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Zwei Jahre große Koalition

Halbzeit ohne Pause

Martin Mittner, Neue Internationale 123, September 2007

Als 2005 die Große Koalition gebildet wurde, war sie keine „Wunschregierung“ des Kapitals. Die Wahlen vom 18. September 2005 hatte nicht das gewünschte Resultat gebracht. Die Bourgeoisie hatte eine schwarz-gelb Konstellation angestrebt, um die von Rot/Grün begonnen „Reformen“ nahtlos und noch schärfer fortzusetzen.

Die herrschende Klasse und ihre Strategen hatten sich damals in ihrer Euphorie über die Angriffe von Rot/Grün und das Verebben der Protestbewegungen, v.a. der Montagsdemos, zu früh gefreut. Die CDU-Spitze folgerte aus der Verbrauchtheit der Regierung Schröder wie dem permanenten Zurückweichen der Gewerkschaften, selbst ein klar neoliberales Programm offensiv vertreten zu können. Das hatte die Niederlage der SPD in Grenzen gehalten und einen Durchmarsch von Schwarz/Gelb verhindert.

Die Große Koalition begann vorsichtig und war anfangs relativ instabil. Zuerst trat Sozialminister und Vizekanzler Müntefering als SPD-Chef ab, dann folgte Stoiber, der ohne SPD-Chef nicht mehr Superminister unter Merkel sein sollte. Auf den farblosen Platzeck folgte Beck als ebenso blasser SPD-Chef.

Aber die Regierung fing sich. Dafür sind drei Faktoren von entscheidender Bedeutung. Erstens hatte sich die SPD unter Schröder so weit nach rechts entwickelt, dass all ihren Flügeln jede Alternative zum Kurs der Großen Koalition ungangbar erschien. Bis heute gibt es keinen Flügel, der kurzfristig einen Bruch mit der CDU anstrebt, auch wenn eine Regierung aus SPD, Grünen und der Linken von Teilen der Partei um den Berliner Bürgermeister Wowereit als mittelfristige Option durchaus verfolgt wird. Dieser kann sich auch auf einen Flügel der Gewerkschaftsbürokratie stützen, darunter IG Metall-Vorsitzender Peters.

Zweitens haben sich die DGB-Gewerkschaften rasch auf einen Kurs verständigt, die Große Koalition nicht zu destabilisieren, sondern zu stützen. Sie hoffen bis heute, mit ihr ins Geschäft zu kommen. Daher haben sie trotz massiver Verschlechterungen lange Zeit auf Mobilisierungen  verzichtet; selbst da, wo sie durchgeführt wurden, kamen sie zu spät und waren - wie die Aktionen gegen die Rente mit 67 - eher symbolische Aktionen.

Das ermutigte Regierung und Kapital zu weiteren permanenten Angriffen auf die Lohnabhängigen, die trotz des Ende 2005/Anfang 2006 einsetzenden konjunkturellen Aufschwungs keineswegs abebbten, so dass der „Aufschwung“ v.a. auf Kosten der Lohnabhängigen geht, d.h. mit einer weiteren Erhöhung der Ausbeutungsrate sowie der Reduktion von Sozialleistungen und Erhöhungen der Massensteuern und der Preise verbunden ist.

Drittens enttäuschten PDS und WASG die Hoffung, eine klassenkämpferische politische Alternative zu formieren.

Es gibt zwar einen leichten Aufschwung der nun fusionierten Linken bei Wahlen und in den Umfragen, doch sie hat wie erwartet kaum Anziehungskraft für AktivistInnen. Allerdings gibt es einen Trend, dass sich untere und mittlere Funktionäre aus der Gewerkschaft und der SPD der Linken anschließen.

Auch in den Gewerkschaften, den anti-kapitalistischen Mobilisierungen und den sozialen Bewegungen bildete sich bis jetzt keine klassenkämpferische Koordinierung oder ein Pol von AktivistInnen.

Wessen Aufschwung?

Der Konjunkturaufschwung hält an. Doch er geht mit einer weiteren Umverteilung von unten nach oben einher, es ist ein Aufschwung auf Kosten der Arbeiterklasse. Einige Zahlen belegen das. Im „Aufschwungjahr“ 2006 sank der Reallohn im Durchschnitt um 2 Prozent (Bruttolohn/gehalt: + 0,7 Nettolohn/gehalt: - 0,3). Das ist der größte Reallohnverlust in diesem Jahrzehnt!

Die Mehrbelastung der VerbraucherInnen durch die Steuerreform, Verschärfungen beim Bezug von ALG II, Beitragserhöhungen bei Renten und Krankenversicherung usw. trafen die Lohnabhängigen besonders hart und summieren sich netto voraussichtlich auf 23,5 Milliarden Euro im Jahr 2007, davon allein 19,4 Milliarden durch die Mehrwertsteuererhöhung.

Diese Umverteilungspolitik verdeutlicht, woher die gestiegenen Profite der Großkonzerne vornehmlich kommen - aus der Erhöhung der Ausbeutungsrate, v.a. der Ausdehnung des absoluten Mehrwerts (Intensivierung der Arbeit, Verlängerung der Arbeitszeit, Kürzungen des Lohns und des „Soziallohns).

Das spiegelt die verschärfte Konkurrenz am Weltmarkt wider, die selbst ein Resultat einer strukturellen Krise, sprich der Überakkumulation von Kapital ist. Es muss immer mehr Kapital verwandt werden, um eine weiter Profite zu realisieren.

Die Krise am US-Immobilienmarkt zeigt, dass der „Aufschwung“ in BRD und Teilen der Euro-Zone früher als erwartet seinem Ende entgegengehen könnte, sollten die USA bald in eine Rezession geraten.

Wenn schon im Aufschwung die Lebensbedingungen der Klasse nicht verbessert wurden, so droht der nächste Konjunktureinbruch zu weiteren Verschlechterungen zu führen.

Auch wenn das deutsche und europäische Kapital ihre Weltmarktposition verbessern und die Ausbeutung der „eigenen“ Klasse massiv verschärfen konnten, so stehen wir noch lange nicht am Ende der Angriffswelle, wie z.B. Sarkozy in Frankreich, aber auch die nächsten „Reformvorhaben“ der Regierung zeigen.

Neue Angriffe

Kapital und Regierung haben nicht nur auf ökonomischer Ebene weiter angriffen. Fast noch wichtiger sind die weitere Formierung eines europäischen imperialistischen Blocks unter deutsch/französischer Führung, die zunehmende Militarisierung und der Umbau der Bundeswehr zu einer globalen Interventionsarmee, verschärfte rassistische Angriffe und Selektion sowie eine massive Zunahme der Repression und offensiven Einschüchterung der anti-kapitalistischen AktivistInnen, sozialer Bewegungen und gewerkschaftlicher Rechte, wie aktuell das Streikverbot gegen die GDL zeigt.

Darin zeigt sich, dass sich die herrschende Klasse des sozialen und politischen Sprengstoffs der aktuellen Lage sehr bewusst ist, dass sie mehr Unmut, Protest, ja Widerstand erwartet und daher präventiv auf verschiedenen Ebenen zuschlägt.

Deutlich weniger entschlossen präsentieren sich hingegen die Gewerkschaften, die Linke und attac. Sie weichen weiter zurück

Die Gewerkschaften haben es verabsäumt, die Tarifrunden 2007 zu einer deutlichen Verbesserung der Einkommen zu nutzen. Die rund vier Prozent mehr Lohn oder Gehalt machen die Produktivitätsentwicklung und Preissteigerungen wahrscheinlich selbst für die tariflich bezahlten Lohnabhängigen nicht wett.

An RentnerInnen, Jugendlichen, Arbeitslosen und der steigenden Zahl „prekär“ Beschäftigter, d.h. besonders an Frauen und MigrantInnen, geht selbst diese Lohnsteigerung vorbei. Für sie wird das Jahr 2007 reale Einkommensverluste bringen. Die Armut wird weiter um sich greifen trotz des (über weite Teile auch statistisch manipulierten) Rückgangs der Arbeitslosigkeit.

Hinzu kommen ein weiteres Voranschreiten von Leiharbeit, Subunternehmen, Spaltung von Belegschaften und massive Lohneinbussen auch bei Beschäftigten in Großkonzernen, die mit Standorterpressung und gewerkschaftlichem Ausverkauf niedergerungen wurden. Der drastischste Fall war wohl die Telekom, wo 50.000 Beschäftigte länger arbeiten müssen - für 6,5 Prozent weniger Lohn!

All das verdeutlicht die Unwilligkeit der Gewerkschaftsführungen, der Betriebsräte der großen Konzerne und des größten Teil des Apparates, für die Sicherung der Reproduktion der Arbeiterklasse zu kämpfen. Es zeigt, wie eng die sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften in die Sozialpartnerschaft mit „ihrem“ Unternehmen eingebunden sind.

Wir haben es in den Gewerkschaften daher mit einem doppelten Problem der Unterordnung der Bürokratie nicht nur unter die Politik der Sozialdemokratie, sondern auch einer tiefen Einbindung in das Co-Management der „eigenen“ Konzerne zu tun.

Die LINKE

Die Linkspartei stellt gerade auf dem Gebiet der Gewerkschaften und der sozialen Frage keine grundsätzliche Alternative zur SPD dar.

Wo sie, wie in Berlin, mitregiert, setzt sie „natürlich“ die arbeiterfeindlichen Hartz-Gesetze um. Auch die Privatisierung des Öffentlichen Dienstes treibt sie selbst mit voran. Vor allem aber verteidigt sie die Politik der Gewerkschaftsbürokratie und deren Nachgeben gegenüber dem Kapital. Wenn die Linke von „Unterstützung der Gewerkschaften oder der Lohnabhängigen“ spricht, so meint sie vor allem das Bündnis mit dem „linken“ Flügel der Bürokratie, jenen GewerkschafterInnen, die hoffen, in der Linken eine bessere parlamentarische Vertretung zu finden als in der SPD.

Zweifellos wird die Linke, solange sie bundesweit in der Opposition bleibt und über Sprecher wie Lafontaine verfügt, unter reformistischen Gewerkschaftsfunktionären und Betriebsräten UnterstützerInnen finden, wie auch Wählerzulauf unter den ArbeiterInnen, Angestellten und Arbeitslosen. Die guten Umfragewerte von 10 -14 Prozent verdeutlichen das (wie auch gleichzeitig die SPD weiter unter der 30 Prozentmarke krebst).

Die Linke bemüht sich aktiv um Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre, die sich von der SPD abgewandt haben und eine „neue“ sozialdemokratische Partei suchen, die ihre auf Klassenausgleich angelegte Politik im Betrieb nicht in Frage stellt, wie sie sich umgekehrt - ähnlich wie viele einst in der SPD - aus der Parteipolitik halten werden. Das wird auch solange funktionieren, wie die SPD weiter an der Regierung massiv verliert.

Die LINKE wird sich als bürgerliche Arbeiterpartei, als reformistische Partei kurzfristig stabilisieren. Zugleich wird sie (und will sie) auch keine AktivistInnen der sozialen Bewegungen, Anti-KapitalistInnen anziehen.

Es ist kein Zufall, dass nur eine Minderheit der ehemaligen WASG - 3 bis 4.000 Mitglieder - den Weg in die Linke mitgemacht haben und dass dabei v.a. arbeitslose und unterprivilegierte Schichten der WASG-Mitgliedschaft dem „Fusionsprozess“ fernblieben.

„Hegemonie erkämpfen“ - Volksfrontpolitik im 21. Jahrhundert

Die Strategie der Linken ist nicht nur ganz und gar auf Wahlen ausgerichtet. Sie zielt zugleich - ähnlich wie Strategien von attac oder der Gewerkschaftsbürokratie - auf ein Bündnis mit den „fortschrittlichen“ und „aufgeklärten“, „sozialen“ Teilen der herrschenden Klasse.

Nur so, in Form eines „breiten“, letztlich regierungsfähigen Bündnisses ließe sich in der Gesellschaft wirklich etwas ändern, ließe sich eine „Hegemonie“ für ein „anti-neoliberales Projekt“ finden. Der „Anti-Neoliberalismus“ wird bei der Linken (und bei attac und der Gewerkschaftsbürokratie) ganz bewusst nicht als Anti-Kapitalismus verstanden.

Ihre Vorstellung sieht wie folgt aus: Auch die binnenmarktorientierten Teile des Kapitals sowie große Teile der Mittelschichten würden zunehmend von den Wirkungen der Globalisierung bedroht. Sie hätten daher ein Interesse, gemeinsam mit den Lohnabhängigen gegen die Verheerungen der internationalen Konkurrenz anzugehen.

Diese wird dann vorzugsweise im europäischen Rahmen in der Formel von der „sozialen“ EU verfolgt, z.B. über die „alternativen“ Verfassungsphantasien der Europäischen Linkspartei. Dummerweise aber ist ein solches Bündnis nur um den Preis der Unterordnung der Lohnabhängigen unter die Kapitalinteressen zu haben wie es Rifondazione Comunista (der „linke“ Flügel der ehemaligen KP) in Italien gerade demonstriert.

Die zweite fatale Wirkung dieser Strategie besteht darin, dass unterstellt wird, erfolgreicher Widerstand wäre nur möglich, wenn zuvor eine „Hegemonie“ in der Gesellschaft errungen sei. Das findet auch die Gewerkschaftsbürokratie in Ordnung, weil sie so ihr ständiges Zurückweichen vor den Angriffen des Kapitals rechtfertigen kann.

Ausblick

In Wirklichkeit wird so eine Politik des Nachgebens, der Anpassung und Kapitulation wie auch eine weitere Verschlechterung der Lebensbedingungen der Massen in Kauf genommen. Auf diese Art können aber Widerstand, Selbstbewusstsein und Vertrauen der Arbeiterklasse, der Jugend, der MigrantInnen nicht entwickelt werden!

Die Demos und Blockaden in Rostock, der Widerstand gegen die Angriffe der Staatsgewalt oder Streiks haben demgegenüber viel mehr zur Formierung eines klassenkämpferischen Subjekts beigetragen, als alle PDS/WASG und sonstigen Hegemonie-Strategien zusammengenommen.

Die kommenden Monate werden weitere drastische Angriffe bringen. Es wird eine Verschärfung von Kämpfen wie der präventiven Repression des Staates geben. Das heißt aber auch, dass in diesem Zusammenhang zwei zentrale Aufgaben vor uns stehen, um die Bewegung voran zu bringen und den Widerstand weiter zu bringen:

der Aufbau einer Koordination des Widerstandes, einer Basisbewegung in den Betrieben, in den Gewerkschaften und den Stadtbezirken sowie deren landesweite, ja internationale Verbindung gegen soziale Angriffe, imperialistische Kriegspolitik, rassistische Attacken und die zunehmenden Attacken auf demokratischen Rechte;

die Schaffung einer revolutionären Organisation, die in den Kämpfen nicht nur die Notwendigkeit einer koordinierten Verteidigung gegen die Angriffe betont, sondern diese Kämpfe auch mit der Perspektive des Kampfes für die sozialistische Revolution verbindet.

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Nr. 123, September 2007
*  Afghanistan: Besatzer raus - sofort!
*  Zwei Jahre große Koalition: Halbzeit ohne Pause
*  Einschränkung demokratischer Rechte: Solidarität gegen die Repression!
*  Bahn: Sieg für Mehdorn
*  2. Ratstagung des NLO: Eine Zwischenbilanz
*  Revolutionäre Taktik: Arbeiterpartei heute
*  100 Jahre Jugendinternationale: Hoch die internationale Solidarität
*  Finanzkrise: Kreditklemme und kapitalistische Krise
*  Heile Welt
*  Frankreich: Stoppt Sarkozys Angriffe!