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Ver.di-Tarifrunde

Kampf gegen den oder Schulterschluss mit dem Staat?

Hannes Hohn, Infomail 468, 9. Februar 2010

Die Tarifrunde 2010 für die Beschäftigten von Bund und Kommunen hat begonnen. In mehreren Bundesländern gab es Warnstreiks mit ca. 90.000 Beteiligten. Die größten Wirkungen hatten die Aktionen in Hessen, wo am Freitag erhebliche Teile des Öffentlichen Nahverkehrs still standen.

Auf einer Kundgebung in Kassel meinte ver.di-Cef Bsirske, dass es nicht bei Warnstreiks bleiben werde, wenn „keine Bewegung in die Verhandlungen“ komme. Damit bezog er sich auf die Ablehnung des ver.di-Angebots durch die öffentlichen Arbeit“geber“.

Bsirske

Nachdem auch die zweite Verhandlungsrunde in Potsdam ergebnislos verlaufen war, erneuerte Bsirske seine Vorwürfe.„Dass die Arbeitgeber erneut jedes Angebot verweigern, ist eine Provokation der Beschäftigten. (...) Die Kolleginnen und Kollegen werden es nicht hinnehmen, dass die Arbeitgeber mit Null-Angeboten Schleifen drehen. Jetzt ist es Zeit, in den Betrieben und Verwaltungen klare Zeichen zu setzen, wie wichtig der öffentliche Dienst ist. Wir werden in den nächsten Tagen in allen Bundesländern zu Warnstreiks aufrufen.“ (ver.di-homepage)

Zugleich machte Bsirske in Kassel aber auch deutlich, dass er den Kommunen einen „Schulterschluss“ gegen die Bundesregierung anbietet, “damit die Not der Kommunen endlich auf die Agenda der Bundesregierung kommt.“

Letztere Aussagen von Bsirske deuten schon an, wo für die Beschäftigten eine Fußangel liegt. Sein „Schulterschluss“ kann nur bedeuten, dass er einen Kompromiss mit den Kommunen sucht, der durch das Einlenken der Bundesregierung bezahlt werden soll. Natürlich ist die Finanznot der Kommunen größer als je zuvor.

Doch das ist nicht die Schuld der Beschäftigten, sondern Folge der jahrzehntelangen Steuerentlastungen für Unternehmen und der aktuellen Wirtschaftskrise, deren Auswirkungen in Form der immens gewachsenen Staatsverschuldung von der Bundesregierung größtenteils den Kommunen aufgeladen wurde. Wenn Bsirske meint, das Problem gehöre auf die Agenda der Regierung, ist ihm offenbar entgangen, dass die finanzielle Rosskur für die Kommunen ein wesentlicher Teil der schwarz/gelben Agenda ist.

Doch „die Kommunen“ - genauer: der Filz aus kommunaler Bürokratie, Parteien und kommunalen Kapitalisten - sind keinesfalls nur „Leidtragende“. Sie selbst haben durch allerlei neoliberale Maßnahmen wie Outsourcing, Privatisierungen und Spekulationsgeschäfte zu dieser Misere selbst aktiv beigetragen.

Bsirske gibt sich „enttäuscht“, dass die Arbeit“geber“seite seine Strategie, durch Einkommenssteigerungen die Kaufkraft und damit die Wirtschaft anzukurbeln, nicht gebührend würdigen. Kein Wunder, hat doch Bsirskes Strategie zwei große Haken. Erstens wissen Kapital und Regierung ganz genau, dass sie die Krise nur meistern können, wenn die Masse der Beschäftigten wie der Arbeitslosen, der Jugend wie der RentnerInnen massiv zur Kasse geben werden. Ohne diese „Schocktherapie“ können die Staatsfinanzen nicht mehr beherrscht werden. Wie das Beispiel Griechenland aktuell zeigt, steht damit auch die Stabilität der EU auf dem Spiel. Bsirskes „Sanierungs-Modell“ greift da viel zu kurz.

Zweitens stellt Bsirske überhaupt nicht die Frage, woher das Geld für Gehaltserhöhungen bzw. Kaufkraftsteigerungen kommen soll. Durch neue Schulden, welche die Massen irgendwann durch Sozialabbau bezahlen müssen oder sollen Einsparungen zur „Sanierung“ der Kommunen sofort durchgeführt werden? Wohl nicht! Doch wenn diese Gelder aus der Besteuerung der Reichen und Kapitalisten kommen sollen, dass muss das auch offen gesagt und nicht offen gelassen werden!

Bsirske versucht, die Interessen der Beschäftigten an einen Ausgleich zwischen Bund und Kommunen zu koppeln. D.h. dass die Lohnabhängigen sich mit den kommunalen „Arbeitgeber“-Vertretern verbünden sollen. Natürlich offenbart die Notlage der Kommunen durchaus auch einen Konflikt zwischen ihnen (und den Ländern) und dem Bund. Doch was Bsirske hier verwischt, ist die grundsätzliche Übereinstimmung der Interessen beider Seiten, gerade in Zeiten einer Krise, in der es ums Ganze geht - und dabei ist die Frage, ob ein städtisches Schwimmbad geschlossen wird oder nicht, der Frage, ob vielleicht das deutsche Kapital ins Schwimmen gerät, untergeordnet.

Kein Zufall!

Diese Taktik Bsirskes ist allerdings kein Zufall; sie ist Ausdruck der reformistischen Gewerkschaftsstrategie, immer und überall einen „vernünftigen“ Ausgleich mit dem Kapital zu erreichen. Dabei werden auch schon Mal einige Tatsachen ausgeblendet, z.B. dass es seit Jahren immer weniger Spielraum für Kompromisse gibt, dass die Kapitalseite auch immer weniger Interesse daran hat, dass seit Jahren Löhne, Jobs und soziale Leitungen erodieren. Bei Leuten wie Bsirske hat man immer den Eindruck, sie haben nicht mitbekommen, dass es eine globale Wirtschaftskrise gibt, deren Ursachen allesamt noch lange nicht beseitigt sind – und im Kapitalismus auch nicht beseitigt werden können.

Ausdruck dieses Denkens ist auch die Haltung Bsirskes zur Tarifrunde der IG Metall. Jede Gewerkschaft müsse auf die spezifischen Bedingungen ihrer Branche eingehen, "um ihren Aufgaben gerecht zu werden". Für die Strategie der IG Metall, statt auf Lohnprozente auf „Beschäftigungssicherung“ zu setzen, zeigte der ver.di-Chef Verständnis. Die IG Metall trage damit der Situation in ihrem Bereich Rechnung.

Nach dieser Logik ginge es also nicht um Jobs und Löhne, sondern es wäre offenbar nur möglich, eines von beiden Zielen zu erreichen. Diese Logik folgt damit genau der Entwicklung der letzten Jahre: entweder die Jobs blieben zu schlechteren Konditionen oder die Konditionen blieben annähernd gleich - für weniger Beschäftigte. Nicht selten galt aber auch Variante 3: weniger Jobs zu schlechteren Bedingungen. Bsirskes Äußerung zeigt, dass er diesen a priori-Verzicht offenbar für normal hält – zumindest in „schlechten“ Zeiten.

Viel schlimmer als diese Ansichten des ver.di-Chefs ist allerdings, dass er – wie auch sein Kollege Huber von der IG Metall – keinen Gedanken daran verschwendet, die Tarifrunden zu koordinieren und den Kampf damit auszuweiten. Stattdessen gibt Bsirske der Weigerung der IG Metall-Spitze, überhaupt irgendeinen Tarifkampf zu führen und stattdessen kampflos kleinbeizugeben, noch Flankenschutz. Eine reformistische Krähe hackt der andern eben kein Auge aus.

Wenn wir einmal das tun, was Bsirske, Huber und Co. nicht gern sehen, nämlich über den Tellerrand der Branche und der eigenen Gewerkschaft hinaus zu schauen, dann bietet sich doch folgendes Bild: Das Kapital steckt in der schwersten Krise nach 1945. Die Kosten der Krise sollen und werden der Arbeiterklasse und den Massen aufgebürdet. Viele ihrer sozialen Errungenschaften sollen geschliffen, das Klassenverhältnis soll klar zugunsten des Kapitals verschoben werden. Aktuell zeigt sich das z.B. in der deutlich steigenden Arbeitslosigkeit, der Kurzarbeit oder beim geplanten Sonderbeitrag der Krankenkassen.

Wie begegnen Bsirske und Huber dieser Generaloffensive von Kapital und Regierung – indem sie weiterwurschteln wie früher! In der Schule würde man sagen: Thema verfehlt, 5, setzen. Im Klassenkampf müssen wir sagen: Klasse im Stich gelassen, Kampfkraft verplempert, zurücktreten!

Leider haben wir (noch) keine andere, kämpferische Gewerkschaftsführung. Um zu verhindern, dass der Kampf erneut ausverkauft wird und wir mit einem billigen Kompromiss abgespeist werden, müssen wir dafür sorgen, dass die Tarifrunde und die Mobilisierungen soweit wie möglich unter Kontrolle der Basis laufen! Dazu brauchen wir Kampfführungen, die direkt von der Basis gewählt werden, ihr rechenschaftspflichtig und jederzeit ersetzbar sind. Daher:

Schluss mit allen Geheimverhandlungen!

Alle Entscheidungen, Forderungen, Verhandlungen müssen für die Basis transparent sein. Kein Vorschlag, keine Entscheidung ohne Zustimmung der Basis bzw. ihrer gewählten VertreterInnen sowie von Urabstimmungen!

Die Gegenseite hat deutlich gemacht, dass sie hart blieben will. Umso dringender ist es, die gesamte Kampfkraft zu mobilisieren! Die Kraft darf nicht in ewigen, begrenzten Warnstreiks abgenutzt und vergeudet werden!

Es reicht nicht, der Gegenseite vorzuwerfen, gleich einen Schlichter anrufen zu wollen, statt ein „vernünftiges Angebot vorzulegen“. Die Frage ist doch die: Was tut ver.di, wenn die öffentlichen Arbeit“geber“ die Verhandlungen anrufen und zur Schlichtung schreiten? Wird ver.di dann Kurs auf einen Vollstreik nehmen oder auf Gemauschel setzen?

Daher fordern wir:

Keine faulen Deals hinter dem Rücken der Belegschaften – sei es bei den Gesprächen in Potsdam, sei es in der Schlichtung!

Für einen Vollstreik im Öffentlichen Dienst zur Erzwingung der Forderungen! Sofortige Vorbereitung der Urabstimmung über einen unbegrenzten Vollstreik!

Aufbau von lokalen Streik- und Aktionskomitees, die bundesweit koordiniert werden, damit der Kampf unter Kontrolle der Beschäftigten geführt werden kann!

Aufbau von Solidaritätskomitees in den Stadtteilen!

Der Streik darf aber nicht nur auf die klassischen Tariffragen begrenzt werden. Er muss auch dazu dienen, eine gemeinsame Kampffront mit den anderen Gewerkschaften, der Jugend, den Anti-Krisen-Bündnissen und der sozialen Bewegung gegen die Krise aufzubauen.

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