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Weltwirtschaft

Von der Immobilienblase zur Bankenkrise

Richard Brenner, Neue Internationale 129, Mai 2008

Die Kreditkrise 2007 wird zur Bankenkrise 2008. Die Liquidität der Banken, ihr „cash flow“ sinkt und gefährdet ihre Bonität, d.h. die Fähigkeit, Schulden zu begleichen.

An der New Yorker Börse brachte der massive Kursverlust die Investmentbank Bear Stearns in Bedrängnis, ihre „Subprime“-Spekulationen bedrohten ihre Bonität und Bear Stearns stand kurz vor dem Aus, ehe das Bankhaus für einen äußerst geringen Preis (2 Dollar pro Aktie) an den Konkurrenten JP Morgan Chase verkauft wurde. In aller Welt gerieten Aktienhändler in Panik, weil Bear Stearns zuvor ein Statement nach dem anderen von sich gegeben hatte, um zu verkünden, dass sie solvent sei? Welche Bank war da noch sicher?

So verloren die Bank- und Finanzhäuser am 17. März wieder Milliarden an den Börsen. Doch schon am nächsten Tag stiegen die Börsenwerte wieder enorm an. Wie Piranhas stürzten sich die Händler auf die Papiere, nachdem Federal Reserve (Fed) Bank-Chef Ben Bernanke die Leitzinsen um erneut 0.75% gesenkt hatte. Seit der Kreditkrise 2007 wurden die Zinsen schneller als je zuvor gesenkt.

Aber auch der kurze „Boom“ des 18 März wurde jäh abgebrochen. Britische Banken gerieten stark unter Druck, als Gerüchte um die Insolvenz des britischen Marktführers HBoS (Halifax/Bank of Scottland) die Runde machten. Die Aktien von HBoS fielen um 18%, als einige Finanzinvestoren ausstiegen.

Die Vorstellung grassierte, ein Kollaps von HBoS würde das Fiasko der Northern Rock Bank als Kleinigkeit dastehen lassen und viele andere Bankhäuser mit in den Untergang ziehen. Sofort waren die PR-Agenten der Londoner City aktiv. In ungewöhnlich scharfen Worten meldeten sich alle „Experten“ der HBoS und der Finanzaufsicht zu Wort, verleumdeten alle Gerüchte und Aussagen von Börsenhändlern über die Insolvenz, welche das britische Bankensystem schädigen würden, und kündigten Untersuchungen gegen die „Kampagne“ an. So kühlten die Märkte für kurze Zeit ab.

Am nächsten Morgen gab es eine Versammlung aller großen britischen Banken beim Vorsitzenden der Zentralbank, um die Zusage zu erhalten, dass „die Zentralbank helfen wird, wenn Hilfe nötig ist.“ Hilfe wofür? Um die Gerüchte zu widerlegen? Nein, die Banken brauchen mehr Geld, um liquide und solvent in der sich verschärfenden Kreditkrise zu bleiben. Sicherlich wurden geräuschlose Wege für die Hilfsgelder vereinbart, ohne zusätzliche Panik zu bewirken.

Was ist das für ein globales Banksystem, welches von „Gerüchten“ an den Rand eines Kollaps` gebracht werden kann!?

Die aktuelle Unsicherheit und Labilität des Finanzmarktes ist der massiven Kreditexpansion der letzten Periode geschuldet. Doch welches System baut solche Unsicherheiten in die eigene Struktur ein!?

Bis jetzt haben die Investment- und Finanzhäuser Milliarden aus der Schuldenkrise abgeschrieben. Die Schätzungen der Gesamtverluste steigen immer wieder an. Im Juli 2007 schätzte Bernanke die Verluste auf 100 Milliarden Dollar - damals eine erschreckende Zahl. Heute wirkt diese Schätzung überaus optimistisch. Investmentbank Goldman Sachs schätzt die Gesamtverluste auf etwa 500 Milliarden Dollar. George Magnus, Chefanalyst der Schweizer Bank UBS kommt auf 600 Milliarden. Professor Nouriel Roubini von der NY School of Buisiness schätzt die Verluste der Krise auf über 3 Billionen ...

Ein Preisverfall von 20% der amerikanischen Immobilien würde Kredite in Höhe von einer Billion Dollar vernichten, ein Preisverfall von 40% zwei Billionen. Weitere 700-1.000 Milliarden Verluste im Finanzsektor erhöhen den Gesamtschaden auf 3 Billionen - mehr als 20% des amerikanischen Bruttosozialprodukts!

Diese Schätzung korrespondiert mit anderen Analysen. Auch Magnus von der UBS schätzt, dass eine allgemeine Bonitätskrise des globalen Finanzsektors, wie wir sie heute erleben, zwischen 10-20% des Sozialproduktes kosten wird.

Seitdem schlagen die Vertreter des Kapitals ganz ungewohnte Töne an. Normalerweise preisen sie den Markt als einzige Lösung aller Probleme, nennen öffentlichen Besitz ineffizient und in den Regeln der WTO auch „illegal“. Jetzt rufen sie nach staatlichen Eingriffen, sogar nach „Sozialisierung“ der Verluste. In Zeiten des Booms und der Expansion ist das Privateigentum und die private Aneignung des Profits quasi ein Naturgesetz - wenn aber Verluste und Krisen drohen, sollen die Verluste „sozialisiert“ werden, d.h. von der Bevölkerung getragen werden.

Historisch endeten alle Finanzkrisen mit staatlichen Eingriffen, dann entdecken die Apologeten des Kapitals, dass der Markt doch nicht alles regeln kann.

Natürlich folgte die Bank of England dem Vorbild der Fed und stellte quasi einen Blankoscheck für verfallene Kredite und damit Verluste der Banken aus. Was anfällt, wird von öffentlichen Geldern aufgefangen. Was wird das kosten? In welcher Relation zu den sonstigen öffentlichen Ausgaben steht die „Verlustübernahme“? Wie viele Schulen und Krankenhäuser, die sich der Staat vorher nicht leisten konnte, hätten gebaut werden können?

Die rigide Kürzung der öffentlichen Ausgaben, die massiven Einschnitte in die Sozialsysteme inklusive der neoliberalen Begründungen und „Zwänge“ sind plötzlich vergessen, wenn es um die elementaren Teile der Bourgeoisie geht - um Militär und Krieg und „unser“ Finanzsystem.

Einige neoliberale Ideologen werden zwar weiterhin gegen den „Sozialismus“ hetzen, aber mit dem aktuellen „Sozialismus“ der Zentralbanken hat das Kapital kein Problem. Die früheren Vorhaben der Bank of England, einen transparenten Kodex der Geschäftsführung anstelle einer „laxen“ Führung einzuführen, sind überflüssig geworden. Wenn die Krise eintritt, geht es nicht mehr um „Transparenz“ oder „Nachhaltigkeit“ der Geschäftsführung - ein Verkehrsopfer braucht vor allem medizinische Hilfe und keinen neuen Gurt.

So fordert auch die gesamte PR-Maschine des Kapitals die „Sozialisierung“ der Verluste, ruft nach staatlichen Sicherheiten usw. Es kann nur eine besonders scharfe Finanzkrise sein, wenn sogar John Moulton, Chef des größten britischen Fondmaklers, über die Medien die „Nationalisierung“ der Banken fordert.

Rettet unsere Banken, übernehmt die Verluste - diese Eingeständnisse der Kapitalisten verweisen auf  verschiedene Sachverhalte. Erstens beweisen sie erneut ihre unendliche Verlogenheit! Zweitens legen sie alle Verantwortung in die Hände des Staates, machen somit die Finanzkrise zu einer politischen Krise des gesamten Systems, des Kapitalismus. Drittens zeigen sie, wie die kapitalistische Gesellschaft in ihren Zusammenbrüchen immer die zukünftige, sozialistische Gesellschaft in sich trägt: eine Gesellschaft, in der nicht die Verluste der Spekulation sozialisiert werden, sondern die Früchte und Resultate der gesellschaftlichen Arbeit - die Verteilung lebensnotwendiger Dinge wie Wohnung, Ernährung, Energie und Gesundheit nach in einem internationalen demokratischen Plan.

Hintergrund

Manch ein Börsenspekulant mag sich in den letzten Monaten gefragt haben: Wie ist das passiert? Die Antworten fallen meistens so aus: „Die Leute waren zu gierig und verliehen zu viel Geld an Leute, die das nicht zurückzahlen konnten.“ Gemäß dieser Analyse ist der Grund für einen Krieg, dass verschiedene Soldaten anfangen, mit Gewehren zu schießen. Eine wehrhafte Arbeiterklasse, die nicht die Kosten der Finanzkrise tragen will, ist auf eine gründlichere Analyse angewiesen.

Der Widerspruch zwischen der letzten Boomperiode in den USA und GB und dem jetzt eintretenden abrupten Ende kann nur erklärt werden, wenn wir den Boom 2003-06 unter die Lupe nehmen.

Der letzte US-Boom war aufgebaut auf dem Ungleichgewicht der Weltwirtschaft, deren Grundlagen und Tendenzen nun die Krise im globalen Maßstab verschärfen.

Selbst am Höhepunkt des Booms 2004/05 wurde Produktion in den USA abgebaut, seit 2000 verschwanden Millionen von Arbeitsplätzen in der Produktion. Die Steigerung des Bruttosozialprodukts war stark auf Schulden aufgebaut. Die Spekulation, Versicherungs- und Finanzgeschäfte machten 40% der jährlichen Steigerung aus. UBS hat errechnet, dass der US-Kreditmarkt Außenstände von 47.5 Billionen Dollar aufweist, wovon mehr als 80% private Schulden sind - vom Mittelstand und privaten Haushalten.

Der Kreditanteil am US-Wachstum stieg von 10% 1957 auf 30% 1992 und liegt heute bei 48%. Dieses Wachstum ist noch bescheiden gegen die Ausmaße, welche in Großbritannien zu Tage treten. Schatzkanzler Alistair Darling mag zwar Großbritannien preisen als „sicheren Hafen gegen die Stürme der Weltwirtschaft“, jedoch liegt der schuldenfinanzierte Anteil am Wirtschaftswachstum Britanniens  nach Angaben der Bank of England bei 80%! Dadurch konnte die britische Ökonomie seit 15 Jahren eine Rezession vermeiden und kam relativ ungeschoren aus der Krise 2000/01. Jetzt aber wird sich die Krise schärfer auswirken, die britische Volkswirtschaft ist extrem abhängig vom weiteren Verlauf der Finanzmarktkrise und dem Immobilienmarkt.

Wird die Finanzmarktkrise auch die Produktion, die Unternehmen vor Ort betreffen? Über diese Frage braucht nicht weiter spekuliert werden: natürlich trifft diese Krise die gesamte Volkswirtschaft.

In den USA sind die Gewinne im letzten Quartal 2007 eingebrochen, das Wirtschaftswachstum 2008 ist auf 0,6% gesunken. Zwischen Mitte 2007 und heute ist der Anteil der Banken, die schärfere Konditionen für den Mittelstand und Privathaushalte eingeführt haben, von 0 auf 40% gestiegen. Für Immobilienkredite haben 65% der Banken seit Ende 2007 die Konditionen verschärft (nicht nur für die „Sub-prime“-, sondern für alle Kredite), mehr als 30% haben die Konditionen für Konsumkredite (Auto, Kreditkarte) verschärft.

Die aktuellen Zinssenkungen der Fed konnten das Problem der faulen Kredite nicht lösen. Der Unterschied zwischen den Leitzinsen, den Zinsen innerhalb des Finanzmarktes und den Verbraucherzinsen steigt immer weiter an (Bank of England & UBS).

Diese Kreditkrise hat nun auch die EU erreicht. Obwohl die Industriemacht Deutschland nach einer längeren Stagnation seit 3 Jahren wieder langsam wächst, bedroht die Finanzkrise diesen konjunkturellen Aufschwung Deutschlands und der EU. Eine Umfrage der EZB ergab im Januar 2008, dass mehr als 40% der europäischen Firmen höhere Konditionen bei ihren Krediten erwarten.

Mit den Leitzinssenkungen erhoffen sich Fed und Bank of England, die Liquidität und Bonität der Banken und Finanzmärkte zu sichern. Dies geht einher mit einer massiven Dollar-Entwertung.

Die Destabilisierung und Entwertung der bisherigen kapitalistischen Weltwährung verstärkt die Krise und führt zu internationalen Spannungen. Der Verfall des Dollars wird vier entscheidende Auswirkungen haben.

Inflation und Armut in den USA

Die steigende Inflation in den USA führt zur Verteuerung für Lebensmittel -und Energieimporte, was die Immobilienkrise weiter verschärfen wird. Immer mehr Schuldner aus der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums werden nicht mehr in der Lage sein, ihre Rechnungen zu zahlen. Im Vergleich zu 2007 stieg die Zahl der Häuser, welche vor der Zwangsversteigerung stehen, Anfang 2008 um 57%. Die Analysten von RealtyTec gaben bekannt, dass die Zahl der Häuser, die schon den Banken gehören, um 90% gestiegen ist, die steigende Inflation wird ihr Übriges dazu beitragen.

Die Versuche der Bush-Regierung, dieser Entwicklung entgegen zu wirken, haben bislang keinen signifikanten Effekt auf die Immobilienkrise. Immer mehr Privathaushalte versinken in Schulden. Wenn immer mehr Häuser zwangsversteigert werden, hat dies natürlich auch Auswirkungen auf die Marktpreise. Als die Preise auf dem US-Immobilienmarkt Ende 2007 das zweite Quartal hintereinander einbrachen, prognostizierte Freddy Mac, der Chefanalyst einer führenden US-Hypothekenbank, in der BBC, dass die Preise bis Ende 2009 weiter sinken und die Zwangsversteigerungen weiter steigen werden.

Die Rezession wird exportiert

Ein zweiter Effekt der amerikanischen Leitzinssenkung ist der Export der eigenen Rezession in andere Staaten. Die weitere Entwertung des Dollars wird schreckliche Auswirkungen auf die US-Arbeiterklasse haben; aber das US-Kapital, das Güter und Dienstleistungen jetzt billiger exportiert, hat dann einen Vorteil gegenüber den internationalen Konkurrenten. Dies wird harte Konsequenzen für Deutschland, Japan und auch China, das „Wunderland der Globalisierung“ haben. Die Verkäufe in den USA sinken und es wird schwerer, gegen den billigeren Dollar auf dem Weltmarkt zu konkurrieren.

Aktuell ist der Euro 1.60 US-Dollar wert, diese Entwicklung kommentierte Jean-Claude Trichet, Präsident der EZB:  „die massiven Zinsbewegungen“ und die Unsicherheiten der Finanzkreisläufe würden das „globale Wirtschaftswachstum bedrohen“.

Nicht nur die Exportnationen der EU sind vom Verfall des Dollars betroffen, dies gilt auch für Japan. Nachdem im letzten Geschäftsjahr Rekordprofite gemeldet wurden (nach der langen Stagnation in den 90ern) ist die Investitionstätigkeit der japanischen Konzerne im Dezember 2007 eingebrochen. Die Kreditkrise in den USA, die steigenden Rohstoffpreise und der billige Dollar haben die Investition auf den niedrigsten Stand seit fünf Jahren gedrückt: ein Rückgang von 7.7%!

Auch China spürt erste Auswirkungen der US-Rezession. Chinas Handelsüberschuss brach schneller als erwartet im Februar zusammen, von 23.7 Mrd. Dollar im Februar 2007 auf 6.8 Milliarden im Februar 2008. Die höhere Inflation in China überträgt sich wiederum auf den Weltmarkt.

Aber wird ein billiger Dollar der US-Wirtschaft helfen, den Trend zur Rezession zu stoppen? Darauf hofft Bernanke. Aber während die Inflation die Einkommen der Bevölkerung auffrisst und die Unternehmen immer weniger in der Lage sein werden, Kredite und Investitionen zu bekommen, werden die Zinssenkungen verpuffen. Robin Bew, Chefanalyst der „Economic Intelligence Unit“, stellte fest, dass die Unternehmen weiter Schulden machen und senkte seine Wachstumsprognose auf 0.8% für 2008 mit der Feststellung, dass die USA sich aktuell in der Rezession befinden.

Schwäche des Dollars als Weltwährung

Die dritte Wirkung der Leitzinssenkungen ist die Entwertung des Dollars als Weltwährung, sogar die Boulevardmedien berichten schon von Popstars und Supermodels, die die Bezahlung in Dollar ablehnen und Euros bevorzugen.

Seit letztem Sommer versuchen China, Japan und andere asiatische Staaten, ihre Dollarreserven behutsam abzubauen, weil diese täglich an Wert verlieren. Auch die G7-Industrienationen versuchen, den Export der amerikanischen Rezession zu verhindern. Zur Zeit verschärft dies die Spannungen zwischen den kapitalistischen Blöcken, es geht um die Frage, wer die Kosten der Finanzkrise tragen muss.

Wenn die USA die Stellung des Dollars als Weltwährung weiter ausnutzen und den Dollar weiter entwerten, gefährden sie damit ihre Vormachtstellung innerhalb der kapitalistischen Blöcke. Wie das Ende des Goldstandards vor dem 2. Weltkrieg und das Ende des Währungssystems von Bretton Woods in den 70ern zeigt, ist der Niedergang einer Weltwährung immer auch mit einer Neuordnung innerhalb der kapitalistischen Staaten verbunden - ein schmerzhafter und gefährlicher und notwendigerweise krisenhafter Prozess.

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Nr. 129, Mai 2008
*  Erster Mai 2008: Gegen kapitalistische Krise, imperialistische Besatzung und Krieg!
*  Nach dem ver.di-Abschluss: Verhinderter Kampf
*  Post: Streik ist nötig!
*  KurdInnen in der BRD: Weg mit dem PKK-Verbot!
*  Bildung im Kapitalismus: Wa(h)re Bildung
*  Weltwirtschaft: Von der Immobilienblase zur Bankenkrise
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*  Frankreich: Die LCR und die neue antikapitalistische Partei
*  Frankreich, Mai 68: Alles war möglich