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Afghanistan

Die Strategie wechselt, der Imperialismus bleibt

Martin Suchanek, Neue Internationale 145, Dezember 2009/Januar 2010

Die USA entsenden weitere 30.000 Soldaten nach Afghanistan. Auch von ihren Verbündeten fordern sie eine Truppenerhöhung um insgesamt 10.000, was die Gesamtzahl der Besatzungssoldaten von 110.000 auf 150.000 erhöhen würde. So soll wieder einmal der „endgültige Sieg“ über die Taliban, Al Qaida und den „Terrorismus“ errungen werden. In einer Rede am US-Luftwaffenstützpunkt West Point, die von der New York Times veröffentlicht wurde, zeichnet Obama trotz aller „Fortschritte“ in Afghanistan ein düsteres Bild:

“Es bleiben aber noch riesige Herausforderungen. Afghanistan ist nicht verloren, es gibt aber seit mehreren Jahren Rückschritte. Seine Regierung muss zwar nicht mit ihrem baldigen Sturz rechnen, aber die Taliban haben an Einfluss gewonnen. Al-Qaida ist in Afghanistan noch nicht wieder so stark wie vor dem 11.09., sie hat aber wieder sichere Schlupfwinkel entlang der Grenze gefunden. Unsere Streitkräfte haben nicht die volle Unterstützung, die sie bräuchten, um die afghanischen Sicherheitskräfte effektiver trainieren und gemeinsam mit ihnen die Bevölkerung besser schützen zu können. General McChrystal, unser neuer Kommandeur in Afghanistan, hat berichtet, dass die Sicherheitslage ernster ist, als er erwartet hat. Kurz gesagt, der gegenwärtige Zustand ist nicht tragfähig.”

Die „Lösung“ sieht wie folgt aus:

“Und als Oberbefehlshaber habe ich beschlossen, dass es in unserem nationalen Lebensinteresse ist, 30.000 US-Soldaten zusätzlich nach Afghanistan zu entsenden. Nach 18 Monaten (also ab Juli/August 2011) werden wir, beginnen, unsere Truppen nach Hause zu holen. Diese (zusätzlichen) Kräfte brauchen wir, um wieder die Initiative ergreifen und mit dem Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte fortfahren zu können, die uns einen verantwortbaren Rückzug unserer Streitkräfte aus Afghanistan ermöglichen sollen.”

Diese Strategie ist keineswegs neu, sondern wurde schon im März 2009 den EU- und NATO-Verbündeten vorgelegt und von diesen begrüßt (u.a. auf dem NATO-Gipfel in Strassburg).

Hintergrund des Strategiewechsels

Aus Obamas Rede, aber natürlich noch vielmehr aus dem Kriegsverlauf der letzten Jahre geht hervor, warum eine Afghanistan-Beratung oder „Evaluierung“ die nächste jagt. Der Krieg verläuft nicht gut - weder für die Besatzer noch ihre Marionettenregierung. Die westlichen Militärstrategen gehen davon aus, dass sie auch mit 40.000 weiteren Soldaten den Widerstand nicht schlagen können.

Statt dessen soll die „Afghanisierung“ des Krieges vorbereitet werden, sprich in den nächsten 18 Monaten sollen die westlichen Truppen verstärkt werden und unter ihrer Führung der Widerstand zurückgedrängt werden. Der Kampf in Pakistan - an der „neuen Kriegsfront“ - soll verschärft werden, was in Obamas Sprache heißt, dass die dortige Regierung und die Militärs „mehr Hilfe“ durch die USA erhalten.

Auch die afghanischen Streitkräfte und die Polizei Karsais sollen massiv ausgebaut werden. Die Armee soll von 70.000 auf 134.000 (lt. einigen Militärs gar auf 270.000) vergrößert werden, die Polizei - de facto Paramilitärs - nicht mir wie bisher vorgesehen auf 62.000 Mann, sondern auf 140 bis 160.000.

So weit die Pläne. Sollten sie umgesetzt werden, bedeutet das

1. eine massiver Verschärfung der imperialistischen Kriegführung in der nächsten Periode - in Afghanistan wie auch in Pakistan.

Dem Kampf in Pakistan kommt dabei deshalb eine wichtige Rolle zu, weil USA, Deutschland, EU usw. mit einem „begrenzten“, noch Jahre dauernden Krieg in Teilen Afghanistans, der das Marionettenregime in Kabul nicht unmittelbar mit dem Sturz bedroht, leben können. Ein solcher „innerer“ Krieg kann sogar einen guten Vorwand zur permanenten Präsenz in einer für die (Neu-)Aufteilung der Welt entscheidenden Region bedeuteten. Eine weitere Destabilisierung Pakistans aber könnte einen zentralen US-Verbündeten in der Region ins Wanken bringen. Das hätte für den US-Imperialismus, aber auch für alle anderen größeren Mächte, die um Einfluss in der Region kämpfen (EU, China, Russland, Indien) unkalkulierbare Folgen und Risiken, die sie vermeiden wollen.

2. bedeutet ein Teil(Abzug) nach 18 Monaten, keineswegs das Ende des Krieges, von Besatzung und Unterdrückung.

Es hat „natürlich“ auch nichts mit der Einführung von „Demokratie“, Frauenrechten, „zivilem Aufbau“ o.ä. Reformen zu tun, die jahrelang zur Rechtfertigung der Besatzung und des Krieges benutzt wurden.

Im Gegenteil: Nicht erst die jüngste „Wahl“ Karsais demonstrierte eindrucksvoll, dass es mit dem „Fortschritt“ in Richtung Demokratie nicht weit her ist. Verlogen ist dabei freilich die Darstellung der westlichen Medien und Politiker, welche die ganze Farce so darstellen, als wären ihnen Karsai, Abdullah und andere Clan-Politiker „aufgezwungen“ und nicht von ihnen selbst an die Macht gebracht worden, um ihre Interessen in Afghanistan zu vertreten.

Dass aus den vollmundigen Versprechungen nach „Verbesserung“ für die AfghanInnen nichts wird, gestehen inzwischen im Grunde auch die imperialistischen Politiker ein. So erklärte der neue Kriegsminister zu Guttenberg in der FAZ am 11. November, „dass man in Afghanistan an Grenzen stößt, wenn man von einer Demokratie westlichen Stils zu träumen beginnt.“ Welch schöne Umschreibung für eine korrupte, prowestliche Militärdiktatur mit periodischen Scheinwahlen.

„Afghanisierung“

Die geplante „Afghanisierung“ ist in mehrfacher Hinsicht ein Betrug. Erstens legen diese Terminologie und die ständige Forderung an die afghanischen Truppen, dass sie „mehr Verantwort im Kampf“ zu übernehmen hätten, nahe, dass bisher nur die imperialistischen Truppen gegen „die Taliban“ und „die Terroristen“ gekämpft hätten. Die Realität sieht anders aus. Die afghanischen Truppen wurden und werden oft genug als jene Kampfverbände verwendet, die in vorderster Linie gegen den Widerstand kämpfen. Das erklärt auch, warum 2007/08 bei Kämpfen 2.117 afghanische Soldaten und Polizisten getötet wurden, während von 2001 bis 2008 insgesamt nur 1.528  westliche Soldaten ums Leben kamen. Ein Umstand, der auch erklären mag, warum sich die Begeisterung für diesen Dienst bei den Afghanen in Grenzen hält.

Zweitens hat die „Afghanisierung“ mit größerer „Unabhängigkeit“ der Regierung und des Landes überhaupt nichts zu tun. In jedem Fall wird eine solche Regierung auf Gedeih und Verderb dem Westen ausgeliefert sein. Allein die Kosten für die afghanische Armee werden auf 2 bis 3 Mrd. Euro/Jahr geschätzt. Das ist ein Vielfaches des Haushalts des Landes. D.h. auch die Kosten der Armee werden durch Hilfen und Kredite vom Westen bestritten, wodurch dieser natürlich automatisch die Kontrolle ausübt.

Der Strategiewechsel Obamas verdeutlicht aber auch den Erfolg des afghanischen Widerstands, der von den Imperialisten und von etlichen bürgerlichen Medien immer wieder gern als reine Taliban- oder Al Qaida-Truppe denunziert wird. Mittlerweile müssen sie aber zugeben, dass dieser Widerstand trotz jahrelangen Krieges, modernster imperialistischer Kriegsgeräte und unglaublicher Zerstörung nicht gebrochen werden konnte, ja dass er stärker wurde.

Davon soll die „Afghanisierung“ ablenken. Sie soll aber auch davon ablenken, dass dieser Widerstand trotz seiner reaktionären Führungen legitim ist und in der Bevölkerung Rückhalt hat.

Die Rolle Deutschlands

Die deutsche Regierung mischt bekanntlich seit Beginn in Afghanistan führend mit. Daran ändert auch der immer unhaltbarer gewordene Versuch des Verteidigungsministeriums - besondere von Ex-Minister Jung - nichts, zu leugnen, dass die Bundeswehr Krieg führt.

Der Verlängerung des Mandates durch den Bundestag tut das natürlich keinen Abbruch. Auch wenn die Regierung Obamas Forderung nach mehr Soldaten kurzfristig nicht nachkommen will, so hat sie selbst schon ein Datum genannt, wann sie 2 bis 2.500 weiteren Soldaten zustimmen könnte: am 28. Januar, dem Tag der Londoner Afghanistan-Konferenz. Derweil will sie auf jeden Fall ihren Beitrag zur Ausbildung von afghanischen Soldaten und Polizisten verstärken.

Die Lügen-Affäre um Ex-Minister Jung und die Ablösung von Generalinspekteur Schneiderhan verdeutlicht aber auch den verzweifelten Versuch, die Realität des Krieges durch eine angebliche „neue Transparenz“ weiter hartnäckig zu leugnen. Das Bombardement afghanischer Zivilisten ist eben kein „Ausrutscher“ der Bundeswehr oder gar nur eines einzelnen Kommandeurs, sondern die Realität imperialistischer Kriegführung. Die Ermordung und Terrorisierung der Zivilbevölkerung ist kein neues Phänomen und wird trotz aller Lippenbekenntnisse von Militärs und Politikern systematisch fortgesetzt werden, solange NATO, US-Army, Bundeswehr und ihre Verbündeten in Afghanistan bleiben.

Die Regierungsparteien und erst Recht die grüne- und SPD-Opposition im Parlament, fordern ein „Ende der Ermordung von Zivilisten“ und „zivile Prioritäten“ nur, um damit ihre Zustimmung zu Krieg und Besatzung in „humanitärem Licht“ darzustellen. Verbrecherisch sind eben nicht nur einzelne Anschläge auf Tanklastwagen - verbrecherisch sind Krieg und Besatzung insgesamt.

Verlogen ist daher natürlich auch, wenn jetzt das Gezeter über die Lügen von Jung oder fehlende Infos von Militärs einsetzt, während die Regierung - ob nun Rot/Grün oder jetzt Schwarz/Gelb - die Bevölkerung seit Beginn über die wahren Gründe und Ziele des Krieges belügt.

Nun wird ein politisches Affentheater namens „Untersuchungsausschuss“ inszeniert, wo die Steinmeiers und Trittins, die den völkerrechtswidrigen Bundeswehreinsatz selbst mitzuverantworten haben, über Jung, Merkel und zu Guttenberg Schiedsgericht abhalten sollen.

Abzug sofort!

Der Ausschuss mag die eine oder andere Schweinerei zu Tage fördern. Worum es beim Krieg geht, wird im Ausschuss hübsch im Dunkeln gelassen. Die BRD, die NATO, die USA führen einen illegitimen, imperialistischen Krieg in Afghanistan als Teil ihres Kampfes für eine Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens, im Kampf um den Zugang zu wichtigen Rohstoffen und Transportwegen, vor allem aber, um ihre geostrategische Position in einer zentralen Region der Erde zu sichern.

Genau diesen Zusammenhang muss die Anti-Kriegsbewegung nutzen, um jene Forderung zu begründen, die auch die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt:

Keine Verlängerung des Mandates! Sofortiger Abzug der deutschen, US- und NATO-Truppen aus Afghanistan!

Solidarität mit dem Widerstand in Afghanistan und Pakistan gegen die imperialistische Besatzung!

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