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Berliner Kürzungspolitik

Absaufen im Stellenpool

Brigitte Falke, Neue Internationale 89, April 2004

So wie auf Bundesebene die Schröder-Regierung die Agenda 2010 nach und nach durchdrückt, geschieht dies auf Berliner Ebene: durch die "Neuordnungsagenda 2006".

Die wachsenden Probleme des Kapitals, die sich vor allem in stärkerer Konkurrenz äußern, führen dazu, dass es immer weniger bereit ist, den Staat durch Abzüge vom Mehrwert zu finanzieren. Neben den allgemein bekannten Wegen, den Geldfluss von den Unternehmen in die Kommunen zu stoppen (Wegfall der Gewerbesteuern, Verlustvortrag, etc.), gibt es in Berlin noch ein besonders wirksames Mittel zur Erzeugung der "Sachzwänge" der Haushaltskrise: den Bankenskandal. Der Berliner Senat hat sich zur Übernahme der Milliardenverluste durch die Fehlspekulationen korrupter Politiker und Finanzkapitalisten verpflichtet.

Verschuldung

Damit steigt die öffentliche Verschuldung Berlins auf über 50 Milliarden Euro. Trotz Sparmaßnahmen ergeben sich so jedes Jahr Milliardendefizite und ein ständiges Wachsen der Zinslast (aktuell 2,7 Mrd.). Daher will der Senat die bisherige Sparpolitik noch weiter verschärfen. Im April 2003 wurde die "Neuordnungsagenda 2006" beschlossen.

"Die notwendige Ausgabenentlastung des Landes Berlin kann nur durch die umfassende und radikale Neuordnung von Aufgabenbestand, Struktur und Prozessen der Berliner Verwaltung erreicht werden". (Erster Bericht über die Umsetzung der Neuordnungsagenda 2006 von SenFin von Jan. 2004, S.3).

Im Zeitalter des Neoliberalismus soll der Staat nur noch eng definierte Kernaufgaben haben. Deshalb die "Neuordnung" der Verwaltung, die im wesentlichen Privatisierung und "Verschlankung" bedeutet. Bis 2006 soll diese Umstrukturierung abgeschlossen sein. Staatlich bleiben nur noch die eigentlichen Aufgaben der bürgerlichen Staatsmaschinerie wie Ordnungsbehörden, Sicherheit, Justiz und Finanzen. Alle übrigen Aufgaben sollen privatisiert werden. Der Staat soll lediglich die Gewährleistungsfunktion dafür haben, dass alle Aufgaben erfüllt werden. D.h. es bleiben neben den genannten Kernaufgaben nur noch Leitungsaufgaben (sog. "Steuerungsaufgaben") beim Staat.

Der Finanzsenat, der die Umsetzung dieses Projektes leitet, lässt nur noch das Mäntelchen der bürgerlichen Demokratie als Staatsaufgabe bestehen:

"Für die nicht delegierbaren Steuerungsaufgaben der staatlichen Gewährleistungsfunktionen bleiben aus Gründen der demokratischen Legitimationskette die öffentlichen Strukturen erhalten, während die Durchführungsaufgabe an private oder freie Träger (z.B. Kita, Krankenhäuser) oder ausgelagerte Betriebe (z.B. Bäder-Betriebe, BSR), Gesellschaften mit städtischer Beteiligung (Wohnungsbaugesellschaften,...) bzw. zukünftigen ... Gesellschaften übertragen werden oder per Einzelauftrag (Bau- und Planungsleistungen) vollständig an Private vergeben werden." (aus: Bericht vom Januar 2004 über die Umsetzung der Neuordnungsagenda 2006 von SenFin an den Staatssekretärausschuss des Landes Berlin).

Konkret bedeutet das nicht nur, dass die privatisierte Verwaltung noch weniger als bisher demokratisch kontrollierbar ist. Es führt auch dazu, dass die öffentliche Verwaltung noch stärker in das Räderwerk von Marktanforderungen und Kostendruck gerät. Dadurch erhöht sich der Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen weiter. Ein zentrales Element ist die Einführung des "Stellenpools".

Auswirkungen auf die Beschäftigten

Der Berliner Anwendungstarifvertrag zum Potsdamer Abschluss (ver.di-Tarifvertrag) bedeutet neben einer durchschnittlichen Lohn- und Gehaltskürzung von 10 % für ArbeiterInnen bzw. Angestellte im öffentlichen Dienst eine Beschäftigungssicherungsgarantie bis zum 31.12.2009. Beschäftigte dürfen bis zum 31.12.2009 nicht betriebsbedingt gekündigt werden, auch wenn sie keine finanzierte Planstelle mehr haben. Bezahlt werden sie aus dem "Überhangtopf", bis sie in ein finanziertes Aufgabengebiet vermittelt werden können. Da dies zwischen den Bezirken und den Senatsverwaltungen bisher dezentral kaum geklappt hat, wurde auf Drängen des Finanzsenators Sarrazin zum 1.1.2004 das "Stellenpoolgesetz" verabschiedet.

Mit ihm wurde eine Behörde errichtet, die die Aufgabe hat, das durch Stellenstreichungen in den Überhang gekommene Personal auf freiwerdende Stellen zentral zu vermitteln. Da aber weiter Stellen abgebaut werden und privatisiert werden, ist auch eine Ausleihe des Personals an Private nicht ausgeschlossen. Werden im privaten Sektor Arbeitsplätze frei, so sollen die Überhangkräfte aus dem Stellenpool vorrangig vor denen des Arbeitsamtes berücksichtigt werden. Da jeder Überhangkraft ein Vermittler (wie beim Arbeitsamt) und ein Personalsachbearbeiter (wie bei der PSA) zugeordnet wird, gibt es für die statistisch Arbeitslosen noch weniger Chancen, einen Arbeitsplatz zu bekommen.

Unklar ist, inwiefern die Beschäftigten im Stellenpool aus dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes fallen - und somit ein eleganter Weg gefunden wurde, die Beschäftigungssicherung auszuhebeln. Man darf aber vermuten, dass genau das das Ziel dieser Maßnahme ist.

Sarrazin erhöht den Druck

Für die Überhangkräfte besteht eine große Ungewissheit, wo - oder ob sie überhaupt - morgen arbeiten werden. Da durch die Stellenstreichungen keine finanzierten Arbeitsgebiete mehr zur Verfügung stehen, kommen die Überhangkräfte in "Übergangseinsätze". Dabei werden Projekte geschaffen, ohne dass deren Finanzierung gesichert ist. So werden die Beschäftigten perspektivlos von einem sinnlosen Übergangseinsatz zum nächsten gehetzt. Ziel ist es, den Druck auf die Überhangkräfte zu erhöhen, damit sie freiwillig aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden und damit erst einmal kein Geld mehr vom Arbeitsamt wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit bekommen. Nur die "Klügsten" werden einigermaßen unbeschadet dem Druck widerstehen können. Letztendlich führt der Stellenpool zu verdeckter Arbeitslosigkeit.

Arbeit im öffentlichen Dienst ist nach wie vor genug da, nur will sie keiner mehr bezahlen! Das erfährt jeder, der Sozialhilfe beantragt und ewig auf einen Bescheid warten muss. Wer durch die Ämter zieht, sieht, wie z.B. am langen Donnerstag übervolle Flure, entnervtes Publikum und total gestresste Mitarbeiter kaum noch miteinander klar kommen und der Frust und die Aggressivität wachsen! Doch wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen.

So wird eine Aufstockung für das jeweilige Sozialamt mit Personal damit abgelehnt, im jeweils anderen Bezirk käme man mit weniger Personal aus. Deshalb wäre das andere Bezirksamt in diesem Bereich billiger. Das ist eine Abwärtsspirale!

Anstelle der "Reformen" a la Sarrazin brauchen wir eine demokratische Diskussion von Beschäftigten, Gewerkschaften und der "Kunden" des öffentlichen Dienstes. Ziel kann dabei nur sein, die Strukturen, Arbeitsbedingungen usw. im Interesse der Beschäftigten und Benutzer dieser Dienstleistungen so rationell wie möglich zu organisieren. Dabei würde sich schnell herausstellen, dass die Privatisierung nicht effizienter ist oder nur auf Kosten der Beschäftigten geht. Das heißt u.a. Verteilung der Arbeit auf alle Beschäftigten und Wiedereinstellung bereits Entlassener. D.h. Arbeiterkontrolle über den öffentlichen Dienst, um dubiose Strukturen, die nur der Bereicherung des Establishments dienen, abzuschaffen.

Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben immer wieder versucht, sich gegen die Kürzungen zur Wehr zu setzen. Das zeigt sich in Mobilisierungen für Tarifverträge. Das zeigt sich in der Bildung kämpferischer oppositioneller Listen wie bei Vivantes.

Das zeigt sich auch im Konflikt bei der Berliner Bankgesellschaft, wo die Unternehmensleitung (in Zusammenarbeit mit ver.di-Funktionären) den missliebigen Personalrat Barten auf die Straße setzen will. Dieser Akt zeigt auch, mit welch unverschämten Gaunern die Berliner Bankgesellschaft und andere Vorstandetagen bestückt waren und sind. Während die ehemaligen Manager heute zwischen 15.000 und 60.000 Euro monatlich an Rente beziehen, droht Heiko Barten nach fristloser Kündigung sogar eine dreimonatige Sperre des Arbeitslosengeldes wegen "selbstverschuldeten Arbeitsplatzverlusts"!

Eine unrühmliches Rolle spielt in all diesen Auseinandersetzungen die Führung von ver.di-Berlin. Sie hat den 10%igen Lohn- und Gehaltskürzungen zugestimmt. In den Krankenhäusern und anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes wird Co-Management betrieben und - so bei Vivantes - gegen kämpferische GewerkschafterInnen und Personalräte gearbeitet.

Zweifellos hat die permanente Verunsicherung der KollegInnen sowie die Politik von ver.di selbst - das Drohen mit Mobilisierungen, die dann nicht stattfinden oder auf halbem Weg wieder abgeblasen werden - bei vielen Beschäftigten zu Frustration geführt. Die Gewerkschaftsführung nutzt diese Situation auch noch zynisch, um die Verantwortung für ihr eigenes Versagen, für ihr eigenes ständiges Zurückweichen den Beschäftigen in die Schuhe zu schieben, die nicht wollten und partout nicht zu langweiligen ver.di-Terminen kommen.

Brecht hatte der SED-Bürokratie einmal empfohlen, sich doch eine anderes Volk zu suchen. Dass die ver.di-Führung freiwillig ihre Posten und Pfründe räumt, ist nicht zu erwarten. Die Berliner Beschäftigen und v.a. kämpferische GewerkschafterInnen, Vertrauensleute und Personalräte werden sich selbst eigenständig organisieren müssen, um das Ruder herumzureißen.

Wie weiter?

Nur so kann die Politik des Senats gestoppt werden. So können Sarrazin und Co. geschlagen und zum Rücktritt gezwungen werden. So können auch wieder landesweit kämpffähige und in der Basis verankert Strukturen aufgebaut werden, um den Widerstand der Beschäftigten, aber auch den der von Kürzungen Betroffener voranzubringen. Das beständige Zurückweichen der ver.di-Führung vor Mobilisierungen und entschiedenen Kampfschritten muss durch den Aufbau einer schlagkräftigen Basisopposition überwunden werden, die den Vollstreik im öffentlichen Dienst fordert, vorbereitet und selbst zu organisieren beginnt.

Wiederverstaatlichung aller privatisierten Betriebe und Bereiche - unter Arbeiterkontrolle!

Keine Entlassungen! Keine weiteren Stellenstreichungen! Ausbau und Neueinstellungen in gesellschaftlich nützlichen Bereichen (Gesundheit, Bildung etc.)!

Rücknahme der Lohn- und Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst!

Weg mit der Milliardenbürgschaft für die Bankgesellschaft! Kapitalisten und Reiche sollen zahlen!

Jobkiller Privatisierung

Bisher wurden z.B. folgende Berliner Bereiche verkauft:

BEWAG an verschiedene Firmen, mit der Folge von weniger Arbeitsplätzen (von 9591 auf 5000 in 2003, minus 4600 Arbeitsplätze).

GASAG an verschiedene Firmen, mit der Folge von weniger Arbeitsplätzen (von 2586 in 1998 auf ca. 1000 in 2003, minus 1568 Arbeitsplätze). Folge: Erhöhung der Gaspreise seit 1998 um 43,7 %.

Die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe führte zum Verlust von 1000 Arbeitsplätzen und wird in den nächsten 2 Jahren weitere 1000 Arbeitsplätze vernichten. Seit Beginn des Jahres stiegen dafür der Wasserpreis um 15%.

Diese Liste könnte lange fortgesetzt werden: Die Privatisierungen im Gesundheitsbereich (der bekannte Fall Vivantes), die Ausgliederungen bei der BVG, die Mittelkürzungen für soziale Einrichtungen etc. haben überall zu Verlusten von Arbeitsplätzen, zu Verschlechterungen von Einkommens- und Arbeitsbedingungen und zu gleichzeitig teureren und schlechteren öffentlichen Dienstleistungen geführt.

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Nr. 89, April 2004

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*  EU-Osterweiterung: Kein Grund zum Feiern!
*  3. Europäisches Sozialforum: Reif für die Insel
*  Bundespräsidentschafts- kandidatur: Horst vom IWF
*  Heile Welt
*  Berliner Kürzungspolitik: Absaufen im Stellenpool
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*  Initiative und Wahlalternative: Neue SPD? Neue Arbeiterpartei!