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Berliner Wahl

Rote Karte für Rot/Rot

Hannes Hohn, Infomail 578, 19. September 2011

Die Wahlen zum Berliner Senat endeten mit Einbußen der regierenden rot/roten Koalition, so dass deren Fortsetzung rechnerisch unmöglich geworden ist. Für den neuen Senat kann sich die SPD als stärkste Partei entweder die CDU ins Boot holen, was eine klare Mehrheit sichern würde, oder die Grünen, mit der sie nur eine sehr knappe Mehrheit hätten. Für die letztere Option spricht jedoch nicht nur, dass Wowereit sie schon vor der Wahl als Wunschpartner bezeichnete. Vor allem wird Rot/Grün wohl in Hinsicht auf die nächste Bundestagswahl als Signal angestrebt werden.

Das Ergebnis

Obwohl Wowereits SPD zum dritten Mal hintereinander gewann und stärkste Partei wurde, verlor sie (bei einer fast gleichen Wahlbeteiligung von ca. 59% wie zuletzt 2006) 2,5 %. Zusammen mit den Verlusten der LINKEN von knapp 1,7 % kann man also durchaus sagen, dass die Politik des rot/roten Senats bei den WählerInnen klar an Zustimmung verloren hat. Dabei muss man in Rechnung stellen, dass die Opposition - v.a. die CDU - sicher stärker von der Unzufriedenheit mit dem Senat hätte profitieren können, wenn sie nicht selbst auf Bundesebene durch die Euro-Krise ins Schlingern geraten wäre.

Die CDU konnte - entgegen dem Bundestrend - zwar leicht zulegen (+ 2,1 %), erreichte diese Steigerung fast nur durch erhebliche Stimmengewinne von der FDP. Ohne diese hätte kaum Zugewinn erlitten. Von einem wirklichen Erfolg der CDU als Opposition zur SPD kann also nicht die Rede sein.

Durchaus erfolgreich waren hingegen die Grünen, die 4,5 % hinzu gewannen. Allerdings zeigte sich auch, dass der Hype um die Öko-Partei den Zenit überschritten hat. Noch vor wenigen Monaten sah es nach den Umfragen ja so aus, als könnten die Grünen sogar stärkste Partei und ihre Spitzenkandidatin Renate Künast neue Regierende Bürgermeisterin werden.

Doch der inzwischen begonnene Atom-Ausstieg macht die Grünen in den Augen der Mehrheit weniger wichtig, und in Stuttgart zeigen sich die Grünen als Regierungspartei eher angepasst als alternativ, wie die Vorgänge um S21 offenbaren.

Doch bei den Grünen hat nicht einfach der oppositionelle Lack an Glanz verloren. Der Atomausstieg wie auch S21 zeigen, dass ihre politische Strategie und ihre politischen Methoden nicht grundsätzlich über das hinaus gehen, was auch die SPD vertritt. Das Ergebnis der Grünen zeigt auch, dass sie im sozial größten Wählersegment, bei den Lohnabhängigen, strukturell schwach verankert sind, v.a. in den Gewerkschaften.

Piraten

Ein wirklicher Kracher ist das Ergebnis der Piraten. Sie haben aus dem Stand 9% geholt und sind damit ins Abgeordnetenhaus eingezogen. Programmatisch sind sie keine monothematische Truppe mehr, die sich nur um Datenschutz, Internet und Bürgerbeteiligung kümmert. Sie plädiert z.B. auch für einen Mindestlohn. Doch insgesamt ist ihre politische Orientierung unausgegoren oder unklar. So erklärte die Piraten-Partei im Internet bezüglich der Vergesellschaftung von Großkonzernen und Großbanken: „Tatsächlich haben wir uns dazu noch nicht positioniert. Grundsätzlich befürworten wir eine staatlich eingegrenzte Marktwirtschaft.“ So „frisch“ und „alternativ“ das Image der Piraten auch ist – geht es um politische Kernfrage so zeichnen sich nur durch größere Unbestimmtheit aus oder durch die Wiederholung politischer Gemeinplätze. Eine Partei des Kampfes oder gar eine antikapitalistische Kraft sind sie nicht. Ihre Politik ist v.a. Ausdruck der Mittelschichten, v.a. der StudentInnen.

Bemerkenswert am Erfolg der Piraten ist jedoch, dass sie erstens so leicht den etablierten Parteien Stimmen abjagen konnten und zweitens v.a. unter Jugendlichen und ErstwählerInnen (lt. Umfragen 14 Prozent) Erfolg hatten. Das verweist durchaus auf die immer stärker schwindende Bindungskraft der etablierten bürgerlichen Demokratie, ihrer Parteien und Mechanismen.

So hoch die Piraten stiegen, so tief war der Fall der FDP - auf 1,8 %. Die Krise der Partei nach ihrer als „Erneuerung“ verkauften Personalrochade führte sie nun zur dritten verlorenen Landtagswahl unter dem neuen Chef Rösler. Damit dürfte für weitere interne Turbulenzen in der FDP gesorgt sein. Die Medien schieben das Wahldebakel der FDP vorschnell deren neuester Wendung in der Europa-Politik (Insolvenz für Griechenland) zu. Doch das ist unlogisch, denn lt. Umfragen halten immerhin 45% die Position Röslers für richtig. Viel mehr ist das totale Scheitern der großspurigen Steuersenkungsversprechungen der FDP für ihr Versagen verantwortlich. Dazu kommt, dass die FDP als Mehrheitsbeschaffer einer bürgerlichen Koalition - ihrer sonstigen Hauptrolle bei Wahlen - nicht in Frage kam. Und natürlich wurde diesmal auch krass deutlich, dass die FDP eben sozial auch nur eine extrem kleine Schicht vertritt.

Doch hinter dem allgemeinen - und verständlichen - Hohngelächter über das Desaster der neoliberalen Großschnauzenpartei steckt ein ernsthaftes Problem für das deutsche Kapital. Immerhin repräsentiert(e) die FDP erhebliche Teile des deutschen Großkapitals und der  Mittelstands-Bourgeoisie, deren Partei momentan nur noch als Lachnummer gilt.

Trotz des Desasters der FDP zeigt die Berliner Wahl aber am deutlichsten, dass sich das deutsche Parteiensystem immer deutlicher der politischen Zersplitterung und Instabilität der Weimarer Republik nähert. Die Ära der alles dominierenden „Volksparteien“ CDU und SPD ist vorbei - weil auch die Zeit des relativ stabilen Kapitalismus in den Strudel der allgemeinen Krise des Systems geraten ist.

Die LINKE

In gewissem Sinn scheint es paradox: Gerade dann, wenn die LINKE am erfolgreichsten ist, also an die Regierung kommt, beginnt postwendend ihr Niedergang.

Was die Linkspartei wirklich ist, was sie bewirkt und wie sie sich entwickelt, kann nirgends so gut wie in Berlin beobachtet werden. Dort hat die Partei ihre Hochburg, d.h. dort sitzt ein großer Teil des Apparats, dort verfügt sie über ihre größte Mitgliederstärke.

Vor allem aber hat sie in Berlin zwei Legislaturperioden, also zehn Jahre, mit der SPD regiert. Die Wahlergebnisse sprechen für sich. Konnte sie von 1990 bis 2001 ihre Ergebnisse von 9,3 über 14,6 und 17,7 auf 22,6% deutlich steigern, so war damit mit dem Moment der Übernahme von Regierungsverantwortung 2001 Schluss. Schon nach fünf Regierungsjahren (2006) verlor sie fast 9% der Stimmen (13,4%), um nun erneut zu verlieren. Ihre 11,6% bedeuten fast eine Halbierung des Ergebnisses von vor zehn Jahren. Wie ist diese dramatische Abwärtsentwicklung zu erklären?

In den Wahlstatements hatten die VerteterInnen der LINKEN flugs eine Erklärung zur Hand: die innerparteilichen Debatten der letzten Wochen hätten geschadet. Das ist nichts anderes als verlogen! Erstens glaubt kein Mensch ernsthaft, dass eine mehr als halbseidene Kommunismus-Debatte oder ein Geburtstags-Telegramm an Fidel Castro zehntausende WählerInnen wirklich interessieren würden. Zweitens kann man den zehnjährigen Niedergang der Berliner LINKEN bei Wahlen wohl kaum nur mit Debatten erklären. Zudem müsste die LINKE nach der Fusion mit der WASG ja normalerweise an Stärke gewonnen haben.

Doch solche inhaltlich albernen Statements haben durchaus ihren Sinn. Erstens kann man vor dem anstehenden Parteitag gleich mal gegen Lötzsch und Ernst und v.a. die linkeren Teile in der Linken Druck machen. Zweitens lenkt man so auch von der miesen Bilanz der eigenen Regierungspolitik ab. Diese lässt sich - entgegen dem selbstgefälligen Schulterklopfen von LINKEN-Wirtschaftssenator Wolf (aber auch von Wowereit) - anhand von Fakten belegen.

Berlin ist immer noch die Hartz IV-Hauptstadt. Fast 38% aller Kinder unter 15 sind lt. ver.di auf Hartz IV-Mittel angewiesen.

Billige Mietwohnungen werden immer knapper, wozu der Senat durch fast komplette Einstellung des sozialen Wohnungsbaus, durch Privatisierung und Abriss kräftig beigetragen hat. Unmittelbar vor der Wahl erhielten zehntausende kommunale Mieter Mieterhöhungen.

Im Krankenhaus-Bereich sanken die Investitionen in den letzten 20 Jahren von 319 auf 92 Mio. Euro!

Im Bildungsbereich wurde kein einziges Problem wirklich gelöst, was auch die immer wieder aufflammenden Bildungsproteste belegen.

Das S-Bahn-Chaos zeigt, dass der Senat unfähig war, dem Hasardspiel der Bahn AG Einhalt zu gebieten.

Im Öffentlichen Dienst war Berlin bundesweit sogar Vorreiter beim Ausstieg aus dem TvöD. Es gibt in diesem Bereich einen Einstellungsstopp, viele Beschäftigte sind in den Stellenpool auf schlechter dotierte Stellen abgeschoben.

Wenn  man sich die Weltlage, v.a. die Finanzkrise, die EURO-Probleme usw. anschaut, dann  müsste eine linke, sozialistische Partei davon normalerweise profitieren. Das Gegenteil ist bei der LINKEN der Fall!

Berlin (wie zuvor auch Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt, wo die PDS eine Tolerierungspolitik verfolgte) zeigt ganz klar: der Versuch, den Kapitalismus „verbessern“, „bändigen“, „reformieren“ zu wollen, indem man mitregiert, funktioniert nicht. Mit Hilfe des bürgerlichen Staatsapparates und innerhalb der „Grenzen des Grundgesetzes“ kann keine Politik umgesetzt werden, die sich wirklich gegen das Kapital richtet. Der Arzt am Krankenbett des Kapitalismus hat sich selbst angesteckt, anstatt den Patienten zu heilen.

Die wachsende Enttäuschung über die Realpolitik der Linkspartei ist ein Ergebnis der Mitregiererei; das noch weit dramatischere ist, dass die LINKE für ihre koalitionären Machtspiele und ihre Haupt-Orientierung auf den Parlamentarismus auch immer mehr jenes Kampf- und Mobilisierungspotential untergräbt, das selbst für die Durchsetzung ihrer eigenen bescheidenen Reformziele gebraucht würde.

Das Schicksal der Linkspartei ist historisch nur eine Neuauflage der alten reformistischen SPD-Politik, die bekanntlich nicht zur Verbesserung des Kapitalismus und schon gar nicht zum Sozialismus geführt hat.

Auf jeden Fall zeigt das Schicksal der Linkspartei aber, dass die reformistische Politik diese Partei und ihr bürgerlicher Charakter gerade dann am deutlichsten zum Vorschein kommen und entlarvt werden können, wenn sie an der Regierung ist. Dort zeigt sich die Untauglichkeit ihrer Politik als Interessenvertreterin der Lohnabhängigen am deutlichsten.

Vor allem aber zeigt der elektorale Niedergang der LINKEN, dass die Arbeiterklasse, dass die Jugend, die Arbeitslosen, die RentnerInnen und ImmigrantInnen eine andere Partei brauchen; eine Partei des Klassenkampfes, eine Partei, die nicht nur nebenbei über „Wege zum Kommunismus“ fabuliert, sondern ernsthaft über die Mittel und Methoden nachdenkt, die dazu geeignet sind, den Kapitalismus zu stürzen.

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