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Köhler-Rücktritt

Der Horst ist nicht mehr

Martin Suchanek, Infomail 488, 31. Mai 2010

Köhlers Abgang ist sinnbildlich. Inmitten der Lena-Manie schaffte es Horst Köhler selbst bei seinem Rücktritt kaum, die nötige Aufmerksamkeit für seine Person zu generieren. Dabei ist für die herrschende Klasse der Rücktritt wohl überfällig. Aus ihrer Sicht hat sich der „Horst vom IWF“, auf den sich dereinst noch die Hoffnungen der vereinigten Neoliberalen bündelten, längst als Nullnummer entpuppt.

Der marktradikale Einpeitscher, als der er fungieren sollte, war Köhler nicht. Und das, obwohl er sich zu Beginn seiner Präsidentschaft darum bemühte, die Angriffe von Rot-Grün und die Agenda 2010 zu „versteifen“, sprich noch asozialer zu gestalten.

Doch das nutzt sich ab. Die Privatisierer, Sanierer, Lohnkürzer und Deregulierer in den Unternehmerverbänden, der FPD und auch in weiten Teilen der Union halten ihn mittlerweile für ein Weichei.

In der Krise entdeckte er gar „Monster“ und „Ungeheuerliches“ auf den Finanzmärkten. Eine späte, wundersame und im übrigen auch ganz folgenlose Erkenntnis eines Mannes, der als Finanzstaatssekretär Theo Waigels die Einführung des Euro und die Schaffung der Europäischen Zentralbank ausgehandelt und später als IWF-Chef so manches Austeritätsprogramm zur Verarmung von Millionen durchgepeitscht hat.

All das zeigt, dass Köhler keineswegs der tollpatschige Gutmensch aus dem Bellevue ist, als der er heute medial erscheint. Er war jahrzehntelang ein enger Mitarbeiter Kohls und Waigels. Er half mit, grundsätzliche Ziele des deutschen Großkapitals durchzusetzen. Als IWF-Chef war er für Milliardenkredite samt drakonischer Kürzungsauflagen für Argentinien oder die Türkei Anfang des Jahrhunderts zuständig.

Zuletzt taugte Köhler jedoch allenfalls noch als Grußdirektor des deutschen Imperialismus, dessen „Charisma“ selbst gegenüber Steinmeier und Merkel verblasste. Mit etwas Geschick hätte er es vielleicht sogar in eine Reihe mit Johannes Rau geschafft, dieses Präsident geworden sozialdemokratischen Pfarrers, und wäre zum nationalen Seelentröster mutiert.

Einmal nicht aufgepasst

Das wäre jedenfalls noch angegangen und für die herrschende Klasse in Zeiten von Krise und Opfern vielleicht auch ganz praktisch gewesen. Auch seine politische Farblosigkeit stand dem nicht unbedingt entgegen. Merkel hätte ihn sicher das Ende seiner Amtszeit aussitzen lassen. Für die Regierungsriege wäre das vielleicht sogar ganz tröstlich gewesen, dass im Bellevue einer sitzt, der sich im Hintergrund hält.

Doch am 22. Mai hat er sich bös verplappert. Statt der üblichen Belanglosigkeiten hat Horst Allerlei zu Afghanistan verkündet. Zuvor schon konnte auch der Präsident nicht klar auseinander halten, ob es nun Krieg gibt in Afghanistan oder nicht. Wichtiger war freilich, dass er am 22. Mai nahe legte, dass eine Großmacht wie Deutschland auf für wirtschaftliche Interessen Krieg führen und Truppen im Ausland stationieren müsse.

Er sprach damit zwar nur aus, was immer schon Ziel und Praxis deutscher und sonstiger imperialistischer Außenpolitik war, tunlichst aber nicht gesagt werden darf. Das Kind war in den Brunnen gefallen. Köhler hatte geostrategische und wirtschaftliche Interessen mit Auslandseinsätzen in Verbindung gebracht und das auch noch als gerechtfertigt hingestellt. Da half es auch nichts mehr, dass er versicherte, nicht Afghanistan, sondern „nur“ das Horn von Afrika gemeint zu haben.

Sicherlich hat Köhler nicht unrecht, wenn er sich über die Doppelbödigkeit seiner Kritiker aus SPD, Grünen, aber auch aus der Union empört. Seine Äußerungen zu Afghanistan waren schließlich sachlich richtiger und offener als das, was die Regierung und andere Besatzungsbefürworter sich sonst zu äußern trauen. Dass Deutschland in Afghanistan einen Krieg führt und gemeinsam mit seinen Verbündeten das Land besetzt, dass es dort wirtschaftliche und geostrategische Interessen gib, für welche die deutschen Soldaten kämpfen - diese Wahrheit auszusprechen wurde ihm zum Verhängnis. Er hat nicht unverschämt genug gelogen und sich nicht an die richtigen Formulierungen gehalten - das störte die feigeren, unverschämten LügnerInnen in der Regierung, den Regierungsfraktionen und der parlamentarischen Opposition aus SPD und Grünen, die im Unterschied zur Linkspartei jeder Mandatsverlängerung mit den verlogensten Begründungen zugestimmt haben und weiter zustimmen wollen.

Köhler hat mit seiner Äußerung praktisch die ganze offizielle Regierungslüge vom „Friedenseinsatz“ in Afghanistan dementiert. Das war nicht tragbar.

Köhler zog die Konsequenzen auf seine eigene, weinerliche Art, die „Kehrseite“, des  imperialistischen Technokraten, der er immer war.

Aus seiner Rücktritterklärung spricht die Kränkung, dass seine Einsatz im Sinne von Vaterland, Standort und imperialistischer Expansion nicht richtig gewürdigt wurde. Wichtiger und - politisch keineswegs harmlos - ist freilich, dass er gefordert hat, dass Deutschland offen für seine imperialistischen Ziele, für die Sicherung seiner wirtschaftlichen Interessen auch militärisch eintreten soll. Und er will allen Ernstes die Kritik an dieser Forderung - ob nun zutreffend oder nicht - dadurch aus der Welt schaffen, dass Kritik an einer solchen Äußerung des Bundespräsidenten einfach nicht statthaft sei! Das versteht Köhler unter der „Würde des Amts“, die er gewahrt wissen will.

Mit seinem Rücktritt will Köhler auch ein Zeichen setzten. Der Bundespräsident darf für solche Äußerungen nicht mehr kritisiert werden. Das Bundespräsidentenamt, diese reaktionäre, undemokratische Institution, soll über alle Grenzen zwischen den Lagern gerade in der Krise gegen Kritik immunisiert werden. Das ist ein Köhlers letzte Botschaft.

Differenzen in der herrschenden Klasse

Doch Köhlers Rücktritt verweist auch auf ein anderes, grundlegendes Problem der herrschenden Klasse in der gegenwärtigen Krise. Ihr eigenen herrschenden Block - also eine Allianz verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen, Klassenfraktionen, Schichten unter Regie des imperialistischen Monopolkapitals - hat in der Krise Risse bekommen. Ein Flügel - am ehesten durch die FPD, aber auch Teile der CDU politisch repräsentiert - will die Krise zu einem strategischen Angriff auf die Arbeiterklasse nutzen, um so das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und die gesellschaftliche Stellung der Gewerkschaften (und damit auch der Sozialdemokratie) zu kippen.

Der andere Flügel fürchtet, dass das die eigene Herrschaft und den eigenen Block noch mehr, ja zu sehr destabilisiert und zugleich auch die „Reform“ der EU, der EZB und des Euro unter deutscher imperialer Führung noch mehr erschwert. Er setzt natürlich auch auf Kürzungen, Sozialabbau, Intensivierung der Arbeit usw. Aber für den Moment setzt er darauf, die Angriffe auf die Arbeiterklasse in „Partnerschaft“ und unter Einbindung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsspitzen durchzuführen.

Hinter Köhlers Rücktritt, hinter der Auseinandersetzung zu Afghanistan verbirgt sich also  auch die Frage - wie viel offen aggressive imperialistische Politik, wie viel offen aggressive Demontage sozialer und demokratischer Rechte der Arbeiterklasse von der herrschenden Klasse forciert werden soll und mit welchen Allianzen und Mitteln.

Im Grunde ist diese Situation für den Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten günstig. Aber es gibt ein großes Hindernis dabei. Wenn ein Flügel der Bourgeoisie darauf setzt, seine Angriffe mithilfe der Gewerkschaftsführungen und der SPD (und wo möglich auch mit der Linkspartei) „abgefedert“ durchzuführen, dann sind diese dabei nur allzu willige Helfer - sogar um den Preis, damit ihr eigenes politisches Grab zu schaufeln.

Für die Mobilisierung gegen die Krise und im Kampf für eine gesellschaftliche Alternative bedeutet dies:

1. den Rücktritt Köhlers wie alle anderen inneren Zerwürfnisse von Regierung und herrschender Klasse als Zerwürfnisse darüber zu entlarven, wie die Lohnabhängigen hier und weltweit zur Kasse gebeten werden sollen;

2. von den Gewerkschaften, von SPD, aber auch Linkspartei (z.B. in Berlin und Brandenburg) einen Bruch mit ihre Politik der Klassenzusammenarbeit einzufordern;

3. eigenständige Mobilisierungsstrukturen aufzubauen und bundesweit zu koordinieren: Aktionsbündnisse gegen die Krise, klassenkämpferische Initiativen und Bewegungen in Betrieben und Gewerkschaften, eine kämpferische SchülerInnen- und Studentengewerkschaft in der Bildungsbewegung;

4. Kampf für ein revolutionäre Arbeiterpartei, die für ein Aktionsprogramm gegen die Krise eintritt, das die aktuellen Verteidigungskämpfe mit dem Kampf für eine sozialistische Revolution und Gesellschaft verbindet.

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