Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Wie weiter mit der Bewegung gegen Hartz IV?

Demos, Besetzungen, Streiks!

Martin Suchanek, Neue Internationale 94, Oktober 2004

Die Montagsdemos sind an einem Wendepunkt angelangt. Die Teilnehmerzahlern gehen zurück, mancherorts hat sich die Demo gespalten. Das Hauptziel, Hartz IV zu kippen, wurde bisher nicht erreicht. Die spontane Massenbewegung stößt an die Grenzen ihrer eigenen politischen Möglichkeiten - in mehrfacher Hinsicht. Es gibt zu wenige in den Massen verankerte Mobilisierungsstrukturen; es mangelt an einer bundesweit vereinheitlichten, demokratisch der Basis verantwortlichen Führungsstruktur. Vor allem aber zeigt sich, dass die Demos allein nicht genügend ökonomischen Druck erzeugen können, um die Regierung zur Rücknahmen von Hartz IV oder gar der Agenda-Reformen zu zwingen.

Auch die begrenzten Zugeständnisse der Regierung (Datum des Inkrafttretens, Anrechnung des Kinderfreibetrages) haben zu einem Abflauen des Protestes beigetragen. Das verweist auch darauf, wie falsch und demobilisierend die z.B. von der PDS vertretene Politik ist, statt des Kippens von Hartz IV auf deren Modifizierung zu orientieren.

Doch immer noch wird jeden Montag in über 200 Städten demonstriert. Am 20. September waren erneut rund 100.000, vor allem im Osten, auf der Straße. Aber: allein wöchentliche Demos können nicht reichen, um Hartz IV zu stoppen, geschweige denn, um die Agenda 2010 zu kippen.

Bilanz des letzten Jahres

Die Bewegung müsste sich vielmehr demokratische Mobilisierungsstrukturen geben, die Aktionsformen über Demos hinaus entwickeln, also Aktionsbündnisse und -räte für Straßenblockaden und Besetzungen schaffen. Vor allem aber müsste sich die Bewegung mit betrieblichen Abwehrkämpfen verbinden und eine entschlossene Kampagne für Massenstreiks bis hin zum Generalstreik starten - weil letztlich dieses Kampfmittel unbedingt notwendig ist, um den Generalangriff von Regierung und Kapital zu stoppen und zu verhindern, dass sie die Krise ihres Systems auf die Massen abwälzen.

Gegen den groß angelegten Sozialraub gab es am 3. April Massendemonstrationen. In Berlin, Köln und Stuttgart demonstrierten über 500.000. Bei Daimler schlossen sich 80.000 ArbeiterInnen und Angestellte dem Aktionstag der IG Metall gegen die Arbeitszeitverlängerung und Lohneinbußen von bis zu 30 Prozent an. Bei VW wollen die Bosse - allen voran Herr Hartz - jetzt ebenfalls massive Kürzungen durchsetzen.

Aber diese Aktionen blieben Ansätze. Sie wurden von der Gewerkschaftsbürokratie demobilisiert, ausverkauft und in Niederlagen geführt: So der Tarifabschluss der IG Metall im Frühjahr 2004, so der Ausverkauf bei Siemens und Daimler. Bei VW droht nun eine Wiederholung dieser Politik des ständigen Zurückweichens, welche die Kampfkraft der Arbeiterbewegung weiter aushöhlt, die Spaltungen in der Klasse vertieft und Unternehmer und Regierung zu weiteren Angriffen geradezu animiert.

In dieser gegenläufigen Bewegung - hier spontaner Massenprotest der Erwerbslosen, v.a. in Ostdeutschland, dort Niederlagen der industriellen Arbeiterklasse und im Öffentlichen Dienst - liegt ein zentrales strategisches Problem für die Entwicklung des Widerstandes. Das es bisher nicht dazu gekommen ist, dieses Dilemma zu überwinden, liegt v.a. an der Politik der reformistischen Gewerkschaftsführung und, im Osten, der PDS, der sich letztlich auch viele Linke unterordnen.

Um erfolgreich zu sein, müssen wir die Montagsdemonstrationen nicht nur ausweiten, vor allem müssen sie mit den betrieblichen Abwehrkämpfen in der Industrie und im öffentlichen Dienst verbunden werden. Nur gemeinsam haben wir eine Chance. Die von etlichen Linken genährte Illusion, die Montagsdemos könnten kontinuierlich wachsen und ohne allgemeine Kämpfe der organisierten Arbeiterschaft erfolgreich sein können, ist irreführend und unbrauchbar.

In jeder Stadt sollte ein Bündnis zur Organisierung der Montagsdemos gebildet werden, an dem alle Organisationen der Arbeiterbewegung - seien es Gewerkschaften, Parteien, Erwerbsloseninitiativen oder Jugendorganisationen -, der Linken, der ImmigrantInnen, der SchülerInnen, der Studierenden, der Frauenbewegung zur Teilnahme aufgefordert sind. Diese Bündnisse dürfen sich aber nicht auf Demos beschränken. Sie müssten die Aktionen auch radikalisieren, Besetzungen und Blockaden durchführen.

Wo Rechte und Nazis auf den Montagsdemos auftauchen oder eigene Demos abhalten, müssen diese organisiert von der Linken, den ImmigrantInnen und der Arbeiterbewegung gestoppt und vertrieben werden!

Welche Bündnisse?

Die lokalen Bündnisse müssen versuchen, sich in den Stadtteilen und Betrieben zu verankern, dort Mobilisierungskomitees aufbauen oder bestehende Strukturen wie Arbeitsloseninitiativen, gewerkschaftliche Betriebsgruppen und Vertrauensleute auffordern, in diesem Sinne aktiv zu werden. Entgegen der verbreiteten Praxis, dass die Mobilisierungsstrukturen entweder "Personenbündnisse" sind, bei denen oft unklar ist, wer wen vertritt bzw. wer wem verantwortlich ist, sind Delegiertenstrukturen besser geeignet. Sie ermöglichen nicht nur eine größere Transparenz und demokratische Kontrolle von Entscheidungen; sie sind auch eine Alternative zu sektiererischen Vereinnahmungsversuchen.

Die Bündnisse der Montagsdemonstrationen und die verschiedenen Organisationen, die sie unterstützen, müssen zu einem bundesweiten Bündnis vereinigt werden, das nach dem 2. Oktober eine neue strategische Orientierung ausarbeitet.

Von zentraler strategischer Bedeutung für unsere Bewegung ist jedoch folgende Frage: gelingt es uns, die Montagsdemos in einer Bewegung gegen die laufenden Angriffe in den Betrieben, mit Massenstreiks gegen Arbeitszeitverlängerung, Lohnkürzungen, Hartz und Agenda 2010 zu verbinden? Es ist kein Schritt vorwärts, sich Figuren wie Lafontaine anzubiedern oder runde Tische mit Fischer, Merkel und Co. zu organisieren.

Verbindung in die Betriebe aufbauen!

Nur durch Massenaktionen auf der Straße wie Demos, Blockaden, Besetzungen und Streiks in den Betrieben kann die Agenda gestoppt werden! Letztlich ist ein Generalstreik gegen diesen Angriff notwendig - ein Generalstreik, der freilich nicht einfach proklamiert werden kann, sondern gegen den erklärten Willen der Gewerkschaftsbürokratie erkämpft werden muss.

So wie die Bürokratie eine solche Orientierung auf Massen- und Generalstreik ablehnt und selbst jede Debatte darüber blockiert, so müssen wir in den Demo-Bündnissen, in den Belegschaften und den gewerkschaftlichen Gliederungen diese Diskussion einfordern und organisieren. Ein erster Schritt kann z.B. sein, dass die Montagsdemos bewusst zu Betrieben geführt werden und betriebliche Aktionen wie jetzt bei VW unterstützt werden.

Die DGB-Spitze und die Einzelgewerkschaften verfolgen die gegenteilige Politik. Sie unterstützen lieber die Regierung statt die Erwerbslosen. Sie tun das, weil damit angeblich Schlimmeres - ein CDU-geführtes Kabinett - verhindert würde. Selbst das ist dumm und naiv. Wer Schröder und Fischer nicht bekämpft, bereitet umso sicherer Merkel, Koch, Stoiber und Westerwelle vor.

Daher müssen die Basis und die Linke in den Gewerkschaften organisiert für einen Bruch mit der Politik des DGB-Vorstandes und der Spitzen der Einzelgewerkschaften kämpfen. Der DGB und die Einzelgewerkschaften müssen die Montagsdemos ohne Wenn und Aber unterstützen, dafür in den Betrieben und auf der Straße mobilisieren und ihre Gelder für die Aktionen zur Verfügung stellen!

Vor allem aber: sie müssen aktiv werden, um politische Streiks gegen die Angriffe der Regierung zu führen. Der Abwehrkampf bei VW gegen die Arbeitszeitverlängerung und gegen Lohnraub ist die nächste Gelegenheit dazu.

Wir wissen aus der Erfahrung der letzten Jahre, dass die Gewerkschaftsspitzen nur so weit gehen werden, wie wir sie zwingen. Wir müssen daher in den Betrieben und in den Gewerkschaften eine organisierte Opposition, eine klassenkämpferische Basisbewegung aufbauen, welche die Apparate zum Handeln zwingt, selbständig mobilisiert und in dieser Auseinandersetzung auch eine alternative Führung zu den Sommers, Peters, Bsirskes aufbaut.

Um die Widerstandsansätze gegen die Agenda zu bündeln, müssen die Vorschläge für demokratische, der Basis verantwortliche Strukturen, eine klassenkämpferische Basisbewegung und Aktionen mit Biss mit dem Aufbau einer politischen Alternative zu SPD/PDS, einer neuen Arbeiterpartei verbunden werden.

Arbeiterpartei

Ohne einen bewussten politischen Kampf gegen den Einfluss der Sozialdemokratie, der Gewerkschaftsbürokratie, kleinbürgerlicher Kräfte wie attac, aber auch das "natürlichen" Reformismus der ArbeiterInnen werden auch die besten und entschlossensten Aktionen immer wieder vor das Problem der Integration in des kapitalistische System gestellt werden.

Die Montagdemos sind wie schon die Demonstration am 1. November 2003 oder die Wahlalternative Ausdruck einer politischen Abwendung von der Sozialdemokratie. Diese Entwicklung muss einerseits durch Vorschläge zur Entwicklung des Abwehrkampfes unterstützt werden. Andererseits stellt sich damit auch Aufgabe, eine neue Arbeiterpartei zu schaffen - eine politische Kraft, die die heterogene Bewegung, die verschiedenen Teilkämpfe, die verschiedene Auseinandersetzungen auf Grundlage einer politischen Gesamtstrategie, eines Programms verbinden kann.

Ein solches Programm darf sich nicht auf einen mehr oder weniger kämpferischen Katalog von Abwehrforderungen beschränken - es muss vielmehr eine Brücke darstellen von den aktuellen Abwehrkämpfe gegen Agenda 2010 und Hartz-Gesetze zum Kampf um die sozialistische Revolution.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

neue internationale
Nr. 94, Oktober 2004

*  Wie weiter mit der Bewegung gegen Hartz IV? Demos, Besetzungen, Streiks!
*  Gewerkschaftsbürokratie sabotiert Widerstand: Auf zum Winterschlaf?
*  Die MLPD und die Montagsdemos: Alle für die Einheit?
*  Frauen und Hartz IV: Küche oder Klassenkampf?
*  Heile Welt
*  Konflikt bei VW: Immer wieder Hartz?
*  Europäisches Sozialforum: EGB vereinnahmt ESF
*  Hafenarbeiter gegen Lohndumping: Internationale Streiks sind machbar!
*  Palästina: Weg mit der Mauer!
*  Irak: Keine Friedhofsruhe!