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90 Jahre Oktoberrevolution

Lehren eines Sieges

Rex Rotmann, Neue Internationale 124, Oktober 2007

Der 90. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution wird wieder Anlass sein, sie zu interpretieren. Die bürgerlichen Medien werden den undemokratischen Charakter der Revolution und den Putschismus der Bolschewiki verurteilen und den Tod des Kommunismus beschwören; das Gros der Linken, v.a. die Stalinisten, werden die Bedeutung des Roten Oktobers zu feiern - und zugleich betonen, dass Revolution und Sozialismus nicht auf der Tagesordnung stünden.

Doch wenn wir auf die Krise des globalen Kapitalismus und den immer gewaltigeren Berg ungelöster Existenzprobleme der Menschheit sehen, wenn wir die imperialistischen Kriege und den Demokratie- und Sozialabbau betrachten, wenn wir den Widerstand gegen die kapitalistische Weltordnung sehen, dann können wir nur einen Schluss ziehen: Sozialismus und Revolution sind möglich und dringender denn je.

Der 90. Jahrestag der Oktoberrevolution wirft zunächst eine zentrale Frage auf: Warum markiert 1917 die einzige bisher erfolgreiche sozialistische Revolution? Und: Warum gab es seither trotz vieler revolutionärer Möglichkeiten nur Niederlagen?

Wir meinen, dass der Hauptgrund dafür im aufkommenden Stalinismus liegt, der ab Mitte der 1920er die kommunistische Weltbewegung dominiert und letztlich deren revolutionäre Strategie durch die konterrevolutionäre Volksfront-Doktrin ersetzt hat. Deshalb gab es z.B. in der Spanischen Revolution 1936-39 trotz sehr ähnlicher objektiver Umstände zu Russland 1917 ein blutiges Desaster.

Lenin meinte schon kurz nach der Revolution, dass die KommunistInnen sie weniger bejubeln, sondern aufmerksamer die Politik der Bolschewiki studieren sollten.

Revolution in Permanenz

Die Russische Revolution ist ein Beweis dafür, dass in der imperialistischen Epoche nur das Proletariat bereit und in der Lage ist, die „von der Geschichte gestellten Aufgaben“ mittels einer Revolution zu lösen. Die existenziellen Probleme Russlands 1917 - Krieg, Not und Hunger, Landarmut und allgemeine Rückständigkeit - konnten nicht gemeistert werden, ohne dass alle Ausbeuterklassen gestürzt und die Arbeiterklasse im Bündnis mit der armen Bauernschaft selbst die Staatsmacht ergreift.

Allein das Entstehen von Fabrik- und Streikkomitees sowie von Soldatenkomitees und die daraus hervorgegangenen Räte (Sowjets) beweisen, dass die Selbstorganisation der Massen in eigenen Machtorganen neben und dann gegen die bürgerliche Provisorische Regierung Kerenskis geradezu naturgemäß aus dem Klassenkampf erwuchs und die Frage der Macht - also welche Klasse herrscht - auf die Tagesordnung setzte.

Die völlige Unfähigkeit der Kerenski-Regierung, auch nur eine Frage von Bedeutung zu lösen, belegt, dass die Bourgeoisie und der mit ihr verbundene alte Staatsapparat dafür ungeeignet waren und panische Angst vor der Macht der Arbeiterklasse und dem drohenden Verlust ihrer Privilegien hatten.

Entgegen der später von Stalin und Co. verfolgten Strategie zweier getrennter Etappen der Revolution - einer demokratischen und einer sozialistischen - zeigt 1917, dass es diese Trennung nicht gibt. Stattdessen formierte sich schon in der Februarrevolution die Arbeiterklasse als eigene Klassenkraft und bewies, dass nur sie in der Lage war, die Revolution voranzubringen, die Konterrevolution zu besiegen und die brennenden existenziellen Fragen zu lösen.

Die ständig schwindende Kraft der Provisorischen Regierung und der mit ihr verbundenen reformistischen Linken (Menschewiki, Sozialrevolutionäre) sowie andererseits das Erstarken der Bolschewiki zur letztlich dominierenden Kraft in den Sowjets verdeutlichen, dass nur durch die Arbeiterklasse und nur durch den Sturz der bürgerlichen Regierung, die Ergreifung der ganzen Staatsmacht und die Zerschlagung des alten Staatsapparats die Tür zur Zukunft aufgestoßen werden konnte.

Die Bolschewiki hatten nie Zweifel darüber, dass die Russische Revolution nur ein Teil, nur der Anfang eines Prozesses des Sturzes des Kapitalismus im internationalen Maßstab darstellt - völlig konträr zu Stalins späterer Konzeption des „Sozialismus in einem Land“. Mit Stalins  konterrevolutionärer Doktrin war die Strategie eines strategischen Kompromisses mit dem Imperialismus verbunden, der auf einen einfachen Nenner gebracht werden kann: Verzicht auf sozialistische Revolution und den Sturz des Kapitalismus für die Zusicherung, dass der Imperialismus (bzw. dessen „demokratische“ Teile) die Sowjetunion in Ruhe lässt.

Das Steckenbleiben der Weltrevolution (v.a auch durch die Rolle der deutschen Sozialdemokratie) wiederum war dann der Hauptfaktor dafür, dass die Sowjetunion degenerierte und eine bürokratische Kaste die Macht übernahm.

Die von den Bürgerlichen  wie von den Stalinisten behauptete politische Kontinuität von Lenin zu Stalin ist absurd. Nicht nur die Strategie, sondern auch eine Vielzahl konkreter Gesetze und Maßnahmen belegen klar, dass der Stalinismus völlig im Gegensatz zur revolutionären Politik der Bolschewiki stand.

Die Räte

Abgesehen von den Stalinisten bezieht sich auch heute ein erheblicher Teil der radikalen Linken positiv auf die Räte. Doch was sind Räte, was waren die Sowjets?

Zunächst waren die Sowjets Organe der Sammlung, der Diskussion und der Aktionseinheit  der ArbeiterInnen, Soldaten und der Dorfarmut. Sie ermöglichten es den Massen, die Vorschläge verschiedener Organisationen der Klasse zu debattieren und zu prüfen. Die Sowjets waren aber auch Organe direkter Machtausübung - in Konkurrenz zur bürgerlichen Regierung. Die Sowjets waren eng mit betrieblichen Komitees und bewaffneten Milizen verbunden.

Die Sowjets waren sehr lebendige, in sich demokratische Strukturen einer aktiven Massenbewegung, die turmhoch jeder bürgerlichen Demokratie überlegen war.

Die Sowjets verkörperten im Keim einen völlig anderen Typ von Staatsmacht, in der die Mehrheit selbst direkt die Geschicke der Gesellschaft bestimmt - ohne Diktatur des Kapitals oder einer abgehobenen Bürokratie.

Zunächst agierten die Sowjets als Kontrollorgane, welche den Kapitalisten und der Regierung „auf die Finger schauten“, sehr wohl aber auch Druck ausübten und quasi ein „Veto-Recht“ beanspruchten. Diese Situation der Doppelmacht zwischen Sowjets, also den Organen der Arbeiterklasse, und Kerenskis Regierung, dem Organ der Bourgeoisie, konnte aber nicht ewig dauern.

Es war kein Zufall, dass die Bolschewiki nie der Regierung beitraten, sondern sie im Gegenteil scharf bekämpften. Je mehr Kerenski - und mit ihm die Menschewiki und Sozialrevolutionäre - sich in den Augen der Massen diskreditierten, desto stärker wurden der Einfluss und das Ansehen der Bolschewiki. Erst die politische Führung der Sowjets durch die Bolschewiki formte die Sowjets von Organen der Doppelmacht zu revolutionären Machtorganen, welche die Revolution zum Sieg führten.

Eben weil Lenins Partei nicht auf einen (Klassen)Kompromiss mit Kerenski und den hinter ihm stehenden Kräften orientierte, sondern auf die Kraft des revolutionären Proletariats setzte, gelang es ihr, aus ihrer anfänglichen Minderheitsrolle heraus zur führenden Kraft zu werden. Das war ihr nur dadurch möglich, dass sie strategisch wie taktisch dafür gerüstet war, dass sie sehr eng mit den Massen verbunden war und von ihnen lernte, ohne sich jedoch opportunistisch anzupassen.

Lenins Rolle

Die Oktoberrevolution wäre ohne die Führung durch die Bolschewiki nicht möglich gewesen. Genauso gilt aber auch, dass die Bolschewiki ohne den erfolgreichen Kampf Lenins um die Weiterentwicklung und Präzisierung der politische Konzeption der Partei nicht dazu in der Lage gewesen wären.

Lenins „Aprilthesen“ markieren jenen Kulminationspunkt, an dem er die Partei auf eine neue, auf die Eroberung der vollen Staatsmacht durch die Sowjets gerichtete Linie, orientierte. Die alte Konzeption der „revolutionär-demokratischen Diktatur“, die eine eher „algebraische Formel“ (Trotzki) darstellte, war von den revolutionären Ereignissen überholt worden.

Entgegen allen Märchen von einer „monolithischen, bürokratischen“ Partei gab es einen harten und offenen Kampf um die politische Konzeption. Dabei stand Lenin dem Gros der alten bolschewistischen Führung - darunter auch Stalin - entgegen. Doch der Druck der Ereignisse, der Massen und der Parteibasis ermöglichten es Lenin (neben seiner politischen Autorität), die Parteidoktrin auf die Höhe der Zeit zu heben. Ähnliches spielte sich in der Frage des bewaffneten Aufstands im Oktober ab.

Partei und Massen

Keine Partei, die „immer Recht hatte“, sondern eine Partei, die lebendige innere Demokratie und offene politische Debatte mit dem Ziel gemeinsamen revolutionären Handelns verband, war das Unterpfand der siegreichen Revolution.

Nicht das Anpassen an die Massenstimmung, nicht der Kompromiss mit nichtrevolutionären Kräften, sondern die engste Verbindung zu den Massen und ein schonungsloser politischer Kampf gegen Bürgerliche, gegen Reformisten und Zentristen zeichneten die Bolschewiki aus. Es war Lenins jahrelanger Kampf um die Schaffung einer revolutionären Kaderpartei, der letztlich eine Organisation schuf, die in der Lage war, die Herausforderungen einer Revolution zu bestehen.

Revolutionäre Situationen gab es seit 1917 zu Dutzenden, es gibt sie auch heute und wird sie künftig geben - doch es fehlt seit Jahrzehnten eine revolutionäre Klassenführung von der Qualität der Bolschewiki. Wer den Kapitalismus überwinden will, muss diese historische Führungskrise überwunden!

Das ist die eigentliche Lehre des Oktobers: eine revolutionäre Organisation aufzubauen, die intensiv die Lehren der Bolschewiki, die Lektionen des Klassenkampf verarbeitet - in Deutschland wie weltweit. Vorwärts zur Schaffung revolutionärer Arbeiterparteien, vorwärts  zur Schaffung einer neuen, der 5. Internationale!

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Nr. 124, Oktober 2007
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*  Entgeltrahmenabkommen: ERA, Preis, Profit
*  Anti-kapitalistische Linke: Schönredner der Linkspartei
*  Hessen: Alle lieben Willi
*  Heile Welt
*  90 Jahre Oktoberrevolution: Lehren eines Sieges
*  Pakistan: Regime in Krise
*  Venezuela: Eine sozialistische Partei?
*  BKA-Gesetz: Schäubles FBI verhindern!