zur Auseinandersetzung. Allenfalls könne man das Projekt nun "kritisch begleiten". Als Zeichen der Versöhnung mischte sich gar Polizeipräsident Züfle kurzzeitig unter die BesetzerInnen - sehr schnell mussten ihm jedoch behelmte Prügelbullen zur Seite springen, da die Fehleinschätzung der Situation seinerseits recht schnell hätte gefährlich für ihn werden können. Für diesen Friedensschluss gibt sich jedoch Parkschützer-"Pressesprecher" Matthias von Herrmann gerne her, der keine Gelegenheit auslässt, entschlosseneren und militanten Protest zu verurteilen. Kürzlich drückte er gar demonstrativ im öffentlichen Plausch mit Züfle seine Wertschätzung desselben aus und entschuldigte sich persönlich bei Kretschmann für den Schuhwurf eines S21-Gegners. Er hat eben gar nichts von dem verstanden, was offensichtlich ist: die Polizei prügelt auf Weisung der Regierung im Interesse von einigen wenigen Profiteuren unseren Park frei!

Viele der AktivistInnen sehen das jedoch durchaus anders und denken nicht daran, aufzugeben. Wenn auch, wie absehbar war, die Räumung nicht verhindert werden konnte, und wenn auch der Bau nun nicht mehr gestoppt werden kann - so hat die Bewegung gegen S21 heute und bereits lange offengelegt, dass dieses Projekt nicht im Interesse der Massen, d.h. der Lohnabhängigen, Jugendlichen etc. liegt, sondern gegen standhaften Widerstand von AktivistInnen aus ebendiesen Schichten bisweilen auch gewaltsam durchgesetzt werden muss - damit ein paar wenige von Milliardenaufträgen profitieren.

In Wirklichkeit ist S21 kein "Unsinnsprojekt", wie viele meinen. Es ist im Gegenteil sehr sinnvoll für die Grundstücks- und Immobilienspekulanten, die beteiligten Banken und Versicherungen und die zukünftigen Bahn-Aktionäre, die hiermit jahrelang staatlich garantierte Gewinne einfahren werden - während anderenorts die Kapitalisten derzeit bekanntlich mit den Zähnen klappern.

Kaum jemand in der Bewegung wird aufgrund der herben Niederlage um den Park resignieren. Doch sie sollte uns weder in Verzweiflung stürzen, noch sollten wir einfach weitermachen wie bisher. Vielmehr sollten wir selbstkritisch die Frage stellen, warum die vielen Tausend Aktiven, die in unzähligen Aktionen alles gegeben haben, S21 nicht stoppen konnten. Man erinnere sich:

Die 100.000 im Sommer 2010 wären zahlenmäßig kaum zu steigern gewesen.

Völlig abwegig wäre es, mangelnde Ausdauer oder Entschlossenheit zu unterstellen - tägliche Blockade- und Behinderungsaktionen, die sich auch über Gesetze - hinwegsetzen, zeigen das Gegenteil.

Die verlorene Volksabstimmung war unserer Ansicht nach nicht die entscheidende Frage, wenn auch selbstverständlich ein klarer Ausdruck der Schwäche für die Bewegung.

Schließlich bleibt anzumerken, dass die "schlechte Presse" - also die gemeinsame Verleumdungskampagne der Massenmedien gegen uns - die ganz normale Reaktion auf eine Bewegung ist, die die Interessen der Reichen antastet - und nicht etwa die Strafe für unsere "unfreundlichen" oder "überzogenen" Aktionsformen.

Worum geht es also in Wirklichkeit? Wir meinen, dass die Ursache für den Niedergang der Bewegung darin liegt, dass sie nicht die Klasse der Lohnabhängigen als soziale Massenbasis gewonnen hat - nur diese wäre in der Lage, Bahn und Regierung zur Kehrtwende nicht nur aufzufordern, sondern zu zwingen. Und nur diese hat ein ganz grundsätzliches und allgemeines Interesse, S21 zu stoppen, abseits von Fragen des Natur-, Arten- und Denkmalschutz, technischen Fachdiskussionen und Baumverliebtheit. Hierfür hätten jedoch auch beispielsweise die Gewerkschaften den Kampf unterstützen und die Diskussion darüber in die Millionen hineintragen müssen.

Denn im Kern geht es in der Frage um S21 vor allem um grundsätzlichere Fragen:

Wem soll die Bahn dienen - den täglichen BenutzerInnen oder potentiellen Aktionären?

Wer soll über Bauprojekte entscheiden - die BahnfahrerInnen, Beschäftigten und betroffenen AnwohnerInnen oder eine Managerclique?

Wie können wir andere Angriffe wie kapitalistische Rettungsprogramme bekämpfen und uns auf kommende Angriffe und die Verschärfung der Krise vorbereiten?

Darüberhinaus stehen viele der ParkbesetzerInnen vor dem ganz existentiellen Problem, dass sie durch die Räumung wohnungslos geworden sind. Die gesamte Bewegung hat die Pflicht, in politischer Solidarität mit diesen AktivistInnen für einen neuen Wohnort zu kämpfen - dieser könnte auch zum neuen Diskussions- und Treffpunkt unserer Bewegung werden.

Nie wieder S21! Demokratische Kontrolle der Bahn durch Beschäftigte und BenutzerInnen! Weg mit Grube und seiner Kapitalisten-Clique!

Freilassung aller Gefangenen, Einstellung aller Verfahren! Weg mit Züfle und Häussler!

Kampf gegen Krise und Krisenabwälzung! Seid dabei bei den Aktionen der kommenden Wochen und Monate!

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