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Berlin

Wer ruiniert zuerst die Montagsdemos?

Infomail 182, 23. September 2004

Im ganzen Land stehen die Montagsdemos vor einem wichtigen Wendepunkt. Die spontane Massenbewegung stößt an die Grenzen ihrer politischen Möglichkeiten.

Zweifellos ist sie noch immer beachtlich. In über 200 Städten wird jeden Montag demonstriert. Rund 100.000 gingen auch am 20. September, vor allem im Osten, auf die Straße.

Aber: allein die Durchführung wöchentlicher Demos wird nicht reichen, um Hartz IV zu stoppen, geschweige denn, um die Agenda 2010 zu kippen.

Die Bewegung müsste sich vielmehr demokratische Mobilisierungsstrukturen geben, die Aktionsformen über Demos hinaus entwickeln, also Aktionsbündnisse und -räte für Straßenblockaden und Besetzungen schaffen. Vor allem aber müsste sich die Bewegung mit betrieblichen Abwehrkämpfen verbinden und eine entschlossene Kampagne für Massenstreiks bis hin zum Generalstreik starten - weil letztlich dieses Kampfmittel notwendig sein wird, um den Generalangriff zu stoppen.

Darüber wird in der bundesweiten Bewegung freilich wenig diskutiert, obwohl die abnehmenden Teilnehmerzahlen darauf verweisen, obwohl die Notwendigkeit einer solchen Diskussion und politischen Orientierung u.a. auch auf der Frankfurter Aktionskonferenz am 18. und 19. September deutlich wurde. In Berlin wird über die strategische Ausrichtung der Bewegung besonders wenig diskutiert.

Hier konkurrieren nicht erst seit der bundesweiten Spaltung in die Demos am 2. und 3. Oktober - eine von Gewerkschaftsführungen, attac, PDS geführt, die andere von der MLPD.

Am letzten Montag gab es dabei einen neuen, traurigen Höhepunkt. Die Polizei beschlagnahmte den Lautsprecherwagen des MLPD-geführten Bündnisses "Montags gegen 2010" und nahm dabei mehrere Personen fest. Diese Polizeiprovokation ist auch Resultat der - im Grunde politisch unnötigen und unausgewiesenen - Spaltung der Mobilisierung in zwei Bündnisse.

Ursprünglich hätten auch zwei konkurrierende Demos durchgeführt werden sollen - eine vor das Brandenburger Tor, die andere zur SPD-Zentrale. Letztere, von "Montags gegen 2010" angemeldet, wurde abgesagt und schließlich ging der MLPD-Block in der anderen Demo mit.

Die gesamte Demo war erneut kleiner als eine Woche davor. Noch dazu war die Route äußerst schlecht gewählt, ging sie doch in erste Linie durch unbewohntes oder nur von Touristen besuchtes Gebiet. Vor allem die letzten paar hundert Meter zum Brandenburger Tor und die Abschlusskundgebung drängten viele DemoteilnehmerInnen geradezu zum raschen Nachhausegehen.

Allein der Bulleneinsatz war noch ein trauriges Highlight. Die Polizei hatte dem Bündnis die Auflage erteilt, dass nur zwei Lautsprecherwagen zur Abschlusskundgebung fahren dürfen. Andere Lautsprecherwagen wie jener der FAU waren aus der Demo gefahren.

Die Organisatoren der Demo versuchten, mit ihren Ordnern und einer Blockade des Zugangs durch ver.di- und IG Metall zu verhindern, dass der MLPD-Lauti auf den Platz der Abschlusskundgebung fahren kann.

Nun traten die Bullen auf den Plan. Entgegen anders lautenden Gerüchten wurden sie nicht von den Organisatoren der anderen Demo gerufen. Es war auch klar, dass sie die Chance zur Provokation nützen würden, da schon während der Demo der anti-kapitalistische Block mehrfach provoziert worden war (wie auch schon eine Woche davor bei der Demo zum BDI). Vom Lautsprecherwagen der Abschlusskundgebung wurde die Polizei aufgefordert, sich zurückzuziehen. Rund ein Drittel der Leute von Abschlusskundgebung liefen zurück, um die Demo gegen den Polizeieinsatz zu schützen - allerdings zu spät und vergeblich. Die Bullen hatten den Lautsprecherwagen schon beschlagnahmt und rasten mit diesem Richtung Potsdamer Platz davon.

Die MLPD lief nun ihrerseits auf den Abschlusskundgebungsplatz und agitierte gegen die Organisatoren der anderen Demo und für den 3. Oktober.

Die wenigen verbliebenen DemoteilnehmerInnen kannten sich nun überhaupt nicht mehr aus und die meisten verließen endgültig die Kundgebung.

Zweifellos hat dieses Schauspiel den Berliner Montagsdemos weiter geschadet. Mit einem neuerlichen deutlichen Absinken der Teilnehmerzahl ist zur rechnen.

Woher kommt diese Entwicklung? Die beiden Bündnisse betreiben das Spiel, sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben.

Der Gag dabei: viele der Anschuldigungen, die sie gegeneinander vorbringen sind durchaus zutreffend. Mittlerweile haben es auch beide fertig gebracht, den bürgerlichen Staat mit in die Auseinandersetzung zu ziehen - sei es durch "Ausnutzen" des Versammlungsrechts zur Abspaltung des anderen (siehe Bericht in Infomail 180), sei es durch die Verleumdungsklagen der MLPD gegen Sprecher des Leipziger Sozialbündnisses.

Diese Methoden zeigen, wie wenig selbst elementare Grundlagen linker "Zusammenarbeit" wie jene, den bürgerlichen Staat aus den "Kämpfen" rauszuhalten und gegen seine Provokationen solidarisch zu sein, längst über Bord geworfen worden sind.

Zweifellos wird das Bündnis "Weg mit Hartz IV" stark von der Gewerkschaftsbürokratie, von PDS und attac dominiert - und einige "radikale Linke" wie DKP, Linksruck, Fels, FAU spielen deren Handlanger. Umgekehrt maßt sich die MLPD ein im Grund obskures Erstgeburtsrecht an, das auf dem Argument fußt, dass sie schon immer Montagsdemos durchgeführt hätte (die jedoch kaum besucht waren) und dass die Vertreter ihrer Bündnisstruktur von "den" MontagsdemonstrantInnen gewählt worden wären. Auch das ist kompletter Unfug.

In Wirklichkeit müssten die Bündnisse vereinigt werden auf der Grundlage einer Mobilisierung über den Oktober hinaus, des Aufbaus wirklicher Stadtteilkomitees, der Verbindung in die Betriebe etc.

Hinter der Auseinandersetzung stehen natürlich unterschiedliche Interessen und politische Perspektiven. Die Dominanz des Bündnisses "Weg mit Hartz IV" drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass es über die Montagsdemos hinaus kein Perspektive gibt. Die Ausgrenzung der MLPD und ihres Bündnisses ist auch ein Warnschuss der Gewerkschaftsbürokratie gegen links. Zweifellos wird die Ausgrenzung der MLPD durch deren Mischung aus Sektierertum und pseudoradikalen Populismus erleichtert. Hinter der Ausgrenzung steckt aber auch der Versuch der Gewerkschaftsführungen und der PDS, möglichst jedes Druckpotential gegen ihre Politik in den Bündnissen zu minimieren.

Die Gewerkschaftsführungen haben kein Interesse, die Montagsdemos mit Massenstreiks gegen die Agenda zu verbinden, ja überhaupt den Kampf weiter zu entwickeln. Nur unter dem Druck der Bewegung waren sie gezwungen, sich einzugliedern.

Von Beginn an haben sich die Vorstände von DGB, IG Metall und ver.di von der Bewegung abgesetzt und rufen jetzt gegen die Teilnahme an den Montagsdemos auf. Ver.di Berlin hat diesen Schritt nun nachvollzogen. Nach dem 2. Oktober sei Schluss mit ihrer Unterstützung, erklärte der Verdi-Bezirksvorstand am Beginn diese Woche. Es ist zu befürchten, dass die Berliner IG Metall diesem Schritt folgt.

Der Vorwand von ver.di, sich nicht "den Pöbeleien" der MLPD aussetzen zu wollen, muss scharf zurückgewiesen werden. Dieses politische Armutszeugnis - eine Gewerkschaft mit 50.000 Mitgliedern macht sich wegen einer maoistischen Gruppe mit gerade Mal 100 Leuten in die Hose - dient nur als Entschuldigung dafür, dass ver.di gegen Hartz IV ebensowenig entschlossen kämpfen will wie zuvor gegen Krankenhausprivatisierung, Stellenabbau und Aushebelung des Tarifvertrages im Öffentlichen Dienst.

Die PDS bleibt zwar weiter im Montagsdemo-Bündnis und sorgt vor allem dafür, dass es mit angezogener Handbremse weitergeht. Von einer Offensive gegen den Senat will sie natürlich nichts wissen, zumal ihre Senatoren für die Umsetzung der Hartz-Reformen mitverantwortlich sind.

Im Gegenteil, sie nutzt den Rückgang der Montagsdemos im Gleichklang mit attac dazu, eine "Strategiedebatte" anzuzetteln, die vor allem einen Rückzug von der Mobilisierung bedeutet. Nachbessern statt abschaffen, lautet mehr und mehr das Motto.

In diesem Kontext versucht sich die MLPD als "linke" Alternative und als unschuldige, selbstlose Märtyrertruppe, die nur "Volksinteressen" vertrete, darzustellen.

Ähnlich wie die regionalen Gewerkschaftsvorstände, attac oder PDS ihre politische Verantwortung für "ihr" Mobilisierungsbündnis gern hinter einem Schwall pseudodemokratischer Offenheit verbergen und so tun, als ob sie keine andere Sorge als der Erfolg der "Bewegung" und die Interessen der Menschen umtrieben, so inszeniert auch die MLPD ihre pseudo-demokratischen Bündnisse.

Die Debatte um eine strategische Orientierung der Bewegung wird von der MLPD hinter einer Fassade aus leerem "Optimismus" und viel "Denunziation" der "Volksfeinde" unterschlagen. Wirkliche Niederlagen gab es in dieser Rechnung für die Arbeiterbewegung nicht. Die Niederlage bei Daimler durch die fatale Politik der Gewerkschaftsführung und des Gesamtbetriebsrates wird von MLPD-Chef Stefan Engel persönlich noch als "Erfolg der Arbeitermobilisierung" hingestellt.

Vor allem aber suggeriert die MLPD, dass es ausreiche, wenn die Bewegung der Montagsdemonstranten einfach anwachse, wenn "von unten" immer mehr Leute auf die Straße gingen - bis nicht nur Hartz IV, die Agenda, sondern auch gleich die Schröder-Regierung falle.

Ein solche Perspektive kann nur in die Niederlage führen und treibt die organisierten ArbeiterInnen nicht in die Radikalisierung, sondern eher zurück in die Arme der Gewerkschaftsbürokratie. Sie wird aber auch die Erwerbslosen demoralisieren, weil sie schlechtweg illusionäre Hoffnungen streut, statt die Notwendigkeit des Kampfes um politische Streiks bis hin zum Generalstreik zu propagieren.

Es ist daher auch sektiererisch von Seiten der MLPD, auf ihren "Sternmarsch" nach Berlin zu insistieren. Angesichts der Entwicklung der letzten Wochen, wird es schon einer großen Kraftanstrengung bedürfen, dass aus der Demo am 2. Oktober ein Erfolg wird. Die Haltung von verdi-Berlin zeigt, dass ein immer größerer Teil des Gewerkschaftsapparates plant, nach dem 2. Oktober die Bewegung endgültig zu demobilisieren.

Eine Demonstration mit wenigen 10.000 TeilnehmerInnen wird von der Bürokratie sicher als Vorwand missbraucht werden, nach der kurz unterbrochen Sommerpause in den Winterschlaf überzugehen. Eine Mini-Demo, wie sie die MLPD plant, würde eine solch gefährliches Szenario noch verstärken.

Der entscheidende Punkt über den 2. Oktober hinaus, muss daher in der Bewegung gegen die Agenda und gegen Hartz IV ist daher, wie neben und aus den Montagsdemos reale, demokratisch organisierte Mobilisierungsbündnisses entstehen, wie die Erwerbslosenbewegung zu kämpferischeren Aktionsformen wie Blockaden und Besetzungen übergehen kann - vor allem aber, wie wir zu betrieblichen Abwehrkämpfen kommen, wie wir z.B. den Beschluss der Frankfurter Aktionskonferenz, am 17. November eine großen bundesweiten Protesttag mit möglichst vielen Arbeitsniederlegungen durchzuführen, umsetzen können.

Dazu braucht es reale Schritte, in der Aktion auch in den Betrieben Kampfstrukturen aufzubauen, die den notwendigen verallgemeinerten Abwehrkampf gegen den Generalangriff - den Generalstreik gegen 2010 - auch wirklich erzwingen können.

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