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Kosovo/Kosova

Nein zum imperialistischen Protektorat!

Martin Suchanek, Infomail 348, 19. Februar 2008

Die albanische Mehrheit Kosovas feierte die lang erwartete Unabhängigkeitserklärung der ehemaligen serbischen Provinz Kosova.

Überraschend kam die Erklärung für niemanden. Auch die auf Verlangen Serbiens einberufene Sitzung des UN-Sicherheitsrats endete erwartungsgemäß. Russland und - weniger bestimmt - China sprachen sich gegen die Anerkennung der Unabhängigkeit aus. Die USA und die führenden Mächte der EU hatten die Unterstützung dieses Schritts schon lange deutlich gemacht, auch wenn die EU selbst noch einige diplomatische Verrenkungen machen musste, um die Befürchtungen des Spanischen Staates oder Zyperns auszuräumen, dass die Unabhängigkeit des Kosovos zum Präzedenzfall für die Basken und andere werden könnte.

Von der serbischen Provinz zur EU-Kolonie

Selten freilich hat eine Regierung eine „Unabhängigkeitserklärung“ ausgerufen, deren eigentlicher Inhalt darin besteht, alle wichtigen Staatsfunktionen in die Hände einer anderen Macht zu legen.

Zum einen wurde hier der Status Quo der letzten Jahre sanktioniert, zum anderen aber auch weitergetrieben. Seit dem Sieg der NATO gegen Serbien liegt die Staatsmacht in Kosova nicht mehr in den Händen Belgrads, sondern in denen der UN (UNMIK = United Nations Mission in Kosova). Die Staatsgewalt wird von der NATO mit der 16.000 Mann starken KFOR ausgeübt, von der die BRD rund 3.000 stellt.

2007 wurde die Ausübung des UN-Mandats der EU übertragen, die praktisch die politische Führungsmacht, die Kolonialmacht in Kosova darstellt.

Das zeigt auch der „Ahtisaari-Plan“, benannt nach dem ehemaligen finnischen Präsidenten und Kosovo-Chefverhandler der EU.

Dieser Plan, der die Grundlage der „Unabhängigkeit“ darstellt, sieht nicht nur die weitere Stationierung von NATO-Truppen unter EU-Führung vor. Er umfasst auch die Entsendung von fast 2.000 „Experten“ im Rahmen von Eulex zum Aufbau und zur Führung von Polizei, Justiz und Verwaltung - also der essentiellen Aufgaben jedes bürgerlichen Staatsapparates.

Doch nicht nur die Exekutivgewalt liegt in den Händen der EU und der NATO. Seit der Besetzung des Landes durch NATO-Truppen und durch die UN/EU-Verwaltung wird Kosova vom Westen in Kollaboration mit einer kleinen, neureichen albanischen Elite beherrscht, die politisch in der ehemaligen UCK (so auch Regierungschef Thaci) und der LDK organisiert ist und sich seit Jahren die wichtigen Funktionen einer klassischen Kompradoren-Bourgeoisie, also der pro-imperialistischen Büttel vor Ort, teilen.

Der Ahtisaari-Plan sieht nicht nur die Kontrolle über die Repressivfunktionen des „unabhängigen“ Kosova durch EU und NATO vor, sondern auch die Garantie der „Marktwirtschaft“ als Wirtschaftssystem sowie die Kontrolle der noch nicht privatisierten staatlichen Unternehmen durch eine Art „Treuhand“-Anstalt, die von der EU kontrolliert wird. Zu diesen Unternehmen, die für die Privatisierung reif gemacht werden sollen, gehören u.a. die wichtigsten Bodenschätze des Landes oder Flughafen von Pristina.

Der Euro ist die Landeswährung. Die europäische Zentralbank ist zum wahrscheinlich wichtigsten Instrument zur Kontrolle der Wirtschaftspolitik des Landes geworden.

In Kosova wird schließlich ein hoher Kommissar der EU mit unbeschränkten Vollmachten eingesetzt, der jedes Gesetz ablehnen und jeden Politiker absetzen kann.

Besatzung in Permanenz

Die Kompradorenrolle der kosovarischen Elite wird dadurch vergoldet, dass sie an den Geschäften westlicher Konzerne, an der Privatisierung der wenigen Unternehmen und der öffentlichen Dienste sowie durch die „übliche“ Korruption usw. kräftig mitverdienen.

Die „Elite“ des Landes, also die entstehende bürgerliche Klasse wie die gehobenen Mittelschichten, wird auf 5-10 Prozent der Bevölkerung geschätzt. Sie ist in den letzten Jahren wohlhabend geworden und hat an der Besatzung des Landes gut verdient.

Das gelang ihnen einerseits durch offen kriminelle Machenschaften, zum anderen aber auch durch die üblichen kriminellen Mittel der kapitalistischen Restauration, sprich der Überführung ehemals staatlichen oder genossenschaftlichen Eigentums in kapitalistisches Privateigentum.

Dieser Prozess ist selbstverständlich nichts Spezifisches für das Kosovo, sondern lief in ähnlicher Form auch in Serbien, Kroatien, Slowenien, ja in der DDR, in ganz Osteuropa und Russland ab.

Ohne „kriminelle“ Vorgehensweisen, sprich des Verkaufs von Unternehmen, Fabriken, Immobilien, Grundstücken etc. unter ihrem Wert an westliche Investoren und einheimische Kapitalisten - seien sie nun ehemalige stalinistische Bürokraten oder nationalistische „Freiheitskämpfer“ - wäre weder die Einführung der Marktwirtschaft noch die rasche ökonomische Durchdringung Osteuropas möglich gewesen.

Für Kosova stellt sich freilich das Problem, dass die „Investitionen“ bisher unter den Erwartungen blieben, dass die führende Schicht ökonomisch und politisch zu schwach ist, um das Land „selbstständig“ im Rahmen einer imperialistischen Aufgabenverteilung kontrollieren zu können. Das sagen die Imperialisten auch ganz offen. Daher werden sie weiter in dem Land gebraucht, dass sie selbst zuvor bombardiert und ausgeplündert haben.

Daher treten auch alle Flügel der nationalistischen Führungen im Kosovo für die weitere Besatzung des Landes ein, da sie wissen, dass sie selbst nur herrschen können, wenn sie für die EU herrschen; weil sie wissen, dass sie dazu keinen ausreichenden eigenen Machtapparat haben.

Schließlich hat sich ökonomische Lage der großen Masse der Bevölkerung in Kosova in den letzten Jahren verschlechtert. Zwischen 60 und 70 Prozent sind arbeitslos. Die Löhne liegen zwischen 80 und 120 Euro pro Monat, die Renten bei rund 50 Euro. Viele können nur dadurch überleben, dass sie Geld von Verwandten im Ausland erhalten.

In zur Privatisierung freigegebenen Unternehmen ist es üblich, dass monatelang gar keine Löhne gezahlt werden, um sie für Investoren attraktiver zu machen. Oft geschieht das mit Zustimmung der Gewerkschaftsfunktionäre, die so hoffen, als „Mitbestimmer“ und Co-Manager einen Teil zukünftiger Privatisierungserlöse oder Profite abzubekommen.

Das hat die sozialen Gegensätze im Kosovo verschärft. Im Frühjahr 2007 kam es zu Protesten gegen Privatisierungen und zu Aktionen gegen Studiengebühren an der Uni Pristina. Die Frustration der Bevölkerung zeigt sich auch darin, dass die Wahlbeteiligung zurückgeht. So boykottierten nicht nur die SerbInnen die Wahlen im Dezember 2007, auch rund die Hälfte der AlbanerInnen blieb den Urnen fern.

Die sich vertiefende Klassenspaltung der kosovarischen Gesellschaft wird durch die EU (noch) in einem Maße gekittet, wie es die „eigenen Eliten“ nicht könnten. Die Besatzer und die EU sind dabei auch ein wichtiger Nachfragefaktor im Land - schließlich gibt es nicht so viele, die locker hunderte Euro pro Monat konsumieren können.

Es ist klar, dass sich diese Situation in den nächsten Jahren nicht substanziell ändern wird, sondern von EU-Seite auf Jahre angelegt ist - mit dem Ziel, Kosova und den gesamten westlichen Balkan (also letztlich auch Serbien) als Halb-Kolonie in einen von Deutschland und Frankreich beherrschten imperialistischen Staatenbund zu integrieren, der - siehe EU-Vertrag - für die kleineren Staaten ohnedies bedeutet, wichtige Momente ihrer Souveränität an „europäische“, also von den großen imperialistischen Mächten Europas beherrschte Institutionen abzugeben.

So jedenfalls die europäische imperialistische strategische Zielsetzung.

Außenpolitische Hindernisse

Dem stehen allerdings offenkundige Hindernisse in der EU, v.a. aber der Gegensatz zu Russland wie auch die Interessen der USA entgegen.

Für das in den letzten Jahren wieder erstarkte Russland spielt Serbien die Rolle eines wichtigen Spielsteins, (wieder) als globale Großmacht anerkannt zu werden. Dafür werden die Beziehungen zur EU sicher nicht aufs Spiel gesetzt, aber Russland hofft damit, sich als alternative Schutzmacht zu profilieren und einen gewissen Einfluss am Balkan zu behalten.

Auf den ersten Blick scheinen die Interessen der USA und der EU-Führungsmächte deckungsgleich. Das stimmt hinsichtlich der nächsten politischen Schritte (Anerkennung Kosovas, Truppenstationierung), aber nicht hinsichtlich der strategischen, längerfristigen Interessen.

Die Balkankriege der 1990er Jahre haben besonders auch dem deutschen Imperialismus vorgeführt, dass er zwar in der Lage war, dem Zerfall Jugoslawiens eine Richtung zu geben und v.a. Slowenien erfolgreich zu einer Halbkolonie zu machen, aber er konnte die politische und militärische Ordnung am Westbalkan nicht führend bestimmen, sondern musste diese Rolle den USA überlassen.

In den letzten Jahren haben sich die EU und besonders die BRD darauf vorbereitet, die Führungsrolle am Westbalkan zu erringen. Die Übertragung der Besatzungsmission an die EU, die von der EU dominierten Institutionen wie die Umsetzung des Ahtisaari-Plans sind wichtige Schritte in diese Richtung. Nicht umsonst bezeichnete die deutsche Bundesregierung zu Beginn der EU-Präsidentschaft 2007 die „Lösung“ der Kosovo-Frage und die „Perspektive“ des Westbalkans zur zentralen außenpolitischen Zielsetzung ihrer „Dreierpräsidentschaft“ mit Portugal und Slowenien.

Dabei ist die aktuelle Unabhängigkeitserklärung alles andere als eine „Lösung“. Auch wenn die USA, Frankreich, die BRD, Italien, Britannien und zahlreiche andere Staaten die „Unabhängigkeit“ anerkennen, so ist ein „Schwebezustand“ vorprogrammiert, der selbst in jeder Hinsicht die Eigenständigkeit zur Farce macht. Einerseits wird die Unabhängigkeitserklärung des Landes von imperialistischen Führungsmächten anerkannt, andererseits gilt die UN-Resolution 1244, die Kosova als serbische Provinz definiert. Dieser Schwebezustand ist nicht nur ein Resultat eines labilen Kräfteverhältnisses zwischen den Imperialisten, sondern hat auch System, als damit der Grundstein nicht zur staatlichen Unabhängigkeit, sondern zur weiteren Integation in die EU gelegt wird.

Diesem Ziel sind die führenden EU-Mächte einen deutlichen Schritt näher gekommen. Das bedeutet in den nächsten Jahren aber auch: Zurückdrängung des US-amerikanischen Einflusses. Daher auch die ständige Mantra, „Serbien eine Perspektive“ zu zeigen und die offenkundige Bemühung, den serbischen Präsidenten Tadic als EU-Verbündeten zu stärken und aufzubauen.

Unabhängigkeit als Farce

All das zeigt freilich, dass die Unabhängigkeit des Kosovo eine einzige Farce ist.

Zweifellos hoffen auch jetzt noch viele AlbanerInnen, dass ihnen dies eine reale Verbesserung ihrer tristen wirtschaftlichen und sozialen Lage bringen wird.

Ihr Wunsch, sich von Serbien loszutrennen, ist dabei durchaus verständlich. Entgegen nationalistischer serbischer, aber auch vieler stalinistischer Mythen war Kosova nie ein „gleichberechtigter“ Teil Jugoslawiens.

Ihre Unterdrückung reicht weit ins 19. Jahrhundert zurück. 1878 wurde das albanische Kosova auf der Berlin Konferenz, welche die „Balkanfrage“ regeln sollte, Serbien zugeschlagen. Die nationale Unterdrückung setzte sich im SHS-Staat der Zwischenkriegszeit fort, als der Kosovo durch Ansiedlungen und die Deportation von 200.000 AlbanerInnen in die Türkei „serbisiert“ werden sollte.

Während das Regime Titos eine weitgehende Gleichberechtigung der drei Führungsnationen Nachkriegs-Jugoslawiens - Serbien, Kroatien, Slowenien - vorsah, waren die KosovarInnen von Beginn an benachteiligt. Entgegen der Vereinbarungen zwischen den albanischen und jugoslawischen Partisanen unter Führung von Hoxha und Tito wurde den Kosovaren nach dem Krieg und v.a. nach dem Bruch Titos mit Stalin 1948 der Anschluss an Albanien verweigert. Anders als Slowenien und Kroatien wurde der zahlmäßig drittstärksten Nationalität auch eine eigene Provinz verweigert. Bis in die 70er Jahre war albanisch als Amtssprache nicht zugelassen.

Seit Beginn der 1980er verschärften sich Gegensätze zwischen den jugoslawischen Republiken aufgrund der seit den 1980ern tiefer werdenden Wirtschaftkrise, massiven Arbeiterkämpfen und eines Zerfalls der Bürokratie entlang nationaler und restaurationistischer Linien. Als Milosevic in Serbien an die Macht kam, wurde der anti-albanische großserbische Chauvinismus offen und scharf formuliert. Albanisch, das in den letzten Jahren Titos als Amtssprache zugelassen wurde, wurde wieder als solche wieder abgeschafft, ebenso wie der Albanischunterricht an den Schulen. Rund 80.000 AlbanerInnen wurde aus dem Öffentlichen Dienst entlassen, die Belegschaften großer Industriebetriebe wurden „serbianisiert“ und die albanerischen ArbeiterInnen im Bergwerk Trepca wurden gefeuert.

Kurz: die AlbanerInnen waren auch in Jugoslawien national unterdrückt - eine Unterdrückung, die sich im Restaurationsprozess und mit dem Aufstieg des serbischen Nationalismus noch verschärfte.

Es ist kein Wunder, dass die Mehrheit der AlbanerInnen ihre einzige Perspektive bis heute in der Unabhängigkeit des Kosovo erblickt.

Das ist auch ein zentraler Grund, warum die nationalistischen Führungen nach wie vor im Sattel sitzen, weil viele AlbanerInnen nach wie vor daran glauben, dass die EU-Besatzung einen Schritt zur Unabhängigkeit bedeute und weil außerdem die Erinnerung an die serbische Unterdrückung nicht nur weiter wach ist, sondern von den serbischen Nationalisten aller Couleur auch weiter hochgehalten wird.

Schließlich brauchen auch die serbischen Nationalisten die „Kosovo-Frage“, um ihre eigene politische Macht abzusichern und die Schuld für die soziale Misere in Serbien nicht ihrer eigenen Herrschaft, der Ausbeutung der eigenen Bevölkerung, ihren verbrecherischen nationalistischen Abenteuern, sondern „den Albanern“ in die Schuhe zu schieben.

Balkanisierung und Selbstbestimmungsrecht

Die EU setzt im Kosovo wie am gesamten Balkan, wenn auch in neuem Gewand, die imperialistische Politik der „Balkanisierung“ der Beherrschung der Region, indem Nationalitäten gegeneinander ausgespielt werden, fort.

Die Nationalisten in Pristina setzen umgekehrt die Politik vieler Eliten unterdrückter oder schwacher Nationen fort, sich selbst an eine bestimmte Großmacht oder mehrere Großmächte anzudienen und so ihre nationalen, v.a. aber ihre Klassenprivilegien zu sichern.

Die serbische Regierung betreibt mit ihrem Versuch, die russische Karte zu spielen, nichts Anderes und „droht“ neben diplomatischen und ökonomischen Sanktionen damit, sich dem erstarkenden russischen Imperialismus anzudienen.

Für die Arbeiterklasse Kosovas wie Serbiens ist weder das Eine noch das Andere eine Perspektive. Die nationalistische Politik der serbischen wie der kosovarischen Führungen ist eine Sackgasse - nicht nur für die Unabhängigkeit von imperialistischer Ausbeutung und Unterdrückung, nicht nur für die nationale Befreiung, sondern auch für jede ernsthafte soziale Verbesserung (von der Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung ganz zu schweigen).

Gerade deshalb aber führt kein Weg daran vorbei, das Selbstbestimmungsrecht der KosovarInnen anzuerkennen. Die Verweigerung dieses Rechts fesselt die Arbeiterklasse und die Unterdrückten in Serbien wie in Kosova an die nationalistischen Führungen sowie die jeweils hinter ihnen stehenden imperialistischen Mächte – sei es jetzt die USA, die EU oder Russland.

Die serbische Arbeiterklasse wird nie das Vertrauen der KosovarInnen und anderer Völker des Balkans gewinnen, wenn sie im nationalistischen Wahn darauf besteht, dass das Kosovo gegen den Wunsch der Mehrheit seiner Bevölkerung serbisch zu bleiben hat.

Die von Russland, den serbischen Nationalisten, aber auch von der deutschen Linken ins Feld geführte Völkerrechtswidrigkeit der Unabhängigkeit des Kosovo kann für MarxistInnen, kann für die Arbeiterklasse nicht Richtschnur für die eigene politische Position sein.

Ausgangspunkt muss vielmehr der Kampf gegen alle Unterdrückungsverhältnisse - und dazu gehört auch der Kampf gegen die nationale Unterdrückung der KosovarInnen und also das Eintreten für deren Selbstbestimmungsrecht - sein.

Ohne Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts, also auch des Rechts der Kosovaren, einen eigenen Staat zu gründen, ist eine Überwindung des nationalen Haders einfach nicht möglich. So verbleibt den kosovarischen Nationalisten und den „demokratischen“ Imperialisten vom Schlage der EU immer die Möglichkeit, die reale Unterdrückung eines Volkes für ihre Zwecke ausnutzen zu können.

Hinzu kommt, dass die imperialistische Politik und ihre nationalistischen Lakaien in Pristina das Selbstbestimmungsrecht der AlbanerInnen selbst mit Füßen treten. Die Unabhängigkeitsverklärung der Regierung in Pristina ist nicht die Erkämpfung des „Selbstbestimmungsrechts“, sondern dessen Verkauf.

Diese kann und muss gegen die imperialistische Intervention erkämpft werden - solange, bis zentrale Forderungen erfüllt sind:

sofortiger Abzug aller Besatzungstruppen;

Bruch mit dem Ahtisaari-Plan;

Enteignung der imperialistischen Besitztümer und der Unternehmen der Neureichen;

Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung, deren Zustandekommen von Komitees der ArbeiterInnen und Bauern kontrolliert wird und

Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der serbischen Minderheit (einschließlich ihres Rechts, sich vom Kosovo abzutrennen und sich Serbien anzuschließen, sofern sie das wünscht).

Strategie und Taktik

Eine solche Politik würde die grundlegenden sozialen Probleme noch nicht lösen, so wie eine Lösung der grundlegenden Probleme des Kosovo, aber auch aller anderen Balkanstaaten im nationalen Rahmen nicht möglich ist.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts traten die internationalistischen Kräfte in der Arbeiterbewegung für die Bildung einer Balkanföderation als einziger realistischer Alternative zur Einmischung und zum gegenseitigen Ausspielen der Balkanvölker durch die imperialistischen Großmächte ein.

Auch heute trifft noch zu, dass nur so, auf der Basis einer gleichberechtigten und freiwilligen Föderation die Möglichkeit besteht, die nationalen Gegensätze und die ökonomische Rückständigkeit zu überwinden.

In der imperialistischen Epoche kann eine solche Föderation nur als Föderation sozialistische Staaten, unter der Führung von Arbeiter- und Bauernregierungen zustande kommen.

Das ist nur möglich, wenn die Imperialisten vertrieben werden, die großen Unternehmen und Banken der imperialen wie der „neuen“ Bourgeoisie und Großgrundbesitzer entschädigungslos enteignet werden.

Eine Arbeiter- und Bauernregierung würde die Arbeit unter allen Gesellschaftsmitgliedern aufteilen, einen von Räten demokratisch kontrollierten Plan zum (Wieder)aufbau der Infrastruktur und zu Reorganisation der Wirtschaft ausarbeiten. Eine solche Arbeiterregierung müsste die nationalistischen Armeen und die korrupten bürgerlichen Staatsapparate zerbrechen, paramilitärische reaktionäre Verbände zerschlagen und ihre eigene Herrschaft auf Arbeiter- und Bauernräte und die allgemeine Volksbewaffnung stützen.

Solche Regierungen würden auch das Recht auf Selbstbestimmung für nationale Minderheiten bis hin zum Recht auf Lostrennung garantieren. Natürlich wäre eine weitere Aufspaltung in kleinere Staaten ein vorübergehender Rückschritt, da das Ziel ja eigentlich die Schaffung einer größeren wirtschaftlichen und politischen Föderation ist. Aber es ist das geringere Übel gegenüber einer weiteren, staatlich erzwungenen Inkorporation einer unterdrückten Nation in einen bestehenden Staat.

Das wäre nicht nur der beste Beweis dafür, dass eine Arbeiterregierung die Bedürfnisse unterdrückter Nationen anders, also auf der Basis von Selbstbestimmung und freiwilliger Föderation, als die Nationalisten und Imperialisten zu regeln versucht. Es ist auch eine wirkliche Voraussetzung für einen freiwilligen Zusammenschluss auf der Basis einer Planwirtschaft (ob nun in Form eines Plans in einem Staat oder einer Kooperation zwischen Arbeiterregierungen). Auf einer solchen Grundlage wäre auch am ehesten die Basis für eine zukünftige Vereinigung zu legen.

Eine solche Föderation ließe sich letztlich auch nur durchsetzen und behaupten im Bündnis mit den ArbeiterInnen ganz Europas, durch den Kampf gegen den europäischen und US-amerikanischen Imperialismus und durch den Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten Europas.

Ein Programm, das dieses Ziel verwirklichen will, muss den Kampf für unmittelbare demokratische und soziale Forderungen mit dem Kampf für die Machtergreifung der Arbeiterklasse verbinden - es muss ein Programm von Übergangsforderungen für Kosova und den Balkan sein.

Für die Unabhängigkeit Kovosas! Nein zur imperialistischen Besatzung und Herrschaft! Für eine Arbeiter- und Bauernregierung!

Heute ist Kosova keine serbische Provinz mehr, aber auch kein souveräner Staat, sondern ein imperialistisches Protektorat. Jeder ernsthafte Kampf für „Selbstbestimmung“ und „Unabhängigkeit“ muss daher mit dem Kampf gegen imperialistische Besatzung und Plünderung des Landes beginnen!

Nein zum Ahtisaari-Plan und zur EU-Verwaltung! Sofortiger Abzug der NATO- und EU-Truppen! Nein zur Justiz- und Polizeimission der EU!

Für die entschädigungslose Enteignung der imperialistischen Unternehmen unter Arbeiterkontrolle!

Die Imperialisten müssen gezwungen werden, Kosova und Serbien für die Schäden aus dem NATO-Angriffskrieg zu entschädigen!

Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der serbischen Minderheit bis hin zum Anschluss an Serbien, sofern sie das will!

In den nächsten Monaten kann sich die Lage in Kosova zuspitzen. Die ArbeiterInnen, die Bauern, die Armut, die national Unterdrückten waren die VerliererInnen der letzten Jahre. Der Großteil der Bevölkerung lebt in Armut, die Arbeiterklasse droht als Klasse zu verelenden.

Die Privatisierung der Unternehmen und öffentlichen Dienste ist eine zentrale Frage, weil sie eng mit der weiteren Verarmung der Klasse und Ausweitung der Arbeitslosigkeit verbunden ist. Das betrifft zum einen die ArbeiterInnen in diesen Betrieben. Hier sind Besetzungen notwendig, um die Massenentlassung zu verhindern und den Abtransport verbliebener Produktionsmittel zu stoppen.

Aber die Frage muss in den Kontext der gesamten Gesellschaft gestellt werden durch Forderungen wie jene nach Öffnung der Geschäftsunterlagen und der Verträge der Regierung und durch den Kampf für die Wiederverstaatlichung und für Arbeiterkontrolle.

Für die Masse der Bevölkerung ist es unbedingt notwendig, eine Programm zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu forcieren: Für eine Programm gesellschaftliche nützlicher Arbeiten, für einen Mindestlohn und Mindestunterstützung für die Arbeitslosen in einer Höhe, die von den Gewerkschaften und der Bevölkerung in Nachbarschaftskomitees festgelegt wird. Freier Zugang zu Schulen und Ausbildungsplätzen für alle!

Um solche Forderungen müssen die Lohnabhängigen in Aktionskomitees, Preiskontrollkomitees usw. organisiert werden.

Die Arbeiterklasse ist im Moment nicht nur in einer dramatischen sozialen Situation, die sie mit einem weiteren Herabsinken in den Pauperismus bedroht. Sie verfügt auch über keine Organisationen, die ihre Klasseninteressen zum Ausdruck bringen könnte oder in der Lage wären, ihre ökonomischen Interessen einigermaßen zu verteidigten.

Die Gewerkschaften sind nicht nur schwach, sondern vor allem an der Spitze von nationalistischen Organisationen beeinflusst, oft korrupt und von imperialistischen Institutionen und NGOs gekauft.

Die „Vereinigung der Gewerkschaften Kosovas“ (BSPK) muss von den imperialistischen Kollaborateuren gesäubert werden, insbesondere von jenen, die in den Privatisierungsagenturen wie der AKM „mit“bestimmen  und mitprofitieren. Sie müssen für SerbInnen und andere Minderheiten geöffnet werden!

In den letzten Monaten sind Teile der BSPK mit den Privatisierungsplänen der Regierung und der EU in Konflikt geraten. Eine Mehrheit dürfte jetzt auch die Privatisierung insgesamt ablehnen und sie kooperiert mit der links-nationalistischen „Bewegung für Selbstbestimmung“ (LVP) unter Albin Kulti, die den Ahtisaari-Plan und die imperialistische Besatzung ablehnt und im letzten Februar eine Demonstration mit rund 30.000, v.a. jugendlichen TeilnehmerInnen organisiert hatte (woraufhin Kulti und andere Führer der Bewegung verhaftet wurden).

So positiv letztere Entwicklungen in der Gewerkschaft sind und die Aktionen der LVP einen progressiven und unterstützenswerten Charakter haben, so wenig lösen sie das entscheidende Problem der Arbeiterklasse - die Notwendigkeit, eine eigene politische Strategie, ein Programm zu entwickeln und eine Organisation, eine Arbeiterpartei, eine Klassenpartei, die für die Enteignung der Imperialisten und Kapitalisten und für eine Arbeiter- und Bauernregierung, für ein Sozialistisches Kosova als Teil einer Sozialistischen Balkanföderation, kämpft, aufzubauen.

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