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Bahn AG und GDL

Alle haben sich wieder lieb?

Martin Suchanek, Infomail 335, 5. Dezember 2007

Schon letzte Woche war klar, dass sich Bahnvorstand und GDL einem Kompromiss nähern. Nur so war die bizarre Taktik der GDL-Führung verständlich, trotz „Mogelpackung“ des Bahnvorstandes, trotz Zurückweisung ihres Angebotes in Verhandlungen über eben dieses Angebot zu reden.

Auch nach der gemeinsamen Pressekonferenz von Schell und Mehdorn bleibt vieles im Dunkeln. Die Kompromissformel bezüglich der Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag ist jedoch im Wesentlichen vorgezeichnet. Es gibt einen gemeinsamen Manteltarif und unter dessen Dach verschiedene berufsgruppenspezifische Tarifverträge. So können alle Seiten ihr Gesicht wahren und alle die Umsetzung ihrer Forderung in der großen „Bahnfamilie“ behaupten.

Für die LokführerInnen gibt es außerdem ein Weihnachtsbonbon von 800 Euro von „ihrem“ Vorstand - was etwa der Gesamtsumme an Lohnerhöhungen entsprechen soll, welche die Beschäftigten in anderen Bereichen in den letzten Monaten nach dem 4,5 Prozent-Abschluss von Transnet/GDBA erhielten. Ansonsten wird über Lohnerhöhungen und Arbeitszeitregelungen in den nächsten Monaten verhandelt.

Eines ist dabei schon jetzt klar: Die Zugeständnisse der Bahn AG werden weit unter den Forderungen der GDL liegen und es ist zu befürchten, dass diese auch schön gerechnet werden, wie z.B. die angebliche Lohnsteigerung der von Transnet vertretenen BahnerInnen um 10 Prozent. Auch die Vereinbarung, die Bahnvorstand und Transnet letzte Woche aus dem Hut gezaubert haben, ist eine klassische Mogelpackung, sollen doch die 10 Prozent bis 2010 erreicht werden - womit die jährliche nominelle Einkommenssteigerung gerade die Inflationsrate ausgleichen dürfte.

Sicherlich werden viele GDLer den Kompromiss als Teilerfolg betrachten. Nicht ganz zu Unrecht, denn dass der Bahnvorstand Zugeständnisse machen musste, dass Transnet Nachbesserungen des „Jahrhundertabschlusses“ von 4,5 Prozent einfordern musste, um den eigenen Ruf als Gewerkschaft nicht vollends zu zerstören, waren immerhin Ergebnisse der Streiks und der Entschlossenheit der LokführerInnen und der GDL.

Auch wenn unklar ist, welcher Abschluss am Ende der Auseinandersetzungen steht, so haben die GDLer auch anderes schon jetzt erreicht. Sie haben gezeigt, dass Widerstand, dass Streiks Sinn machen und Druck ausüben. Sie haben die Sympathie der großen Mehrheit der Bevölkerung erhalten, aus zwei Gründen. Erstens, weil ihre Sorgen und Nöte, weil die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen typisch sind für die große Mehrheit der Lohnabhängigen, der ArbeiterInnen und Arbeitslosen in der schönen Aufschwungwelt der Großen Koalition. Der Mehrheit der Bevölkerung geht es wie den LokführerInnen und ZugbegleiterInnen Jahr für Jahr beschissener.

Zweitens haben sie gekämpft und monatelang nicht vor der gemeinsamen Kapitalistenfront von Regierung, Justiz, Presse, Parlament und DGB-Gewerkschaftsführungen kapituliert. Sie haben damit ein deutliches Zeichen im Klassenkampf gesetzt, das vielen anderen nicht nur Mut macht, sondern verdeutlicht, dass auch Konzernführungen bezwingbar sind.

Schließlich hat der Kampf auch das Selbstvertrauen der LokführerInnen, der Mitglieder der GDL gestärkt. Diese kollektive Erfahrung gemeinsamer Stärke und Solidarität ist eine der wichtigsten Errungenschaften des Streiks, die sich die LokführerInnen nicht kaputt machen lassen dürfen - denn sie werden sie in den kommenden Kämpfen dringend brauchen!

Bahnvorstand und Bürokratie bremsen die Belegschaft aus

Der Kampf der GDL begann zwar als „normaler“ Tarifkampf, aber er wurde rasch zu einer politischen Konfrontation nicht nur mit dem Bahnvorstand, sondern auch mit der Regierung, der Justiz, der Kapitalistenklasse insgesamt. Er stellte sowohl das Sozialpartnerschaftssystem bei der Bahn wie auch die ohnehin ins Trudeln geratene Bahnprivatisierung in Frage.

Diese Entwicklung und die Ungewissheit des Ausgangs einer politischen Konfrontation eines unbefristeten Streiks der Lokführer haben Bahnvorstand und GDL-Bürokratie – aber auch die Regierung – dazu bewogen, auf Kompromiss zu machen, den Kampf zu entschärfen und so einer weiteren Zuspitzung sowie einer möglichen politischen Radikalisierung der LokführerInnen vorzubeugen.

Doch ohne Mithilfe der GDL-Führung wäre das natürlich unmöglich gewesen. Dieser kamen andererseits drei Faktoren zugute:

a) ihr eigenes Prestige, das gerade in den ersten Monaten des Kampfes aufgrund der Hetze durch Medien, Bahnvorstand, Gerichte, DGB-Gewerkschaftsbonzen gestiegen war;

b) das Fehlen einer eigenen politischen und gesellschaftlichen Perspektive der Basis, die über jene des GDL-Vorstandes hinausging, und damit

c) das Fehlen einer eigenständigen Organisierung an der Basis, des Kampfes um die Kontrolle über den Streik, über den Gegenstand der Verhandlungen, die Wahl und Abwählbarkeit von Streikleitungen etc.

Das widerspiegelt, dass auch die LokführerInnen in ihrer großen Mehrheit auf keine politische Klassenkonfrontation vorbereitet waren und wie die GDL-Spitze auf einen eigenen Tarifvertrag hofften. Sie waren verwundert, als sie z.B. zu spüren bekamen, dass die Gerichte Organe der Klassenjustiz sind, dass die Presse eben nicht „objektiv“ berichtet usw. usf.

Hinzu kommt - und das ist am allerwenigsten Schuld der LokführerInnen oder der GDL - dass es weder eine klassenkämpferische oppositionelle Basisbewegung in den Gewerkschaften noch eine, und sei es auch kleine revolutionäre Arbeiterpartei gibt, die das Bewusstsein der Streikenden über den Charakter ihres Kampfes oder die praktische Solidarität in anderen Sektoren der Klasse in Form von Massenaktionen hätte organisieren können.

Diese politischen Aufgaben sind es, die wir anpacken müssen, um zukünftige, unvermeidliche und noch weit heftigere Kämpfe bei der Bahn und in anderen Bereichen erfolgreich bestehen zu können!

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