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Terrorwarnungen

Brennt jetzt bald der Weihnachtsmarkt? Die „Terror“hysterie und was dahinter steckt

Martin Suchanek, Infomail 519, 23. November 2010

Die „Terrorwarnung“ geht um wie einst die Schweinegrippe. Jeder könnte infiziert werden. Der Reichstag, heißt es, sei ein prominentes Ziel, die Reichstagskuppel allemal. Es könnte aber auch der Weihnachtsmarkt sein, orakelt ein anderer „Terrorismusexperte“.

Kaum eine Talksshow, in der nicht Pressefritzen, Experten, aktuelle und Ex-Innenminister ihre Überlegungen zum „Kampf gegen den Terrorismus“ ausbreiten. Kaum eine Banalität, die in den Verblödungsshows des öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehens nicht vorkommt und als neue Einsicht in „terroristische Taktiken“ aufgetischt wird.

So verdienen diverse Experten ihr Geld damit, dass sie alle Welt darüber „aufklären“, dass es leichter sei, ein „weiches“ Ziel - also einen der vielfach als Target terroristischer Anschläge ins Spiel gebrachten Weihnachtsmärkte - in die Luft zu jagen, als eine Bombe im Reichstag zu platzieren.

Um diese „Expertendiskussion“ zu vervollkommen, tritt früher oder später noch ein weiterer „Kenner“ auf, der davor warnt, allzu offen solche Überlegungen anzustellen. „Al Kaida“ und andere „Islamisten“ könnten dadurch erst auf solche Ideen kommen.

Tief sitzt bei jedem „Aufklärer“ auch der rassistische Stereotyp. Die „Terroristen“, ob schon da oder noch im Anflug, kommen in der Regel aus Pakistan, Afghanistan, Indien. Ein Schwarzer, will der Spiegel wissen, ist auch dabei. Und auch ein Deutscher, wahrscheinlich ein heimtückischer Konvertit.

Auch der Berliner Innensenator Körting legt nach und ruft laut Berliner Zeitung vom 19. 11. dazu auf, Nachbarn auszuspionieren, die „seltsam aussehen“ und „nur Arabisch oder eine Fremdsprache“ sprechen.

Wie in jeder solcher Debatten, gibt es natürlich auch die „Besonnenen“, die vor „Hysterie“ und „Übertreibung“ warnen, nachdem sie - wie Innenminister De Maizière - diese mittels „Terrorwarnung“ gerade erst in die Welt gesetzt haben.

Wäre die Sache nicht durchaus ernst, so könnte eine satirisch-ironische Betrachtung des Aberwitzes der neuesten „Anti-Terror“-Hysterie reichen.

Allein, es gibt wichtige Gemeinsamkeiten quer durch das gesamte bürgerliche politische Spektrum - bei Regierung wie der Opposition, wenn auch mit teilweiser Ausnahme der Linkspartei.

1. Die „Gefahr“ durch den „islamistischen Terrorismus“ erkennen alle an

Ob es nun CDU/CSU und FDP, SPD, Grüne oder tw. selbst Linkspartei ist. Die Tatsache, dass es bei der parlamentarischen Opposition auch einige Gegner der These von der großen Terrorgefahr gibt, ändert nichts an der Grundposition der Parteien. Der „internationale Terrorismus“ des „Islamismus“ wird als „Grundproblem“ unserer Zeit benannt, gegen das es sich zu schützen gelte.

Strittig sind in letzter Instanz nur die Mittel. Die Innenminister - inkl. Körting vom Rot-Roten-Senat in Berlin - fordern die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und möglichst flächendeckende Bespitzelung der Bevölkerung. Andere, wie Justizministerin Leutheuser-Schnarrenberger, warnen vor einer „vorschnellen“ Wiedereinführung und „Instrumentalisierung“ der Lage für abgelehnte Gesetze - um dann selbst „eine  anlassbezogenen Nutzung von Telekommunikationsdaten”, also mehr Überwachung light, vorzuschlagen.

Die LINKE will keine Verschärfung der Gesetze und macht auch den Afghanistaneinsatz für eine Stärkung des Terrorismus verantwortlich. Dass dieser ein „wirkliches Problem“ darstellt, wollen allerdings auch die PatriotInnen aus der zweiten Reihe nicht bestreiten.

2. Geheimhaltung ist notwendig

Bei so viel Gemeinsamkeit im Kampf um die Sicherheit will niemand die Sicherheit gefährden. Daher soll geheim bleiben, was geheim ist. Dass die Geheimdienste, Ministerien, Militärs und Polizei die von ihnen behaupteten „Erkenntnisse“ offen legen sollen, kommt da nicht in Frage. Wer auf Offenlegung der „Fakten“ pocht, gilt als Helfer oder Helfes-Helfer der Terroristen und als VaterlandsverräterIn.

Dabei wäre es selbst von jeder demokratischen Opposition - geschweige denn von einer „linken - das Mindeste, eine Offenlegung aller „Dokumente“ und „Erkenntnisse“ für die Öffentlichkeit zu verlangen und die Geheimhaltung wirklicher oder vermeintlicher „Beweise“ als das zu entlarven, was sie ist: gezielte Manipulation der Bevölkerung.

3. Den „Islamisten“ ist alles zuzutrauen

Damit einher geht eine „Dämonisierung“ der Islamisten, die ihre Ziele und Aktionen letztlich jenseits jeder rationalen Politik ansiedelt. Bin Laden u.a. ist wirklich alles zuzutrauen. Selbst wenn „wir“ - also die NATO-Besetzungstruppen samt Bundeswehr - aus Afghanistan abziehen würden, selbst wenn wir nicht mehr in anderen Ländern und Regionen militärisch präsent wären, würde der unermüdliche Dschihadist Bin Laden weiter bomben.

Diese Dämonisierung hat einen klaren Zweck. Die imperialistische Kriegs- und Besatzungspolitik der USA, der BRD und ihrer Verbündeten wird gar nicht als Ursache von Gegenaktionen der Dschihadisten anerkannt.

Dabei sind die Ziele der Islamisten durchaus klar. Ihre reaktionären politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen - die Errichtung einer Theokratie - stehen ebenso außer Zweifel wie ihre aktuelle Feindschaft gegenüber den westlichen Truppen in Afghanistan wie in der gesamten „islamischen“ Welt wie deren aktuelle Ausplünderung durch den Imperialismus. Die Anschläge sind ein Mittel der Verfolgung ihrer Ziele - ebenso, wie die USA, die BRD u.a. für ihre Ziele Afghanistan mit Krieg überziehen und ein Marionettenregime aushalten. Ebenso, wie der Imperialismus Israel als zionistisches Besetzungsregime und die reaktionären arabischen Regime - einschließlich der saudischen Islamisten - mit allen Mitteln stützen und verteidigen.

Dass es beim stetigen Hype um die „terroristische Gefahr“ also um die Kehrseite imperialistischer Kriegführung, die propagandistische Zurichtung der Bevölkerung  geht, soll verschleiert werden.

Gegen einem seinem Wesen nach „irrationalen“, verrückten Gegner, dem „alles zuzutrauen ist“, ist - so die Suggestion der „Sicherheitspolitiker“ - ist alles erlaubt. Und das soll rechterfertigt werden: jede Überwachung, jede Geheimhaltung, ja jede Lüge, jede noch so rassistische und erniedrigende Drangsalierung „der Ausländer“ kann so gerechtfertigt werden.

Zugleich werden die eigentlichen Kriegsziele der deutschen Truppen in Afghanistan und anderswo, wird der rasch voranschreitende Umbau der Bundeswehr zur immer schlagkräftigeren Interventionstruppe zusätzlich legimitiert durch den permanenten, lang andauernden Kampf gegen einen unfassbaren Feind jenseits aller Vernunft.

In diesem Kontext macht noch die blödsinnigste Unterstellung Sinn. So erklärte De Maizière in der Talkshow bei Anne Will am Sonntag, dem 21.11. gar, dass Bin Laden mit dem Terror gegen Deutschland noch weiter machen würde, wenn der Islam Staatsreligion und er selbst Bundespräsident würde - was der anwesende Spiegel-Redakteur nur bestätigen konnte.

Mag der Unfug auch noch so wahnwitzig sein, so hat der Wahnsinn doch Methode. Je aberwitziger die „Enthüllung“, desto besser passt sie ins Zerrbild vom „durchgeknallten Islamisten“.

Hier - in der aggressiven Manipulation der Öffentlichkeit, in der Legitimation des Kampfes gegen einen vorgeblich verrückten, irrationalen Gegner, für einen permanenten Krieg und für einen Blankoschein zu immer größerer Repression - liegt auch der eigentliche Zweck der aktuellen „Terrorismuswarnung“ und „Anschlagsdebatte“.

Den „Gegner“ - oder genauer: ein Zerrbild der Unterdrückten - als irrationale Bestie hinzustellen war schon immer eine gängige Methode imperialistischer Propaganda, um die eigene Bevölkerung auf mehr Interventionen, mehr Raubzüge, mehr Krieg und Plünderung wie auch auf die Beschneidung der eigenen sozialen und politischen Rechte chauvinistisch, rassistisch und nationalistisch einzustimmen. Dieser Propaganda entgegenzutreten ist ebenso ein unersetztliches Stück kommunistischer, linker Aktivität in dieser Lage wie der Kampf gegen imperialistischen Krieg, innere Aufrüstung und die Aushebelung demokratischer Rechte.

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