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Venezuela:

Chavez gewinnt und verspricht eine ‚sozialistische Revolution’

Infomail 291, 20. Dezember 2006

Hugo Chavez hat am 6.Dezember zum dritten Mal eine Präsidentschaftswahl in Venezuela mit 62,89% gegen 36,85% Stimmenanteil gegen seinen rechten Herausforderer Manuel Rosales gewonnen. Er wollte 10 Millionen Stimmen, bekam aber nur über 7 Millionen bei einer gewachsenen Wahlbeteiligung von 74,87%. Dennoch konnte er seine Popularität steigern.

Die Rechten in Venezuela und im Weißen Haus verhielten sich ziemlich kleinlaut nach diesem Wahlergebnis. Die geplante ‚orangene Revolution’ nach ukrainischem Muster mit dem Vorwurf der Wahlmanipulation kam zu keiner Zeit in Gang. Tausende von T-Shirts mit dem Aufdruck ‚Betrug’ wurden schon vor den Wahlen hergestellt. Aber die Pläne der Rechten für eine solche Kampagne wurden von den Massen auf den Straßen und vor den Wahllokalen durchkreuzt, wo der Ohren betäubende Ruf „Uh, ah, Chavez bleibt da“ ertönte.

Chavez Wiederwahl ist ein weiterer schwerer Schlag für Washington und seine bedrängten Neokonservativen. Er ist der öffentlichste und radikalste linkspopulistische Präsident in Lateinamerika, einem Erdteil mit nunmehr einer Reihe von Regierungen, die den USA nicht recht sein können. Das am wenigsten beunruhigende Ereignis war die Wiederwahl von Inacio Lula da Silva in Brasilien am 29.Oktober. Der Wahlsieg von Daniel Ortega am 7. November in Nikaragua löste eher wegen seiner revolutionären Vergangenheit als wegen seiner reformistischen Plattform Besorgnis aus. Einen ernsthafteren Triumph des Chavismus hingegen war der Erfolg von Rafael Correa in Ekuador am 26.November.

Die USA haben versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Der stellvertretende Lateinamerika-Minister Thomas Shannon sagte: „Wir wünschen kein Verhältnis der Konfrontation (mit Venezuela). Wir waren immer bemüht, den Dialog mit Präsident Chavez zu vertiefen (und hoffen) dass er ein größeres Interesse daran hat.“ Aber die drei Versuche, Chavez mit Hilfe des CIA aus dem Amt zu entfernen, sind noch nicht vergessen.

Chavez hat jedenfalls keine Friedenszeichen in Richtung Bush gegeben.

„Heute haben wir den Imperialisten eine weitere Lehre in Sachen Würde erteilt. Es ist eine neue Niederlage für das Reich des ‚Herrn Gefahr’, eine neue Niederlage für den Teufel. Wir werden niemals wieder zur Kolonie der USA. Lang lebe die sozialistische Revolution (...) das Ziel steht fest: Sozialismus ist menschlich. Sozialismus ist Liebe.“

Bei der amtlichen Eintragung sagte er: „Die für mich gestimmt haben, haben nicht für mich gestimmt, sie haben für ein sozialistisches Vorhaben zum Aufbau eines grundlegend anderen Venezuela gestimmt.“

Zum ersten Mal verkündete Chavez seine Orientierung auf den Aufbau eines ‚Sozialismus des 21. Jahrhunderts’ auf dem 5. Weltsozialforum am 30.Januar 2005. Dort sagte er: „Wir haben die Verpflichtung übernommen, die bolivarische Revolution hin zum Sozialismus zu lenken - einem neuen Sozialismus, einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts, der auf Solidarität, Brüderlichkeit, Liebe, Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit beruht.“

All dies wird zweifelsohne in der Arbeiterschaft die Erwartungen an Chavez steigern. Er kann zwar behaupten, er führe eine sozialistische Revolution durch, aber die Wirklichkeit seines Programms wiegt stärker als seine Worte. Chavez hat sich darauf beschränkt, einen großen Teil der Öleinkünfte für die Verbesserung der Lebenshaltung der ärmsten BewohnerInnen Venezuelas auszugeben. Das unterscheidet ihn deutlich von seinen Vorgängern, die das Land im Interesse einer überreichen Elite und ihrer nordamerikanischen imperialistischen Herren ausplünderten. Es unterscheidet ihn auch von ‚Sozialisten’ wie Lula, der die Stimmen der ArbeiterInnen und Armen gebraucht hat, um an die Regierung zu gelangen, und nun missbraucht für kleine Almosen an die Wähler und große Rückzahlungen an den imperialistischen Internationalen Währungsfonds.

Im Gesundheitswesen und im Schulwesen, im Wohnungswesen und bei der Infrastruktur der Elendsviertel von Caracas sowie beim Eingreifen gegen Fabrikstilllegungen hat Chavez beträchtliche Erfolge erzielt. Deshalb verdient er die aktivste Unterstützung, wenn er Maßnahmen gegen die Blutsauger der alten Herrscherschicht ergreift. Doch er hat bislang die Besitzrechte der Reichen noch unangetastet gelassen und auch versprochen, dass dies so bleibt.

Auf internationalen Foren und Treffen mit führenden Geschäftsleuten hat Chavez geschworen, das Privateigentum zu achten. Er versucht, die Ängste der Mittel- und Oberschichten zu zerstreuen - aber sie hassen ihn trotzdem, weil Chavez die Kontrolle des Staates den Händen ihrer korrupten Politiker entwunden hat. Ihr Hass auf Chavez ist Klassenhass, durchtränkt mit Rassismus, weil die Ärmsten und Ausgebeutetsten - speziell die indigene Bevölkerung - sich  mit ihm identifizieren und ihn als ihren Führer ansehen.

Gefahren

Die soziale Basis für einen Putsch in Venezuela, der von den USA unterstützt würde, existiert noch, selbst wenn die Rechte im Augenblick entmutigt und desorientiert ist. Sie verfügt über andere Mittel, als Siege in einer freien und fairen Wahl, um Chavez zu stürzen. Obwohl dieser die Massen in einer Reihe von bolivarischen Formationen organisiert hat, über bewaffnete Trupps seiner AnhängerInnen verfügt und sich auf einen Teil der Armee, teils sogar auf den „patriotischen“ Teil seines Offizierskorps zur Zeit verlassen kann, besteht der alte bürgerliche Staatsapparat in Venezuela weiter.

Es besteht eine merkwürdige Doppelgleisigkeit, eine Form von Doppelmacht: die alte Offizierskaste und Staatsbürokratie, die immer noch fette Einkommen einstreichen, existieren neben den neuen bolivarischen Missiones und Massenorganisationen.

Solange der Ölpreis hoch bleibt und die venezolanische Wirtschaft boomt, wie das augenblicklich in der gesamten lateinamerikanischen Wirtschaft der Fall ist, kann dieser Schwebezustand anhalten. Aber das kann sich bald ändern. Wenn eine Massenbewegung ungeduldig wird und Taten sehen will für die sozialistische Revolution, von der Chavez so viel spricht; dann wäre das Eigentum der großen Firmen und des Großgrundbesitzes ernstlich bedroht und das scheinbar friedliche Nebeneinander würde ein Ende haben. Wenn andererseits der Aufschwung des Wirtschaftszyklus der nächsten Talfahrt weicht, wenn der Ölpreis schließlich fällt, wird die Grundlage von Chavez Verteilungs’sozialismus’ untergraben. Viele seiner Sozialprojekte werden dann zusammenbrechen.

Dann wird er entweder Sozialabbau betreiben müssen wie Lula in Brasilien und die Massenproteste unterdrücken oder die Massen vorwärts stürmen lassen müssen - zu einer wahrhaft sozialistischen Revolution, einer Revolution des 21. Jahrhunderts, die den großen Revolutionen des 20. Jahrhundert ähneln werden.

Die Gefahr ist, dass Chavez die Massen an der Verwirklichung des Vorhabens hindern und sie vertrösten wird - unter der Voraussetzung dass:

a) die Revolution in Venezuela noch nicht gesiegt hat und die herrschende Klasse zwar geschwächt, aber noch nicht gestürzt oder enteignet ist;

b) eine Konterrevolution nach chilenischem Muster (Staatsstreich, Mordanschlag auf Chavez usw.) stattfindet, die Massen durch wirtschaftliche Not verwirrt und demobilisiert werden, v.a. wenn sie nicht bewaffnet sind.

Deshalb brauchen die Massen, besonders die Arbeiterklasse, eigene Massenorgane, ja Machtorgane, die nicht nur Unterstützervereine für einen großen Führer sind. Sie brauchen Räte mit abrufbaren Delegierten, eine voll bewaffnete und ausgebildete Miliz und eine politische Partei.

Die Massen müssen diese Notwendigkeiten erkennen, damit die sozialistische Revolution triumphieren und jeder rechte Militärputsch und schließlich der ganze kapitalistische Unterdrückungsapparat zerschlagen werden kann.

Die Initiative für eine neue Arbeiterpartei in Gestalt der „Partei für Sozialismus und Revolution“ (PSR) ist ein erster Schritt. Wenn diese Partei wirklich die politischen Kräfte, die sie braucht, zusammenführen will auf einem politischen Programm, was Grundlage einer revolutionären Partei wäre, muss sie eine korrekte Haltung zum kapitalistischen Staat und zur chavistischen Bewegung einnehmen.

Bei den Präsidentschaftswahlen ist kein unabhängiger Arbeiterkandidat aufgestellt worden. Ebenso ist versäumt worden, die Wahlen zu nutzen, um die Aufgaben der Arbeiterklasse in Venezuela in der nächsten Periode heraus zu stellen. Dies verdeutlicht noch eine politische Schwäche, die überwunden werden muss.

Revolutionäre MarxistInnen hätten keine politische Unterstützung für Chavez geben dürfen, denn das hätte bedeutet, die Massen nicht vor den Beschränkungen des Chavez’schen Reformismus zu warnen und seinen linken Bonapartismus taktisch zu rechtfertigen. Alle Bestrebungen, die Massen unter der Vormundschaft eines Führers zu belassen, sind letzten Endes reaktionär, zumal sie dies gegenüber den Kräften der Reaktion politisch entwaffnet, die sich wieder sammeln und nur auf den günstigsten Moment zum Zuschlagen warten wird. Wie die Ereignisse in Chile und Argentinien vor 30 Jahren zeigen, ist es äußerst gefährlich, die herrschende Klasse zu „erschrecken“, ohne sie zu stürzen. Sie wird nur umso heftiger Rache üben.

Eine revolutionäre Partei in Venezuela würde gewiss die Errungenschaften der bolivarischen Revolution verteidigen - aber so wie die Bolschewiki in Russland, welche die demokratischen Früchte der Februarrevolution als Stützpunkt für die Machtübernahme der Arbeiterklasse im ganzen Land nutzten. Die „Partei für Sozialismus und Revolution“ muss es ähnlich machen. Chavez Reformen müssen so weit wie möglich voran getrieben werden, aber es muss auch die Enteignung der kapitalistischen Großbanken und Fabriken gefordert und die Arbeiterkontrolle in allen Industrien errichtet werden. Chavez muss aufgefordert werden, die Banken zu verstaatlichen, progressive Steuern af die Vermögen der Reichen zu erlassen und ein Massenprogramm von öffentlichen Arbeiten zur Abschaffung der Arbeitslosigkeit aufzulegen. Jedes Zögern von Chavez muss mit direkter Aktion zur Besetzung von Fabriken und Land sowie zur Niederzwingung des Widerstandes der Bosse und ihrer gedungenen Banden beantwortet werden. Die beginnende venezolanische Revolution erfordert eine revolutionäre Partei wie die Bolschewiki 1917. Die venezolanischen Massen haben nichts weniger als das verdient.

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