Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Die Krise in Pakistan

Ein Land taumelt in die Katastrophe

Bachd Singh, Workers Power Pakistan, Infomail 425, 13. Mai 2009

In den letzten Wochen gelang es Teilen der Medien, der Regierung, verschiedenen Nichtregierungsorganisationen und auch einigen Gruppen der politischen Linken ein Klima des Schreckens in der einheimischen Mittelschicht und bei den liberalen Kreisen zu erzeugen. Viele Zeitungskolumnen und Gespräche sind voll von Furcht vor der „Machtübernahme der Taliban“, Natürlich haben auch Medien ihren großen Anteil an der Verbreitung und Erzeugung von Angst und Stimmungen, die der Regierung als Unterstützung in diesem Konflikt zu Gute kommen. Die Furcht vor der Talibanisierung des Landes wird durch den sinnlosen und gefährlichen Weg des „Krieges gegen den Terror“ verursacht.

Das Friedensabkommen von Swat ist am Ende. Seit dem 26. April 2009 sind auf Befehl der neuen US-Regierung militärische Operationen im Gange. Die pakistanische Armee setzt Kampfflugzeuge und schwere Artillerie gegen zivile Regionen ein unter dem Vorwand der Bekämpfung der Taliban. Diese Einsätze haben bereits hunderte Menschenleben gekostet und zehntausende vertrieben. Als Folge der neuen Operation wird der Flüchtlingsstrom aus den umkämpften Gebieten sogar auf  eine Million anschwellen, so schätzt ein Minister der Provinzregierung. Vor den jüngsten Kämpfen bestätigten die Vereinten Nationen schon das Flüchtlingsproblem mit über einer Millionen Vertriebenen aus Badjaur, Swat und Wasirstan. Tausende Menschen wurden durch Militäraktionen in diesen Regionen in der vergangenen Periode bereits getötet.

Alle jene, die für den militärischen Einsatz zur Eindämmung des Taliban-Einflusses sind, müssen sich der Verantwortung für diese Vertreibungen und Menschenopfer bewusst werden. Dieser Konflikt in Pakistan ist Teil des größeren imperialistischen Kriegs gegen den Terror, und die pakistanische Armee ist der verlängerte Arm der Macht des US-Imperialismus. Der Preis des imperialistischen Krieges ist, dass er den „Terror“ nährt, ihn aber nicht beendet. Die Tinte war noch nicht trocken unter dem Friedensabkommen zwischen Regierung und Rebellen, als die USA schon wieder Druck auf die pakistanische Regierung machten, die Kämpfe fortzusetzen. Die US-Regierung unter Bush wie unter Obama verfolgt ein und dasselbe Ziel, und das hat zu dem umfassenden Bürgerkrieg in Pakistan geführt.

Die Bewohner der Region beklagen, dass das Militär die Zivilbevölkerung unter Beschuss nimmt, während es kaum Kämpfer der Gegenseite trifft. Sieht die Welt nicht die Hochzeitsfeiern und Dorfversammlungen, die von US-Raketen und Bombardements aus der Luft betroffen sind? Stärken nicht die sogenannten Kollateralschäden, die zivilen Opfer, die Taliban und die islamistischen Kräfte?

Das Militär zielt auf Menschen, die in die sichereren Regionen fliehen wollen. Eine Person beschrieb, wie das Dorf Kalpani im gewaltigen Kreuzfeuer von Regierungstruppen und Islamisten stand. Die Dorfbewohner konnten gar nicht mehr alle Leichen aufsammeln, um sie zu bestatten. Hunde fraßen die auf den Feldern herumliegenden leblosen Körper. Die Überlebenden trauten sich nicht aus den Häusern, um nicht von beiden Seiten erschossen zu werden.

Wie brutal und menschenverachtend die Armee vorgeht zeigt folgendes Beispiel: Ein Talibankämpfer gab einen einzigen Schuss auf ein Militärfahrzeug ab. Im Gegenzug verwüstete die Armee den Ort Kalpani in der Nordwestprovinz durch Feuergarben aus Hubschraubern.

Wir wissen, dass die militärischen Berichte von der Regierung in Pakistan die Wahrheit entstellen. Ihre Behauptung, sie würden nur Talibans töten, entbehrt jeder Grundlage. Stattdessen werden unbeteiligte Personen ermordet. Journalisten dürfen das Kampfgebiet nicht betreten. Den Journalisten, die Ort leben, werden wahrheitsgetreute Veröffentlichungen zensiert. Information über die Geschehnisse ist nur in Teilen und verzerrt zu bekommen. Die Menschen verlassen sich eher auf Augenzeugenberichte von Flüchtlingen. In Pakistan scheint alles zu verfallen.

Die Armee musste dank der eigenständigen  Demonstrationen von tausenden Pakistanis ihre Offensive abbrechen und die Waffen ruhen lassen, aber nicht, weil Sufi Mohammad, der angebliche Führer der Taliban die Demonstrationen angezettelt hätte, wie die Regierung und die Medien dies behaupten.

Die Schande der Liberalen und Pseudolinken

Und in dieser Lage der erbarmungslosen, pro-imperialistischen Offensive der Regierung erwarten Liberale und Teile der Linken vom pakistanischen Staat und Militär, dass sie uns vor der ‚Talibanisierung’ schützen, von demselben Militär also, dass das Land noch vor kurzem im Griff der Diktatur hielt!

Diese Leute auf militärischen Führungsposten haben kein Interesse an irgendeiner Form von Demokratie, sie bekämpfen die Taliban nur, weil es die USA so befehlen. Die Armee ist kein Freund bürgerlicher Demokratie und Rechte, geschweige denn von Rechten für ArbeiterInnen und Frauen. Wenn die Regierung es wirklich ernst gemeint hätte mit der Verhinderung zur Ausbreitung der Taliban, warum hat dann Präsident Asif Ali Sardari den Beschluss des Parlaments, das Scharia-Recht in der Provinz Swat einzuführen als Entgegenkommen für die Waffenniederlegung der Taliban unterzeichnet?

Der Aufruf zur Verteidigung der Demokratie klingt hohl – wessen Demokratie? Demokratie in Pakistan ist ein Betrug, höchstens das Gespenst von Demokratie. Seit der Teilung befinden wir uns ähnlich wie Bangladesch ständig auf einer Gratwanderung zwischen Diktatur und Zivilherrschaft. Das Anwachsen des militanten Islam ist auf die Verzweiflung der einfachen Leute zurück zu führen, die endlich ihr Leben der Kontrolle durch korrupte Politiker und Armee entziehen wollen. Natürlich irren sie sich in ihren Hoffnungen. Ein Staat nach dem Muster der Taliban in Afghanistan oder im Iran von heute wäre auch für sie eine Katastrophe. Aber die Verzweiflung bringt verzweifelte Ideen hervor. Welche Hoffnung können diese Menschen haben, wenn sie erleben, wie ihr Land um sie herum zusammenbricht?

Workers Power Pakistan, die Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, tritt nicht nur der militärischen Offensive entgegen, sondern sagt auch, dass dies in Wahrheit kein Krieg zwischen Demokratie in Gestalt des pakistanischen Militärs und den Taliban ist. Es ist vielmehr ein Krieg, den der Imperialismus und seine Gehilfen zum Zwecke der Vorherrschaft in diesem Teil der Erde führen und alle politischen Kräfte zerschmettern wollen, die nicht in das Konzept des ‚Washington-Konsens’ passen. Natürlich verurteilen wir terroristische Akte durch die Taliban, wie ihre Attacken auf die Rechte von Frauen, Minderheiten und andere religiös orientierte Teile der Bevölkerung  Wir sagen, dass die Taliban keine wirklich konsequenten anti-inperialistischen Kämpfer sind und dass sie ein reaktionäres Programm der sozialen Unterdrückung vertreten. Nur die Arbeiterklasse kann die Marktmechanismen zerstören, die Pakistan an die imperialistische Weltordnung binden.

Wir müssen die Arbeiterschaft und andere Schichten gegen den Imperialismus und die Militäraktionen ins Feld führen. Bei dieser Gelegenheit stellen wir unsere sozialistische Sichtweise klar vor und bekämpfen die Ideen und Ziele der Taliban. Eine soziale Revolution gegen Kapitalismus und Großgrundbesitz in Pakistan würde die Möglichkeit eröffnen, die einfachen Leute von ihrer täglichen Unterdrückung zu befreien und die Bedingungen zu unterhöhlen, die die Ausbreitung der Taliban und anderer reaktionärer sozialer Kräfte begünstigt. Wir sind für die Entflammung des Klassenkampfes in den ärmeren Stammesgebieten, um die Dörfer entlang der Klassenlinien zu polarisieren, die Bauern und die Armut für einen fortschrittlichen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise zu gewinnen.

Die Linke in Pakistan muss ihre Unterstützung für die Armee aufkündigen und all ihre Kritik nicht nur auf die Taliban richten. Sonst können sie kein Kampfprogramm gegen den ärgsten Feind, die Kapitalisten, Großgrundbesitzer und das Militär erarbeiten. Unser Land steht vor der Frage: Sozialismus oder Barbarei, eine Wahl, vor die viele andere in der jüngsten Vergangenheit gestellt waren. Die pakistanischen ArbeiterInnen und die Jugend müssen einen Kampf für den revolutionären Sturz der derzeitigen Regierung und der Gesellschaftsordnung aufnehmen, um dem Land eine dauerhafte Stabilität bringen zu können.

SozialistInnen verhalten sich nicht neutral im Kampf gegen die Bevölkerung in der Swat-Provinz.

Wir engagieren uns für die Niederlage des Militärs und für die Freiheit im Swat-Gebiet.

Wir setzen uns dafür ein,  dass die Arbeiterklasse in Swat zusammen mit den armen Bauern und der Jugend die Macht übernimmt.

Wir fordern das Ende der Regierungsunterstützung für den Krieg gegen den Terror.

Wir rufen die Bevölkerung auf, sich demokratisch zu organisieren, um ihre Rechte gegen die Taliban zu verteidigen. Nein zum Scharia-Recht in Pakistan !

Wir treten für eine sozialistische Föderation von Südasien ein.

Anhang: Der Hintergrund des Konflikts in Swat

In Pakistan verändert sich die politische Lage rasch. In vielerlei Hinsicht befindet sich das Land im Mittelpunkt von Weltereignissen. Nicht nur der Krieg gegen den Terror und der Kampf für demokratische Rechte zählt dazu, sondern auch der Umstand, dass Pakistan von den zwei Jahrzehnten Globalisierung begünstigt worden und nun aber heftig von der Weltrezession betroffen ist.

Vor kurzem wurde ein Friedensabkommen in der Swat-Provinz zwischen der pakistanischen Regierung und den Stammeskräften, darunter auch Taliban-Elementen unter den Tehrik-e-Nitas-e-Schariat-e-Muhammadi und dem Tehrik-e-Talibani Organisationen Pakistans unterzeichnet. Viele Leute im Westen beschreiben dies als ‚Kapitulation vor den islamistischen Kämpfern’ und votieren dagegen. In ihren Augen sind die mörderischen Angriffe der pakistanischen Armee eine gute Sache, um die Region von der ‚Talibanisierung’ frei zu halten. Aber sie erkennen nicht, dass der Einfluss der Taliban gerade wegen der Besetzung durch das Militär zunimmt.

Der Charakter der brutalen militärischen Operation gegen die Bevölkerung von Swat im Namen des ‚Kampfes gegen die Taliban’ brachte es mit sich, dass mehr als eine Million Menschen aus der Region vertrieben worden sind. Sie leben zur Zeit unter unvorstellbaren Verhältnissen in Flüchtlingslagern verstreut im ganzen Land. Das Leben der einfachen Einwohner von Swat ist derzeit sehr elend. Die Armee bombardiert das Gebiet schwer, und besonders die ländliche Armut leidet darunter. Als Folge ist die Bevölkerung in einen wirklichen Kampf verstrickt, um die pakistanische Armee als Besatzer zu verjagen. Vor dem Friedensabkommen gab es einen Riesenprotest in Swat unter der Parole ‚Gegen die Militäroperation’. Die Provinz ist erst 1969 zu Pakistan gekommen. Die seitherige Staatsform gilt als sehr korrupt und zeigt wenig Wirkung. Zu Anfang der 1970er Jahre protestierten viele Kleinbauern gegen die feudalen Grundherrn (Khans und Maliks). Sie schlossen sich zusammen, um sich ihr Land von den Grundbesitzern zu holen. Die Linke spielte in dieser Bewegung eine führende Rolle. Mitte der 70er Jahre erhoben sich auch kleinere Proteste gegen den Regionalstaat und äußerten das Verlangen nach größerer Selbständigkeit.

Die Tehrik-e-Nitas-e-Muhammadi Bewegung begann in den 1990er Jahren und führte den Kampf für mehr Macht in der Region an, z. B. im Gerichtswesen. Die Regierung inkorporierte mehrere Gesetze, darunter auch islamisches Recht in das Statut für die Swat-Provinz als Mittel zur Abschwächung der Tehrik-e-Nitas-e-Muihammadi Bewegung und Versuch zur Lösung einiger der wachsenden Widersprüche. Die Forderung nach islamischem Recht durch die Bevölkerung entsprach dem Elend und der Entfremdung der armen Bevölkerung, die unter den Bedingungen des Feudalismus und Kapitalismus Not gelitten hatten und haben.

Die Pro-Taliban Kräfte töteten die herrschende Elite der Khans und Maliks zu Beginn der Bewegung, was ihnen bei den Kleinbauern große Beliebtheit einbrachte. Anfangs verteilten die Taliban auch etwas Land an arme Bauern und erweiterten damit die Grundlage für ihre Unterstützung. Sie sind jedoch unter der städtischen Armut weit weniger beliebt. Die Bauern unterstützen die Islamisten wegen der begrenzten Reformen, die sie in ländlichen Gebieten eingeführt haben. Eine sozialistische Alternative muss für größere und tief greifendere Umwälzung der Verhältnisses am Landeintreten, um den Taliban die Basis für ihre Unterstützung zu entziehen, während diese sozialistische Perspektive zugleich die Grundlage für ihren Rückhalt unter den fortschrittlicheren Stadtbewohnern aufbauen muss.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::