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Bremerhaven

Hafenarbeiter wehren sich gegen Sozialplan und Entlassungen

Jürgen Roth, Infomail 441, 19. August 2009

Am Samstag, dem 25. Juli 2009 gegen 10.30 Uhr demonstrierten etwa 200 Hafenarbeiter und UnterstützerInnen durch die Innenstadt Bremerhavens - trotz starken Regens und heftiger Sturmböen. Die Demo wurde vom Komitee „Wir sind der GHB!“ organisiert und von DIE LINKE und der IG Metall unterstützt. Ver.di, in der die meisten Hafenarbeiter organisiert sind, hatte die Demo nicht unterstützt!#

Die Hafenarbeiter sind sauer auf Ver.di und auf den von ihr unterstützten Betriebsrat der  GHB (Gesamthafenbetriebsverein Bremerhaven). Die Belegschaft, die vor einigen Jahren noch gemeinsam erfolgreich gegen „Port Package II“ gekämpft hatte, ist heute gespalten.

Vorgeschichte

Die Wirtschaftskrise hat zu einem starken Rückgang des Frachtverkehrs geführt, in vielen Bereichen bis zu 50%. Das hatte auch gravierende Auswirkungen auf den GHBV, der den Firmen am Hafen Arbeitskräfte verleiht. Er unterhält einen Pool von Fachkräften, die von Unternehmen bei Bedarf angefordert werden. Gibt es für sie keine Arbeit, dann werden die GHB-Beschäftigten aus der „Garantielohnkasse“ bezahlt. So gleicht der GHB Arbeitsspitzen und Konjunkturschwankungen im Hafengeschäft aus.

Die Weltwirtschaftskrise hat also den GHB hart getroffen. Schon im Frühjahr drohte die Insolvenz. Damals mussten ca. 800 befristet Beschäftigte gehen.

Kurzarbeit

Die Arbeiter der GHB wurden genauso wie die der eigentlichen Hafenbetriebe, der Logistikkonzerne BLG, Eurogate etc. sowie der Stauereien vor einigen Monaten in Kurzarbeit geschickt. Rund 900 Zeitverträge wurden nicht verlängert.

Während viele jüngere MitarbeiterInnen weiterbeschäftigt werden, wurden langjährige Hafenarbeiter zum 1. August arbeitslos.

Sozialplan

Der BR hat Ende Juni mit dem „Arbeitgeber“ GHB einen Sozialplan ausgehandelt: 103 Beschäftigte sollten Ende Juli entlassen werden, weitere 217 bekamen Änderungskündigungen. Sie sollen in Zukunft nicht mehr in Bremerhaven, sondern in Bremen arbeiten - für 8 anstatt wie bislang für rund 15 Euro pro Stunde.

Die neuen Löhne sind so niedrig, dass die ArbeiterInnen selbst mit einer vollen Stelle künftig als „Aufstocker“ Leistungen der Bagis (Bremische Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales, die Hartz IV-Antrags- und Vergabestelle) beantragen müssen. Rund 200 GHB-Arbeiter haben inzwischen beim Arbeitsgericht Klagen gegen die Kündigungen und Änderungsverträge eingereicht.

Kritik am BR

Viele KollegInnen werfen dem BR vor, bei dem Auswahlverfahren mitgewirkt zu haben und fordern seinen Rücktritt. Der BR-Vorsitzende Peter Frohn wehrt sich gegen die Kritik: „Ich wollte nicht zugucken, wie das Unternehmen abgewickelt wird“, sagt er. Durch die Einschnitte habe man den GHB vor der Insolvenz bewahrt. So spricht ein Co-Manager!

Und weiter im Chor, jetzt mit Ver.di- Begleitung: Angesichts der schlechten Stimmung sorgt sich Harald Bethge, Landesfachbereichsleiter Verkehr bei Ver.di, um das Image des GHB. Der Krankenstand sei hoch, einige verweigerten sich. „Was dort passiert, verschlägt uns den Atem“, sagt er. Es sei wichtig, Mitarbeiter schnell und mit verkürzter Kündigungsfrist zu entlassen, um das Unternehmen handlungsfähig zu halten. Auch die geringe Abfindung hält er für gerechtfertigt: sie orientiere sich an der „Garantielohnkasse“ des GHB. Die könne man nicht komplett für Abfindungen leeren. Schließlich müsse weiter Lohn gezahlt werden, wenn Unternehmen wegen Auftragsflauten keine GHB-Leute anfordern. „Es war einfach nicht mehr Geld da“, sagt Bethge. (TAZ Nord, 26.7.09)

Trotzdem herrscht jetzt im Sommer ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, der mit dem Einsatz von „Roten Karten“ - so werden die Tagelöhner genannt - ausgeglichen werden soll. Das blieb nicht ohne Folgen.

So krachte es öfter auf dem Autoterminal. Den Aushilfskräften, die der Gesamthafenbetriebsverein (GHB) einsetzte, fehlte einfach die Übung beim Verladen der Fahrzeuge. Der BLG reichte das: weil es zu viele Schäden gab, setzte sie die Kurzarbeit für sechs Wochen aus und ließ die eigenen Mitarbeiter wieder ans Steuer.

„Der GHB war nicht in der Lage, die gewünschte Anzahl an Leuten bereitzustellen“, sagt BLG-Sprecher Hartmut Schwerdtfeger. Weil der Betriebsverein Mitarbeiter entlässt und in Kurzarbeit geschickt hat, fehlten tatsächlich die Mitarbeiter, um die zwischenzeitlich auftretende Autoflut zu bewältigen. Es klingt absurd: aber der GHB setzte verstärkt auf Aushilfen und heuerte sogar Fremdfirmen aus Brake an. Das Ergebnis war so schlecht, dass die BLG die Kurzarbeit aussetzte, die eigentlich dazu gedacht war, den GHB-Kollegen zu helfen und ihnen Arbeit zu überlassen.“ (Nordsee-Zeitung, 6.7.09)

Ver.di

Ver.di hatte keine Widerstandsaktionen geplant, so dass sich die Gegenwehr außerhalb der Gewerkschaft formierte, auch und gerade von Gewerkschaftsmitgliedern, die sich im Komitee „Wir sind der GHB!“ zusammenschlossen und mit folgendem Aufruf zur o.a. Demonstration mobilisierten:

„DEMO!!! AM SAMSTAG, 25.07.2009

Demonstrationsaufruf: Trotz Arbeit Hartz IV?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie wir bereits während unserer Veranstaltung (vom 11.07.09) aufzeigten, werden für eine Vielzahl der Hafenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter schwere Zeiten anbrechen. Um hier ein klares Signal zu setzen und sichtbar machen zu können, dass die Hafenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nicht ALLES mit sich machen lassen, laden wir euch zu unserer Demonstration ein. Im Anschluss werden wir in der Fußgängerzone eine Abschlusskundgebung abhalten (Große Kirche, gegenüber Karstadt)! Wann? Samstag, den 25.07.2009. Wo? Vorm GHBV-Gebäude (Franziusstraße 79). Zeitpunkt? Ab 10:30 Uhr. Organisiert wird die Demonstration vom Komitee ‚Wir sind der GHB!’.

Es ist somit eine Demonstration von uns und für alle. Natürlich sind auch alle Kolleginnen und Kollegen der anderen Hafenbetriebe und Sympathisanten eingeladen, die uns solidarisch zur Seite stehen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist die Zeit gekommen, dass wir uns zusammentun und gemeinsam für unsere Hafenarbeitsplätze kämpfen! Kommt daher möglichst zahlreich und lasst uns für unser aller Rechte kämpfen, denn nur zusammen sind wir stark! Frei nach dem Motto: Einer für alle - alle für einen!“

Dass nur relativ wenige kamen, hat verschiedene Ursachen: zum einen die Haltung von Ver.di, dann Drohungen der Geschäftsleitung, auch die Resignation der Entlassenen. Wenn aber die Nordsee-Zeitung von 35 Demonstranten spricht, ist das schlicht gelogen und soll aufkommendem Widerstand das Wasser abgraben. Der aber ist absolut notwendig, sonst werden Entlassungen und Lohnabbau unweigerlich weitergehen.

Die Strategie der Lohnsenkung und Prekarisierung

Einige ArbeiterInnen vermuten, dass die GHB die Krise nutzt, um die Leute los zu werden, die noch einen relativ guten Stundenlohn erhalten. Darauf deutet auch hin, dass auch die Bagis dabei offensichtlich eine Rolle gespielt hat - zugunsten der Entscheidung für die „Jungen“, die zu Containerbrücken- und Van Carrier-Fahrern ausgebildet werden, einen geringeren Lohn als die Alten erhalten, der zudem noch von der Arbeitsagentur wegen der Umschulung/Ausbildung massiv (25%) subventioniert wird.

Im Gegensatz zum Automobilbereich ist der Containerverkehr auch geringer rückläufig und unterliegt geringeren Schwankungen. Doch die 300 waren noch gar nicht entlassen bzw. versetzt, da wurde schon wieder angeworben. Die Bagis stand Gewehr bei Fuß und vermittelte Dutzende Bewerber.

Vorhut

RevolutionärInnen mussten die Demo unterstützen. Sie wurde zwar von einem winzigen Teil der Belegschaft durchgeführt, aber dem fortschrittlichsten! In ihren Reihen gibt es Überlegungen, Solidarität mit anderen Belegschaften im Hafen sowie unter der Bevölkerung zu suchen, zum Vollstreik im Hafen, so dass kein Fahrzeug reinkommt, der auch gegen Zoll und Polizei verteidigt werden soll. Viele Komiteemitglieder haben die Rolle der BR- und Gewerkschaftsbürokratie verstanden, die darin besteht, zum Zweck der Bewahrung der eigenen Pfründe Teile der Belegschaft zu verkaufen. Ebenso gilt unter ihnen als Gemeinplatz, dass die GHB mit BR und Ver.di in einem Boot eine Politik der Spaltung und Aufhetzung innerhalb der Belegschaft(en) betreibt.

Schwächen

Die Opposition leidet aber auch unter ernsten Schwächen. Die überwältigende Mehrheit befürwortet die Existenz des GHB, ja sogar der „Roten Karten“, weil nicht genug Personal zum Abdecken unerwarteter Arbeitsspitzen betriebswirtschaftlich rentabel vorgehalten werden könne.

Damit spielen sie der Argumentation der Kapitalseite und berufsmäßigen Arbeiterverräter in die Karten. Die verweisen immer darauf, wie schlimm ein Konkurs der GHB wäre. Er würde bedeuten, dass sich BLG, Eurogate und Co. Arbeitskräfte bei privaten Zeitarbeitsagenturen ausleihen, die nur noch 7,50 € brutto verdienen. Nebenbei: kein großer Unterschied zu 8 Euro! Zugegeben, die noch Beschäftigten verdienen 13 €, aber wie viel verdienten die im Frühjahr entlassenen Teilzeitarbeitskräfte, wie viel die jungen in Ausbildung, wie viel die „Roten Karten“? Und mit wie viel Millionen sponsert das Land Bremen (Inhaber der BLG und des GHB) den Hafenbetrieb für die Logistikkonzerne und die Exportwirtschaft? Wie groß ist das Scherflein aus den Arbeiterversorgungskassen in Form von Kurzarbeitergeld und Eingliederungshilfe?

Zu Recht haben die Docker damals Brüssels Versuch, „Port Package II“ durchzusetzen, abgewehrt. Aber der GHB ist selbst ein staatskapitalistisch-sozialpartnerschaftlich reguliertes, subventioniertes Outsorcingmodell! Die Kapitalisten haben eine hoch qualifizierte Belegschaft, die ihnen private Leihfirmen nicht bieten können und schon gar nicht zu dem Preis. Zu 7,50 € Stundenlohn kommen ja noch Mehrwertsteuer und Profit der Zeitarbeitsagenturen. Die Weltwirtschaftskrise hat den sozialdemokratischen Schleier über diesem Modell erbarmungslos gelüftet!

Auch der Name des Komitees drückt eine gefährliche Identifizierung mit dem „eigenen“ Betrieb aus. Noch schlimmer sind Anspielungen wie „Wir sind mehr als die GHB, wir sind Deutschland!“, die intern geäußert wurden.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war denn auch erst - und damit viel zu spät - nicht der eigentliche Sozialplan mit 1.000 Entlassungen und 200 Änderungskündigungen, sondern dass 300 Alte sich verschlechtern an Stelle „der Neuen“. So verschiebt sich die Hauptkonfliktlinie zwischen Alt und Jung, wenn nicht konsequent mit den reformistischen Flausen gebrochen wird. Es gilt eben leider (noch) nicht: Einer für Alle - Alle für Einen! Die entlassenen Befristeten müssen das als Verhöhnung empfinden.

So verständlich die Wut auf den BR und die Forderung nach seiner Abwahl sind, so falsch ist es, Unterschriften zu sammeln, damit ein bürgerliches Arbeitsgericht ihn in 6 Monaten doch bestätigt oder absetzt und keine klassenkämpferische Mehrheit darin existiert. Bürgerliche Gerichte dürfen niemals über Konflikte innerhalb der Arbeiterbewegung entscheiden. Es ist ein schwerer Fehler, sie darum anzurufen.

Mit dem gleichen Quorum von 1/4 der Stimmen muss auch eine außerordentliche Betriebsversammlung anberaumt werden, auf den sich die Arbeiteropposition des Komitees gut vorbereiten muss, geeignete personelle und inhaltliche Alternativen sowie praktische Aktionsvorschläge ausarbeiten, ja auch als Forderungen an den amtierenden BR herantragen muss, solange die Belegschaftsmehrheit ihn noch als ihren respektiert. So kann auf einer Versammlung die dringend notwendige Mehrheit beschafft werden, um die Solidarität der anderen Bremerhavener, nationalen und internationalen Hafenbesatzungen zu gewinnen und mit Arbeitskampfmaßnahmen in einer wichtigen Schlüsselbranche der globalisierten Weltwirtschaft Ernst machen zu können.

Aktionsprogramm

Folgende Eckpfeiler sind für die Abwehr gegen die Logistikkonzerne wesentlich:

Entschädigungslose Verstaatlichung aller großen Logistikunternehmen zu Wasser, zu Lande und in der Luft zu einem Einheitskonzern unter Arbeiterkontrolle! Für einen (inter)nationalen Logistikplan! Die Beschäftigten und die Arbeiterbewegung sollen müssen entscheiden, was gesellschaftlich und ökologisch nützliche Arbeitsteilung und Verkehre sind!

Gleitende Skala der Arbeitszeit: 30 Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Arbeiterkontrolle über Einstellungen und Entlassungen, Servicepools, Bereitschaftsdienste usw.! Weg mit prekären Beschäftigungsformen wie Leiharbeit! Entschädigungslose Enteignung der Zeitarbeitsfirmen! Integration der Arbeitslosen und sonstigen „Prekären“ in „Normalarbeitsverhältnisse“! Steuerfreier Mindestlohn von 11 €!

Vollstreiks in den Häfen, die notfalls gegen Polizei, Zoll, Armee und Streikbrecher mittels Streik- und Solidaritätsposten der Bevölkerung verteidigt werden müssen! Wahl und jederzeitige Neuwahl von Streikkomitees auf täglichen Streikvollversammlungen! Mit der traditionellen Arbeiterbürokratie, so weit möglich - ohne und gegen sie, wo nötig! Für eine klassenkämpferische, antibürokratische Gewerkschafts- und Betriebsbasisbewegung! Für eine Arbeiterregierung!

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