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Militärjunta übernimmt Macht im Namen der Demokratie

Mubaraks Pudel an der Macht

Eugen Hardt, Infomail 535, 14. Februar 2011

Aus Staatspräsident wird Diktator, aus Aufständischen werden Freiheitskämpfer - nicht wenige bürgerliche Lohnschreiber, nicht wenige imperialistische Statthalter weltweit waren überfordert damit, sich an die neue, radikal veränderte Sprachregelung zu Ägypten anzupassen.

Bis vor zwei Wochen galt noch, dass Mubarak der „Staatspräsident von Ägypten“ ist, „gemäßigt“ für „Stabilität“ sorgt und v.a. im Sinne der „westlichen Werte“ und der „internationalen Gemeinschaft“ ein Bollwerk gegen den Islamismus bildet. Mafiosi Berlusconi hielt ihm bis zuletzt die Stange, nannte ihn gar den „weisesten Mann der Welt“ und der Nahostbeauftragte der EU, Tony Blair, lobte ihn in den höchsten Tönen als einen Kämpfer für Freiheit und Demokratie gegen die Mächte des Bösen.

Urplötzlich wurde Mubarak dann zum Diktator eines finsteren Regimes mit Folterknästen. Man konnte auf einmal lesen, dass er 40-80 Milliarden Dollar persönlichen Raubes außer Landes schaffen durfte, dass er Wahlen systematisch gefälscht hatte und dass er im Gegenzug jährlich 1,3 Milliarden Dollar für „Militärhilfe“ erhielt zur Bezahlung eines eine Million Mann starken Spitzel- und Repressionsapparates und ferner dafür, einer Militärelite ein vom Volk abgetrenntes luxuriöses Leben zu ermöglichen.

Plötzlich wurden „Aufständische“ und „Gewalttäter“ zu „friedlichen Demonstranten“ und Mubaraks ehemalige „Sicherheitskräfte“ wurden zum „bezahlten Mob“. Keine Rede war von über 300 Toten, von landesweiten, höchst gewaltsamen Kämpfen der Massen, obwohl die Bilder haargenau denen der Steine werfenden hiesigen „Chaoten“ glichen. Ägyptische Steine sind friedliche, deutsche gewalttätig.

Man hatte die Seiten zu wechseln und insbesondere Saudis und Zionisten taten sich schwer damit. König Abdullah ergriff wütend gegenüber seinem Herrn Obama Partei für Mubarak ebenso wie Zionistenchef Netanyahu. Beide überkam die Angst, von den Imperialisten (euphemistisch sich selber „Internationale Gemeinschaft“ nennend) ebenso emotionslos fallen gelassen zu werden wie jetzt der in 30 Jahren treueste aller Vasallen Mubarak. Es hieß, man könne nicht einen solch ergebenen „Freund des Westens“ eiskalt abservieren. Außerdem sei dies höchst gefährlich für die „Stabilität“, ein Begriff der Herrschaftssicherheit für eine islamistische fundamentalistische Monarchie bzw. den rassistischen Zionismus zum Ausdruck bringt.

Selbst als Millionen ausdauernd demonstrierten, forderten Obama und Merkel, der Diktator Mubarak wäre der geeignete Mann, einen „Übergang zur Demokratie" zu gestalten. Erst als die Arbeiterklasse sich als eigenständige Kraft am Aufstand zu beteiligen begann, erst als die soziale Frage sich sehr viel deutlicher in den Vordergrund schob und sich die Proteste immer mehr aufs ganze Land ausbreiteten, zwang man Mubarak, einen Teil seiner Macht ausgerechnet auf seinen treuen Kerker- und Foltermeister Suleiman zu übertragen, auf dass dieser den „Übergang zur Demokratie“ „geordnet“ vollzöge.

Erst als auch das nichts half, wurde Mubarak geopfert und das als „Sieg der Demokratie“ in den westlichen Medien gefeiert. Dieser hatte zuvor seine diktatorische Macht selber an den obersten Militärrat übertragen, der von General Mohamed Tantawi geleitet wird, einen der engsten Freunde und Vasallen Mubaraks. Man nennt ihn auch „Mubaraks Pudel“. Und nun soll erst nach Mubarak selbst, dann nach seinem Foltermeister nunmehr sein Pudel den „Übergang zur Demokratie“ herstellen - mit einer Militärdiktatur.

Als erstes verkündete die Junta, sie wolle am Frieden mit den Zionisten festhalten und - da der Sieg ja errungen sei -sollten alle zur Arbeit zurückkehren; das Parlament wurde aufgelöst und eine von der Junta eingesetzte Kommission mit der Vorbereitung von „freien Wahlen“ im September beauftragt – dann, wenn sie sowieso hätten stattfinden sollen.

Demokratische Revolution durch eine Militärjunta?

Haben die Millionen für die Herrschaft einer Militärjunta gekämpft? Haben mehr als 300 Menschen ihr Leben dafür gelassen, dass an Stelle von Mubarak nun seine Militärratspudel herrschen? Wem nutzt der Abgang von Mubarak, wenn sich an der Herrschaft der elitären Militärbürokratie und der neoliberalen Kompradorenkaste nichts ändert? Was ändert Mubaraks Abgang an den hohen Lebensmittelpreisen, der Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit der Jugend?

Noch nicht eines der demokratischen Ziele der Demonstranten der „Bewegung des 25. Januar“ wurde erreicht:

sofortige Aufhebung des Ausnahmezustandes, welcher die verfassungsmäßigen Menschenrechte suspendiert;

sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen, Auflösung der Folterknäste;

Einsetzung eines Übergangsrates aus allen politischen Parteien;

Einsetzung einer Übergansregierung aus verschiedenen unabhängigen Gruppen, um baldige faire Wahlen vorzubereiten;

Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung zur Ausarbeitung einer demokratischen neuen Verfassung, über die das Volk in einem Referendum abstimmt;

Beseitigung jedweder Beschränkungen bei der Bildung von politischen Parteien;

Pressefreiheit;

Freiheit zur Bildung unabhängiger Gewerkschaften und sonstiger politischen Organisationen;

Auflösung aller Militärgerichte und Sondereinheiten.

Die demokratische Revolution vollenden, zur sozialistischen fortschreiten!

Zu Beginn des Aufstandes kämpfte vorwiegend die ägyptische Jugend in Anlehnung an die Erfolge in Tunesien. Das Regime war nicht gewillt, das gleiche Ende wie Ben Alis Regime zu nehmen und setzte alles daran, mit seinen Repressionsorganen Polizei und Sondereinheiten die Demonstrationen niederzuschlagen. Ihr Vorbild war die erfolgreiche Niederschlagung des „Grünen Aufstands“ im Iran.

Während sich im Iran jedoch sich die herrschende Elite auf Teile der Armut sowie ihre paramilitärischen Garden stützen konnte, verfügte das ägyptische Regime nur über seine bezahlten Repressionsorgane. Während im Iran immer noch eine gewisse soziale Einbindung der untersten Schichten fortbestand, welche Illusionen in den Charakter des Regimes nährten, hatten die Massen in Ägypten schon die Erfahrung der neoliberalen „Revolution“ gemacht, also die fortgesetzte Verschlechterung der Lebensverhältnisse, die Ausbreitung von bitterer Armut, der ständige Kampf ums nackte Überleben ohne die geringste Perspektive.

Der Charakter der Bewegung in Ägypten war von Anfang an nicht durch religiöse Themen geprägt, sondern seitens der Arbeiterklasse durch die Forderungen nach Brot und Arbeit ferner seitens des gebildeten Kleinbürgertums nach bürgerlich-demokratischen Rechten.

Der Kampf gegen die verhassten Repressionsorgane verlief dann überhaupt nicht gewaltfrei. Es gelang den Massen, die Polizei überall zurückzuschlagen; viele Polizeistationen wurden verwüstet und ebenso viele Gebäude des Systems niedergebrannt, allen voran das Parteigebäude der Regierungspartei in Kairo.

Überall im Lande öffnete man dann die Gefängnisse und ließ Kriminelle frei und ermuntere sie zu Plünderungen in den Armenvierteln, um Chaos auszulösen. Mubarak gab die Parole aus: Ich oder das Chaos.

Weiterhin fasste man dies Lumpenproletariat mit Sondereinheiten ohne Uniform zu besoldeten bewaffneten Milizen zusammen, deren Aufgabe es war, einerseits auf die friedlichen Demonstranten auf dem Tahrirplatz einzuschlagen und andererseits systematisch mit Straßensperren und Terror einen Teil der Stadtviertel Kairos zu kontrollieren.

Dem hatten die Demonstranten nur ihre große Zahl, ihre Opferbereitschaft und ihre Entschlossenheit entgegenzusetzen. Sie versäumten es aber, sich selber in den Stadtvierteln und Betrieben in Form von Räten zu organisieren, dort eine Gegenmacht zum Staatsapparat aufzubauen, die Lumpenmilizen zu vertreiben und sich zu bewaffnen. Ihre Taktik bestand meist allein darin, den Tahrirplatz besetzt zu halten und zum wiederholten Male zum Ausgangspunkt von Massendemonstrationen zu machen.

So blieb das US-Kompradorenregime aus militärischer und wirtschaftlicher Elite mitsamt seinem Staatsapparat unangetastet.

Die Demonstranten übernahmen Obamas und Merkels oberste Doktrin der völligen Gewaltfreiheit, die nichts anderes als ihre größte Furcht zum Ausdruck bringt. Sie gaben sich der Illusion hin, friedliche Massendemonstrationen könnten das Regime dazu veranlassen, freiwillig auf all seine Privilegien und seine Macht zu verzichten. Am Ende stürzte man den König als Bauernopfer und forderte die Massen auf, nun aber nach Hause zu gehen und alles beim alten zu belassen. „Vertraut uns, wir geben euch, was ihr wollt“ verkündete die Militärjunta, aber bitte geht nach Haus und gebt Ruhe.

Bisher ging die Taktik des Regimes auf, das Militär scheinbar als neutrale Instanz aufzubauen, ja den Eindruck zu erwecken, es sei auf der Seite der Demonstranten.

Die Illusionen besonders der kleinbürgerlichen Teile der Bewegung in den Charakter der Armee und der herrschenden Elite, insbesondere auch in die Rolle der US- und EU-Imperialisten, die man als seine Unterstützer wähnt, überzeugten inzwischen Netanyahu und seine saudischen Freunde. Er ließ erklären, man habe großes Vertrauen in die ägyptische Armee und ihre Junta.

So befindet sich die ägyptische Revolution an einem Scheideweg. Ist man bereit, sich mit der Abschiebung Mubaraks zufrieden zu geben? Vertraut man ausgerechnet Mubaraks Pudeln und ihren Versprechungen, (bürgerliche) Demokratie mit freien Wahlen im Sinne des Programms der Bewegung 25. Januar einzuführen? Kann man einen Bock zum Gärtner machen oder einen Banker zum Arbeiterführer?

Im kommunistischern Manifest heißt es nicht umsonst, dass das Werk der Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann.

Das bedeutet, dass die „soziale Frage“, konkret in Ägypten der Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Armut und Hunger nicht durch eine Militärjunta oder die herrschende US-genährte Kompradorenkaste mit Aussicht auf Erfolg gelöst werden kann.

Aussicht auf Erfolg hat allein die unabhängige Organisierung in demokratisch gewählten und jederzeit wieder abwählbaren und unmittelbar rechenschaftspflichtigen Räten auf Betriebs- und Stadtteilebene. Es geht darum, eine reale soziale Gegenmacht in der Gesellschaft aufzubauen, anstatt nur in noch so großen Demonstrationen allein Petitionen an die Herrschenden zu richten. Diesbezügliche historische Vorbilder sind die Pariser Kommune, die deutsche und russische Revolution oder jüngst die Bewegung in Oaxaca.

Es geht darum, die Machtfrage zu stellen, denn die herrschende Klasse wird garantiert die Macht des von ihr beherrschten Staatsapparates gegen die Gegenmacht der Arbeiterklasse einsetzen. Genau so geschah es in 1871 in Frankreich gegen die Kommune, in Deutschland 1918 und 1923 und jüngst in Oaxaca. In allen Fällen setzten die bewaffneten Einheiten der Herrschenden allen demokratischen Räten ein jähes und blutiges Ende.

Es kommt also darauf an, die demokratische Macht der Räte durch bewaffnete Milizen zu sichern. Nur dann besteht Aussicht darauf, dass relevante Teile der Armee überlaufen und ihre Waffen gegen die Sondereinheiten des alten Regimes wenden. Solange die Massen unbewaffnet sind, sind sie letztlich den bewaffneten Einheiten des Staates hilflos ausgeliefert.

Vor allem kommt es darauf an, das letztlich entscheidende Ziel vor Augen zu haben, den Staatsapparat zu zerschlagen und durch ein völlig neues anderes System der Rätedemokratie zu ersetzen, also die bürgerliche Demokratie von bestochenen unkontrollierbaren Stellvertretern abzuschaffen.

Die russischen RevolutionärInnen waren erfolgreich, weil sie genau dies erkannt und beachtet hatten: sie schufen Räte als Gegenmachtorgane, bewaffneten sich, zerschlugen den bürgerlichen Staatsapparat und ersetzten ihn  durch das System der Sowjets.

Solange die ägyptischen revolutionären ArbeiterInnen Obamas und Merkels Ruf „das Wichtigste ist Gewaltfreiheit“ folgen, werden sie ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein.

Die Installation einer Militärjunta als Ergebnis einer demokratischen Revolution ist so nichts anderes als eine Kampfansage an die Arbeiterklasse. Sie soll sich mit ihrer Lage abfinden und leeren Versprechungen von Obamas „Change“ oder Merkels „Übergang zur Demokratie durch Pudel“ Glauben schenken.

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