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China: Die kapitalistische Restauration triumphiert

Peter Main

China ist aufgrund seiner Größe und seiner Entwicklung in den letzten Jahren ein bedeutender Faktor in der Weltwirtschaft geworden. Ein riesiges Arbeitskräftepotential und eine wachsende Ökonomie gingen aus einer nachkapitalistischen Wirtschaft hervor, die an ihre Grenzen stieß und den Weg zurück zum Kapitalismus beschritt.

Als die LRKI auf ihrem 5. Kongress im Sommer 2000 ihre Position zur Restauration des Kapitalismus neu beleuchtete, war China eines der Beispiele, das aufgrund seiner spezifischen Entwicklung weiteren Einblick in die Wege der kapitalistischen Restauration gab. Im Zuge dessen kamen wir zur Schlussfolgerung, dass der Kapitalismus in China bereits 1996 restauriert war und dies durch den Wandel des Klassencharakters des chinesischen Staates 1992 ermöglicht wurde. Im folgenden Artikel wird erläutert, warum der Triumph des Kapitalismus in China nicht von den selben politischen Umstürzen begleitet war wie in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion.

Der Kapitalismus wurde in China 1996 wiederhergestellt. Zwei grundlegende Faktoren waren dafür verantwortlich, dass dies verhältnismäßig reibungslos und unter der weiter andauernden Herrschaft der chinesischen kommunistischen Partei vor sich ging. Zunächst hatten fast zwei Jahrzehnte ‘Marktreformen’ mächtige kapitalistische Sektoren innerhalb Chinas geschaffen. Zweitens war mit der Niederschlagung der politischen Opposition der Arbeiterklasse – einer Folge des Massakers von 1989 auf dem Platz des himmlischen Friedens – das wichtigste gesellschaftliche Hindernis für die Rückkehr zum Kapitalismus weggeräumt worden.

Der Schlüssel zum Verständnis des chinesischen Weges zur Restauration liegt im bonapartistischen Charakter des politischen Regimes, das nach der Revolution von 1949 errichtet wurde. Dieses Regime war geprägt vom Druck der gesellschaftlichen Hauptklassen und musste mit entschiedener Politik entschlossenem Widerstand begegnen.

Die bürokratisch-militärische Herrschaft der chinesischen kommunistischen Partei verfestigte sich bereits im Krieg gegen Japan nach 1937 und bildete den Grundstein für die neue Verwaltung nach 1949.

Mit ihrer sozialen Basis in der Bauernschaft, ihrem hohen Ansehen unter dem kleinen, städtischen Proletariat und einer Bourgeoisie, die einen Großteil ihres Reichtums unter Chiang Kai-shek verloren hatte, stieß die KP kaum auf sozialen Gegendruck, als sie das sowjetische Modell der bürokratischen Kommandoplanung zur Modernisierung Chinas einführte.

Aber von Anfang an erschütterten Fraktionskämpfe und anschließende politische Schwenks die Gesellschaft. Drei Hungerjahre mit 20 Millionen Toten resultierten aus dem mutwilligen Experiment des “großen Sprungs nach vorn” und der Volkskommunen, während die Kulturrevolution alle Bildungsstätten schloss.

Der entscheidende Wendepunkt nach einer Serie interner Fraktionskämpfe kam 1978 mit der Rückkehr Deng Xiaopings aus dem inneren Exil. Zu dieser Zeit befanden sich die Wachstumsraten in Landwirtschaft und Industrie im Niedergang und zwar nicht primär aufgrund ihrer Unterwerfung unter eine zentrale Planung, sondern weil die Diktatur der Partei jegliche Initiative und schöpferische Kraft in Arbeiter- und Bauernschaft abwürgte und verleugnete.

Dengs Lösung für die Landwirtschaft sollte die Bewegung weg von den Kommunen unterstützen und den Bauern gestatten, über Art und Weise ihres Anbaus selbst zu entscheiden. Diese Befreiung von der bürokratischen Bevormundung führte sehr bald zu Produktionssteigerungen.

Für die Industrie brachten Dengs Reformen allerdings keinen Erfolg, weil sie keine Antwort auf die immanenten Grenzen des sowjetischen Planungsmodells zu geben vermochten. Obwohl es möglich war, die Grundstoffindustrien durch bürokratische Befehlsgewalt aufzubauen und in Betrieb zu halten, konnte doch weder die Produktivität gesteigert, noch die Konsumgütererzeugung angekurbelt werden ohne die Schöpferkraft und Begeisterung der Arbeiter. Doch dies verlangte nach Demokratie im Planungsprozess - das einzige, woran die stalinistische Bürokratie nicht einmal zu denken wagte.

Stattdessen verließ sich Deng auf einen größeren Handlungsspielraum für die Betriebsleiter. In den 80er Jahren wurde eine Reihe von Reformen eingeführt, die ihnen den Rückhaltung von Gewinnen, die Suche nach neuen Märkten, die Entlassung von Arbeitskräften sowie die Steigerung der Produktion überließ.

Doch die übergeordneten Mechanismen des Systems von Kommandoplanung konnten mit betrieblichen Entscheidungsebenen nicht in Einklang gebracht werden. Eine wesentliche Stütze für das gesamte Herrschaftssystem war die Planungsbürokratie, die es selber hervorgebracht hatte. Die Reformen wurden immer wieder hinausgezögert, verwässert und sogar durch die mächtigen und verwurzelten Interessen im Staatssektor zu Fall gebracht.

Ganz abgesehen von der fraktionellen Opposition gegen die Reformen lief auch die Struktur des Planungssektors einem Wandel zuwider. Die Betriebsleiter wollten oft größeren Finanzfluss oder neue Produktlinien durchsetzen. Aber es war unmöglich, Kosten zu berechnen, Rohstoffe zu beschaffen oder in technische Neuerungen in einem System zu investieren, das alle Quellen und Preise zentral in Peking verwaltete und festlegte.

Die einzige Art in diesem System die Produktion zu erhöhen, war die Schaffung neuer Kapazitäten und die Beschäftigung neuer Arbeitskräfte. Im Ergebnis wuchs der Produktionsausstoß im Staatssektor weiter, obwohl die Produktivität stagnierte.

Eine Kombination aus dem ständigen Druck seitens des Politbüros der chinesischen KP unter Deng und den Auswirkungen anderer Reformen wie in der Landwirtschaft, wie der Dorf- und Stadtunternehmen (1), der Sonderwirtschaftszonen sowie der Zulassung von direkten Auslandsinvestitionen brachte nichtsdestotrotz die allmähliche Lockerung der Kontrollen und eine Zunahme der betrieblichen Selbständigkeit ab Mitte der 80er Jahre.

Ökonomisch betrachtet verschaffte der zunehmende Kontakt mit den Dorf- und Stadtunternehmen den Industriemanagern “nebenbei” Profite, während sie die von der Bürokratie vorgegebenen Plansolls mehr als erfüllten.

Zugleich stärkte die Dezentralisierung der Planungsinstanzen die regionalen Einrichtungen, besonders die Banken, die den Kreditrahmen für die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten ausdehnten und dabei dem Staatssektor die Verschuldung als zusätzliches Problem aufhalsten.

Politisch nahmen die Spannungen innerhalb von Partei und Staat zu, zumal verschiedene Fraktionen unterschiedliche Strategien vorschlugen. Eine Verheimlichung dieser Streitlinien war unmöglich, und so kam Mitte der 80er Jahre eine halböffentliche Debatte über Wirtschaftspolitik in Gang. Versuche der Behörden, diese Bewegung zu unterbinden, warfen nur ein Schlaglicht auf den Mangel an Demokratie in China. Damit war die Saat vorhanden, die in der ‘Demokratiebewegung’ nach 1987 aufging.

Die allgemeine Unzufriedenheit blieb indes nicht auf politische Fragen beschränkt. Die Inflation, die 1988 auf 18% anstieg, und die offenkundig werdende Korruption bei Neureichen und vielen Funktionären beschleunigten, dass durch die wirtschaftlichen Nöte auch die Arbeiterklasse in die Bewegung mithineingezogen wurde. Zunächst reagierte die Parteiführung nur sehr schleppend auf den wachsenden Unmut. Die eigenen Reihen waren spürbar uneins.

Während die ‘Reformer’ eine steigende Zahl von Managern und Wirtschaftsfachleuten hinter sich wussten, die bereits jede Hoffnung auf eine Reform der Planwirtschaft aufgegeben hatten, und dazu neigten, die Forderungen nach größeren Freiheiten und öffentlicher Debatte zu unterstützen, sympathisierten die Verteidiger des ‘alten Regimes’ eher mit den gegen die Korruption gerichteten Bestrebungen der Massen.

Doch als die Protestwelle hochflutete, begann die Bürokratenriege wieder zusammenzurücken. Zhao Ziyang, der vermeintlich den Demonstranten Sympathien entgegenbrachte, wurde durch Li Peng ersetzt. Als die Arbeiterabordnungen aus ganz China immer zahlreicher wurden und zum Tienanmen Platz strömten, unterzeichneten Deng und Li den Marschbefehl für die der Bürokratie ergebene Truppen aus ländlichen Gegenden.

Obwohl das Militär und die Befürworter der Kommandoplanung unmittelbar nach dem Blutbad vom Juni 1989 an die Macht zurückkehrten, stärkte die Zerstörung der Arbeiterbewegung langfristig unausweichlich die offen restaurationistischen Kräfte.

Um Stabilität wiederzuerlangen, fror die Regierung nicht nur die Preise ein und säuberte den Apparat von einigen offenkundig korrupten Funktionären, sondern erhöhte auch die Löhne und etablierte neuerlich zentrale Kontrollen über die Ökonomie. Kurzfristig zeigte die Unterdrückung der Demokratiebewegung sowohl den festen Rückhalt des Regimes auf dem Lande wie auch die weiter bestehende Stärke der Fraktionen, die gegen die Marktreformen waren. Aber in den folgenden beiden Jahren stellte sich heraus, dass die Rückkehr zur Vergangenheit verbaut war.

Obwohl die Inflation unter Kontrolle gebracht worden war und die Produktion in den Staatsbetrieben 1991 kurzzeitig anzog, liefen diesen schon1992 die marktorientierten Südprovinzen (v.a. Guangdong) in Bezug auf die Wachstumsraten deutlich den Rang ab.

Nach Niederwerfung und Einschüchterung der industriellen Arbeiterklasse und ermutigt durch die Unfähigkeit der ‘alten Garde’, die begonnenen Reformen aufzuheben, sahen Deng und die ‘Technokraten’ um Jiang Zemin und Zhu Rongji die Zeit für einen entscheidenden Wandel in der Politik gekommen.

Das erste Anzeichen dazu gab Dengs Rundreise durch den Süden im Januar 1992, als er die Shenzhen-Sonderzone als wegweisend für ganz China lobte. Dies wurde dann in einer Reihe von politischen Maßnahmepaketen festgeschrieben, die auch die Öffnung der Grenzregionen für den Handel enthielten, des Weiteren die Lockerung der Auslandsinvestitionsbeschränkungen in Städten entlang des Yangtze-Flusses und weiteren 18 Provinzorten, außerdem die völlige Freigabe des Außenhandels für eine Reihe von Küstenstädten und ferner die Streichung des Produktionsamtes im Staatsrat und dessen Ersetzung durch das Staatsratsamt des ökonomischen Handels unter Zhu Rongji.

Die politische Veränderung gipfelte in der Annahme eines neuen Programms für eine ‘sozialistische Marktwirtschaft’ am 14. Parteitag im Oktober 1992. Zu dieser Zeit bewertete die LRKI dieses Programm ähnlich dem früher von Ungarn und Jugoslawien verfolgten ‘marktsozialistischen’ Kurs.

Dieser hatte die Grundlagen des zentralen Plans in jenen Ländern zwar geschwächt, aber nicht zerstört. Im Licht der Ereignisse in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion mit ihrer kapitalistischen Restauration in Gestalt der ‘Big bang’-Strategie, einer Umgestaltung durch gebündeltes Maßnahmenpaket, in dem die Beseitigung der Planungsministerien, die Aufhebung der Preisbindung und ein damit verbundener, praktischer Produktionsstillstand enthalten waren, schlossen wir daraus, dass Peking sich eine abgewandelte Form von zentraler Planung vorbehielt. Aber wir hatten Unrecht.

Im Rückblick erkennen wir, dass dies der Punkt war, an dem sich der Charakter des Staates änderte. Zwar übte die Bürokratie als bonapartistische Kaste weiter die Herrschaft aus, um ihre eigene wirtschaftliche Grundlage abzusichern und zwischen den gesellschaftlichen Hauptklassen das Gleichgewicht zu halten, aber sie entschloss sich bewusst, ihre ökonomische Basis von einer Planwirtschaft in eine staatskapitalistische umzuwandeln.

Auf der politischen Ebene musste die alte Garde aus ihren Machtpositionen verdrängt werden. Eine durchgreifende Säuberung war dennoch nicht nötig, weil die beiden Folgejahre nach 1989 diese alte Garde zur verbrauchten Kraft gestempelt hatten, zumal ihre einzig realistische Stütze, die Arbeiterklasse, 1989 unterdrückt worden war.

In ökonomischer Hinsicht wurde der politische Kurswechsel möglich, das der geplante Sektor nur noch knapp über 50% des Produktion für sich verbuchen konnte. Jeder ernstliche Produktionsengpass konnte entweder durch private Betriebe und Dorf- und Stadtunternehmen oder über den Weltmarkt wettgemacht werden.

Den ausschlaggebenden Beweis dafür, dass die Regierung auf die Zerstörung der Planwirtschaft aus war, lieferte die Vollversammlung des Zentralkomitees der chinesischen KP, die im November 1993 die ‘50 Artikel zur Marktwirtschaft’ annahm.

Darin wurde die Strategie zum systematischen Abbau der Planungskontrollen über die staatseigenen Betriebe und deren Umwandlung in unabhängige ‘Treuhandgesellschaften’ niedergelegt. Zugleich wurde eine radikalen Bankenreform, ein Schritt zur Währungskonvertierbarkeit des Renminbi unternommen, wurden die örtlichen Auslandsinvestitionsbeschränkungen und das Gesetz der ‘eisernen Reisschüssel’ aufgehoben, wonach städtischen Industriearbeitern die Sicherheit des Arbeitsplatzes, der Bildung, der Wohnung, der medizinischen und der Altersversorgung zustand.

Ähnliche Vorschläge hatte es schon vorher gegeben, aber sie hatten sich nicht durchgesetzt. Obwohl der Staatssektor 1993 erstmals unter 50% der gesamten Industrieproduktion ausmachte, dominierte er weiter im industriellen Kernbereich, den ‘Kommandohöhen’ und blieb der einflussreichste Sektor.

Da aber das Planungssystem tatsächlich noch nicht abgebaut worden war, kennzeichneten wir China weiterhin als degenerierten Arbeiterstaat. Wir hätten jedoch erkennen müssen, dass es bereits ein bürgerlich restaurationistischer Staat war, der sich darauf vorbereitete, sein Restaurationsprogramm umzusetzen.

Die folgenden zwei Jahre waren geprägt von einem einschneidenden Wandel der chinesischen Ökonomie unter dem Druck der Umwandlungen in ‘Treuhandgesellschaften’, den ersten Schließungen von Planungsministerien und einer Flut von Auslandskapital. Eine große ökonomische Instabilität entstand, als Betriebsmanager aus den Steigerungsraten von bis zu 18% Profit schlagen wollten.

Bezeichnenderweise machten sich viele für die Erweiterung der Produktionsanlagen stark, statt auf die Steigerung der Produktivität der vorhandenen Stätten und Ausstattung zu setzen. In der Folge wuchsen die Staatsunternehmen jährlich um etwa 8%, auch wenn die Mehrzahl der Firmen verschuldet blieb und keine Gewinne abwarf.

In dieser Periode veränderten sich die Grundlagen der Produktion eindeutig zu Gunsten kapitalistischer Methoden. Die Zahlen von 1996 zeigen, dass die staatliche Industrie nur noch 28,3% des Gesamtaufkommens produzierte, während die Industrie in kommunalem Eigentum, v.a. Dorf- und Stadtunternehmen, bei 39,3% lagen und jene im Privatbesitz bereits bei 15,5% sowie die ausländischen Kapitaleigner gar bei 16,6% (Privatkapital also zusammen 32,1% Anteil) angelangt waren.

In den folgenden Jahren konzentrierte sich die staatliche Politik auf die Integration der 1.000 größten und effektivsten Betriebe in den Staatssektor, während ungefähr 49.000 kleinere Unternehmen ihrem Schicksal in der neuen ökonomischen Landschaft überlassen wurden. Die Mehrheit davon scheint zu Schleuderpreisen an die eigenen Direktoren verkauft worden zu sein. Andere wiederum schlossen sich zu leistungsfähigeren Einheiten zusammen, während der Rest stillgelegt wurde.

Es gibt nun jedoch einen klare Umwandlung der Staatsunternehmen in privatrechtliche Gesellschaften, wie noch Mitte der 80er Jahre angestrebt, sondern zu voller Privatisierung in Form von Aktiengesellschaften. Der 15. Parteikongress im September 1997 hat solche Firmenformierungen amtlich abgesegnet und sie mit dem bemerkenswerten Argument gerechtfertigt, dass sie eine Art kollektiven Besitztums seien und deswegen vollkommen in Einklang mit den sozialistischen Prinzipien stünden. Das stellt einen bedeutsamen Wandel hin zu einer neu entstehenden bürgerlichen Klasse in China dar.

Seither wurde Zhu Rongji durch den Volkskongress zum Premierminister ernannt und hat als Vorsitzender einer Regierung, die zum ersten Mal ohne Militärpersonen auskommt, den Abbau der übrigen Planungsministerien, die Entflechtung des gesamten Industriekomplexes der Volksbefreiungsarmee sowie die Verhandlungen mit den USA für den Beitritt zur Welthandelsorganisation geleitet. Dieses Abkommen, das auch Klauseln für die volle Bewegungsfreiheit für ausländische Banken und Firmen enthält, beschleunigt wahrscheinlich die nochmalige nachhaltige Umgestaltung der chinesischen Ökonomie.

Chinas Zukunft wird somit von Instabilität gezeichnet sein. Die Einführung kapitalistischer Industrienormen hat in den vergangenen 3 Jahren laut Weltbank bereits zu jährlich10 Millionen Stellenstreichungen geführt und hat eine Woge von politischen Kämpfen in ganz China aufgepeitscht.

Zwei Jahrzehnte Reformen hin zur Restauration des Kapitalismus haben nicht nur das Gesicht Chinas, sondern auch die Arbeiterklasse des Landes verändert und massiv anwachsen lassen zur zahlenmäßig stärksten Arbeiterklasse der Welt. Aus ihren Erfahrungen und gegenwärtigen Kämpfen wird diese Klasse ihre eigene politische Stimme erheben und ihre eigenen politischen Organisationen formen.

Den Revolutionärinnen und Revolutionären in aller Welt stellt sich die Aufgabe, die chinesische Arbeiterbewegung für ein revolutionäres Programm zu gewinnen, das die Diktatur der Bürokratie endgültig zerstört, die neuen Kapitalisten enteignet und die Macht in die Hände der Arbeiterräte und Arbeitermilizen übergibt.

Fußnote

(1) Die Dorf- und Stadtunternehmen bzw. township and village enterprises (wie sie in der englischsprachigen Literatur bezeichnet werden) “sind teilweise genossenschaftlich organisiert, jedoch zum größten Teil Unternehmen, die von lokalen Gebietskörperschaften (insbesondere Städten und Kreisen) gegründet und in der Regel nach Crop-Sharing-Prinzip verpachtet wurden. Die Eigentumsverhältnisse für westliche Maßstäbe diffus, da dieser Unternehmenstypus sich im historischen Prozess in Richtung Privatunternehmen entwickelt hat, ohne dass jedoch das Eigentum formal in Privateigentum umgewandelt worden wäre. … Die Kollektivbetriebe belegten zunächst Nischen, die von Staatsunternehmen nicht abgedeckt waren. Trotz ihrer geringen Kapitalausstattung, ihres Charakters als Klein- und Mittelbetriebe, ihres geringen Zugangs zu offiziellen Kreditmärkten und ihrer meist rückständigen Technologie waren sie so erfolgreich, dass sie selbst im Bereich der industriellen Produktion an Boden gewannen.” (Hansjörg Herr: Das chinesische Akkumulationsmodell und die Hilflosigkeit der traditionellen Entwicklungstheorien, in PROKLA 119, S. ...)

 

Exkurs 1: Die Saat des Kapitalismus

Am Vorabend der Reformen von 1978 waren zwischen 70 und 80% aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft tätig. Sie waren in den ‘Volkskommunen’ organisiert, die ganze Regionen, die Produktionsbrigade mit bis zu 100 Haushalten und das Produktionskollektiv (im Wesentlichen das herkömmliche Dorf) umfassten.

Alle Entscheidungen über die Produktion wurde auf Kommuneebene gemäß den Erfordernissen der zentralen Planungsbehörden getroffen. Obwohl das System einige Vorteile in Bezug auf die Verbreitung moderner Anbaumethoden und Organisation von Großprojekten wie z.B. Bewässerung brachte, nahmen die Nachteile allmählich überhand. Besonders die Konzentration auf Monokulturen ließ nicht nur örtliche Gegebenheiten außer Acht, sondern verursachte teuren Transportaufwand für Produkte, die überall hätten erzeugt werden können. Die Preise für Landwirtschaftsgüter wurden fast ausschließlich vom Staat festgesetzt.

Mitte der 1970er Jahre wurde die Steigerungsrate der Nahrungsmittelproduktion durch das Bevölkerungswachstum überholt. In mehreren Provinzen wandten sich Bauern von den Kommunen ab und kehrten zur Familienbewirtschaftung zurück. Die Ortsfunktionäre der KP drückten ein Auge zu, weil die Ernten nun deutlich besser ausfielen. Vor die Wahl zwischen dem Verlust der Autorität und einer zweiten Hungersnot gestellt, billigte Peking den Bruch mit dem Kommunensystem. An seine Stelle trat ein System der ‘Eigenverantwortlichkeit des Haushaltes’, in dem die Bauern über den Anbau selber entscheiden durften, aber einen bestimmten Teil ihrer Erzeugnisse dem Staat zu festen Preisen abliefern mussten. Überschussproduktion konnte auf dem freien Markt oder an den Staat zu einem ‘ausgehandelten’ Preis zwischen Festpreis und Marktpreis verkauft werden. Um entsprechende Angebote zu sichern, garantierte der Staat den Ankauf aller überschüssigen Waren.

Das Resultat war ein sofortiger Produktionszuwachs; die Getreideerzeugung stieg innerhalb von 6 Jahren jährlich um 3,7%, Baumwolle um 18% und Fleisch um 8,9%. Insgesamt erhöhte sich das bäuerliche Einkommen im selben Zeitraum um 12,3% im Jahr. Diese Zuwächse entfachten andere wirtschaftliche Aktivitäten. Die Zahl der ländlichen Märkte kletterte von 38.000 (1980) auf 67.000 (1993). Außerdem gab der Agrarsektor den ursprünglichen Anstoß für die Entwicklung von Industrie- und Handelstätigkeit auf lokaler Ebene in den so genannten Dorf- und Stadtunternehmen. Sie waren die Quelle für eine Kapitalakkumulation, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in benachbarten Sektoren, und für eine neue einheimische Kapitalistenklasse, die an die vier Jahrzehnte völlig verschwunden war.

 

Exkurs 2: Lasst tausend Unternehmen blühen

Der Sektor der Dorf- und Stadtunternehmen war unmittelbares Resultat der Agrarreformen in den späten 1970er und den 1980er Jahren. Als die Kommunen 1994 formal aufgelöst wurden, gingen die Werkstätten und kleinen Industriebetriebe, die aus ihnen hervorgegangen waren, in die Hände der örtlichen Verwaltung, praktisch in die der Parteisekretäre über.

Entsprechend dem zentralen Auftrag, Initiative und Wirtschaftswachstum zu fördern wurden sie dann entwickelt, damit bei steigendem Einkommen der Landwirtschaftsbetriebe das nötige Baumaterial, Handwerkszeug, Transportmöglichkeiten, Schlachthäuser, Nahrungsmittelverarbeitungsbetriebe und Ähnliches bereitgestellt werden konnten.

Aus diesen bescheidenen Anfängen und oft unter Inanspruchnahme des Netzwerkes von Staat und Partei wuchsen die Dorf- und Stadtunternehmen in den 1980er Jahren schnell und wurden nicht nur eine bedeutende Quelle für Fertigprodukte (32% der Industrieproduktion 1992), sondern auch die Hauptträger für die Beschäftigung von Landarbeitern (130 Millionen d.h. 30% der Gesamtlandarbeiterschaft, Zahlen von 1996). Amtlichen Statistiken zufolge produzierte der Sektor der Dorf- und Stadtunternehmen 1995 44% des industriellen Nationalprodukts.

Die genaue Statusbestimmung der Dorf- und Stadtunternehmen hat erhebliche Verwirrung hervorgerufen, denn sie werden als ‘Kollektivbesitz’ in den chinesischen Statistiken geführt. In der Folge haben westliche Kommentatoren und besonders jene, die den Fortschritt der kapitalistischen Restauration abstreiten wollen, sie dem ‘staatlichen Sektor’ zugeschlagen als Beweis, dass etwa 70% der Wirtschaft ‘nicht kapitalistisch’ seien. Sie begehen einen Doppelfehler.

Der Erste ist begrifflicher Art. Trotz der Bezeichnung ‘Kollektivbesitz’ gehörten 1994 90% der Kommunalunternehmen Einzelpersonen, obwohl diese meist Kleinstbetriebe und mit nur 30% am Produktionsvolumen beteiligt sind.

Wichtiger noch: Es ist nicht primär eine Frage von legalen Definitionen über Eigentumsformen, ob diese Unternehmen kapitalistisch sind oder nicht. Der Punkt ist vielmehr, dass sie alle unabhängige Betriebe sind und nicht Teil eines geplanten Produktionssystems. Zwei Drittel ihrer Produktion wird durch Lohnarbeit erzeugt und der Gesamtausstoß ist für den Markt bestimmt. Ihr Investitionsfonds speist sich entweder aus einbehaltenem Profit oder kommerziellen Krediten. Sie sind in einem Wort kapitalistisch.

Zahlenmäßig ist die Mehrheit als kleinstkapitalistische Formationen zu erfassen, aber die Entwicklung des Sektors insgesamt folgt einem vorhersehbaren Muster von kleinen, ortsgebundenen und arbeitsintensiven Einheiten zu immer größeren, höher kapitalisierten Firmen, die fähig sind, nicht nur auf dem gesamten heimischern Markt, sondern sogar grenzüberschreitend auf dem Weltmarkt tätig zu werden. Seit der Sektor sich vergrößerte und kapitalintensiver geworden ist, war er nicht in der Lage, Arbeitskräfte im früheren Ausmaß aufzunehmen, was nun zur wachsenden Arbeitslosigkeit im ländlichen Bereich beiträgt.

Die Bedeutung des Sektors der Dorf- und Stadtunternehmen für die Einschätzung der chinesischen Ökonomie liegt nicht einfach in seinem Anteil am industriellen Gesamtprodukt, so hoch dieser auch ist. Die Produktion läuft weiterhin in kleinen Einheiten, und man kann nicht von einer beherrschenden Stellung innerhalb der Nationalökonomie insgesamt sprechen. Doch er beschäftigt einen steigenden Anteil der Arbeiterklasse. Er bildet eine Quelle für die Kapitalakkumulation und ist die Grundlage für eine neue industrielle Bourgeoisie und ein Kleinbürgertum, die ihren Nutzen aus der Privatisierungswelle des Staates seit Mitte der 1990er Jahre ziehen können.

 

Exkurs 3: Enklaven des Kapitalismus

Zu Beginn wurden die Sonderwirtschaftszonen, die nach 1979 entstanden, streng getrennt von der übrigen chinesischen Wirtschaft gehalten. Sie dienten als Lockvögel für ausländische Kapitalinvestitionen und Hochtechnologie sowie als Bahnbrecher für Chinas Zugang zu modernem Management und ausländischen Devisen. Ihre Produktion war auf Export ausgerichtet und nicht für den Binnenmarkt gedacht. Im Gegenzug wurden ausländischen Firmen Steueroasen, billige Arbeitskräfte und subventionierte infrastrukturelle Entwicklung angeboten.

In den 1980er Jahren entwickelten sich diese Sonderzonen rasch mit zweistelligen Wachstumsraten das ganze Jahrzehnt hindurch. Als sie wuchsen, verlegten sie ihr Schwergewicht von der Herstellung billigen Spielzeugs und Plastikwaren, zunächst auf Textilien und später auf Elektronik und optische Instrumente.

In den 1990er Jahren verlagerten viele Firmen ihre Produktionsstätten in Niedriglohngebiete bspw. entlang des Perlflussdeltas zwischen Hongkong und Kanton. Die Sonderwirtschaftszonen konzentrierten sich zunehmend auf Dienstleistungsindustrien wie Immobiliengeschäft, Versicherungen und Bankwesen.

Daraus ergibt sich klar, dass sie trotz ihrer Eigenschaft als scheinbar hermetisch abgeriegelte und vom übrigen China getrennte Enklaven bereits in ihrem Entstehungsjahrzehnt begannen, Einfluss über ihre Grenzen hinaus auszuüben. Sie stellten nicht nur Arbeitsplätze zur Verfügung, sondern bildeten auch einen Markt für alle möglichen Güter und Dienstleistungen, die oft aus den Dorf- und Stadtunternehmen stammten.

Während der letzten 10 Jahre stärkte sich der Einfluss der Sonderzonen, als die Schranken für den Binnenmarkt gelockert wurden und ausländische Firmen sich auch an anderen Stellen niederlassen konnten. Sie waren die Quelle für im Ausland geschultes Management und Wegbereiter etwa für befristete Arbeitsverhältnisse und ‘Pioniere des Kapitalismus’ und haben eine ungeheure Wirkung.

Besonders in den Küstenprovinzen haben sie Ressourcen aus dem Staatssektor abgezweigt, die Dorf- und Stadtunternehmen eingebunden und geschäftliche Verbindungen zwischen Weltmarkt und nichtstaatlichen Sektoren hergestellt.

Derzeit wird ihr Sonderstatus unter den Bedingungen des Welthandelsabkommens vom November 1999 aufgehoben. Aus der Sicht der restaurativen Elemente haben sie ihre Mission erfüllt.

 

Exkurs 4: With a little help of foreign investment

Bis 1979 waren ausländische Investitionen in chinesischen Unternehmen absolut untersagt, doch die politische Instabilität des Landes machte es ohnedies zweifelhaft, ob sich ohne das Verbor viele ernsthafte Interessenten gefunden hätten.

Die ausländischen Direktinvestitionen kamen nur mühsam in Gang. Bis 1984 war es nur 250 Staatsbetrieben erlaubt, ausländische Partner für Joint Ventures zu suchen. Zwischen 1979 und 1984 wurden nur 1,8 Mrd. Dollar investiert, auch wenn der Staat zusätzlich 11 Mrd. Dollar an Krediten aufnahm.

Zwar steigen die Zahlen bis Ende der 1980er Jahre weiter an, fielen nach dem Tienanmen-Massaker aber wieder stark ab. Erst die grundlegende Wende der chinesischen Politik öffnete die Schleusen. 1994 lag China mit 33 Mrd. Dollar ausländischer Direktinvestitionen nur noch hinter den USA.

Unternehmen wurden fallen gelassen, und alle Provinzen durften um Auslandsinvestitionen werben. 1995 investierten ausländische Kapitalisten nach offiziellen Zählungen in 59.000 chinesischen Firmen. Sie beschäftigten nahezu 9 Millionen Leute, 13,6% der Industriearbeitskräfte, und produzierten 13,1% des industriellen Gesamtprodukts. Investitionen in diesem Ausmaß haben klare Auswirkungen auf den Charakter der Ökonomie. Während Regierungskredite eine Rückzahlungsgarantie haben, sind Investitionen in Joint Ventures mittels Aktienbeteiligung oder die Übernahme ganzer Betriebe offenkundige Produktionsinvestitionen, und ausländische Kapitalisten werden ihre Profite durch Einfluss nahm auf oder gar Kontrolle über die Produktion sicherstellen.

Infolgedessen wirkte die Verfügbarkeit von riesigen Mengen ausländischen Kapitals als Katalysator für die Produktions- und Verteilungsverbindungen, die unter der Planwirtschaft aufgebaut worden waren, und beschleunigte die Bildung von neuen Verbindungen, die nun von dem Streben nach Profit bestimmt waren. Das ist besonders wichtig in Hinblick auf den Abbau der Kontrollen über die Auslandsinvestitionen in die staatliche Großindustrie nach 1992.

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