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USA

Besetzung der Bankenviertel – eine neue Bewegung

Jeff Albertson, Infomail 582, 8. Oktober 2011

Revolutionen und Aufstände geschehen in Nordafrika und Nahost. Selbst Wisconsin und der amerikanische Mittelwesten erleben Gewerkschaftskämpfe. 2011 wird als Jahr von geschichtlich bedeutsamen Ereignissen im Gedächtnis haften bleiben. Nun nach 8 Monaten von Massenbewegungen im gewerkschaftlichem, studentischen und Jugendbereich in den US-amerikanischen Städten Madison, Columbus und Indianapolis tut sich ein neues Kampffeld auf, eine Bewegung, die sich gegen Banker, internationale Finanzorganisationen und Konzerne richtet und fordert, dass sie für den verheerenden Schaden, den sie in unserer Gesellschaft angerichtet haben, aufkommen sollen.

Entstehung

Anfangs waren es nur ein paar Dutzend AktivistInnen, deren Ziel darin bestand, die Aufmerksamkeit auf den räuberischen und zerstörerischen Charakter der Wall Street zu lenken und zu zeigen, dass die Regierung sich ständig den Wünschen der Hochfinanz beugt. Dies geschah durch die Besetzung des Parks inmitten von Manhattans Finanzviertel. Mittlerweile hat sich der Protest zu mehreren Tausend TeilnehmerInnen und einer US-weiten Solidaritätsbewegung ausgewachsen, jene Massen zusammen zu bringen, die sie als die 99% von Amerika bezeichnen. Angesprochen sind jene, die mit Beginn der größten Wirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkriegs unter den Rettungsaktionen für die Reichen und den Kürzungen des Lebensstandards für den überwältigenden Teil der Bevölkerung, der damit verbunden ist, leiden müssen.

New York und die Besetzung des Parks, der von den Demonstrantinnen in Freiheitsplatz umbenannt worden ist, versinnbildlicht einen Versammlungsort und stellt einen Mikrokosmos der politischen Auflehnung gegen die wirtschaftliche und politische Lage in den USA dar. Die Palette der Bewegung reicht von verschuldeten StudentInnen bis zu Langzeitarbeitslosen und Jugendlichen, von verarmten RentnerInnen zu frustrierten und militanten Gewerkschaftern. Sie alle können und wollen ihre Fäuste nicht länger nur in der Tasche ballen, sondern angeregt durch den arabischen Frühling und die Bewegung, die den früheren tyrannischen Diktator Mubarak in Ägypten gestürzt hat, haben sie sich geschworen, solange die Besetzung fortzuführen, bis die sich mästenden Schmarotzer zur Rechenschaft gezogen werden.

Für viele Beteiligte ist dies die politische Gegenbewegung gegen die reaktionäre Tea Party, ein Widerstand gegen Kürzungen und steigende Armut, v. a. aber ein Quell der Hoffnung, dass die Unterdrückten, die seit den Ereignissen von Wisconsin relativ ruhig geblieben sind, nunmehr aufstehen und ihre Sache sich zum Guten wenden kann, wenn sie sie in die eigenen Hände nehmen.

Getragen wird die Bewegung von einer großen Sympathiewelle im Land. Viele kommen von weither, um sich dem Protest anzuschließen. Die Spenden gerade der Geringverdiener zeigen, wie sehr sie die gute Sache unterstützen und voran bringen wollen.

Der Protest wächst

Und doch lag es v. a. an der Verbreitung der Nachricht und den Bildern, wie Polizisten mit Pfefferspray gegen unbewaffnete schutzlose DemonstrantInnen vorgingen, dass sich das Ausmaß, die Dauer und der Zulauf zur Bewegung so rasant vom Atlantik zum Pazifik vergrößert haben. Seither sind immer mehr Menschen nach Manhattan geströmt, nicht nur, um gegen die Banken zu protestieren, sondern auch gegen die unmäßige Brutalität der Polizei. und den unterdrückerischen Apparat der New Yorker Polizeibehörde, der als gewalttätige Ordnungsmacht um den Park und im Bankenviertel auftritt.

Wer hätte gedacht, dass die USA auf dem Wege zu einer ‚Nation von besetzten Plätzen’ ist? Von den großen Städten Chicago, Boston bis nach Los Angeles und selbst in kleinen Ortschaften, von denen die Welt bislang noch nie etwas gehört hat, sind die Massen in großer Zahl auf den Beinen.

Am zweiten Wochenende der Besetzungen und nach dem großen Protest vor der New Yorker Polizeizentrale geschah etwas bedeutsames, das die gegenwärtige Bewegung zu neuen Höhen beflügeln könnte: eine Reihe von großen und einflussreichen Gewerkschaften haben sich positiv eingeschaltet. Die militante New Yorker Sektion der Teamsters (Gewerkschaftsbezirk 100) hat in einer Entschließung die Polizeireaktion verurteilt und die Besetzung begrüßt. Andere Gewerkschaften wie die Teamsters, die Dienstleistungsgewerkschaft SEIU (Service Employees International Union), der Amerikanische Lehrerverband sowie „International Workers of the World“ (IWW) haben Solidaritätsadressen an die BesetzerInnen geschickt und UnterstützerInnen entsandt.

Weltweite Aufmerksamkeit hat auch der Marsch auf die Brooklyn Brücke erregt, wo 700 DemonstrantInnen verhaftet wurden, nachdem die Polizei die Protestierenden absichtlich in die Fahrbahnzone gedrängt hatte, um einen Vorwand zu haben, sie wegen Verkehrsbehinderung festzunehmen. Dieses vorbereitete Polizeimanöver hat eine Solidaritätskampagne entfacht, die die sofortige Freilassung aller bei diesem Vorfall inhaftierten Menschen verlangt.

Rolle und Charakter der Polizei werden jedoch sehr unterschiedlich gesehen.  Trotzki schrieb einmal: „Ein Arbeiter in Diensten des kapitalistischen Staats ist kein Arbeiter, sondern ein bürgerlicher Büttel.“  Einige in der Bewegung hingegen meinen, auch die PolizistInnen seien Teil der überwältigenden Masse der Bevölkerung, sozusagen ArbeiterInnen in Uniform.

Andere wiederum erkennen allerdings die Unterdrückerfunktion der Polizei bei ernsthaften Bewegungen oder Aktionen, die sich gegen die Regierung, die Großfinanz oder den kapitalistischen Staat allgemein wenden könnten. Die Aktionen der New Yorker Polizei, ihr Pfefferspayeinsatz, ihre Behinderung des Marsches, ihr Schutz der Wall Street und der Stadtverwaltung, sie alle zeigen, dass die Polizei nicht auf unserer Seite steht. Sie bildet als Beschützer eben dieser Banker, Finanzhaie und Profitparasiten, die uns die Not eingebrockt haben, die vorderste Gegenfront. Wir sollten sie als Feinde unseres Widerstands ansehen und entsprechend behandeln.

Zwar hat die Besetzung Millionen anspornen können, ihnen aber keine Perspektive und Richtung für die Zukunft gewiesen. Das Programm der Vollversammlung der Besetzer des Freiheitsplatzes ist viel zu schwammig und lässt jede Menge Interpretationsspielraum. Nicht einmal der Kapitalismus wird eindeutig als Gegner ausgemacht. Ebenso unklar bleibt, an wen das Programm gerichtet werden soll (Wall Street-Investoren oder Regierung).

Das Programm erschöpft sich in Utopismus und idealisiertem Demokratismus, die Forderung nach ‚echter’ Demokratie wird ohne die Bindung an die Frage der Klassenherrschaft erhoben. Das erinnert fatal an Mangel an politischer Orientierung bei den Besetzungen in Spanien.

Die Frage von Demokratie in einem Land wie den USA mit funktionierendem parlamentarisch-demokratischem System muss genauer untersucht werden. Ohne Klassenanalyse, Kritik am aktuellen politischen System und die Herausarbeitung der Art von Demokratie, die es braucht, um sich dem Würgegriff von internationalen Riesenkonzernen und Banken zu entwinden, werden wir in den Nebelschwaden von aufgeblähten aber blutleeren Begriffen umherirren. Augenblicklich befindet sich der Protest noch in diesem Zustand. Er muss sich aber davon frei machen, seine Ziele klar umreißen und sich Kampfmethoden zu eigen machen, um diese Ziele zu erreichen.

Nichtsdestotrotz ist diese Bewegung wichtig und könnte einen bedeutenden Anstoß dazu geben, dass sich eine neue Linke in den USA formiert, die gegen die Konzerne arbeitet, kritisch gegenüber der Regierung ist und der antikapitalistischen Sache in ähnlicher Weise dient wie auf der Gegenseite die Tea Party für die Steuerverweigerer. Wir brauchen eine klare Perspektive auf dem Weg nach vorn und mehr Menschen, die sich dem aktiv anschließen.

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