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Bericht aus Porto Alegre

Spannungen auf dem Weltsozialforum

Infomail 200, 11. Februar 2005 

Das 5.Weltsozialforum (WSF) fand abermals in der brasilianischen Stadt Porto Alegre statt. Vom 25.-31.1.2005 nahmen dort 155.000 eine Woche lang an Diskussionen, Debatten und Demonstrationen gegen Krieg, Rassismus und Neoliberalismus teil. Obwohl dieses Forum das bislang größte war, bedeutete die Aufteilung in 'selbstorganisierte Räume' eine komplette Verzettelung, als es darum ging, eine konkrete Strategie für die 'mögliche andere Welt' zu formulieren.

Diese Verzettelung war ein bewußter Akt des Organisationskomitees, das von der brasilianianischen Arbeiterpartei PT dominiert war. Es trachtete danach, Kritik an ihrem Präsidenten Lula zu ersticken, der eifrig neoliberale Reformen durchführt. Das wiederum bewirkte Risse in der Dominanz des rechten Flügels der Bewegung. Die meisten Führer der französischen ATTAC-Gruppe versuchten, einen Konsens der Politik der gesamten Bewegung zu erreichen.

Venezuelas Präsident H. Chavez stahl mit einer Massenkundgebung Brasiliens Lula die Schau, der wieder einmal anschließend nach Davos flog, um dort mit den Milliardären des Weltwirtschaftsforums zu plauschen. Die Versammlung der sozialen Bewegungen rief zu Maßnahmen bei wichtigen Anlässen auf, z.B. zu einem weltweiten Aktionstag gegen die Besetzung des Iraks am 19.3.2005.

Das Forum tagte hautsächlich im Hafengebiet. Neun thematisch gegliederte Zonen von A bis I zogen sich am Flußlauf entlang. Ein riesiges Jugendlager in einem schattigen Park beherbergte 35.000 junge Leute. Auf dem Gelände gab es eine Reihe von Veranstaltungen, losen Kundgebungen, Konzerten und Feiern.

Jugendliche beteiligten sich auch stark am 'offiziellen' Forum. Die beiden Foren liefen unterschiedslos und ohne Kartenkontrollen ab.

Zur Eröffunungsdemonstration kamen 200.000 Menschen. Auf ihr zeigten sich große Abteilungen des brasilianischen Gewerkschaftsverbandes CUT und der Landlosen/Arbeiterbewegung MST. Nur wenige AktivistInnen trugen Hemden mit der Aufschrift '100% Lula' aus Sympathie für den Präsidenten, der jetzt drei Jahre im Amt ist. Einige Abteilungen sangen Losungen, die Lula wegen seiner Nachgiebigkeit gegen die Politik des internationalen Währungsfonds und den Bruch von Versprechen zur Landreform sowie seinen Angriff auf die Rechte der ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst verhöhnten.

Aber es war nicht nur ein lateinamerikanisches Sozialforum. Gewerkschaften und soziale Bewegungen aus aller Welt erschienen auf der Demo und gaben ihr einen wahrhaft internationalen Anstrich. Europäische GewerkschaftlerInnen marschierten hinter indischen Dalits. Südostasiatische Bauernorganisationen reihten sich hinter dem Weltmarsch der Frauen ein. Insgesamt bot sich ein bewegender Anblick von wahrhaft internationaler Mobilisierung gegen neoliberalen Kapitalismus, Imperialismus und Krieg.

Wie zuvor boten die selbstorganisierten Räume eine gute Gelegenheit zur Vernetzung von GraswurzelaktivistInnen aus den sozialen Bewegungen, politischen Parteien und Gewerkschaften. Aber die Aufsplitterung in 11 Themenbereiche und die langen Fußwege dazwischen bewirkten, dass sich der Austausch meist auf benachbarte Bezirke beschränkte.

Die großen Vollversammlungen, die einzigen Gelegenheiten, zu denen die gesamte Bewegung zusammenkommen konnte, waren abgeschafft worden. Selbstredend waren diese von den 'großen Namen' der Nichtregierungsorganisationen - Akademikern, Journalisten sowie kaum verhohlenen Vertretern der großen reformistischen Parteien - dominiert gewesen. Aber auf diesen Versammlungen wurden wenn auch in begrenztem Ausmaß widerstreitende Strategien debattiert. Und gerade diese Erörterung zählt.

Aber die Politik läßt keinen leeren Raum unbesetzt. Den vereinnahmten zwei Präsidenten - Luis Ignacio de Silva, wie Lula mit vollem Namen eigentlich heißt, sowie Hugo Chavez aus Venezuela - sie durften dabei auch das heuchlerische Verbot politischer Parteien für ihre Auftritte durchbrechen. Die Liga für die 5.Internationale hat diesen durch Mauscheleien angestifteten Humbug der Prinizipien von Porto Alegre 2001 massiv kritisiert.

Chavez Stern stieg auf dem WSF 2005, während der Stern Lulas, dem ungekrönten König des Forums 2003, nun sank.

Die Hochrufe für Lula verhallen

Am ersten Morgen sprach Lula auf einer Kundgebung vor 12.000 Zuhörern im Gigantinho Stadion über den 'Weltweiten Aufruf zu Maßnahmen gegen die Armut' (GCAP), einer Kampagne zum Druck auf die G8-Staaten, ihre Versprechen zur Auslöschung der Armut einzulösen, die sie seit 2000 mehrfach gebrochen haben.

Lula hat wie der britische Minister Gordon Brown diesen Aufruf unterschrieben, um vor der Weltöffentlichkeit den G8-Staaten ein weiteres Versprechen abzuringen, das diese wieder wie in der Kampagne 2000 brechen werden. Und überhaupt: wer wird die Vollzugsbeamten in die imperialistischen Privatbanken, die US-Zentralbank oder die staatliche Bank of England senden ?

Nichtsdestotrotz werden die NROs und Kirchen vermutlich junge und engagierte Leute überall 'millionenfach mobilisieren'. Das darf nicht von der antikapitalistischen Bewegung außer Acht gelassen werden, die ihnen eine Führung geben und mehr als leere Versprechen einfordern muss. Wir müssen von den Privatbanken genauso wie von imperialistischen Staaten den sofortigen und bedingungslosen Schuldenerlaß für die gesamte "Dritte Welt" fordern. Privatisierung, Öffnung der Märkte - auch nicht unter "Kontrolle" der NROs - dürfen nicht geduldet werden. Der Schuldenerlaß muß sofort eintreten, weil keine Verzögerungstaktik durch Verhandlungen (z.B. über Handelskonzessionen) statthaft ist.

Außerhalb des Stadions, in dem Lula den Mund für das Ende der Armut voll nahm, versammelten sich ungefähr 3.000 AktivistInnen von Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und linken Parteien wie P-Sol und PSTU und hielten eine Kundgebung als kämpferische Opposition gegen Lulas neoliberale Reformpolitik ab, die StudentInnen und ArbeiterInnen gleichermaßen betroffen hat.

Hugo Chavez stiehlt die Schau

Im Gegensatz zu Lulas Auftritt sprach Chavez  am Abschlusstag zu 17.000 begeisterten AktivistInnen. Seine Zuhörerschaft setzte sich je zur Hälfte aus Lula-Anhängern und Gegnern zusammen, aber alle applaudierten Chavez.

Er hat Venezuelas Ölreichtum dazu benutzt, um das Gesundheitswesen und die Alphabetisierung zu verbessern. Er ist damit in Lateinamerika zum Helden geworden und hat die USA gegen sich aufgebracht. Lula andererseits hat Teile der Arbeiterschaft geplündert, so dass er weiter die riesigen Schulden Brasiliens an die Weltbank bezahlen kann.

Während seiner anderthalbstündigen Ansprache ging Chavez mit den USA hart ins Gericht und klagte ihren Krieg gegen den Irak, ihre Ausbeutung der südlichen Hemisphäre und ihre wiederholten Interventionen in lateinamerikanischen Ländern, u.a. Venezuela, an.

Er schaltete sich in die Debatte um die Zukunft des WSF ein und meinte: "Es ist Zeit, einen Schritt nach vorn zu tun und dieses 5.WSF zum Ausgangspunkt einer neuen Phase zu machen. Die nächsten 5 Jahre sollten begleitet werden von einer Weltsozialagenda. Dieser Agenda muss eine Machtstrategie angefügt werden."

Von Beifall umtost setzte Chavez fort: "Es ist schwierig, in diesem kapitalistischen System zu arbeiten - wir brauchen Sozialismus."

Er bestätigte außerdem, dass Venezuela als Gastgeber des nächsten hemisphärischen Sozialforums 2006 bereit stehen würde, was ebenfalls mit donnerndem Applaus aufgenommen wurde. Chavez sprach sich jüngst während seines Spanien-Besuchs für eine 'neue Internationale' aus. Wer weiß, vielleicht denkt er an die Wiederbelebung der Idee einer 3 Erdteile-Konferenz von 1964, wie sein Vorbild Che Guevara, den er mehrfach in seiner Porto Alegre-Rede erwähnte.

Risse in der WSF-Führung

Seit seiner Gründung 2001 war das WSF in der Hand von meist offen reformistischen Teilen der Bewegungen, aufgebaut von Lulas PT im Bündnis mit Attac und einer weltweiten Koalition von Nichtregierungsorganisationen. Sie haben ständig versucht, die offener 'antikapitalistischen' Teile der Bewegung ins Abseits zu drängen.

In Porto Alegre 2005 brach dieses Bündnis unter Lulas neoliberaler Amtsführung offen auseinander. Chico Whitaker, der Chefideologe der PT in der Sozialforenbewegung räumt dem WSF nur noch einen 'offenen Raum' ein und wendet sich offen gegen dessen Entwickung zu einer Bewegung, die den Kampf gegen Kapitalismus und Krieg organisieren könnte.

19 Akademiker und Journalisten produzierten den sogenannten Porto Alegre-Konsens, eine programmatische Erklärung, der scheinbar jeder auf dem Sozialforum zustimmen könne.

Unter den 19 Unterzeichnern des Manifests befanden sich der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger J. Saramago, Langzeitentwicklungstheoretiker wie E. Galeano, S. Amin und I. Wallerstein, führende Mitarbeiter der Redaktionsstuben von Le Monde Diplomatique wie F. Houtart, I. Ramonet und B. Cassen sowie Kriegsgegner und antikapitalistischen Journalisten wie Tariq Ali oder W. Bello.

Dass Bello und Ali unzufrieden wegen der Lähmung des WSF sind, ist keine Überraschung, aber wenn Cassen die 'Freiräume' nicht mehr verteidigt, kann etwas nicht stimmen. Wahrscheinlich beeinflusste diese Gruppe den gemäßigten Ton des Dokuments, aber offenkundig fürchten auch sie von Lulas Präsidentschaft kompromittiert zu werden und dass damit nun der Spielraum für radikalere Elemente wie Chavez oder die AktivistInnen der Versammlung der sozialen Bewegungen größer werden könnte.

Die Erklärung enthält eine Reihe von abgeschwächten Reformvorschlägen, bspw. wie die Tilgung der Staatsschulden des Südens, Annahme der Tobin-Steuer, freie Verfügung dieser Länder über Nahrungsmittel, fairer Handel usw.

Kein Wort wird indessen verloren über die Durchsetzung dieser Reformen. Keine Machtstrategie, um in Chavez Worten zu sprechen. Aber die größte Fehlleistung ist die Unterlassung jeglichen Hinweises auf die Besetzung des Irak, die Bedrohung des Iran, von Venezuela, Nordkorea und Kuba durch die USA. Und noch verheerender: keine Erwähnung des palästinensischen Kampfes.

Ein Aufruf zur Aktion

Die Weltversammlung der sozialen Bewegungen traf sich am letzten Morgen in Porto Alegre und rief zu einem internationalen Antikriegsaktionstag am 19.3.2005 auf.

Nach scharfer Kritik am WSF von Delegierten des irakischen nationalen Widerstands näherte sich die Versammlung einer ausdrücklichen Unterstützung für den antiimperialistischen Kampf gegen die angloamerikanischen Besatzung. Sie forderte auch die Umsiedlung von illegalen Siedlungen auf palästinensischem Land und den Abriß der Apartheid-Mauer.

Die Versammlung unterstützte die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel im Juli in Schottland, unter der radikaleren Losung eines sofortigen und bedingungslosen Schuldenerlasses, ebenso eine Reihe von Kampagnen von Frauen und eingeborener Bevölkerung. Leider wurde der Aufruf nur verlesen und liegt als Übersetzung noch nicht vor. Die nächsten Ausgaben des Fifthinternational.org global newswire werden den Text abdrucken und sich analytisch damit befassen.

Das Weltsozialforum war also von wachsender Polarisierung und Spaltung gekennzeichnet, auch wenn dies den meisten Teilnehmern mangels Debatte der aufgetretenen Differenzen noch nicht klar geworden ist.

Das Gespenst des WSF als Brutstätte einer antiimperialistischen Internationale mit abgestimmter Politik und koordinierter Aktion wurde von Chavez und anderen heraufbeschworen. W. Bello und Co deuteten vorsichtig die Möglichkeit der Wiedererstehung von reformistischen oder von drittwelt-nationalistischen 'Internationalen' an. Die alten stalinistischen Parteien begrüßten diese Option.

Es gibt eine revolutionäre Alternative zu allen Versuchen zur Wiederbelebung dieser toten Internationalen. Sie muss diesen neuen Masseninternationalismus und Antiimperialismus in eine Weltpartei der sozialistische Revolution verwandeln. In Porto Alegre riefen wir für den Schaffung der einer Fünften Internationale auf, wo immer wir Gelegenheit dazu fanden. Dies wurde von BasisaktivistInnen gut aufgenommen und lebhaft erörtert.

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