Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Antifa-Demo in Kassel

Wehret den Zuständen

Ninja Berger, Infomail 579, 27. September 2011

Eine antifaschistische Demonstration mit ca. 1.500 TeilnehmerInnen fand am Samstag, dem 17.09 in der Kasseler Innenstadt statt. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus Organisationen, die ihren Abscheu über die in Kassel zunehmende Präsenz von Neonazis im öffentlichen Leben zeigen wollten. Dabei waren alle relevanten linken Gruppen: GAM, Revolution, SAV, SDS, SDAJ, DKP, DIE LINKE und die MLPD. Daneben der StadtschülerInnenrat, ASTA, die Gewerkschaften, Sozialdemokraten, VVN-BdA, Kassler Friedensforum, Attac, Piraten, Autonome Gruppen, lokale Organisationen, Anti-Deutsche mit einschlägigen Nationalflaggen und jede Menge AntifaschistInnen aus Kassel und der Region. Die Kirchen waren frühzeitig aus dem Bündnis ausgetreten. Grüne u.a. bürgerliche Parteien lehnten den Aufruf zum Teil vehement ab, so z.B. die Junge Union in der lokalen Presse noch am Aktionstag.

Mobilisierung

Für die Mobilisierung wurde sich auf einen Minimalkonsens geeinigt, der den Faschismus ablehnt und auch dem Rassismus der Mitte Einhalt gebieten will. Doch damit nicht genug. Der offizielle Aufruf wurde mit allerlei landläufigen Plattheiten über Faschismus und rechte Gefahr „ergänzt“. Statt eine politischen Stoßrichtung gab es Empörung und Beschwörungen der scheinbar über allen Klassen und Kämpfen stehenden bürgerlichen Demokratie. Es blieb bei einer, wenn auch ambitionierten Manifestation des guten Willens.

Wir von GAM und Revolution haben diesen Aufruf nicht unterstützt, haben aber zur Demonstration aufgerufen und mobilisiert. Unser eigener Aufruf, der durch SDS und SDAJ/ DKP unterstützt wird, und der als Flyer an die DemoteilnehmerInnen verteilt wurde, enthält eine politische Analyse sowie weitergehende Forderungen auch an die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung zum systematischen Aufbau von antifaschistischem Widerstand.

Die Demonstration

Die Demonstration, die im Vorfeld durch Nazischmierereien beeindruckt werden sollte, wurde rund um den Bahnhof durch frische Aufkleber des Freien Widerstandes begrüßt. Die Braunen hatten also durchaus Notiz genommen. Die bekannte Kasseler Neonazi-Aktivistin Melanie Tödter entblödete sich Tage vorher, im Internet zu einem „kameradschaftlichen Treffen“ als Ersatz für die nicht genehmigte Gegendemonstration gegen „linke Zecken“ aufzurufen. Bernd Tödter, geistiger Führer von Sturm 18, war schon mittags in bester Laune unterwegs, „Kameraden“ vom Kasseler Bahnhof abzuholen.

Die Erwartung einer tatsächlichen Auseinandersetzung mit den stadtbekannten Neofaschisten wurde allerdings erst mal enttäuscht. So blieb es bei einer, wenn auch in Anbetracht der Kasseler Verhältnisse und der Tatsache, dass gegen eine Gruppe Neonazis in der Größenordnung von maximal 12 Leuten und gegen den kaum in Erscheinung tretenden „Freien Widerstand“ mobilisiert wurde, großen Demonstration gegen Nazis und Faschismus.

Der Versuch, die Demonstration zu einem kämpferischen Auftritt zu machen, gelang nur über kurze Distanzen. Dauerbeschallung vom Party-Event-Music-Team auf dem Lautsprecherwagen machte das Vorhaben nicht einfacher. Kleine Auseinandersetzungen am Rande, so die Aufforderung an den Vertreter der pro-zionistischen Internetzeitung „nordhessische.de“ ungefragt fotografierte Leute aus dem Bildmaterial zu löschen, wurden durch Polizeischutz vereitelt. Die Provokationen der antideutschen Kindeskinder von Dörge und dem Bündnis gegen Antisemitismus, die im Vorfeld die Demonstration bestenfalls ganz verhindern wollten, ihre Israelfahnen dann aber in der ersten Reihe positionieren mussten, sind nun auch schon so ein alter Hut, dass es dagegen kaum noch Gegenwehr gibt.

Eine Haltung, die wir überdenken müssen, da Nationalismus eben nicht nur in Form des deutschen Nationalismus eine reaktionäre Ideologie ist. Die, die Rechte der palästinensischen Bevölkerung ignorierende und mit Füßen tretende Form des Nationalismus der herrschenden Klasse in Israel, verdient weiter unseren engagierten Widerstand. Dass dies in Zeiten der stets im Raum kreisenden Antisemitismuskeule nicht eben einfach ist, hält viele Linke offensichtlich davon ab. Und so liefen die NationalflaggenschwenkerInnen in vorderster Front weiter und unser höchst idealistisches „Nationalismus raus aus den Köpfen“ war nur eine schwache Geste und ein magerer Appell an deren vorhanden geglaubte Restvernunft.

Und, wen wundert es, hatte sich beim Nordhessiche.de Korrespondent mit dem vermeintlichen Verlust einer USA-Flagge dann auch Grund für die herbeigesehnte Opferrolle gefunden. Weitere Kommentierung der Berichterstattung überlasse ich denen, die sich mit dem Medium beschäftigen möchten.

Trotzdem verlief alles friedlich, ruhig und diszipliniert. Am Kulturzentrum Schlachthof wurde mit einer Demokratie einfordernden Abschlussrede in Verkennung aller realpolitischen Verhältnisse und Zuspitzungen der offizielle Teil der Demonstration beendet.

Aktion

Nach kurzer Zeit, große Teile der Demo-TeilnehmerInnen waren schon auf dem Heimweg, kursierte auf dem Kemal-Altun-Platz vor dem Kulturzentrum Schlachthof das Gerücht, dass Teile der Tödter-Nazi-Gang sich unter massivem Polizeischutz auf dem Friedrichsplatz befänden. Schnell war unter den anwesenden AntifaschistInnen der Aktionskonsens hergestellt, gemeinsam zum Friedrichsplatz zu fahren und dort direkt gegen die Nazis vorzugehen, soweit es Polizeisperren eben ermöglichen. Von der Aktion sollten keine aktiven Angriffe gegen die Nazis oder die Polizei durchgeführt werden.

Gesagt, getan zog eine Gruppe von über 30 AntifaschistInnen los. Unterwegs signalisierten Beobachterinformationen, dass sich die Hundertschaft am Friedrichsplatz schon verzogen hätte und tatsächlich saß und stand das saufende Nazigrüppchen mit allerhand mitsaufenden Sympathisanten direkt hinterm Alex an der Mauer. Die überaus stark bevölkerte Innenstadt nahm an diesem schönen Spätsommertag keinerlei Notiz von dem braunen Pack. Doch das sollte sich schnell ändern.

Innerhalb von Sekunden schnellten die ersten AntifaschistInnen vor, bildeten eine Reihe, spannten Transparente und fingen lautstark an, die Nazis zum Verlassen des Platzes aufzufordern. Die Aufmerksamkeit der PassantInnen und BesucherInnen des Café Alex war ihnen genauso sicher wie die der Faschisten gegenüber.

Während Bernd Tödter nach Leibeskräften posierte, kam die offensichtlich auch stark alkoholisierte Melanie Tödter direkt mit gezückter Bierflaschen auf uns zu. Was diese Geste auch immer bewirken sollte, die Abstände zwischen Antifa und Nazis verkürzten sich. Und genauso schnell kam es zum überstürzten Wiedereintreffen der Polizei. Kasseler Riot-Cops, noch reichlich unerfahren, erkannten in den Nazis auch gleich das Problem. Eine recht ungewohnte Herangehensweise für militante AntifaschistInnen, die die Polizei meist als Schutzpatrone der Faschisten erdulden muss.

Während sich die Polizisten mit den Nazis beschäftigten, kam weiterer Zulauf; neugierige BürgerInnen, PassantInnen und auch noch in der Stadt verbliebene DemonstrationsteilnehmerInnen gesellten sich zu der lautstarken Gruppe. Die SAV brachte mit dem Megafon Informationen an das Publikum. Unsere restlichen Flyer fanden begeisterten Absatz.

Bernd Tödter war am permanenten Filmen und ein paar Neonazis auf hinteren Plätzen posierten immer noch und unternahmen kaum Anstalten, den Weisungen der Bullen zu folgen. Und so spektakulär Melanie Tödters Abgang mit der auf die AntifaschistInnen geworfenen Bierflasche auch erscheinen sollte, es war kaum mehr als der verzweifelte Versuch, in die Köpfe der verhassten Zecken noch etwas hinein zu bekommen und seien es auch nur Scherben einer Bierflasche. Doch auch das misslang und die Bullen zerrten sie zurück zur Gruppe und geben der das eindringliche Signal sich zu verziehen. So trottete der Haufen langsam und widerwillig Richtung Steinweg.

Mit etwas mehr Vehemenz und einem neuen, militanten Aktionskonsens hätten wir sie aufgrund unserer personellen Stärke mittlerweile bis in die Nordstadt eskortieren können. Doch so gelang es den Bullen, nachzurüsten und ihre gefährlichste Waffe, Polizeihund Rex, aus dem Zwinger zu lassen. Damit sicherten Sie den Friedrichsplatz ab und die Nazis machten sich auf den Weg Richtung Naturkundemuseum. Nach kurzer Rückbesprechung folgten noch ein paar Versuche, den Faschisten hinterher zu kommen, was aber durch eine stärkere und militantere Bullenpräsenz, aber auch durch die mangelnde Aktionsbereitschaft und/ oder Erfahrung beim Durchfließen von Polizeiketten nicht mehr durchzuführen war. Kurze Zeit darauf erhielten wir die Meldung, dass die Nazis aufgrund eines Platzverweises in Wannen verfrachtet und zu ihren Behausungen gekarrt würden. Lautstarke antifaschistische Parolen und eine tiefe gemeinsame Zufriedenheit über den Erfolg der Aktion bildeten den Abschluss der Aktion.

Alles in allem war diese Aktion die entscheidende Tat des Tages. Sie markiert den Wendepunkt einer bis dahin unrühmlichen Entwicklung. Erinnern wir uns, bereits während des ersten Antifa-Bündnis-Treffen Anfang des Sommers saßen Tödter und Konsorten völlig unbehelligt auf dem Kasseler Königsplatz. GenossInnen von GAM und Solid, die das Bündnis früher verlassen hatten, bemerkten die Nazis und informierten die noch tagenden mehr als 30 AntifaschistInnen. Selbst der persönliche Auftritt unserer Genossin führte nicht dazu, den Nazis an diesem Tag zahlreich, vehement und militant gegenüber zu treten. Die Liste der Ausflüchte und Ausreden war schier unerschöpflich und frustrierend.

So bedurfte es der langen und ermüdenden Treffen, die schließlich zu neuer Zielsetzung führten, gemäß Strategie und Schein-Ausweg der reformistischen Kräfte, allein mit einer antifaschistischen Demonstration und Aufklärung, die dann von den Bündnisakteuren de facto nicht einmal stattfand, das Nazi Problem lösen zu wollen. Diese Selbstinszenierung gelang allerdings tatsächlich auf quantitativ hohem Niveau.

Die Vertreibung der Nazis von unseren Plätzen, die Verhinderung rechter Aktionen aber gelang und gelingt weiterhin durch den Mut, die Militanz und den Zusammenschluss der aktiven AntifaschistInnen. Das hat auch die Geschichte der antifaschistischen Aktionen in Kassel bewiesen. Dieser Gedanke muss noch mehr GewerkschafterInnen, Jugendliche und MigrantInnen erfassen, muss Massencharakter bekommen.

Der Weg der richtigen Schritte hat begonnen! Alerta Antifascista!

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::