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Veranstaltung mit R. Roth in Kassel

Nebensache Mensch

Infomail 198, 22. Januar 2005

Am 14.1.2005 hatte das Kasseler Forum Gewerkschaften und andere Rainer Roth eingeladen, Verfasser u.a. von  "Nebensache Mensch. Arbeitslosigkeit in Deutschland", erschienen in Frankfurf/Main 2003. Thema: Hartz IV. Gekommen waren ca. 80 KollegInnen. In seinem auch im Labournet veröffentlichen Vortrag rechnet Roth mit der DGB-Führung ab:

"Der DGB-Bundesvorstand behauptet: 'Wer bisher Sozialhilfe erhalten hat, profitiert von der neuen Regelung." (DGB, Arbeitslosengeld II, Tipps und Hilfen des DGB, Berlin Oktober 2004, 6)

Der DGB-Bundesvorstand besteht überwiegend aus SPD-Mitgliedern. Die SPD setzt ihre Politik der sozialverträglichen Senkung des Existenzminimums mit Hilfe der von ihr gestellten Bundesregierung und des von ihr beherrschten Bundesvorstandes des DGB durch. Wer wie der DGB-Vorstand Regierungsparolen unter Arbeitslosen und Beschäftigten verbreitet, konnte wegen der grundsätzlichen Zustimmung zu Hartz IV auch weder zu den Montagsdemonstrationen, noch zur bundesweiten Demonstration am 1.11. oder zu der im Oktober 2004 aufrufen.

Das spaltet Erwerbslose und Beschäftigte und schwächt sie und nützt nur dem Kapital. Gewerkschafter, die ihren Namen verdienen, müssen eine selbständige Haltung gegenüber dem Kapital und seiner Regierung einnehmen und nicht auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Interessen des Kapitals aufdecken, nicht vertuschen, ist die Aufgabe. Es muss aufgezeigt werden, dass hier völlig entgegengesetzte Interessen bestehen."

Ursachen

Roth hob auch richtig hervor, dass Hartz IV, Massenarbeitslosigkeit und Verelendung nicht auf ein "falsche Politik" zurückzuführen sind, sondern auf die innere Logik des Systems:

"Wichtigste Ursache der Arbeitslosigkeit ist auch nicht in der falschen Politik der SPD zu suchen, die man einfach mit einem Politikwechsel wechseln müsste. Sie ist auch nicht in der Ideologie des Neoliberalismus zu suchen, die plötzlich von den Köpfen der Herrschenden und ihrer Parteien Besitz ergriffen hat und mit Hilfe von Aufklärung durch die Ideologie der sozialen Gerechtigkeit ersetzt werden müsste.

Sie ist darin zu suchen, dass das Kapital mit Hilfe der technologischen Revolution immer weniger Ware Arbeitskraft braucht, um sich zu verwerten. Sie ist darin zu suchen, dass dieser Prozess durch Krisen beschleunigt wird, die ebenfalls durch die Produktivität unter der Regie des Kapitals hervorgerufen werden. (...) Die Hartz-Gesetze reagieren auf die tiefste Krise der Nachkriegszeit in Deutschland. Sie dauerte länger als je zuvor, nämlich drei Jahre von Mitte 2001 bis Mitte 2004. Seither ist ein schwächlicher Aufschwung festzustellen, der darin besteht, dass ab Mitte 2004 die Industrieproduktion wieder das Niveau des letzten Höhepunkts von 2000 überschritten hat.

Die tiefste Krise der Nachkriegszeit äußerte sich beim Finanzkapital darin, dass die Kreditinstitute und Versicherungen 2003 zum ersten Mal insgesamt Verluste ausgewiesen haben. Beim Staat gibt es die größten Haushaltsdefizite der Nachkriegszeit und bei den Sozialversicherungen die größten Löcher der Nachkriegszeit.

Die Krise war Ergebnis gestiegener Produktivität. Wenn immer mehr Produkte mit immer weniger Arbeitskräften hergestellt werden, ergibt sich daraus, dass periodisch Überproduktionskrisen ausbrechen müssen, in denen die Überkapazitäten als Grundlage der Überproduktion mitsamt der überflüssigen Arbeitsäfte abgebaut werden müssen. In jeder Krise fallen die Profitraten, aber auch in der langfristigen Entwicklung.

Die Agenda 2010 ist der Versuch des Kapitals, sie durch Lohnsenkungen, Senkung der Sozialleistungen, Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, Arbeitszeitverlängerung, Gewinnsteuersenkungen usw. wieder anzuheben."

Zurecht schloss Roth, dass die eine solche Sicht der gegenwärtigen Frage auch dazu führen muss, die Systemfrage auszuwerfen:

"Vor unseren Augen entwickelt sich ein unlösbarer Widerspruch: einerseits eine mit der technologischen Revolution stark steigende Produktivität und höhere Produktion, andererseits aber wachsende Arbeitslosigkeit mit dem entsprechenden Druck auf die Löhne. Eine Wirtschaftsordnung aber die einen wachsenden Teil ihrer produktiven Kräfte vergeudet, kurzhält und in immer wiederkehrenden Überproduktionskrisen und Finanzkrisen teilweise wieder zerstört, wird die Jahrhunderte nicht überdauern können."

Wir stimmen nicht in jedem Detail mit Roth überein. Zu unseren Differenzen mit seinen Ausführungen werden wir in Kürze Stellung nehmen. Aber es  war an diesem Abend interessant, dass Roths Thesen beim überwiegenden Teil der Versammelten auf Zustimmung stießen. Den anwesenden Mitgliedern von attac u.a. werden teilweise die Ohren geklungen haben.

Es sollte aber nicht bei Akklamationen der  Versammlungsteilnehmer für Roth bleiben, es gilt Handlungsperspektiven zu entwickeln:

Welchen Weg muss die Gewerkschaftslinke in Zukunft gehen?

Welcher Typus von Partei braucht der Widerstand gegen die Politik von Kapital und Regierung.

Mit welchen Kampfformen können wir Druck entwickeln?

Wie können wir die Einheit von Beschäftigten und Erwerbslosen entwickeln?

Wie können wir den Kampf international gegen ein international agierendes Kapital führen?

Nur so kann die Bewegung gegen den Sozialabbau vorankommen. Nur so können wir verhindern, dass sie zwischen der Bremserpolitik der Sozialdemokratinnen in SPD, PDS, Gewerkschaften, WASG oder der skurrilen Mischung von Sektierertum, Reformismus und Populismus der MLPD zerrieben zu wird, wie es im Herbst 2004 geschehen ist.

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